Folter im Rechtsstaat? / kleine reihe - kurze Interventionen zu aktuellen Themen (ePub)
Ist unter bestimmten Bedingungen Folter in einem modernen Rechtsstaat legitimierbar? Diese Frage wurde nach dem 11. September 2001 in den USA aufgeworfen: Wäre Folter für den Fall, daß durch ihren Einsatz ein Terroranschlag mit tausenden von Toten...
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Produktinformationen zu „Folter im Rechtsstaat? / kleine reihe - kurze Interventionen zu aktuellen Themen (ePub)“
Ist unter bestimmten Bedingungen Folter in einem modernen Rechtsstaat legitimierbar? Diese Frage wurde nach dem 11. September 2001 in den USA aufgeworfen: Wäre Folter für den Fall, daß durch ihren Einsatz ein Terroranschlag mit tausenden von Toten verhindert werden könnte, nicht ein zulässiges, vielleicht notwendiges Mittel? In Deutschland wurde diese Diskussion anläßlich des Entführungsfalles Metzler virulent, als bekannt wurde daß dem Entführer eines Kindes von der Polizei Gewalt angedroht wurde, wenn er nicht das Versteck der Geisel verrate. Für beide Fallszenarien - der Abwehr terroristischer Gewalt und der Lebenserhaltung einer Geisel - gibt es eine Vorgeschichte. Der Film "Dirty Harry" (1971) zeigte einen Polizisten, der sich über das Folterverbot hinwegsetzte, um das Leben eines entführten Mädchens zu retten. Der Ministerpräsident von Niedersachsen Ernst Albrecht diskutierte in seinem 1976 erschienenen Buch "Der Staat - Idee und Wirklichkeit" die Legitimität des Einsatzes von Folter zur Abwehr eines terroristischen Einsatzes von Massenvernichtungswaffen. Diesen Fall behandelte der Soziologe Niklas Luhmann 1992 in einem Vortrag und kam zu dem Schluß, daß die moderne Rechtstheorie keine eindeutigen Kriterien für eine Beurteilung liefere. Diesen Vortrag wiederum nahm der Rechtsprofessor Winfried Brugger zum Anlaß für mehrere Ausarbeitungen, in denen er seine Überzeugung darlegte, daß das deutsche Recht - trotz expliziten Folterverbots - in solchen und ähnlichen Fällen Folter nicht nur zulasse, sondern sogar zwingend vorschriebe. Diese Ansicht ist zwar bis jetzt nicht die sogenannte "herrschende Meinung" gewesen, hat aber zu bemerkenswerten Modifikationen in der Kommentierung des Artikels 1. (1) GG (Menschenwürde) geführt. Jan Philipp Reemtsmas Buch diskutiert die unterschiedlichen Argumente und kommt zu dem Schluß, daß auf rein exegetischem Weg keine eindeutige Antwort auf diese Frage gewonnen werden kann. Es handelt sich um eine in letzter Instanz politische Frage, die auf legislativem Weg entschieden werden muß. Reemtsma plädiert für ein eindeutiges Bekenntnis zur Tradition des modernen Rechtsstaats, der aus dem Kampf gegen Folter und ihrer Delegitimierung hervorgegangen ist. Die Ächtung jeder Art von Folter kann nicht aufgegeben werden, ohne unsere Rechtskultur schwer zu beschädigen und letztlich aufs Spiel zu setzen. "Wir sind, was wir tun. Und wir sind, was wir versprechen, niemals zu tun."
Lese-Probe zu „Folter im Rechtsstaat? / kleine reihe - kurze Interventionen zu aktuellen Themen (ePub)“
"Der Rechtsstaat kann, etwa im Fall der Freiheitsstrafe, die Bewegungsfreiheit eines Bürgers extrem einschränken, aber er darf ihn nicht rechtlos machen. Er kann ihn zu bestimmten Arbeiten verpflichten, aber er darf ihn nicht versklaven. Er kann ihn vom Leben zum Tode befördern - die Todesstrafe ist mit dem Rechtsstaat vereinbar (wenn auch dennoch eine Barbarei, aber das steht auf einem anderen Blatt). Die Folter ist mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar, weil durch sie das Individuum in seiner Fähigkeit, ein Rechtssubjekt zu sein, angegriffen, ja im Extremfall als autonomes Individuum zerbrochen und zerstört wird. Voraussetzung des Rechtsstaats ist die Rechtsfähigkeit seiner Bürger. Sie müssen das Recht und die Fähigkeit haben, seine Instrumente zu nutzen. Das setzt voraus, dass sie nicht Maßnahmen unterworfen werden, die diese Fähigkeit außer Kraft setzen oder zerstören. Die Folter zielt auf die totale Unterwerfung des Gefolterten. Der Rechtsstaat garantiert dem von seinen Maßnahmen Betroffenen stets ein Minimum an Resistenzmöglichkeit. Er muss nicht kooperieren. Zwar kann er in gewissen Grenzen Vorteile gewinnen, wenn er es tut, und wird in gewissen Grenzen Nachteile hinnehmen müssen, wenn er es nicht tut, aber er darf zur Kooperation nicht gezwungen werden. Für diese Garantie steht der Rechtsstaat ein, wenn er für sich selbst garantiert, und er steht dafür immer ein und durch jeden, der ihn repräsentiert. Zum modernen Rechtsstaat gehört die Garantie an die Bürger, dass sie von Seiten des Staates niemals Handlungen unterworfen werden, die ihren Willen brechen und sie damit als Rechtssubjekte negieren."
Autoren-Porträt von Jan Philipp Reemtsma
Jan Philipp Reemtsma, lebt und arbeitet vorwiegend in Hamburg. Er lehrt Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg, ist Geschäftsführender Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung und Vorstand der Arno Schmidt Stiftung. Zahlreiche Veröffentlichungen zu literarischen, historischen, politischen und philosophischen Themen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jan Philipp Reemtsma
- 2012, 154 Seiten, Deutsch
- Verlag: Hamburger Edition
- ISBN-10: 3868545662
- ISBN-13: 9783868545661
- Erscheinungsdatum: 18.10.2012
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.10 MB
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Pressezitat
"Der Sozialfoscher Jan Philipp Reemtsma beobachtet unsere Gesellschaft genau. Er hat zum richtigen Zeitpunkt ein kluges Buch gegen die Erosion grundlegender rechtlicher Normen geschrieben" Peter Wien, arte
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