Zeit der Krähen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.7
Daenerys Targaryen, die Letzte aus dem Geschlecht der Drachenkönige, bereitet jenseits des Meeres ihre Rückkehr in die Sieben Königreiche vor. An der Spitze einer riesigen Streitmacht und unterstützt von drei Drachen will sie die Krone zurückfordern.
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Produktinformationen zu „Zeit der Krähen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.7 “
Daenerys Targaryen, die Letzte aus dem Geschlecht der Drachenkönige, bereitet jenseits des Meeres ihre Rückkehr in die Sieben Königreiche vor. An der Spitze einer riesigen Streitmacht und unterstützt von drei Drachen will sie die Krone zurückfordern.
Klappentext zu „Zeit der Krähen / Das Lied von Eis und Feuer Bd.7 “
Daenerys Targaryen, die Letzte aus dem Geschlecht der Drachenkönige, bereitet jenseits des Meeres ihre Rückkehr in die Sieben Königreiche vor. An der Spitze einer riesigen Streitmacht und unterstützt von drei Drachen will sie die Krone zurückfordern.
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Zeit der Krähen von George R. R. MartinProlog
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»Drachen«, sagte Mollander. Er hob einen schrumpligen Apfel vom Boden auf und warf ihn von einer Hand in die andere.
»Wirf den Apfel«, verlangte Alleras Sphinx. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne.
»Einen Drachen würde ich auch gern mal sehen.« Roon war der Jüngste unter ihnen, ein stämmiger Junge, dem zwei Jahre fehlten, bis man ihn einen Mann nennen durfte. »Sehr gern sogar.«
Und ich würde gern in Rosis Armen schlafen, dachte Pat. Er rutschte unruhig auf der Bank hin und her. Am Morgen schon könnte das Mädchen ihm gehören. Ich gehe mit ihr fort aus Altsass, über die Meerenge, in eine der Freien Städte. Dort gab es keine Maester, niemanden, der ihn anklagen könnte.
Durch die Fensterläden über ihm hörte er Emmas Lachen, das sich mit der tiefen Stimme des Mannes mischte, dem sie gerade zu Diensten war. Sie war die älteste Schankmagd im »Federkiel und Krug«, mindestens vierzig, ein wenig korpulent, aber noch immer hübsch. Rosi war ihre Tochter, fünfzehn und unlängst erblüht. Rosis Jungfräulichkeit würde einen goldenen Drachen kosten, hatte Emma verkündet. Pat hatte neun Silberhirschen und einen Topf voller Kupfersterne und Heller gespart, was ihm jedoch nicht viel weiterhalf. Vermutlich würde er eher einen echten Drachen ausbrüten, als jemals einen goldenen zusammenzusparen.
»Für Drachen bist du zu spät geboren, Junge«, meinte Armen der Akolyth zu Roon. Armen trug ein Lederband um den Hals, an dem Glieder aus Zinn, Blech, Blei und Kupfer aufgereiht waren, und wie die meisten Akolythen schien er zu glauben, bei Novizen sitze anstelle des Kopfes eine Rübe zwischen den Schultern. »Der Letzte ist während der Herrschaft von König Aegon dem Dritten verendet.«
»Der letzte Drache in Westeros«, widersprach Mollander.
»Wirf den Apfel«, verlangte Alleras aufs Neue. Ihre Sphinx war ein schöner junger Mann. Alle Schankmädchen schwärmten für ihn. Sogar Rosi legte ihm manchmal die Hand auf den Arm, wenn sie ihm Wein brachte, und Pat tat dann stets zähneknirschend so, als bemerke er nichts.
»Der letzte Drache in Westeros war der letzte Drache überhaupt«, beharrte Armen. »Das ist doch allseits bekannt.«
»Der Apfel«, sagte Alleras. »Es sei denn, du willst ihn essen.«
»Hier.« Mollander vollführte einen kleinen Hüpfer und zog dabei seinen Klumpfuß hinter sich her, wirbelte herum und schleuderte den Apfel mit einer tief geführten Armbewegung hinaus in den Nebel, der über dem Honigwein hing. Ohne diesen Fuß wäre er ein Ritter geworden wie sein Vater. In den dicken Armen und den breiten Schultern steckte jedenfalls ausreichend Kraft. Schnell und weit flog der Apfel ...
... doch nicht so schnell wie der Pfeil, der hinterherzischte, ein schrittlanger Schaft aus goldenem Holz, der am Ende scharlachrot befiedert war. Pat sah nicht, wie der Pfeil den Apfel traf, hörte es jedoch. Ein leises Plopp hallte über den Fluss zu ihnen herüber, darauf folgte ein Platschen.
Mollander pfiff. »Du hast ihn glatt entkernt. Süß.«
Nicht halb so süß wie Rosi. Pat liebte ihre nussbraunen Augen und ihre knospenden Brüste, er liebte die Art, wie sie ihn anlächelte, wann immer sie ihn sah. Er liebte die Grübchen in ihren Wangen. Manchmal lief sie beim Servieren barfuß, um das Gras unter den Füßen zu spüren. Das liebte er ebenfalls. Er liebte ihren sauberen, frischen Geruch und die Art, wie ihre Haare sich hinter den Ohren lockten. Sogar ihre Zehen liebte er. Einmal hatte sie ihm nachts erlaubt, ihr die Füße zu reiben, und er durfte sogar mit den Zehen spielen. Dabei hatte er sich für jede eine lustige Geschichte ausgedacht, damit Rosi nur nicht aufhörte zu kichern.
Vielleicht wäre es besser, auf dieser Seite der Meerenge zu bleiben. Er könnte mit seinen ersparten Münzen einen Esel kaufen, würde sich mit Rosi beim Reiten abwechseln und durch Westeros wandern. Ebros glaubte vielleicht, Pat sei des Silbers nicht würdig, aber Pat konnte einen Knochen richten oder einen Fieberkranken zur Ader lassen. Das gemeine Volk würde seine Hilfe schätzen. Wenn er dazu noch lernte, Haare zu schneiden und Bärte zu scheren, könnte er sogar Barbier werden. Das würde mir genügen, sagte er sich, solange nur Rosi bei mir wäre. Rosi war alles auf der Welt, was er sich wünschte.
Nicht immer war es so gewesen. Früher einmal hatte er davon geträumt, ein Maester auf einer Burg zu werden und für einen großzügigen Lord zu arbeiten, der ihn für seine Weisheit achtete und ihm zum Dank für seine Dienste ein wunderschönes weißes Pferd schenkte. Wie hoch zu Ross hätte er gesessen, wie nobel wäre er dahergeritten und hätte dem gemeinen Volk auf der Straße von oben herab zugelächelt ...
Eines Abends hatte Pat im Schankraum vom »Federkiel und Krug« nach seinem zweiten Krug fürchterlich starken Apfelweins damit geprahlt, dass er nicht ewig ein Novize bleiben werde. »Gewiss, gewiss«, hatte der Faule Leo ausgerufen. »Später bist du ein ehemaliger Novize und hütest Schweine.«
Er trank den letzten Schluck aus seinem Krug. Die Fackeln auf der Terrasse des »Federkiel und Krug« bildeten heute Morgen eine Insel aus Licht in einem Meer aus Nebel. Weiter flussabwärts schwebte das ferne Leuchtfeuer des Hohen Turms in der Feuchtigkeit der Nacht wie ein orangefarbener, dunstverhangener Mond, doch auch dieses Licht hellte Pats Stimmung nicht auf.
Der Alchimist hätte längst hier sein sollen. Hatte sich der Mann lediglich einen grausamen Scherz erlaubt, oder war ihm etwas zugestoßen? Es wäre nicht das erste Mal, dass sich das Schicksal für Pat zum Schlechten wendete. So hatte er sich zunächst glücklich geschätzt, als man ihn auswählte, dem alten Erzmaester Walgrab bei den Raben zu helfen, denn er hätte sich niemals träumen lassen, dass er schon nach kurzer Zeit dem alten Mann seine Mahlzeiten bringen, seine Gemächer kehren und ihn jeden Morgen anziehen würde. Alle behaupteten, der Greis habe über die Rabenzucht mehr vergessen, als die meisten Maester je an Wissen hätten anhäufen können, daher war Pat der festen Überzeugung gewesen, er dürfe zumindest auf ein schwarzes Eisenglied hoffen. Doch es stellte sich heraus, dass Walgrab ihm keines verleihen konnte. Der alte Mann hatte seinen Rang als Erzmaester allein aufgrund der Höflichkeit seiner Kollegen behalten. Was für ein großer Maester er einst auch gewesen sein mochte, jetzt verhüllte seine Robe ein ums andere Mal eingenässte Unterwäsche, und vor einem halben Jahr hatte ihn ein Akolyth weinend in der Bibliothek entdeckt, weil er den Rückweg zu seinen Gemächern nicht mehr fand. Maester Gormon saß jetzt unter der Eisernen Maske auf Walgrabs Platz, genau jener Gormon, der Pat einst des Diebstahls bezichtigt hatte.
Im Apfelbaum am Wasser begann eine Nachtigall mit ihrem Gesang. Die lieblichen Laute boten eine willkommene Abwechslung zu dem rauen Krakeelen und dem endlosen Krächzen der Raben, um die er sich den ganzen Tag gekümmert hatte. Die weißen Raben kannten seinen Namen und murmelten ihn einander zu, sobald sie den Jungen sahen, »Pat, Pat, Pat«, so lange, bis ihm nur noch nach Schreien zumute war. Die großen weißen Vögel waren Erzmaester Walgrabs ganzer Stolz. Nach seinem Tod wollte er von ihnen gefressen werden, und Pat hegte den leisen Verdacht, dass sie auch durchaus darauf erpicht waren, ihn zu verspeisen.
Vielleicht lag es an diesem fürchterlich starken Apfelwein - Pat war eigentlich gar nicht gekommen, um zu trinken, aber Alleras hatte zur Feier seines Kupferglieds eingeladen, und das schlechte Gewissen hatte Pats Durst geweckt - dennoch klang es fast, als trällerte die Nachtigall Gold für Eisen, Gold für Eisen, Gold für Eisen. Das war überaus eigenartig, denn das Gleiche hatte der Fremde an jenem Abend gesagt, an dem Rosi sie beide zusammengebracht hatte. »Wer seid Ihr?«, hatte Pat von ihm wissen wollen, und der Mann hatte geantwortet: »Ein Alchimist. Ich kann Eisen in Gold verwandeln.« Und dann hatte er plötzlich diese Münze in der Hand, ließ sie zwischen den Fingern über die Knöchel tanzen, und das weiche gelbe Gold glänzte im Schein der Kerzen. Auf einer Seite prangte der dreiköpfige Drache, auf der anderen der Kopf irgendeines toten Königs. Gold für Eisen, erinnerte sich Pat, besser kannst du es gar nicht treffen. Begehrst du sie? Liebst du sie? »Ich bin kein Dieb«, hatte er dem Mann gesagt, der sich als Alchimist ausgab, »ich bin ein Novize der Citadel.« Der Alchimist hatte den Kopf geneigt. »Falls du es dir anders überlegst, ich bin in drei Tagen mit meinem Drachen wieder hier.«
Die drei Tage waren vergangen. Pat saß wieder im »Federkiel und Krug«, immer noch unsicher, was er war, doch anstelle des Alchimisten hatte er Mollander und Armen und die Sphinx vorgefunden, und in ihrem Schlepptau Roon. Es hätte ihr Misstrauen erregt, wenn er sich nicht zu ihnen gesellt hätte.
Das »Federkiel und Krug« schloss niemals seine Pforten. Seit sechshundert Jahren stand es auf seiner Insel im Honigwein, und in dieser Zeit hatte es kein einziges Mal zugemacht. Obwohl sich das hohe Holzgebäude nach Süden neigte, so wie Novizen manchmal nach einem Krug zu viel, ging Pat davon aus, dass das Gasthaus hier noch weitere sechshundert Jahre stehen und Wein und Bier und fürchterlich starken Apfelwein an Flussleute und Seeleute ausschenken würde, an Schmiede und Sänger, Priester und Prinzen und an die Novizen und Akolythen der Citadel.
»Altsass ist nicht die Welt«, verkündete Mollander mit zu lauter Stimme. Er war der Sohn eines Ritters und hätte betrunkener nicht sein können. Seit man ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters am Schwarzwasser überbracht hatte, betrank er sich fast jeden Abend. Sogar hier in Altsass, weit entfernt von den Kämpfen und hinter den sicheren Mauern, hatte der Krieg der Fünf Könige sie alle erreicht.
... wobei Erzmaester Benedict darauf beharrte, es habe niemals einen Krieg von fünf Königen gegeben, da Renly Baratheon ermordet worden sei, bevor Balon Graufreud sich die Krone aufs Haupt gesetzt habe.
»Mein Vater hat immer gesagt, die Welt sei größer als jede Burg, die ein Lord jemals besitzen kann«, fuhr Mollander fort. »Drachen wären doch das Mindeste, was man in Qarth oder Asshai oder Yi Ti finden müsste. Diese Geschichten der Seefahrer ... «
»... sind Geschichten von Seefahrern«, fiel ihm Armen ins Wort. »Seefahrer, mein lieber Mollander. Geh nur wieder hinunter zum Hafen, und ich wette, dort findest du Seeleute, die dir von den Meerjungfrauen erzählen, bei denen sie gelegen haben, oder die dir weismachen wollen, sie hätten ein Jahr im Bauch eines Fisches verbracht.«
»Woher weißt du denn, dass das nicht stimmt?« Mollander humpelte durch das Gras und suchte nach weiteren Äpfeln. »Du müsstest ja selbst im Bauch eines Fisches gewesen sein, um beschwören zu können, dass sie es nicht waren. Ein Seemann und eine Geschichte, ja, darüber könnte man lachen, aber wenn die Ruderer von vier verschiedenen Galeeren die gleiche Geschichte in vier verschiedenen Sprachen erzählen ... «
»Die Geschichten sind nicht gleich«, widersprach Armen. »Drachen in Asshai, Drachen in Qarth, Drachen in Meereen, Drachen der Dothraki, Drachen, die Sklaven befreien ... jede Erzählung unterscheidet sich von den anderen.«
»Nur in den Einzelheiten.« Mollanders Sturheit steigerte sich, wenn er trank, und selbst nüchtern war er ein Dickkopf. »In allen wird von Drachen und einer wunderschönen jungen Königin berichtet.«
Der einzige Drache, für den Pat sich interessierte, war aus gelbem Gold geprägt. Er fragte sich, was dem Alchimisten zugestoßen war. Am dritten Tag. Er hat gesagt, er würde kommen.
»Da liegt noch ein Apfel neben deinem Fuß«, rief Alleras Mollander zu, »und ich habe noch zwei Pfeile im Köcher.«
»Scheiß auf deinen Köcher.« Mollander hob den Fallapfel auf. »Der ist wurmstichig«, beschwerte er sich, warf ihn jedoch trotzdem. Der Pfeil traf den Apfel im Fallen und teilte ihn sauber in zwei Hälften. Eine landete auf dem Dach eines Türmchens, kullerte auf ein niedrigeres Dach, hüpfte herunter und verfehlte Armen nur um einen knappen halben Meter. »Wenn du einen Wurm in zwei Stücke schneidest, hast du zwei Würmer«, erklärte der Akolyth ihnen.
»Na, das müsste bei Äpfeln auch so sein, dann bräuchte nie wieder jemand Hunger zu leiden«, sagte Alleras und setzte dieses milde Lächeln auf. Die Sphinx lächelte stets, als grinse er im Stillen über einen Scherz, den nur er kannte. Irgendwie niederträchtig, was gut zu dem spitzen Kinn, dem in der Stirnmitte spitz zulaufenden Haaransatz und dem dichten Wust der kurz geschnittenen, pechschwarzen Locken passte.
Alleras würde es zum Maester bringen. Obwohl er erst seit einem Jahr auf der Citadel war, hatte er bereits drei Glieder seiner Maesterkette geschmiedet. Armen hatte zwar mehr, aber er hatte für jedes ein Jahr gebraucht. Dennoch würde auch er ein Maester werden. Roon und Mollander blieben Novizen mit rosa Hals, doch Roon war noch sehr jung, und Mollander zog das Trinken dem Lesen vor.
Pat hingegen ...
...
Übersetzung: Andreas Helweg
Vollständig durchgesehen und überarbeitet
von Sigrun Zühlke und Thomas Gießl
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006
by Verlagsgruppe Random House GmbH
»Drachen«, sagte Mollander. Er hob einen schrumpligen Apfel vom Boden auf und warf ihn von einer Hand in die andere.
»Wirf den Apfel«, verlangte Alleras Sphinx. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne.
»Einen Drachen würde ich auch gern mal sehen.« Roon war der Jüngste unter ihnen, ein stämmiger Junge, dem zwei Jahre fehlten, bis man ihn einen Mann nennen durfte. »Sehr gern sogar.«
Und ich würde gern in Rosis Armen schlafen, dachte Pat. Er rutschte unruhig auf der Bank hin und her. Am Morgen schon könnte das Mädchen ihm gehören. Ich gehe mit ihr fort aus Altsass, über die Meerenge, in eine der Freien Städte. Dort gab es keine Maester, niemanden, der ihn anklagen könnte.
Durch die Fensterläden über ihm hörte er Emmas Lachen, das sich mit der tiefen Stimme des Mannes mischte, dem sie gerade zu Diensten war. Sie war die älteste Schankmagd im »Federkiel und Krug«, mindestens vierzig, ein wenig korpulent, aber noch immer hübsch. Rosi war ihre Tochter, fünfzehn und unlängst erblüht. Rosis Jungfräulichkeit würde einen goldenen Drachen kosten, hatte Emma verkündet. Pat hatte neun Silberhirschen und einen Topf voller Kupfersterne und Heller gespart, was ihm jedoch nicht viel weiterhalf. Vermutlich würde er eher einen echten Drachen ausbrüten, als jemals einen goldenen zusammenzusparen.
»Für Drachen bist du zu spät geboren, Junge«, meinte Armen der Akolyth zu Roon. Armen trug ein Lederband um den Hals, an dem Glieder aus Zinn, Blech, Blei und Kupfer aufgereiht waren, und wie die meisten Akolythen schien er zu glauben, bei Novizen sitze anstelle des Kopfes eine Rübe zwischen den Schultern. »Der Letzte ist während der Herrschaft von König Aegon dem Dritten verendet.«
»Der letzte Drache in Westeros«, widersprach Mollander.
»Wirf den Apfel«, verlangte Alleras aufs Neue. Ihre Sphinx war ein schöner junger Mann. Alle Schankmädchen schwärmten für ihn. Sogar Rosi legte ihm manchmal die Hand auf den Arm, wenn sie ihm Wein brachte, und Pat tat dann stets zähneknirschend so, als bemerke er nichts.
»Der letzte Drache in Westeros war der letzte Drache überhaupt«, beharrte Armen. »Das ist doch allseits bekannt.«
»Der Apfel«, sagte Alleras. »Es sei denn, du willst ihn essen.«
»Hier.« Mollander vollführte einen kleinen Hüpfer und zog dabei seinen Klumpfuß hinter sich her, wirbelte herum und schleuderte den Apfel mit einer tief geführten Armbewegung hinaus in den Nebel, der über dem Honigwein hing. Ohne diesen Fuß wäre er ein Ritter geworden wie sein Vater. In den dicken Armen und den breiten Schultern steckte jedenfalls ausreichend Kraft. Schnell und weit flog der Apfel ...
... doch nicht so schnell wie der Pfeil, der hinterherzischte, ein schrittlanger Schaft aus goldenem Holz, der am Ende scharlachrot befiedert war. Pat sah nicht, wie der Pfeil den Apfel traf, hörte es jedoch. Ein leises Plopp hallte über den Fluss zu ihnen herüber, darauf folgte ein Platschen.
Mollander pfiff. »Du hast ihn glatt entkernt. Süß.«
Nicht halb so süß wie Rosi. Pat liebte ihre nussbraunen Augen und ihre knospenden Brüste, er liebte die Art, wie sie ihn anlächelte, wann immer sie ihn sah. Er liebte die Grübchen in ihren Wangen. Manchmal lief sie beim Servieren barfuß, um das Gras unter den Füßen zu spüren. Das liebte er ebenfalls. Er liebte ihren sauberen, frischen Geruch und die Art, wie ihre Haare sich hinter den Ohren lockten. Sogar ihre Zehen liebte er. Einmal hatte sie ihm nachts erlaubt, ihr die Füße zu reiben, und er durfte sogar mit den Zehen spielen. Dabei hatte er sich für jede eine lustige Geschichte ausgedacht, damit Rosi nur nicht aufhörte zu kichern.
Vielleicht wäre es besser, auf dieser Seite der Meerenge zu bleiben. Er könnte mit seinen ersparten Münzen einen Esel kaufen, würde sich mit Rosi beim Reiten abwechseln und durch Westeros wandern. Ebros glaubte vielleicht, Pat sei des Silbers nicht würdig, aber Pat konnte einen Knochen richten oder einen Fieberkranken zur Ader lassen. Das gemeine Volk würde seine Hilfe schätzen. Wenn er dazu noch lernte, Haare zu schneiden und Bärte zu scheren, könnte er sogar Barbier werden. Das würde mir genügen, sagte er sich, solange nur Rosi bei mir wäre. Rosi war alles auf der Welt, was er sich wünschte.
Nicht immer war es so gewesen. Früher einmal hatte er davon geträumt, ein Maester auf einer Burg zu werden und für einen großzügigen Lord zu arbeiten, der ihn für seine Weisheit achtete und ihm zum Dank für seine Dienste ein wunderschönes weißes Pferd schenkte. Wie hoch zu Ross hätte er gesessen, wie nobel wäre er dahergeritten und hätte dem gemeinen Volk auf der Straße von oben herab zugelächelt ...
Eines Abends hatte Pat im Schankraum vom »Federkiel und Krug« nach seinem zweiten Krug fürchterlich starken Apfelweins damit geprahlt, dass er nicht ewig ein Novize bleiben werde. »Gewiss, gewiss«, hatte der Faule Leo ausgerufen. »Später bist du ein ehemaliger Novize und hütest Schweine.«
Er trank den letzten Schluck aus seinem Krug. Die Fackeln auf der Terrasse des »Federkiel und Krug« bildeten heute Morgen eine Insel aus Licht in einem Meer aus Nebel. Weiter flussabwärts schwebte das ferne Leuchtfeuer des Hohen Turms in der Feuchtigkeit der Nacht wie ein orangefarbener, dunstverhangener Mond, doch auch dieses Licht hellte Pats Stimmung nicht auf.
Der Alchimist hätte längst hier sein sollen. Hatte sich der Mann lediglich einen grausamen Scherz erlaubt, oder war ihm etwas zugestoßen? Es wäre nicht das erste Mal, dass sich das Schicksal für Pat zum Schlechten wendete. So hatte er sich zunächst glücklich geschätzt, als man ihn auswählte, dem alten Erzmaester Walgrab bei den Raben zu helfen, denn er hätte sich niemals träumen lassen, dass er schon nach kurzer Zeit dem alten Mann seine Mahlzeiten bringen, seine Gemächer kehren und ihn jeden Morgen anziehen würde. Alle behaupteten, der Greis habe über die Rabenzucht mehr vergessen, als die meisten Maester je an Wissen hätten anhäufen können, daher war Pat der festen Überzeugung gewesen, er dürfe zumindest auf ein schwarzes Eisenglied hoffen. Doch es stellte sich heraus, dass Walgrab ihm keines verleihen konnte. Der alte Mann hatte seinen Rang als Erzmaester allein aufgrund der Höflichkeit seiner Kollegen behalten. Was für ein großer Maester er einst auch gewesen sein mochte, jetzt verhüllte seine Robe ein ums andere Mal eingenässte Unterwäsche, und vor einem halben Jahr hatte ihn ein Akolyth weinend in der Bibliothek entdeckt, weil er den Rückweg zu seinen Gemächern nicht mehr fand. Maester Gormon saß jetzt unter der Eisernen Maske auf Walgrabs Platz, genau jener Gormon, der Pat einst des Diebstahls bezichtigt hatte.
Im Apfelbaum am Wasser begann eine Nachtigall mit ihrem Gesang. Die lieblichen Laute boten eine willkommene Abwechslung zu dem rauen Krakeelen und dem endlosen Krächzen der Raben, um die er sich den ganzen Tag gekümmert hatte. Die weißen Raben kannten seinen Namen und murmelten ihn einander zu, sobald sie den Jungen sahen, »Pat, Pat, Pat«, so lange, bis ihm nur noch nach Schreien zumute war. Die großen weißen Vögel waren Erzmaester Walgrabs ganzer Stolz. Nach seinem Tod wollte er von ihnen gefressen werden, und Pat hegte den leisen Verdacht, dass sie auch durchaus darauf erpicht waren, ihn zu verspeisen.
Vielleicht lag es an diesem fürchterlich starken Apfelwein - Pat war eigentlich gar nicht gekommen, um zu trinken, aber Alleras hatte zur Feier seines Kupferglieds eingeladen, und das schlechte Gewissen hatte Pats Durst geweckt - dennoch klang es fast, als trällerte die Nachtigall Gold für Eisen, Gold für Eisen, Gold für Eisen. Das war überaus eigenartig, denn das Gleiche hatte der Fremde an jenem Abend gesagt, an dem Rosi sie beide zusammengebracht hatte. »Wer seid Ihr?«, hatte Pat von ihm wissen wollen, und der Mann hatte geantwortet: »Ein Alchimist. Ich kann Eisen in Gold verwandeln.« Und dann hatte er plötzlich diese Münze in der Hand, ließ sie zwischen den Fingern über die Knöchel tanzen, und das weiche gelbe Gold glänzte im Schein der Kerzen. Auf einer Seite prangte der dreiköpfige Drache, auf der anderen der Kopf irgendeines toten Königs. Gold für Eisen, erinnerte sich Pat, besser kannst du es gar nicht treffen. Begehrst du sie? Liebst du sie? »Ich bin kein Dieb«, hatte er dem Mann gesagt, der sich als Alchimist ausgab, »ich bin ein Novize der Citadel.« Der Alchimist hatte den Kopf geneigt. »Falls du es dir anders überlegst, ich bin in drei Tagen mit meinem Drachen wieder hier.«
Die drei Tage waren vergangen. Pat saß wieder im »Federkiel und Krug«, immer noch unsicher, was er war, doch anstelle des Alchimisten hatte er Mollander und Armen und die Sphinx vorgefunden, und in ihrem Schlepptau Roon. Es hätte ihr Misstrauen erregt, wenn er sich nicht zu ihnen gesellt hätte.
Das »Federkiel und Krug« schloss niemals seine Pforten. Seit sechshundert Jahren stand es auf seiner Insel im Honigwein, und in dieser Zeit hatte es kein einziges Mal zugemacht. Obwohl sich das hohe Holzgebäude nach Süden neigte, so wie Novizen manchmal nach einem Krug zu viel, ging Pat davon aus, dass das Gasthaus hier noch weitere sechshundert Jahre stehen und Wein und Bier und fürchterlich starken Apfelwein an Flussleute und Seeleute ausschenken würde, an Schmiede und Sänger, Priester und Prinzen und an die Novizen und Akolythen der Citadel.
»Altsass ist nicht die Welt«, verkündete Mollander mit zu lauter Stimme. Er war der Sohn eines Ritters und hätte betrunkener nicht sein können. Seit man ihm die Nachricht vom Tod seines Vaters am Schwarzwasser überbracht hatte, betrank er sich fast jeden Abend. Sogar hier in Altsass, weit entfernt von den Kämpfen und hinter den sicheren Mauern, hatte der Krieg der Fünf Könige sie alle erreicht.
... wobei Erzmaester Benedict darauf beharrte, es habe niemals einen Krieg von fünf Königen gegeben, da Renly Baratheon ermordet worden sei, bevor Balon Graufreud sich die Krone aufs Haupt gesetzt habe.
»Mein Vater hat immer gesagt, die Welt sei größer als jede Burg, die ein Lord jemals besitzen kann«, fuhr Mollander fort. »Drachen wären doch das Mindeste, was man in Qarth oder Asshai oder Yi Ti finden müsste. Diese Geschichten der Seefahrer ... «
»... sind Geschichten von Seefahrern«, fiel ihm Armen ins Wort. »Seefahrer, mein lieber Mollander. Geh nur wieder hinunter zum Hafen, und ich wette, dort findest du Seeleute, die dir von den Meerjungfrauen erzählen, bei denen sie gelegen haben, oder die dir weismachen wollen, sie hätten ein Jahr im Bauch eines Fisches verbracht.«
»Woher weißt du denn, dass das nicht stimmt?« Mollander humpelte durch das Gras und suchte nach weiteren Äpfeln. »Du müsstest ja selbst im Bauch eines Fisches gewesen sein, um beschwören zu können, dass sie es nicht waren. Ein Seemann und eine Geschichte, ja, darüber könnte man lachen, aber wenn die Ruderer von vier verschiedenen Galeeren die gleiche Geschichte in vier verschiedenen Sprachen erzählen ... «
»Die Geschichten sind nicht gleich«, widersprach Armen. »Drachen in Asshai, Drachen in Qarth, Drachen in Meereen, Drachen der Dothraki, Drachen, die Sklaven befreien ... jede Erzählung unterscheidet sich von den anderen.«
»Nur in den Einzelheiten.« Mollanders Sturheit steigerte sich, wenn er trank, und selbst nüchtern war er ein Dickkopf. »In allen wird von Drachen und einer wunderschönen jungen Königin berichtet.«
Der einzige Drache, für den Pat sich interessierte, war aus gelbem Gold geprägt. Er fragte sich, was dem Alchimisten zugestoßen war. Am dritten Tag. Er hat gesagt, er würde kommen.
»Da liegt noch ein Apfel neben deinem Fuß«, rief Alleras Mollander zu, »und ich habe noch zwei Pfeile im Köcher.«
»Scheiß auf deinen Köcher.« Mollander hob den Fallapfel auf. »Der ist wurmstichig«, beschwerte er sich, warf ihn jedoch trotzdem. Der Pfeil traf den Apfel im Fallen und teilte ihn sauber in zwei Hälften. Eine landete auf dem Dach eines Türmchens, kullerte auf ein niedrigeres Dach, hüpfte herunter und verfehlte Armen nur um einen knappen halben Meter. »Wenn du einen Wurm in zwei Stücke schneidest, hast du zwei Würmer«, erklärte der Akolyth ihnen.
»Na, das müsste bei Äpfeln auch so sein, dann bräuchte nie wieder jemand Hunger zu leiden«, sagte Alleras und setzte dieses milde Lächeln auf. Die Sphinx lächelte stets, als grinse er im Stillen über einen Scherz, den nur er kannte. Irgendwie niederträchtig, was gut zu dem spitzen Kinn, dem in der Stirnmitte spitz zulaufenden Haaransatz und dem dichten Wust der kurz geschnittenen, pechschwarzen Locken passte.
Alleras würde es zum Maester bringen. Obwohl er erst seit einem Jahr auf der Citadel war, hatte er bereits drei Glieder seiner Maesterkette geschmiedet. Armen hatte zwar mehr, aber er hatte für jedes ein Jahr gebraucht. Dennoch würde auch er ein Maester werden. Roon und Mollander blieben Novizen mit rosa Hals, doch Roon war noch sehr jung, und Mollander zog das Trinken dem Lesen vor.
Pat hingegen ...
...
Übersetzung: Andreas Helweg
Vollständig durchgesehen und überarbeitet
von Sigrun Zühlke und Thomas Gießl
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006
by Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von George R. R. Martin
George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos »Das Lied von Eis und Feuer« wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie »Game of Thrones« verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster »House of the Dragon«, welcher auf dem Werk »Feuer und Blut« basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.
Bibliographische Angaben
- Autor: George R. R. Martin
- 2012, Neuveröffentlichung, 575 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Andreas Helweg
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442268591
- ISBN-13: 9783442268597
- Erscheinungsdatum: 10.01.2012
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