Zehn Minuten und ein ganzes Leben
»Es ging immer nur um die Liebe.«
Der Geburtstagswalzer damals. Die strahlenden Kinderaugen morgens beim Toben im Bett. War das das Glück? Eine Frau erinnert sich an ihr Leben. Was bleibt von der Liebe und vom Älterwerden zu zweit, von Freundschaft und...
Der Geburtstagswalzer damals. Die strahlenden Kinderaugen morgens beim Toben im Bett. War das das Glück? Eine Frau erinnert sich an ihr Leben. Was bleibt von der Liebe und vom Älterwerden zu zweit, von Freundschaft und...
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Produktinformationen zu „Zehn Minuten und ein ganzes Leben “
Klappentext zu „Zehn Minuten und ein ganzes Leben “
»Es ging immer nur um die Liebe.«Der Geburtstagswalzer damals. Die strahlenden Kinderaugen morgens beim Toben im Bett. War das das Glück? Eine Frau erinnert sich an ihr Leben. Was bleibt von der Liebe und vom Älterwerden zu zweit, von Freundschaft und Familie? Was bleibt von all den Träumen und Hoffnungen, die man einmal hatte? In ihrer hinreißenden Prosa erzählt Manuela Reichart von der Flüchtigkeit des Lebens, dessen Illusionen und Klischees im Rückblick ebenso kostbar sind wie die kurzen Momente des Glücks.
Lese-Probe zu „Zehn Minuten und ein ganzes Leben “
Zehn Minuten und ein ganzes Leben von Manuela Reichart1
Ein Schlitten, einer ohne Namen. Das Holz riecht neu und glänzt. »Pack das Kind warm ein.« Mütze und Handschuh und Schal, die Wollstrümpfe kratzen. Der Großvater macht das Pferd. Er trabt und schnauft. Sie klatscht in die Hände und freut sich. Schneller, schneller, das Ross heißt Mond, und sie ist der kleine Hävelmann. So viel Schnee, die Stadt leuchtet und liegt still, die Menschen lächeln. Wenn sie nur eine Peitsche hätte. Trabe, mein Pferdchen, trabe. Sie träumt in den Rücken des Mannes hinein: Rehe und Fasane kreuzen ihren Weg, ein Eichhörnchen salutiert. Das sieht komisch aus. Sie muss lachen. Alle bewundern den Schlitten und ihr altes Pferd. Sie schaut huldvoll: »Ich bin eine Prinzessin, und ich bin die Freundin aller Tiere.« Die Hände werden ihr steif vom vielen Winken, an den Augenwimpern klebt Raureif. Sie wird müde, sie friert, der Großvater schwitzt, ihm rinnt der Schweiß in den Nacken.
Später macht die Mutter ihm Vorwürfe. »Hast du nicht gesehen, wie blaugefroren ihre Lippen waren?« Aber er war der Gaul und musste vorwärts schauen. Sie ist jetzt eine Eisprinzessin. Sie liegt unter der warmen Decke und ist froh.
2
... mehr
Sie hat blonde Locken und blaue Augen, er auch. Sie hat runde Backen und immer noch den Babybauch, er nicht. Er ist einen halben Kopf größer als sie und dünn. Sie sehen sich jeden Tag. Sie wartet auf ihn, kann sich erst froh an den Tisch setzen, wenn er da ist. Und dann ist da plötzlich eine andere. Sie hat schwarze Haare und braune Augen und ist schrecklich mager. Sie will ihn ihr wegnehmen, das spürt sie gleich.
Sie spielen zusammen, sitzen im Kreis, werfen einander Bälle zu, hüpfen durch die Halle. Die andere schafft es, immer an seiner Seite zu sein. Sie gibt Anweisungen, er gehorcht ihr und merkt nicht, wie er zwischen die Blonde und die Schwarze gerät. Am Nachmittag sitzt sie traurig vor der Tür. Die andere stellt sich daneben, flüstert ihr ins Ohr: »Du bist eine dicke, fette Raupe.« Dann springt die Nebenbuhlerin froh davon, und sie bleibt gedemütigt und in Tränen zurück. Der erste Liebesschmerz.
Sie ist vier Jahre alt und geht mit dem Geliebten in den Kindergarten.
3
»Es war doch nur ein Hund.« Der Onkel versucht sie zu trösten und verspielt mit diesem einen Satz für immer ihre Liebe. Der Vater hatte sie zu den Großeltern gebracht, ahnungslos war sie dort und heiter. Als sie zurück nach Hause kommt, ist er weg. Kein Timo mehr da, der sie schwanzwedelnd begrüßt. Krank sei er gewesen, schwer krank, das wisse sie doch, der Arzt habe ihn erlöst. »Er ist im Hundehimmel.« Dummes Gerede. Sie haben ihn umgebracht. Die eitrige Geschwulst war ihnen ekelhaft, der Geruch unerträglich, sein Sabbern widerlich.
Immer war er da gewesen, ihr ganzes Leben lang. Alt und krank darf man also nicht werden. Das lernt sie jetzt. Dass man ihr das Herz gebrochen hat, scheint keinen zu stören.
Drei Tage isst sie keinen Bissen, redet nicht mit den Eltern. Am vierten gibt sie auf.
4
Alle haben ein Fahrrad, nur sie hat diesen blöden blauen Roller. Die Mutter lässt sich nicht erweichen. Sie sagt: »Nein.« Und: »Der Straßenverkehr.« Sie schiebt das ungeliebte Teil auf den Parkwegen. Der Freund sitzt auf dem Sattel, radelt ganz bequem. Er ist der Ritter, sie die Prinzessin. Sie könnte heulen.
Er will sie heiraten, später. Er sagt: »Wir können tauschen, wenn du willst.« Ja, sie wird ihn heiraten. Sie steigt auf, tritt in die Pedale - und rast los. Das ist etwas ganz anderes: sitzen und sich den Wind um die Nase wehen lassen, nicht mit dem Fuß abtreten müssen. Fahrrad und Roller, das ist der Unterschied zwischen einer Königin und einer Dienerin. Genau das ist es, das wird sie ihrer Mutter sagen: »Willst du eine Dienerin zur Tochter?« Sie schärft ihr doch immer ein, dass Frauen nicht zum Dienen da seien - also brauchen sie ein Fahrrad. Sie lässt die Pedale jetzt im Leerlauf rollen, damit der Freund sie einholen kann.
Sie wird ihn heiraten. Später.
5
Sie ist mutig. Sie sitzt auf dem Holzstapel im Kohlenkeller. Ihr Herz klopft bis in den Hals. Hier wird sie niemand finden. Lange schon ist ausgezählt, aber keiner traut sich herunter. Die anderen können suchen, bis sie schwarz werden, niemand kann ihr dieses Mal den Rang ablaufen, und dem Idioten aus dem zweiten Stock wird sie es endlich zeigen. Der blöde Angeber mit seinem amerikanischen Onkel. Alle werden sie bewundern und umringen. Sie freut sich auf seinen neidischen Blick. Auf ihre Fragen. Sie wird wieder die Anführerin sein.
Jetzt hört sie keine Stimmen mehr. Wieso suchen sie nicht weiter? Sie könnte jetzt hinaufgehen, das Spiel abbrechen - ist mir zu blöd, die Warterei, ihr findet mich sowieso nicht -, aber das will sie nicht, sie braucht das Stichwort für den Sieg.
Sie sitzt im düsteren Keller, nur ein kleiner Lichtspalt fällt herein. Sie verliert das Zeitgefühl. Sie wartet auf ihren Triumph, der nicht kommt, weil die anderen sie vergessen haben, längst nach Hause gelaufen sind zum Abendbrot. Sie kann das nicht glauben, sie hält fest am Ritual. Sie schluckt die Tränen hinunter. Sie wird hier sitzen bleiben, bis sie alt ist. Nie wieder wird sie mit den anderen spielen. Nie wieder ein Wort mit ihnen sprechen. Sie wünscht ihnen die Pest an den Hals.
Die Stimme, die nach einer Ewigkeit ihren Namen ruft, gehört der Mutter. Die nimmt sie in den Arm und tröstet. Sie kann nicht aufhören mit dem Schluchzen. Sie war allein und verraten, so gut wie tot. Das wird sie nicht vergessen, niemals.
6
Sie will Schauspielerin werden. Eine berühmte Schauspielerin. Mit der besten Freundin macht sie Pläne. Sie werden sich eine Wohnung teilen. Die andere soll ihre Agentin sein, sie wird ihre Unterschrift nachmachen und die Autogrammkarten für sie unterschreiben. Sie zweifelt nicht an ihrer Begabung. Auf den Proben fürs Weihnachtsspiel hat der Pfarrer sie besonders gelobt.
Sie spielt Sarah, muss im Kreis der Schwestern auf der Bühne sitzen und Handarbeiten machen. Eine der drei Töchter im Haus, das das heilige Paar abweist. Wie ging der Kreuzstich? Sie hasst Nähen und Sticken und Häkeln, überhaupt die ganze Nadelarbeit. Ihren Text kann sie im Schlaf. Sie ist nicht aufgeregt. Sie will Schauspielerin werden.
Warum schauen die anderen plötzlich so seltsam? »Hat es nicht geklopft?« ... »Hat es nicht geklopft?« ... Ihr Einsatz - sie weiß doch jede Zeile. Sie kann den Text im Schlaf. Er ist kurz genug. »Sarah, hat es nicht geklopft?« ... »Ja, mir scheint auch, es habe jemand an die Tür geklopft. Geh doch mal nachschauen, Judith.« Es ist ein modernes Krippenspiel.
Sie kann den Text, aber sie bekommt kein Wort heraus. Noch einmal: »Hat es nicht geklopft?« Böse Blicke treffen sie. Merken die denn nicht, dass sie nicht mehr sprechen kann? Ihr Hals ist zugeschnürt, sie wird nie wieder reden können.
Was werden die Eltern denken. Wie kann sie ihnen das erklären? Sie müssen die Taubstummensprache lernen. Der Vater schafft das nie.
Endlich begreifen es die anderen, von ihr ist nichts zu erwarten. Die Kleinste steht ohne Stichwort auf: »Ich gehe mal nachsehen.« Die rettet den Abend. Die Tränen sitzen fest in ihren Augen. Der Blick klebt auf dem Kreuzstich.
Den Applaus kann sie keinesfalls überleben.
Sie kann nicht mehr Schauspielerin werden.
7
Mit 14 - nach der ersten großen Liebe, nach der Konfirmation, nach der ersten Fünf in Physik und der ersten Flugreise - weiß sie plötzlich, dass sie vergessen wird, ihre Gefühle und die Gedanken, die Augenfarbe der besten Freundin und den Geruch des nassen Hundes. Alles wird verschwinden, sie wird erwachsen werden und leer. Heute radiert Gestern aus, und morgen verliert man die Erinnerung an heute. Das ist ihr eine grauenvolle Vorstellung.
Sie wünscht sich, ihr Leben festzuhalten, jede Sekunde mit einer Kamera aufzunehmen und die zweite Hälfte mit dem Ansehen der ersten zu verbringen.
»Mit 40« - sagt sie zur Freundin - »ist sowieso nicht mehr viel los, dann setzt man sich in einen Sessel, wird künstlich ernährt und schaut, wie man gelebt hat.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Sie hat blonde Locken und blaue Augen, er auch. Sie hat runde Backen und immer noch den Babybauch, er nicht. Er ist einen halben Kopf größer als sie und dünn. Sie sehen sich jeden Tag. Sie wartet auf ihn, kann sich erst froh an den Tisch setzen, wenn er da ist. Und dann ist da plötzlich eine andere. Sie hat schwarze Haare und braune Augen und ist schrecklich mager. Sie will ihn ihr wegnehmen, das spürt sie gleich.
Sie spielen zusammen, sitzen im Kreis, werfen einander Bälle zu, hüpfen durch die Halle. Die andere schafft es, immer an seiner Seite zu sein. Sie gibt Anweisungen, er gehorcht ihr und merkt nicht, wie er zwischen die Blonde und die Schwarze gerät. Am Nachmittag sitzt sie traurig vor der Tür. Die andere stellt sich daneben, flüstert ihr ins Ohr: »Du bist eine dicke, fette Raupe.« Dann springt die Nebenbuhlerin froh davon, und sie bleibt gedemütigt und in Tränen zurück. Der erste Liebesschmerz.
Sie ist vier Jahre alt und geht mit dem Geliebten in den Kindergarten.
3
»Es war doch nur ein Hund.« Der Onkel versucht sie zu trösten und verspielt mit diesem einen Satz für immer ihre Liebe. Der Vater hatte sie zu den Großeltern gebracht, ahnungslos war sie dort und heiter. Als sie zurück nach Hause kommt, ist er weg. Kein Timo mehr da, der sie schwanzwedelnd begrüßt. Krank sei er gewesen, schwer krank, das wisse sie doch, der Arzt habe ihn erlöst. »Er ist im Hundehimmel.« Dummes Gerede. Sie haben ihn umgebracht. Die eitrige Geschwulst war ihnen ekelhaft, der Geruch unerträglich, sein Sabbern widerlich.
Immer war er da gewesen, ihr ganzes Leben lang. Alt und krank darf man also nicht werden. Das lernt sie jetzt. Dass man ihr das Herz gebrochen hat, scheint keinen zu stören.
Drei Tage isst sie keinen Bissen, redet nicht mit den Eltern. Am vierten gibt sie auf.
4
Alle haben ein Fahrrad, nur sie hat diesen blöden blauen Roller. Die Mutter lässt sich nicht erweichen. Sie sagt: »Nein.« Und: »Der Straßenverkehr.« Sie schiebt das ungeliebte Teil auf den Parkwegen. Der Freund sitzt auf dem Sattel, radelt ganz bequem. Er ist der Ritter, sie die Prinzessin. Sie könnte heulen.
Er will sie heiraten, später. Er sagt: »Wir können tauschen, wenn du willst.« Ja, sie wird ihn heiraten. Sie steigt auf, tritt in die Pedale - und rast los. Das ist etwas ganz anderes: sitzen und sich den Wind um die Nase wehen lassen, nicht mit dem Fuß abtreten müssen. Fahrrad und Roller, das ist der Unterschied zwischen einer Königin und einer Dienerin. Genau das ist es, das wird sie ihrer Mutter sagen: »Willst du eine Dienerin zur Tochter?« Sie schärft ihr doch immer ein, dass Frauen nicht zum Dienen da seien - also brauchen sie ein Fahrrad. Sie lässt die Pedale jetzt im Leerlauf rollen, damit der Freund sie einholen kann.
Sie wird ihn heiraten. Später.
5
Sie ist mutig. Sie sitzt auf dem Holzstapel im Kohlenkeller. Ihr Herz klopft bis in den Hals. Hier wird sie niemand finden. Lange schon ist ausgezählt, aber keiner traut sich herunter. Die anderen können suchen, bis sie schwarz werden, niemand kann ihr dieses Mal den Rang ablaufen, und dem Idioten aus dem zweiten Stock wird sie es endlich zeigen. Der blöde Angeber mit seinem amerikanischen Onkel. Alle werden sie bewundern und umringen. Sie freut sich auf seinen neidischen Blick. Auf ihre Fragen. Sie wird wieder die Anführerin sein.
Jetzt hört sie keine Stimmen mehr. Wieso suchen sie nicht weiter? Sie könnte jetzt hinaufgehen, das Spiel abbrechen - ist mir zu blöd, die Warterei, ihr findet mich sowieso nicht -, aber das will sie nicht, sie braucht das Stichwort für den Sieg.
Sie sitzt im düsteren Keller, nur ein kleiner Lichtspalt fällt herein. Sie verliert das Zeitgefühl. Sie wartet auf ihren Triumph, der nicht kommt, weil die anderen sie vergessen haben, längst nach Hause gelaufen sind zum Abendbrot. Sie kann das nicht glauben, sie hält fest am Ritual. Sie schluckt die Tränen hinunter. Sie wird hier sitzen bleiben, bis sie alt ist. Nie wieder wird sie mit den anderen spielen. Nie wieder ein Wort mit ihnen sprechen. Sie wünscht ihnen die Pest an den Hals.
Die Stimme, die nach einer Ewigkeit ihren Namen ruft, gehört der Mutter. Die nimmt sie in den Arm und tröstet. Sie kann nicht aufhören mit dem Schluchzen. Sie war allein und verraten, so gut wie tot. Das wird sie nicht vergessen, niemals.
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Sie will Schauspielerin werden. Eine berühmte Schauspielerin. Mit der besten Freundin macht sie Pläne. Sie werden sich eine Wohnung teilen. Die andere soll ihre Agentin sein, sie wird ihre Unterschrift nachmachen und die Autogrammkarten für sie unterschreiben. Sie zweifelt nicht an ihrer Begabung. Auf den Proben fürs Weihnachtsspiel hat der Pfarrer sie besonders gelobt.
Sie spielt Sarah, muss im Kreis der Schwestern auf der Bühne sitzen und Handarbeiten machen. Eine der drei Töchter im Haus, das das heilige Paar abweist. Wie ging der Kreuzstich? Sie hasst Nähen und Sticken und Häkeln, überhaupt die ganze Nadelarbeit. Ihren Text kann sie im Schlaf. Sie ist nicht aufgeregt. Sie will Schauspielerin werden.
Warum schauen die anderen plötzlich so seltsam? »Hat es nicht geklopft?« ... »Hat es nicht geklopft?« ... Ihr Einsatz - sie weiß doch jede Zeile. Sie kann den Text im Schlaf. Er ist kurz genug. »Sarah, hat es nicht geklopft?« ... »Ja, mir scheint auch, es habe jemand an die Tür geklopft. Geh doch mal nachschauen, Judith.« Es ist ein modernes Krippenspiel.
Sie kann den Text, aber sie bekommt kein Wort heraus. Noch einmal: »Hat es nicht geklopft?« Böse Blicke treffen sie. Merken die denn nicht, dass sie nicht mehr sprechen kann? Ihr Hals ist zugeschnürt, sie wird nie wieder reden können.
Was werden die Eltern denken. Wie kann sie ihnen das erklären? Sie müssen die Taubstummensprache lernen. Der Vater schafft das nie.
Endlich begreifen es die anderen, von ihr ist nichts zu erwarten. Die Kleinste steht ohne Stichwort auf: »Ich gehe mal nachsehen.« Die rettet den Abend. Die Tränen sitzen fest in ihren Augen. Der Blick klebt auf dem Kreuzstich.
Den Applaus kann sie keinesfalls überleben.
Sie kann nicht mehr Schauspielerin werden.
7
Mit 14 - nach der ersten großen Liebe, nach der Konfirmation, nach der ersten Fünf in Physik und der ersten Flugreise - weiß sie plötzlich, dass sie vergessen wird, ihre Gefühle und die Gedanken, die Augenfarbe der besten Freundin und den Geruch des nassen Hundes. Alles wird verschwinden, sie wird erwachsen werden und leer. Heute radiert Gestern aus, und morgen verliert man die Erinnerung an heute. Das ist ihr eine grauenvolle Vorstellung.
Sie wünscht sich, ihr Leben festzuhalten, jede Sekunde mit einer Kamera aufzunehmen und die zweite Hälfte mit dem Ansehen der ersten zu verbringen.
»Mit 40« - sagt sie zur Freundin - »ist sowieso nicht mehr viel los, dann setzt man sich in einen Sessel, wird künstlich ernährt und schaut, wie man gelebt hat.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von Manuela Reichart
Manuela Reichart lebt und arbeitet in Berlin als Radioautorin und Radiomoderatorin, Filmemacherin und Herausgeberin (u.a. der Anthologie 'Doch uns schlug kein Gewissen', 2011).
Bibliographische Angaben
- Autor: Manuela Reichart
- 2012, 1. Auflage, 112 Seiten, Maße: 12,8 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 310063604X
- ISBN-13: 9783100636041
- Erscheinungsdatum: 22.05.2012
Kommentar zu "Zehn Minuten und ein ganzes Leben"