Diese Frage stellt sich Adam, als er am Straßenrand von Seaton Lagoon eine hübsche Dame von offensichtlich höherem Stande trifft, die aufgrund einer schweren Kopfverletzung ihr Gedächtnis verloren hat. Von den Gefahren des...
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Diese Frage stellt sich Adam, als er am Straßenrand von Seaton Lagoon eine hübsche Dame von offensichtlich höherem Stande trifft, die aufgrund einer schweren Kopfverletzung ihr Gedächtnis verloren hat. Von den Gefahren des australischen Outbacks hat Ella Seaton, wie Adam sie nennt, keine Ahnung, und so machen sie sich gemeinsam auf, um nach Ellas Vergangenheit zu forschen. Eine Suche, die bald gefährlicher wird, als beide ahnen...
Ein ungewöhnlich spannender Roman vor der faszinierenden Kulisse des australischen Outbacks!
Winter auf der Straße
1
Sie war allein auf einer Lichtung, mitten in einem dunklen Wald, der sie einhüllte wie eine gewaltige lautlose Welle. Und sie fürchtete sich. Doch selbst während die Angst auf sie einstürmte, wusste sie, dass all das schon einmal geschehen war und dass Menschen nach ihr suchten. Wenn sie nur hier auf dieser Lichtung blieb und sich in der Finsternis ganz ruhig verhielt, würde sie gefunden werden.
Der Wind blähte die Baumkronen wie Segel auf dem Meer. Sie atmete den würzigen Duft der Nadelbäume ein, legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Der Mond stand direkt über ihr und schwebte am tiefblauen Himmel. Er wirkte wie ein gütiger Freund, der auf sie achtete. Sie spürte Bewegung in der Düsternis und hörte Geräusche. Stimmen riefen ihren Namen. Flackernde Fackeln leuchteten durch die dichten Äste. Als sie die Hände in die Dunkelheit streckte, versanken ihre Finger darin. So abscheulich und weich. Wie Schlamm.
Schlamm. Obwohl sie noch nicht völlig aus ihrem Traum erwacht war, stellte sie fest, dass es sich tatsächlich um Schlamm handelte, ein widerwärtiges Gefühl, das sie jäh in die Wirklichkeit zurückholte. Sie schlug die Augen auf. Sie hatte pochende Kopfschmerzen und sah alles nur verschwommen, konnte allerdings genug ausmachen, um festzustellen, dass es nicht Nacht war. Außerdem befand sie sich nicht in einem Nadelwald, sondern lag, die Füße höher als der Kopf, auf dem Bauch. Wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht plätscherte Wasser. Ihre Wange ruhte in warmem Morast, der muffig und leicht nach verfaulten Pflanzen roch.
Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass sie sich trotz des wellenartigen Brechreizes und ihres dröhnenden Schädels hastig aufrappelte und auf den Knien rückwärtsrutschte. Die flache Böschung, die zum Wasser führte, war mit niedrigem Gestrüpp bewachsen. Nur ein magerer Schössling überragte seine Artgenossen. Sie griff danach und zog sich daran hoch. Als sie sich umschaute, bemerkte sie, dass sie an einer Art Lagune oder, schlimmer, in einem Sumpf gelandet war. Das reglose Wasser sah trübe aus, und außer ihrem eigenen Atem war nichts zu hören.
Wie in ihrem Traum war sie ganz allein.
Benommen kam sie zu dem Schluss, dass sich die Lichtverhältnisse auf merkwürdige Weise verändert hatten. Im nächsten Moment aber wurde ihr der Grund klar: Die bereits tief am westlichen Horizont stehende Sonne war im Begriff unterzugehen. Die Bäume sahen mit einem Mal grüner aus, der Schlamm war brauner als zuvor, und das Wasser machte einen düsteren und geheimnisvollen Eindruck. Sie erschauderte. Als sie ihren Kopf berührte, bemerkte sie, dass ihr Haar auf der einen Seite mit Schlamm verklebt war. Beim Versuch, ihn zu beseitigen, ertastete sie eine dicke Beule auf der Kopfhaut, und ein Schmerz durchfuhr sie, von dem ihr wieder übel wurde.
War sie gestürzt? Oder hatte sie jemand niedergeschlagen? Das kurze Aufflackern einer Erinnerung an Angst und Schmerzen war schon im nächsten Moment wieder verflogen. Erst als sie sich den Vorfall ins Gedächtnis rufen wollte, erkannte sie, dass alles verschwunden war.
Alles.
Sie erstarrte vor Schreck. Alles, was gewesen war und noch sein würde, war fort. Ihr Leben hatte sich in eine blank gewischte Schiefertafel verwandelt. Sie war ein Nichts, eine Neugeborene in einer Welt aus Wasser und Sumpf.
Mit einem erstickten Aufschrei zog sie sich weiter an dem mageren Schössling hoch und spürte, wie er sich unter ihrem Gewicht bog. Doch sie brauchte den Trost eines anderen Lebewesens, auch wenn dieses nicht in der Lage war zu fühlen. Ein Vogel auf dem letzten Ausflug vor Einbruch der Dunkelheit hüpfte schimpfend zwischen raschelndem Laub und Zweigen hin und her. Schließlich landete er auf einem Ast über ihrem Kopf und stieß einen schrillen Ruf aus. Seine Knopfaugen verschwammen und wurden erst zwei, dann vier. Sie schloss die Augen, um wieder klare Sicht zu bekommen. Als der Schwindel endlich nachließ, schaute sie erneut nach oben. Der Vogel war fort. Sie war allein.
Verzweifelt versuchte sie, sich an irgendetwas zu erinnern, aber vergeblich. Ihr Verstand war wie leer gefegt und hatte sämtliche Bilder ausgelöscht. Ihre Kindheit, ihre Familie, ihr Leben, alles war fort.
Da muss doch jemand sein, sagte sie sich mit zitternder Stimme, um sich zu beruhigen. Ganz bestimmt sucht jemand nach mir.
Eine Brise rauschte in den Blättern, als wolle sie ihr antworten. Sie schauderte und spürte, dass sie Gänsehaut auf den Armen bekam. Während sie über die Haut rieb, war sie plötzlich ganz sicher, dass sie einen Mantel besessen hatte. Einen neuen, dunkelroten. Sie konnte sein Gewicht auf ihren Schultern und sein Schlagen gegen ihre Röcke buchstäblich fühlen. Doch als sie, in der Erwartung, ihn zu sehen, an sich herunterblickte, war da nur ihr dunkles, inzwischen mit Schlamm bespritztes Kleid. Ihre Füße waren nackt und schmutzig.
Sie sah aus wie eine Bettlerin, und sie hätte auch durchaus eine sein können. Allerdings war sie der felsenfesten Überzeugung, dass sich das nicht so verhielt. Sie wusste, dass sie in Wohlstand gelebt hatte und geliebt worden war. Und obwohl sie die Zweifel wie grausame Kinder umtanzten und verhöhnten, klammerte sie sich an diese Gewissheit.
Warum bin ich hier?, fragte sie sich und hielt sich den schmerzenden Kopf. Niemand antwortete, es herrschte nur ein gespenstisches Schweigen. Sie wurde von Angst und Einsamkeit überwältigt. Im nächsten Moment rutschte sie aus und klammerte sich panisch an den glatten Stamm des Schösslings. Hinter ihr kräuselte ein unvermittelter Windstoß die Oberfläche der Lagune, als haste jemand darüber und auf sie zu. Sie spürte, wie Todesangst in ihr aufstieg, und befürchtete einen Moment, sie könnte auch noch den letzten Rest Vernunft und Würde verlieren und sich lächerlich machen, indem sie einfach losschrie.
Da hörte sie das Geräusch.
Anfangs war es nur ein Raunen wie ein Vibrieren in der Luft. Kurz darauf war ein Rhythmus auszumachen: das Hufgetrappel eines galoppierenden Pferdes. Rufend kämpfte sie sich durch das stachelige Gebüsch am Abhang nach oben. Offenbar gab es dort einen Pfad, auf dem sich jemand näherte. Jemand, der ihr vielleicht helfen konnte!
Das dumpfe Poltern der Hufe wurde lauter. Als sie im Laufschritt aus dem Gebüsch brach, stürmte das Tier auf sie zu.
Es war braun, ein hässliches Pferd, wie sie dachte, selbst während sie einen Schrei ausstieß. Der Reiter wich zur Seite aus und verfehlte sie nur um Haaresbreite. Wie ein Kind schlug sie die Hände vors Gesicht.
»Hoppla«, sagte der Reiter und zerrte an den Zügeln, worauf das Pferd wieherte und sich halbherzig auf stämmigen Hinterläufen aufbäumte. Allerdings schien es zu müde zu sein, um sich wild zu gebärden, warf nur ein paarmal missbilligend den Kopf hin und her und blieb dann stehen.
Langsam spreizte sie die Finger und spähte dazwischen hindurch. Der Reiter starrte sie an, als traue er seinen Augen nicht. Er war so mager, dass ihm die Kleider am Leibe schlotterten, und trug einen staubigen Filzhut auf dem zerzausten schwarzen Haarschopf. Sein ebenfalls schwarzer Bart war von grauen Strähnen durchzogen. Die dunklen Augen lagen tief in einem ausgemergelten Gesicht. Er gab einige ihr unbekannte Wörter von sich. War er vielleicht ein Ausländer? Offenbar hatte er geflucht. »Sind Sie verletzt?«, fügte er mit rauer Stimme hinzu.
War sie verletzt? Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch nachdem sie den Abhang hinaufgeeilt war, war ihr wieder schwindelig und sehr sonderbar zumute. »Ich habe mir den Kopf gestoßen«, antwortete sie mühsam. Ihr Tonfall war melodisch, klar und ihre Sprache gebildet und stand in krassem Gegensatz zu ihrem Äußeren.
Er musterte sie neugierig. Wäre sie eine afrikanische Löwin gewesen, hätte er vermutlich nicht minder überrascht gewirkt.
Sie schwankte und wäre beinahe gestürzt. Das sorgte dafür, dass er abstieg. Jedoch schaute er sich dabei in alle Richtungen um, als rechne er damit, jemand könne aus dem Gebüsch gesprungen kommen. Als seine Hand zu seiner Taille wanderte, bemerkte sie, dass er eine Pistole im Gürtel stecken hatte. Immer noch argwöhnisch, näherte er sich.
»Wer sind Sie?«, erkundigte er sich.
Plötzlich war sie sehr müde, und ihre Lippen zitterten. »Ich ha-
be vergessen, wer ich bin. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Ge
rade eben bin ich unten am Wasser aufgewacht, und alles ist weg. «
Er sah sie aus großen Augen an. »Unten an Seaton's Lagune?«
Sie nickte.
Stirnrunzelnd machte er noch einen Schritt vorwärts. »Blond, blaue Augen«, murmelte er. »Und hübsch unter all dem Schmutz. He«, rief er plötzlich aus, und seine Augen weiteten sich. »Ich habe vorhin mitten auf dem Weg ein Paar Schuhe gefunden und in meine Satteltasche gesteckt. Könnte sein, dass sie Ihnen gehören.« Seine Miene wurde besorgt, und er streckte die Hand nach ihrer Schläfe aus. Als er sie zurückzog, klebte Blut daran, so dunkel und zähflüssig wie Konfitüre.
»Sie sind verletzt«, stellte er sachlich fest. »Kommen Sie, ich nehme Sie mit zu meinem Freund.«
Zu seinem Freund?, dachte sie. Aber ihr schwirrte zu sehr der Kopf, um Fragen zu stellen.
»Sie sollten nicht allein herumlaufen«, brummelte er weiter. »Das ist heutzutage gefährlich. Es wimmelt von Ganoven, die keine Skrupel hätten, Sie für einen Penny kaltzumachen.«
Sie ließ ihn weiterreden, während er sie in den Sattel hob. Anscheinend hatte er Angst um sie, was beruhigend war, denn ein Mann, der vorhatte, sich an einer Frau zu vergreifen, verhielt sich doch sicher nicht so fürsorglich.
»Sie müssen mich in die nächste Stadt bringen«, teilte sie ihm mit, wobei sie das Pochen in ihren Schläfen zu übertönen versuchte. Befehle zu geben erschien ihr vertraut. Vermutlich hatte sie es früher auch schon getan.
Allerdings wollte er nichts davon hören. »Ich nehme Sie mit zu Adam«, beharrte er.
Wer war Adam?, hätte sie sich gern erkundigt. Doch das Pferd scharrte, eindeutig verärgert über die fremde Frau auf seinem Rücken, ruckartig mit den Hufen, sodass sie Mühe hatte, sich im Sattel zu halten. Der Mann stieg hinter ihr auf.
»Also los. Es ist nicht weit«, meinte er aufmunternd, stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken und kehrte auf dem Weg zurück, den er gekommen war.
Der Kopf fiel ihr beinahe vom Hals, sodass sie schon damit rechnete, er könnte jeden Moment hinter ihnen über die Straße rollen. Bei dieser Vorstellung musste sie schmunzeln, obwohl sie wusste, dass sie nicht bei klarem Verstand sein konnte, wenn sie solchen Gedanken nachhing.
Das Pferd, das vermutlich keine Lust hatte, die doppelte Last zu tragen, trottete starrsinnig langsam dahin, weshalb der Ritt sich eine schiere Ewigkeit hinzog. Vor Schmerz und Erschöpfung sackte ihr der Kopf vornüber, bis ein fliegender Käfer vorbeisurrte und ihr Gesicht streifte. Als sie seine kratzigen Beine auf der Wange spürte, schrie sie auf und wedelte das Insekt weg. Allein der Gedanke, er könne sich in ihrem Haar verheddern, ließ sie erschaudern, sodass sie beschloss, wach zu bleiben.
Hin und wieder sprach der Mann sie an, wahrscheinlich um sich zu vergewissern, dass sie bei Besinnung war. Dabei stand ihm der Atem wie eine weiße Wolke vor dem Mund. Er verriet ihr, sein Name sei Harvey. Gerade habe er eine schlechte Nachricht erhalten und sei auf dem Weg in einen Gasthof gewesen, um seine Sorgen zu ertränken. Er habe schon beinahe vergessen, wie Rum schmecke. Sie entnahm seinen Worten, dass er auf einer einsam gelegenen Schaffarm arbeitete.
»Gleich sind wir da«, sagte er immer wieder und fügte hinzu: »Bei Adam sind Sie in Sicherheit. Er weiß, wie man Ihnen helfen kann.«
Dass er sich seiner Sache so sicher war, flößte ihr Vertrauen ein.
Inzwischen dämmerte der Abend, doch der Mond stand hoch am Himmel, sodass sie den Weg gut erkennen konnten. Er erinnerte an ein schmales, bleiches Band, das sich durch die Dunkelheit schlängelte. Die Bäume waren schwarze Schatten und neigten sich ihnen bedrohlich entgegen. Zitternd und benommen schaute sie sich um. Vielleicht bin ich ja tot, dachte sie. Möglicherweise bin ich an Seaton's Lagune gestorben, und der Mann, der sich Harvey nennt, ist der Tod. Und jetzt bringt er mich in den Himmel? Oder in die Hölle.
Sie drehte mühsam den Kopf, um festzustellen, ob sich unter dem struppigen schwarzen Bart ein glatter weißer Schädel verbarg. Aber sein Gesicht war zwar eingefallen, jedoch nicht furchterregend. Als er ihr aufmunternd zulächelte, bemerkte sie, dass er fast keine Zähne mehr hatte. Im nächsten Moment bog das Pferd um eine Kurve im Pfad, und sie erreichten einen Lagerplatz.
Sie blinzelte. Das lodernde Lagerfeuer malte seltsame Schatten an die Bäume. Den Karren unter den Bäumen, das daneben weidende Pferd und den bellenden Hund nahm sie kaum zur Kenntnis. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Mann, der am Feuer kauerte, den Kopf hob und ihnen entgegenblickte. Als das Pferd keuchend auf ihn zukam, richtete er sich langsam auf. Das Feuer tauchte ihn in einen roten und orangefarbenen Schein, als stünde er selbst in Flammen.
»Adam«, rief Harvey mit rauer Stimme. »Das ist Adam. Jetzt kann Ihnen nichts mehr passieren«, meinte er dann beruhigend zu ihr.
Das Pferd hielt inne und war zu müde, um sich zu beschweren, während der Hund es kläffend umkreiste. Harvey stieg ab und wollte ihr aus dem Sattel helfen. Aber als ihre nackten Füße den harten Erdboden berührten, gaben ihr die Knie nach, sodass er sie ungeschickt stützen musste.
»Wolf!«, pfiff Adam den Hund zurück. »Ist sie verletzt?«, fragte er dann.
»Jemand hat ihr ordentlich eins übergebraten. Vermutlich Straßenräuber. Sie haben sie einfach niedergeschlagen und in Seaton's Lagune geworfen. Oder wenigstens dicht daneben. Als sie hinauf zur Straße gekrochen ist, habe ich sie gefunden. Hätte sie beinahe über den Haufen geritten.«
»Kennst du sie?«, erkundigte sich Adam.
»Klingt wie eine Schottin. Habe sie noch nie in dieser Gegend gesehen.«
Obwohl es sie gewaltige Anstrengung kostete, den Kopf zu heben, musste sie einfach sehen und nicht nur hören, was um sie herum vorging. Während Harvey seinen Freund besorgt betrachtete, wurde sie von Adam gemustert. Er war mittelgroß und kräftig gebaut. Blondes Haar fiel ihm strähnig über die Schultern; ein Bart verdeckte den Großteil seines Gesichts. Er war zwar jünger als sein Begleiter, wirkte aber ebenso ungehobelt und schmutzig. Wie ein fahrender Händler, dachte sie. Er hatte auch die dunklen, flinken und klugen Augen eines Menschen, der ständig unterwegs ist.
Offenbar brauchte er nicht lange, um sich ein Bild von der Lage zu machen. »Ich kümmere mich um ihren Kopf«, verkündete er, hakte sie unter und nahm sie Harvey ab. Kurz ängstigte sie ihre eigene Hilflosigkeit, und sie wehrte sich gegen den Griff des Fremden. »Ich tue Ihnen nichts«, flüsterte er ihr ins Ohr, worauf sie sich nicht mehr sträubte und sich an ihn lehnte.
»Du musst die Wunde reinigen«, merkte Harvey sachlich an. »Salz genügt, wenn du nichts anderes dahast. Von Kopfwunden lasse ich lieber die Finger. Man weiß nie, ob es drinnen weitere Schäden gegeben hat, die man nicht sehen kann. Vielleicht sollten wir sie besser zu einem Arzt bringen.«
Adam würdigte ihn kaum eines Blickes. Er führte sie zum Lagerfeuer und hielt sie an den Armen fest, damit sie sich neben ihn setzen konnte. Sofort wurde ihr viel wärmer. Bis jetzt hatte sie gar nicht bemerkt, wie durchgefroren sie war, und sie schauderte. Nachdem Adam einen Kessel mit Wasser in die Glut gestellt hatte, holte er ihr eine Decke.
»Kommst du allein zurecht, mein Junge?«, fragte Harvey. Er beobachtete sie und trat dabei von einem Fuß auf den anderen.
»Ja, ich schaffe das schon. Dafür ist sie dir etwas schuldig, Harvey. «
Harvey murmelte verlegen eine Antwort. »Dann reite ich jetzt zum Gasthof«, fügte er, ein wenig lauter, hinzu. »Ich habe mich so auf ein Glas gefreut und keine Lust, bis morgen zu warten.« Er leckte sich die Lippen, um seine Worte zu bekräftigen.
Sie richtete sich auf. »Danke, Mr Harvey«, stieß sie mühsam hervor.
Harvey schenkte ihr ein zahnloses Lächeln. »Du bist ein Glückspilz, Adam.«
Sie fand diese Bemerkung reichlich seltsam. Einen Mann, der eine verletzte Frau mit Gedächtnisschwund am Hals hatte, konnte man wohl kaum als Glückspilz bezeichnen. Sie schloss die Augen. Die beiden Männer unterhielten sich, allerdings so leise, dass sie nichts verstand. Wolf, der Hund, näherte sich, schnupperte neugierig an ihrem Rock und ließ sich dann mit einem Seufzer am Feuer nieder. Sie hörte, wie Harveys Pferd sich in der Dunkelheit entfernte und rasch in Galopp verfiel. Dann trat der fahrende Händler - Adam - ans Feuer, und ihr wurde klar, dass er den kochenden Wasserkessel von der Glut nahm.
Mühsam öffnete sie die Augen einen Spaltweit, um ihn zu beobachten. Er streute etwas, das wie Salz aussah, ins Wasser und rührte um, damit es sich auflöste. »Um Ihre Wunde zu reinigen«, erklärte er, ohne aufzuschauen. »Hat Harvey Ihnen etwas zu trinken gegeben?«, fügte er mit einem raschen Seitenblick hinzu.
Als sie den Kopf schüttelte, ging er zu einem Deckenbündel am Boden, offenbar sein Nachtlager, hinüber und kehrte mit einer Wasserflasche zurück, die er ihr hinhielt. Sie setzte die Flasche an und schluckte die kühle, brackige Flüssigkeit. Es schmeckte himmlisch, doch als sie weitertrinken wollte, nahm er ihr die Flasche ab.
»Das genügt für den Moment. Wenn Sie zu viel trinken, kommt vielleicht alles wieder hoch.«
Er stellte die Flasche weg und steuerte auf den Karren zu, worauf Wolf sich aufrappelte und hinter ihm hertrottete. Sie starrte gebannt ins Feuer und beobachtete seine sich ständig verändernden Farben. Erst züngelten die Flammen golden und orangerot, dann wieder loderten sie in einem zornigen Scharlachton empor, wenn der Wind hineinfuhr. Der Wind war es auch, der ihr Rauch ins Gesicht wehte, sodass sie husten musste und ihr die Augen brannten.
»Gehören die Ihnen?«
Seine Stimme schreckte sie auf. Sie blinzelte, versuchte, genau hinzusehen, und stellte fest, dass es sich bei den Gegenständen, die Adam ihr hinhielt, um ein Paar Schuhe handelte.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Wo haben Sie die her?«
»Harvey hat sie auf der Straße gefunden«, erklärte er ihr mit ruhiger Stimme. »Wahrscheinlich haben Sie sie verloren - Sie oder ein anderer.«
»Ich erinnere mich nicht«, gab sie schließlich zu. »Ich habe alles vergessen.«
Er starrte sie entgeistert an. »Meinen Sie ... wirklich alles?«
»Ja. Ich kenne nicht einmal meinen Namen.« Das Pochen in ihrem Schädel steigerte sich, sodass sie fest die Augen zukneifen musste, um es zu lindern.
»Nicht einmal Ihren Namen«, wiederholte er leise. »Hier, probieren Sie sie an«, forderte er sie freundlich auf, kniete sich vor sie und steckte einen Fuß in den Schuh. Er passte so ausgezeichnet, wie es nur ein alter Schuh kann, dessen Leder sich dem Fuß der Trägerin angeglichen hat, bis er beinahe zur zweiten Haut wird.
»Dann sind es wirklich meine.« Ihre Stimme klang fremd und hoch wie die eines Kindes.
Der Mann musterte sie, und plötzlich funkelten seine Augen belustigt. »Wir können Sie ja Cinderella nennen.«
Verdattert sah sie ihn an. Sein Gesicht begann langsam, sich zu drehen. Im nächsten Moment stellte sie fest, dass die ganze Welt um sie herumwirbelte. Sie trudelte auf den dunklen Wald zu, von dem sie an der Lagune geträumt hatte. Nun war sie zwischen den hohen Stämmen. Der Mond schwebte über ihr, und der Duft von Nadelholz erfüllte ihren Kopf.
Und dann war da gar nichts mehr.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
- Autor: Kaye Dobbie
- 2012, 386 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild GmbH & Co. KG
- ISBN-10: 386365711X
- ISBN-13: 9783863657116
- Erscheinungsdatum: 01.10.2012
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.55 MB
- Mit Kopierschutz
- Vorlesefunktion

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5 Sterne
284 von 298 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
K.F., 15.12.2019
Als eBook bewertetDer Duft der roten Akazie
Adam, ein Händler auf dem Weg zu den Goldfeldern im Norden Melbourne, liest eine hübsche junge Frau auf, die ihr Gedächtnis verloren hat und verwundet wurde. Da sie auch ohne Schuhe unterwegs ist, ihn von oben herab behandelt, nennt er sie kurzerhand Cinderella Seaton. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Ellas Vergangenheit und ihrem Ehemann. Dabei erleben die beiden einige Abenteuer und aus der verwöhnten Frau der Oberschicht entwickelt sich nach und nach eine starke Persönlichkeit, die nicht mehr alles hinnehmen will. In den Träumen sieht Ella immer wieder Bruchstücke, die ihr nichts sagen und fort sind, sobald sie aufwacht. Findet sie ihr Gedächtnis wieder? Wieso wurde sie überfallen und wer hat sie liegengelassen? ...
Eindrücklich und abwechslungsreich wird diese Geschichte erzählt, welch in Australien des Jahres 1852 angesiedelt wurde. Die Zwiespältigkeit der Gefühle der Protagonisten ist gut geschildert, auch die Ängste können nachvollzogen werden. Mit unerwarteten Ereignissen (u.a. Hass Lieutenants Moggs auf Adam und Ella) wird die Spannung immer wieder neu angefacht und hochgehalten. Der Ausgang der Geschichte ist sehr unerwartet. Gut geschriebene und flüssig zu lesende Lektüre, die ich weiterempfehlen kann. -
3 Sterne
80 von 127 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Sabrina, 04.02.2013
Als eBook bewertetDas Buch war ganz nett, lies sich nebenbei gut lesen. Keine Meisterleistung, aber Alltagstauglich... leider endete es sehr abrupt.
Die Gesichte an sich war einfach: Frau verliert das Gedächtnis, der Retter in der Not ist ein "Niemand" in den sich die Frau während der Reise verliebt, während sie verzweifelt versucht ihr Gedächtnis wieder zu finden. Alles in allem gibt es viel Chaos und Steine die dem seltsamen Paar in den Weg gelegt werden....
Mein Fazit: Kann man lesen für den geringen Buchpreis =) -
5 Sterne
61 von 97 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Sabs S., 08.08.2015
Als eBook bewertetDieses Buch ist absolut empfehlenswert. Es ist sehr spannend, da die Hauptdarstellerin ihr Gedächtnis verliert und sich nicht mehr an Ihre Vergangenheit erinnert. Unter anderem ist es aber auch eine sehr schöne Liebesgeschichte.
-
5 Sterne
66 von 110 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
B. B., 18.08.2012
Als Buch bewertetwenn man anfängt dieses Buch zu lesen - wenn man dieses Land Victoria auf dem australischen Kontinent auch noch kennt - kann man einfach nicht mehr aufhören zu lesen. Gut dass ich aus dem berufstätigen Alter heraus bin, so kann ich mir meine nötigen Schlafzeiten wenigstens selbst einteilen. Doch bei so einem guten Buch braucht man fast keinen Schlaf mehr.
-
5 Sterne
54 von 91 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Dorothea E., 16.09.2016
Als eBook bewertetKaye Dobbie ist eine fantastische Schriftstellering. Mit Ihrem Buch "Der Duft der roten Akazie" hat sie sich selbst übertroffen. Die Beschreibung der verschiedenen Schicksale während des Goldrausches in Australien und die damit einhergehende Völkerwanderung von überall her zum Goldschürfen hat mich total gefesselt. Mit ihrer Hauptdarstellerin Ella oder besser Eleonora zeigt sie dem Leser, dass es auch damals Glück gab trotz der widrigen Umstände. Dorothea E.
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