Giant George (ePub)
Er ist wasserscheu, fürchtet sich vor kleinen Hunden und ist nicht gern allein. George, der größte Hund aller Zeiten, ist seit sechs Jahren der dicke Hund im Leben von Dave und Christie Nasser. Mit einer Kopfhöhe von 1,50 und einer Länge von mehr als 2 Metern ist er ein Superstar mit einem Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, einem Auftritt bei Oprah Winfrey und einem eigenen internationalen Fanclub auf Facebook. Dabei ist er immer noch sanft, verspielt und albern wie ein Welpe. Und für Dave und Christie ist er ohnehin der Größte. Hier ist ihre wunderbare, rührende Geschichte.
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Fehler des Lebens
Arizona Daily Star Angebote : Haustiere DOGGENWELPE SUCHT NEUES ZUHAUSE
Vier Monate alte Deutsche Dogge, blau, braucht dringend ein neues Zuhause. Tel.: Dave 1 523 1976.
Manchmal macht man Fehler im Leben. Es war Ende März 2006 in Tucson, Arizona - eine besonders schöne Zeit im Jahr -, und vor mir lag eine aufgeschlagene Ausgabe des Arizona Daily Star. Sie enthielt eine Anzeige, die ich eine Woche zuvor, zum Spottpreis von 40 Dollar, aufgegeben hatte. In Gedanken überschlug ich unsere Ausgaben. Bisher hatte ich 1750 Dollar für unseren Welpen hingeblättert, dazu kamen die Kosten für eine Sechs-Wochen-Ration Welpenfutter, eine extra große Hundebox, eine Leine und ein Halsband, einen Wasser- und einen Futternapf und dann eben die Zeitungsanzeige. Mittlerweile hatten wir gut 2000 Dollar ausgegeben, rechnete ich nach, doch das war mir egal. Ich war mit meiner Geduld am Ende. Meine Nerven lagen blank. Ich konnte einfach nicht mehr.
Bisher hatten sich ungefähr ein Dutzend Interessenten auf die Anzeige gemeldet, und zwei davon schienen ernsthaft in Frage zu kommen. Die erste Kandidatin war eine Dame, die beim örtlichen Tierschutzverein in Tucson arbeitete. Als ich ihr erklärte, dass mir Georges Pflege inzwischen über den Kopf gewachsen sei, wurde sie ganz aufgeregt. Ich erkannte sofort, dass ich es mit einer großen Hundenärrin zu tun hatte, und sie wollte unseren Welpen unbedingt haben. Der andere Anruf kam von einem Mann, der ein paar Stunden von uns entfernt in Phoenix wohnte. Wie er mir sagte, lebten bereits zwei Deutsche Doggen in seiner Familie und sie wollten gerne noch eine dritte.
Ich betrachtete die Suche als beendet. Nachdem sich meine Frau sehr zögerlich damit einverstanden erklärt hatte, musste ich jetzt nur noch eine Entscheidung treffen: Wer sollte ihn haben? Wo sollte sein neues Zuhause sein? Während ich darüber nachdachte, wo wohl der beste Ort für ihn wäre, saß George, der sich nie weit von Christie und mir entfernte, neben mir auf dem Boden - als ob er ahnen würde, dass das im Moment der beste Ort für ihn war. Ich warf ihm einen Blick zu und sah das Glitzern in seinen tiefblauen Augen. Es war dasselbe Glitzern, das unsere Aufmerksamkeit erregt hatte, als wir ihn zum ersten Mal gesehen hatten, dasselbe Glitzern, das Christies Herz für ihn entflammt hatte. Wusste er Bescheid? Bereitete er sich auf das Schlimmste vor? Hatte er sich schon damit abgefunden, wieder in eine Hundebox verfrachtet und an einen anderen Ort gebracht zu werden?
Doch George schien nicht über sich selbst nachzudenken. Während ich darüber sinnierte, wie viel in seinem kurzen Leben schon geschehen war, schien er sich eher Sorgen um mich zu machen. Er setzte sich auf, legte seinen Kopf schief und schaute mich mit einem Ausdruck an, der mir inzwischen wohl vertraut war. »Hey, Dad«, schien er zu sagen. »Was ist los?«
Dann tat er etwas, was absolut filmreif war: Er erhob sich, legte mir seinen Kopf in den Schoß und schaute mich aus seinen großen blauen Augen an. Ich warf einen Blick auf die Anzeige, dann auf die beiden Telefonnummern, die ich danebengekritzelt hatte, und plötzlich wurde mir klar, dass ich ihn nicht gehen lassen konnte. Er war ein Teil der Familie, und ganz gleich, wie groß die Mühen und Schmerzen auch sein mochten - seine Familie gab man nicht einfach so auf. Es war an der Zeit, die Schultern zu straffen und die Verantwortung zu übernehmen. Ich zerknüllte die Anzeige in meiner Hand und warf sie unbeholfen in Richtung Papierkorb. Ich traf daneben, aber das war mir völlig egal. Es war an der Zeit, die beiden Interessenten anzurufen. Manchmal macht man eben Fehler im Leben. Oft im Leben geht man aber auch Kompromisse ein - in Beziehungen geht es schließlich um nichts anderes. Der Kompromiss, den ich im Sommer 2005 eingegangen war, war ziemlich vernünftig gewesen, wie ich damals geglaubt hatte. Ich wollte gerne zurück nach Arizona, in meine Heimatstadt Tucson, doch leider war meine zukünftige Frau von meiner Idee nicht ganz so begeistert wie ich. Wir waren uns zwar einig, dass wir in naher Zukunft umziehen wollten, und sie hatte sich schon auf Jobsuche gemacht. Man konnte also nicht behaupten, dass sie absolut dagegen war - es war eher so, dass sie widerwillig zugestimmt hatte. Ich wollte aber, dass der Umzug für uns beide etwas ganz Besonderes wurde, und so kam es zu folgendem Gespräch. Wie sich herausstellte, war sie nämlich bestechlich.
»Ein Hund?«, fragte ich. Ich sah den entschlossenen Ausdruck in ihrem Gesicht und erkannte, dass es hier wohl wenig Spielraum für Diskussionen gab.
Christie nickte. »Ja. Wenn wir nach Arizona ziehen, möchte ich einen Hund. Immerhin haben wir dann ein Haus. Und einen Garten. Wir haben genug Platz ...«
Es gab also keine Ausrede mehr.
Christie war schon immer eine Hundenärrin gewesen. Ganz im Gegensatz zu mir, obwohl es auch in meiner Familie immer Hunde gegeben hatte. Als wir klein waren, besaßen mein Bruder und ich zwei Zwergpudel. Sie hießen Apollo und Sugar, und beide hatten einen sehr ausgeprägten Charakter. Hätten wir Apollo bei America's Funniest Home Video angemeldet, hätte er sicherlich gute Chancen auf den Sieg gehabt. Er konnte auf seinen Vorderbeinen gehen und gleichzeitig pinkeln - eine Fähigkeit, die nicht besonders nützlich war, doch jeden zum Lachen brachte. Auch wenn Apollo und Sugar fester Bestandteil unserer Familie waren, habe ich mich selbst nie als »Hundenarr« betrachtet. Beide starben, als ich ein Teenager war, und nachdem ich als junger Mann nach Kalifornien gezogen war, hatte ich nie das Bedürfnis verspürt, mir wieder einen Hund zuzulegen, selbst als ich den Platz dazu hatte. Folglich führte ich als Erwachsener ein hundefreies - sogar völlig tierfreies - Leben. Und ich fühlte mich wohl dabei. Hunde bedeuteten Verantwortung, Verpflichtungen, Scherereien - alles
Dinge, auf die ich gerne verzichten konnte. Christie, die aus Seal Beach, Orange County, Kalifornien, stammte - einem wunderschönen Ort direkt an der Küste - war auch mit einem Hund aufgewachsen, genauer einer Dalmatiner-Cockerpoo-Dame namens Spot. Ihre Familie hatte sie schon besessen, bevor Christie auf die Welt gekommen war. Die beiden hatten eine gute, wenn auch nicht wirklich liebevolle Beziehung. Spot schien sie nicht sonderlich zu mögen, erzählte mir Christie - entweder, weil sie das Gefühl hatte, von Christie von ihrem Thron gestoßen worden zu sein, oder, weil sie den Namen Spot nicht leiden konnte. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass sie ein besonders mürrischer Hund war. Sie kamen miteinander klar, waren aber keine engen Freunde.
Spot starb, als Christie vierzehn Jahre alt war. Sie hatte schon immer vorgehabt, sich einen Hund zuzulegen, wenn sie ein eigenes Haus besaß - einen Hund, der ganz ihr gehörte und ihre Liebe erwiderte. Eine Beziehung mit mir einzugehen war in dieser Hinsicht also nicht besonders zuträglich - hätte ich nicht die Zeichen der Zeit erkannt. Meine Verlobte wollte einen Hund, und ich wollte meine Verlobte glücklich machen. Und wenn es sie glücklich machte, dass wir einen Hund in unsere Familie aufnahmen, dann sollte es eben so sein.
»Also gut«, sagte ich, da ich spürte, dass dies die entscheidende Wendung bedeuten konnte. »Wir ziehen nach Tucson und kaufen uns einen Hund.«
Als ich Christie im Herbst 2003 kennenlernte, hatte ich nicht wirklich vor, mich irgendwo dauerhaft niederzulassen. Ich hatte keine Verpflichtungen, und mir gefiel dieser Zustand, da ich die Freiheit genoss. Ich war achtunddreißig, und trotz der endlosen Kommentare meiner Eltern, dass sich etwas ändern müsse, hatte ich es nicht eilig zu heiraten. Ich war von Tucson nach Los Angeles gekommen, um am College Wirtschaft zu studieren und weil mich Kalifornien und alles, was es zu bieten hatte, angezogen hatte. Seither hatte es für mich keinen Grund gegeben, nach Arizona zurückzukehren. Natürlich gefiel es mir auch in Tucson und Arizona, aber ich hatte ein schönes Leben hier, einen guten Job - ich hatte so ziemlich alles, was ich brauchte. Warum sollte ich daran etwas ändern?
In einer Hinsicht war ich jedoch nicht ganz so glücklich, wie ich vorgab. Als ich Christie kennenlernte, hatte ich gerade eine lange Beziehung hinter mir, und obwohl ich darüber hinweg war und mein Leben wieder im Griff hatte, war ich tief in meinem Inneren immer noch ein wenig verletzlich. Deshalb hatte ich vor, die Sache langsam angehen zu lassen. Ursprünglich hatte meine Schwägerin uns zusammengebracht. Da sie mit der Frau, mit der ich zusammen war, letzten Endes verwandt
sein würde, hatte sie sich gedacht, dass es sinnvoll wäre, wenn sie sich an der Auswahl beteiligte. Außerdem war sie mit Christie befreundet. Sie kannte uns also beide recht gut und war sich sicher, dass wir miteinander klarkommen würden. Und sie hatte recht. Christie war sehr attraktiv und äußerst unabhängig - das hatte ich gleich auf den ersten Blick erkannt.
Als wir uns zum ersten Mal miteinander verabredeten, trafen wir uns zum Essen in einer Sports Bar in Long Beach. Wir waren beide sehr entspannt und genossen die Zeit miteinander, doch als es ans Bezahlen ging, wurde Christie plötzlich völlig unnachgiebig. Es kam überhaupt nicht in Frage, dass ich ihre Hälfte der Rechnung übernahm. Mir gefiel das. Nicht, weil ich nicht zahlen wollte - ich versuchte wirklich mein Bestes -, sondern weil ich es hier offensichtlich mit jemandem zu tun hatte, der seinen eigenen Kopf besaß. Sie stand auf eigenen Beinen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Außerdem machte es Spaß, mit ihr zusammen zu sein. Sie war intelligent und temperamentvoll, und wir fingen an, uns immer häufiger zu treffen. Obwohl ich anfangs fest dazu entschlossen war, mich nicht zu sehr auf sie einzulassen (mancher würde vielleicht behaupten, das hätte ich mir zum Motto gemacht), wurde mir schnell klar, dass da mehr zwischen uns war. Unsere Beziehung war bald schon ziemlich ernst und ich konnte mir ein Leben ohne Christie immer weniger vorstellen.
Es dauerte nicht mal ein Jahr, bis ich zu dem Entschluss kam, dass sie die Frau war, die ich heiraten würde. Das hieß, wenn sie mich wollte, und ich war mir nicht so ganz sicher, ob sie wirklich schon bereit dazu war. Ich plante meinen Antrag sehr sorgfältig. Es war Dezember und wir hatten vor, brunchen zu gehen. Ich hatte einen Tisch in einem hübschen Restaurant bestellt, das sich direkt an ein Kliff schmiegte ; von der Terrasse aus hatte man einen wunderbaren Blick auf das Wasser, und die Kulisse war sehr romantisch. Zudem war das Restaurant ziemlich nobel - es handelte sich um die Art von Lokal, wo einem ein Schälchen Beeren serviert wird, während man an seinem Getränk nippt und die Karte studiert. Christie hatte nicht den blassesten Schimmer von meinem Plan, und der Ring brannte wie Feuer in meiner Tasche. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so aufgeregt gewesen war, und ich wusste, dass ich keinen Bissen hinunterbekommen würde, bevor ich ihr nicht die entscheidende Frage gestellt hatte. Von Minute zu Minute wurde ich nervöser. Verdammt, so etwas hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben getan, und ich konnte nicht aufhören, die Worte immer wieder in meinem Kopf zu üben. Willst du mich heiraten? ... Möchtest du mich heiraten ? ... Kannst du dir vorstellen, meine Frau zu werden ? ... Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, welches die richtigen Worte waren. Es war fast so nervenaufreibend wie bei einem Vorstellungsgespräch.
Unser Tisch war noch nicht bereit, deshalb setzten sie uns in den Wartebereich, von dem aus man eine fantastische Aussicht hatte. Es war sehr ruhig dort, außer uns wartete nur ein weiteres Pärchen, das ein gutes Stück von uns entfernt saß.
»Ihre Karte, Madam«, sagte der Kellner und überreichte Christie den großen, in Leder gebundenen Wälzer. »Und Ihre, Sir«, fügte er hinzu und gab mir meine. Fest entschlossen legte ich die Karte auf meinen Schoß. Ich spürte, wie meine Hände nass wurden. Verrückt ... Christie hatte ihre Karte schon geöffnet und angefangen, darin zu lesen. Dann hörte sie auf und betrachtete mich über den Rand hinweg.
»Alles in Ordnung, Dave?«, fragte sie. »Du wirkst heute so angespannt.«
»Das bin ich auch«, sagte ich und stand kurz vor dem Kollaps. Wie konnte das nur passieren? Ich war ein Mann von fast vierzig, zum Henker! Sie runzelte die Stirn und ließ ebenfalls ihre Karte sinken.
»Also«, sagte sie und schaute jetzt ein wenig besorgt. »Was ist los?«
»Ähm«, machte ich, während ich in meiner Tasche nach der Schatulle mit dem Ring wühlte.
Christie blinzelte mich an, wartete und sagte dann: »Also?«
Der Kellner tauchte wieder auf und ich schloss, dass unser Tisch jetzt fertig war. Mein Timing war anscheinend ziemlich mies.
»Ähm«, sagte ich wieder (»ähm« war zumindest das, was herauskam).
»Christie, willst du meine Frau werden?«
»Oh!«, machte sie und blinzelte ein paar Mal. »Oh, jetzt verstehe ich! Einen Moment lang habe ich mir wirklich Sorgen gemacht.«
»Ist das ein Ja?«, fragte ich und zog endlich die Schatulle aus meiner Jacke.
»Ihr Tisch ist nun bereit, Sir«, sagte der Kellner und sah mich ein wenig mitleidig an.
Sie ließ mich natürlich warten, bis wir an unserem Tisch Platz genommen hatten. Dann erlöste sie mich endlich aus meinem Elend, indem sie sich über den Tisch beugte und das Wort »Ja« mit ihren Lippen bildete.
Der Ring hatte die richtige Größe und das Essen war vorzüglich. Wir heirateten im September 2005.
Los Angeles zu verlassen und in meine Heimatstadt zurückzukehren schien die natürliche Konsequenz unserer Entscheidung zu sein, unser Leben gemeinsam zu verbringen. Und zumindest für Christie war ein Hund ein Teil dieser Konsequenz.
Während ich also nach dem passenden Haus für uns suchte, suchte sie nach dem passenden Tier. Noch bevor wir anfingen Kisten zu packen, studierte sie die Kleinanzeigen in den Zeitungen.
Sie wollte gerne etwas Großes haben. Anfangs waren mehrere Rassen in der engeren Wahl, unter anderem Rhodesian Ridgebacks und Labrador Retrievers. Am meisten hatten es uns aber Deutsche Doggen und Weimaraner angetan, und so schränkte sich der Kreis ziemlich rasch ein. Christie hatte viel im Internet recherchiert, und schließlich entschieden wir uns für eine Dogge. Anscheinend waren Deutsche Doggen die beste Wahl, wenn man gern eine große Rasse haben wollte. Sie waren ideale Familienhunde, ruhig und sanftmütig, die wenig bellten und kein Interesse daran hatten, das ganze Haus in Trümmer zu legen. Außerdem - und das hörte ich besonders gerne - neigten sie nicht dazu, einem seine liebgewonnenen Besitztümer zu zernagen oder überall im Haus ihre Haare zu verteilen. Wie die meisten Rassehunde waren sie allerdings nur schwer ausfindig zu machen. Obwohl Christie schon viel Zeit mit der Suche verbracht hatte, war es ihr bis zu unserem Umzug nach Tucson immer noch nicht gelungen, einen Welpen zu finden.
Mir selbst machte das nicht besonders viel aus. Solange wir noch auf der Suche nach einem Haus waren, wohnten wir in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, und eins der beiden Zimmer diente mir als Büro. Sie war ganz hübsch, und von der einen Hälfte hatte man einen schönen Ausblick auf einen kleinen Innenhof. Doch war sie auch ziemlich eng, und ich hielt es für vernünftiger zu warten, bis wir ein Haus gefunden hatten, bevor unser Welpe bei uns einzog. Abgesehen davon, dass man keinen Hund in einer so kleinen Wohnung halten sollte, gab es da noch diesen kleinen Paragrafen in unserem Mietvertrag: Es war überhaupt nicht erlaubt, einen Hund in unserer Wohnung zu halten.
Christie hatte allerdings andere Pläne und tat meine berechtigten Bedenken hinsichtlich dieses kleinen Details einfach ab. Sie wollte ihren Hund sofort - entweder, weil sie einfach von Natur aus ungeduldig war, oder weil sie befürchtete, dass ich meine Meinung ändern und einen Rückzieher machen könnte. Doch weder in Tucson noch in Phoenix gab es eine kleine Deutsche Dogge. Tatsächlich sah es so aus, als ob es im gesamten Bundesstaat Arizona keinen einzigen Welpen gab.
Einer der Gründe für diesen Umstand war der Zeitpunkt: Die Welpen mussten alt genug sein, um von ihrer Mutter getrennt zu werden, und die Jahreszeit war überhaupt nicht günstig. Der zweite Grund lag in den Gepflogenheiten der Rassehundezüchter. Viele von ihnen waren - ganz zu recht, schätze ich - ziemlich streng, wenn es darum ging, ihre Welpen wegzugeben. Sie stellten eine Reihe von Bedingungen an die zukünftigen Besitzer, überprüften ihren Hintergrund und wollten wissen, was man mit dem Tier vorhatte. Viele von ihnen hatten lange Wartelisten für ihre Welpen, manche verlangten Referenzen über die bisherigen Erfahrungen mit Hunden, andere bestanden darauf, dass man an Hundeschauen teilnahm und den Welpen auf eine bestimmte Weise erzog - zum Beispiel, dass sie immer auf der linken Seite liefen, wie es bei Hundeschauen üblich war. Manche erwarteten, dass man seinen Hund zur Zucht zur Verfügung stellte und/oder der Züchter das Recht auf die erste Wahl bei jeder nachfolgenden Generation hatte. Es war, als ob die Kontrolle über den Hund beim Züchter verblieb. Wir wollten aber nicht, dass solche Bedingungen an unseren Welpen geknüpft waren - alles, was wir wollten, war ein Haustier.
Schließlich erweiterten wir unser Suchgebiet bis zurück nach Kalifornien. In der Online-Ausgabe der LA Times entdeckte Christie endlich eine Anzeige. Inzwischen hatten wir Anfang Januar, und die Anzeige stammte von einer Züchterin in Oregon.
»Ruf dort an«, verlangte Christie, bevor sie an jenem Morgen zur Arbeit ging. »Ich habe ein gutes Gefühl dabei. Und wir müssen schnell sein, bevor wir die Gelegenheit wieder verpassen.«
Da wir noch immer kein Haus in Aussicht hatten, machte ich mir natürlich wenig Sorgen darum, irgendwelche Gelegenheiten zu verpassen.
Doch gleichzeitig hätte ich nie gewagt, die Frau nicht anzurufen - nicht, wenn Christie dieses verräterische Glitzern in den Augen hatte.
»Die Eltern sind sehr groß«, sagte die Dame am Telefon, nachdem ich endlich durchgekommen war und mein Interesse bekundet hatte. »Die Mutter wiegt über siebzig Kilo und der Vater gute neunzig Kilo.« Und dann vollbrachte ich die unglaubliche Leistung, mir überhaupt keine Gedanken über das zu machen, was die Frau mir da erzählte (Warum sollte das wichtig sein? Deutsche Doggen waren nun mal groß, oder?). Ich hörte es mir an und vergaß es wieder, da ich mehr damit beschäftigt war, all die anderen Dinge mitzuschreiben, die sie mir über die Welpen erzählte, die noch zum Verkauf standen.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte sie. »Ich schicke Ihnen ein Foto von den Welpen per E-Mail, und Sie und Ihre Frau entscheiden, welcher Ihnen am besten gefällt.« Christie war natürlich sehr aufgeregt, als sie von der Arbeit nach Hause kam, erst recht als sie hörte, dass die Welpen alt genug waren, um von ihrer Mutter getrennt zu werden (sie waren am 17. November zur Welt gekommen), und noch mehr, als sie das Bild sah.
Es war ein wirklich toller Anblick - ein chaotischer Haufen aus Pfoten und Schnauzen und Schwänzen. Der Wurf bestand insgesamt aus dreizehn Welpen. Zwölf von ihnen waren miteinander verknäult, wie es bei jungen Welpen eben der Fall ist, doch unser Blick blieb sofort an einem Welpen hängen, der etwas abseits saß. Er schien der Kümmerling des Wurfs zu sein, der Außenseiter der Familie, und deshalb schloss ihn Christie sofort in ihr Herz.
Außerdem hatte er genau die richtige Farbe. Deutsche Doggen gibt es in verschiedenen Farben und Farbschlägen, und die unterschiedlichen Zeichnungen spielen in der Welt der Hundeschauen eine große Rolle. Da gibt es zum Beispiel Harlekin und Manteldoggen, gefleckte und gestromte Hunde und schließlich die reinen Farben, Schwarz, Gelb und Blau. Um als reinfarbig zu gelten, darf eine Deutsche Dogge keine andere Farbe im Fell haben. Das alles hatte für mich nicht die geringste Bedeutung. In meinen Augen war ein Welpe ein Welpe, basta! Doch für Christie spielte die Farbe eine Rolle, schließlich war sie ein Mädchen (auch wenn ich schlau genug war, das nicht zu sagen). Sie wollte unbedingt einen blauen. Glücklicherweise war das genau die Farbe unseres kleinen Außenseiters. Tatsächlich war er sogar so blau wie nur irgend möglich. Sein Fell hatte beinahe dasselbe Stahlblau wie seine Augen und wies überhaupt kein Weiß auf, was äußerst selten ist.
»Oh, Dave«, gurrte Christie. »Sieh dir den hier an! Ist er nicht süß? Vielleicht kann sie uns ein größeres Bild schicken.«
Die Frau war so nett, uns eine ganze Reihe weiterer Fotos zu schicken. Zudem bestätigte sie uns, dass der Welpe, auf den unsere Wahl gefallen war und den sie den »niedlichen Kümmerling« nannte, zu den sechs Welpen gehörte, die noch zu haben waren. Es schien wie ein Omen, und wir vereinbarten sofort, dass sie sich um den Flugtransport des Welpen von Oregon nach Phoenix kümmern sollte.
Auf dem Weg von Tucson nach Phoenix - eine Fahrt von ungefähr zwei Stunden - war Christie sehr aufgeregt, und trotz meines anfänglichen Zögerns, uns einen Hund zuzulegen, wusste ich, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten.
Einzig am Zeitpunkt hatte ich noch meine Zweifel. Mir war nämlich klar, dass es aufgrund unserer Jobs vor allem meine Aufgabe sein würde, mich tagsüber um unser neues Haustier zu kümmern.
Christie arbeitete im Außendienst und verbrachte viel Zeit auf der Straße, um Kunden zu besuchen. Ihr Job war also nicht gerade kompatibel mit der Pflege eines Welpen, da sie keine Möglichkeit hatte, ihn mitzunehmen. Ich dagegen war selbstständig und arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Makler: Ich kaufte und renovierte Mietshäuser. Ich war also mein eigener Chef und konnte tun und lassen, was ich wollte - zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens. Wie ich wusste, ging Christie davon aus, dass es für mich kein großer Umstand war, einen Welpen mit zur Arbeit zu nehmen. Ich selbst war mir da nicht ganz so sicher. Doch nun hatten wir uns für diesen Welpen entschieden, und ich wusste, dass meine Frau es kaum erwarten konnte, ihn endlich kennenzulernen. Es würde schon alles gut gehen, sagte ich mir, während wir Richtung Norden fuhren, um das neueste Mitglied unserer kleinen Familie in Empfang zu nehmen.
»Also«, sagte Christie, als wir auf dem Highway waren, »wie sollen wir unseren Welpen nennen?« Über einen Namen hatte ich mir bisher noch keine großen Gedanken gemacht. Viel mehr als die Frage, wie wir ihn nennen sollten, beschäftigte mich die Frage, was wir mit ihm tun sollten. Doch Christie war ganz euphorisch und ich wusste, dass ich zumindest so tun sollte, als wäre ich es auch. »Ich weiß nicht«, sagte ich und versuchte mir schnell etwas einfallen zu lassen. »Vielleicht so etwas wie ... ähm ... Biggie?«
Sie lachte laut auf, als sie das hörte. »Biggie?«, prustete sie. »Was soll denn das für ein Name sein?« Sie schüttelte den Kopf. Anscheinend fand sie meinen Vorschlag witzig.
Ich glaube, ich werde nie ganz begreifen, wie Frauen ticken. Was in aller Welt war falsch an Biggie für einen Hund?
»Es ist ein guter Name!«, entgegnete ich, obwohl das nicht wirklich stimmte. Ich stellte mir vor, wie ich im Park stand und rief: »Hierher, Biggie! Bei Fuß, Biggie!«
Nein. Biggie ging gar nicht.
»Er wird groß werden«, fügte ich trotzdem dazu. »Er wird sehr groß werden. Also nennen wir ihn Biggie. Was ist falsch daran? Es ist doch logisch, oder? Komm schon, es stimmt doch! Oder, ich weiß auch nicht, Fido oder Pluto vielleicht? Oder ... verdammt, ich weiß es nicht!«
Sie lachte wieder. »Pluto ? Ich bitte dich, Schatz. Nein. Ich finde, wir sollten ihm einen Männernamen geben. Ich mag Hunde mit Männernamen.«
Mir wurde klar, dass es schon beschlossene Sache war.
»Was?«, fragte ich. »Du meinst, so etwas wie Richard?«
Sie schnitt eine Grimasse. »Nein, Dummie. Eher etwas wie ... du weißt schon. Wie ...« Sie machte eine Pause. »Jetzt hab ich's!«, sagte sie schließlich. »Was hältst du von George?«
»George?«
»Ja. George ist ein cooler Name. Gefällt dir George?«
Ich stellte mir wieder vor, wie ich im Park stand und nach ihm rief. Es funktionierte tausendmal besser. »Hierher, George! Bei Fuß, George!« Ja, dachte ich, mit George konnte ich leben.
»Okay«, sagte ich. »Einverstanden. Nennen wir ihn also George, oder?«
»Ja«, nickte Christie. »Ich denke, George ist genau richtig - vorausgesetzt, er sieht auch wirklich aus wie ein George.« Ich war mir nicht ganz sicher, welche Voraussetzungen er dafür erfüllen musste, aber ich war schlau genug, meine Zeit nicht damit zu verschwenden, darüber nachzugrübeln. »Gut«, sagte ich. »Wenn er wie ein George aussieht, dann nennen wir ihn so.«
Zu diesem Zeitpunkt dachte - ganz ehrlich! - keiner von uns daran, wie leicht man noch ein »Giant« davorsetzen konnte ...
Man hatte uns genau gesagt, was wir tun sollten, wenn wir am Flughafen in Phoenix ankamen. Anscheinend sollten wir unseren Welpen in einem Bereich in Empfang nehmen, in dem die Fracht ent- und verladen wurde.
Nachdem wir den richtigen Schalter gefunden und unser Anliegen kundgetan hatten, wurden wir durch mehrere Türen und Gänge geführt, direkt ins Allerheiligste des Flughafens. Schließlich gelangten wir in einen merkwürdig ruhigen Bereich, den wir noch nie zuvor gesehen hatten. Zusammen mit einer Frau, die eine Katze abholen wollte, warteten wir hier auf den Gepäckwagen, der uns unseren sieben Wochen alten Welpen bringen sollte.
Die Frau erklärte uns, dass ihr neues Tier aus Los Angeles kam und dass Katzen bei ihrer Arbeit eine wichtige Rolle spielten.
»Ich betreibe eine Modelagentur für Haustiere in Phoenix«, erzählte sie uns, »deshalb bin ich ziemlich oft hier.«
»Wow«, sagte Christie. »Das hört sich interessant an. Welche Art von Tieren vertreten sie?«
»Oh, alle möglichen ... Hunde, Katzen, manchmal auch seltene Reptilien ... Und was holen sie ab? Auch eine Katze?«
Christie schüttelte den Kopf. »Unseren Welpen«, antwortete sie. »Eine Deutsche Dogge.«
»Eine gute Wahl. Ich vertrete ein paar in meiner Agentur. Großartige Tiere. Wenn ihr Hund je Lust haben sollte zu zeigen, was er so draufhat, hier ...« Sie zog eine kleine Karte aus ihrer Tasche. »Oh, da kommen sie«, fügte sie hinzu und warf einen Blick hinter uns.
»Alle gut angekommen. Wie niedlich!« Ihr Käfig wurde zuerst abgeladen. Unserer stand gleich dahinter, doch alles, was wir sehen konnten, waren ein Kuscheltier, ein Gummiknochen und zwei Näpfe, die mit Futter und Wasser gefüllt waren. Und hinter all dem Zeug kauerte auf einer zerknautschten grauen Decke der Welpe, der uns gehören sollte. Christie öffnete die Käfigtür und griff hinein, um ihn herauszuholen. Er wog gerade mal acht Kilo und war ganz offenkundig sehr verängstigt. Was für eine Reise für ein so kleines Tier! Wie muss er sich gefühlt haben, als man ihn nicht nur von seiner Mama trennte, sondern dann auch noch in einen Käfig sperrte und in den Laderaum eines Flugzeugs verfrachtete? Der Laderaum wurde sicher beheizt - andernfalls
wären die Tiere bei der Höhe wohl erfroren -, trotzdem muss es für ihn die Hölle gewesen sein, ganz allein da oben, höchstwahrscheinlich im Dunkeln.
Unser Welpe war nicht mehr als ein kleines, zitterndes Knäuel aus flaumigem blauem Fell mit vier überdimensionalen Pfoten an jeder Ecke, was ihm das Aussehen einer Comicfigur verlieh. Für ihn musste es sich anfühlen wie eine zweite Geburt. Er blinzelte in das grelle Neonlicht der Flughafenbeleuchtung, rappelte sich hoch, bis er auf unseren Handflächen zum stehen kam, und drehte seinen Kopf staunend von einer Seite zur anderen. Und dann, als ob er uns geprüft und für in Ordnung befunden hätte, reckte er vorsichtig seine Schnauze nach vorn und leckte zum ersten Mal an Christie. Wir waren uns einig, dass er das niedlichste kleine Ding war, das wir je gesehen hatten.
Und er gehörte uns. »Also«, fragte ich Christie, während sie ihn hätschelte und streichelte, »wie lautet das Urteil? Sieht er aus wie ein George?« Sie hörte auf, ihn zu streicheln, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn einen Moment lang prüfend. »Hm«, machte sie nachdenklich. »Ich muss ihn mir genauer anschauen. Lass mich mal sehen ...« Der Welpe erwiderte verwirrt ihren Blick.
»Weißt du was ?«, sagte sie schließlich. »Er sieht so aus. Er sieht tatsächlich so aus.« Die Entscheidung was also gefallen. Er würde George heißen.
Übersetzung: Annette Nau
© 2011 by Dave Nasser with Lynne Barrett-Lee
© 2013 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
- Autoren: Dave Nasser , Lynne Barrett-Lee
- 2012, 223 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863657292
- ISBN-13: 9783863657291
- Erscheinungsdatum: 01.12.2012
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