(K)ein Mann für Mutti (ePub)
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(K)ein Mann für Mutti von Julia Sander 1
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»Ich bin was? Zu alt?«, rief Hilde aufgebracht. »Was fällt Ihnen eigentlich ein?« »Aber, aber, Frau Jakobsen, nun regen Sie sich doch nicht so auf«, versuchte ihr Gegenüber, der Chefredakteur Werner Herzmann, sie zu beschwichtigen. »Warum nicht? Weil ich zu alt bin?«, fauchte sie ihn an. »Haben Sie Angst, ich könnte vor Aufregung in Ihrem Büro tot umfallen? Falls ja, hätten Sie sich das besser vorher überlegt, bevor Sie mir so was an den Kopf werfen!« »Frau Jakobsen«, redete er weiter auf Hilde ein. »Ich habe nicht gesagt, dass Sie zu alt sind. Ich habe Ihnen zu verstehen geben wollen, dass eine Frau in Ihrem Alter nicht mehr genug erlebt, um weiterhin diese Kolumne mit interessanten Beiträgen füllen zu können. Das ist doch etwas ganz anderes, das müssen Sie zugeben.« »Erstens kommt das für mich aufs Gleiche raus, Herr Herzmann, und zweitens: Was heißt, eine Frau in meinem Alter erlebt nicht mehr genug? Denken Sie, ich sitze den ganzen Tag im Schlafzimmerschrank und kriege nichts davon mit, was draußen passiert?« »Frau Jakobsen, ich versuche doch nur ...« »Und hören Sie auf mit diesem Tonfall, als würden Sie mit einer senilen alten Frau reden. Ich bin siebenundsechzig, ich habe alle meine Sinne beisammen, ich weiß noch, wie ich heiße. Und ich habe Sie etwas gefragt«, beharrte Hilde und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ähm, Frau Jakobsen, Sie wissen aber noch, dass ich Ihr Vorgesetzter bin, oder?«, raunte er angesichts ihrer energischen Reaktion. »Wenn Sie meinen, Sie müssten mich wie eine alte Oma behandeln, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn ich Sie behandele wie einen ungezogenen Enkel!«, zischte sie wütend. »Und jetzt noch mal: Was soll das heißen, dass eine Frau in meinem Alter nicht mehr genug erlebt?« Herzmann fuhr sich durchs Haar und brachte ungewollt seine Föhnfrisur in Unordnung. »Es soll das heißen, was ich gesagt habe. Sie führen jetzt ein ruhigeres, beschaulicheres Leben als vor dreißig Jahren. Ihre Kolumne beschreibt ein Leben, wie es unsere Leserinnen noch lange nicht führen werden ...« »Ja, klar, weil neunzig Prozent unserer Leserinnen noch nicht mal die Pubertät erreicht haben, wie?«, spottete sie. »Tut mir leid, dass ich vergessen habe, dass ich meine Kolumne für die Bravo schreibe!« »Ziehen Sie doch nicht alles so ins Lächerliche, Frau Jakobsen «, ermahnte der Chefredakteur sie. »Ich habe Sie zu mir gebeten, um Ihnen den Sachverhalt in Ruhe zu erklären, und ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie eine Frau sind, die meine Entscheidung nachvollziehen kann.« »Da sehen Sie mal, wie man sich irren kann«, warf Hilde ein und verschränkte die Arme vor der Brust. »Können Sie mir verraten, wie ich Ihre Entscheidung nachvollziehen soll, meine Kolumne einzustellen? Seit fast dreißig Jahren schreibe ich Woche für Woche diese eine Spalte, und fast dreißig Jahre lang waren all Ihre Vorgänger von meinen Beiträgen begeistert. Und wissen Sie auch wieso? Weil ich kein Blatt vor den Mund nehme und weil ich etwas schreibe, was die Frauen lesen wollen, die Ladylike kaufen.« »Nicht alles, was jahrzehntelang beibehalten wird, ist auch zwangsläufig gut!«, wandte Herzmann ein. »Die ddr ist auch erst nach vielen Jahr...« »Herr Herzmann, Ihre Vergleiche hinken!«, unterbrach sie ihn. »Also lassen Sie die lieber bleiben. Meine Kolumne ...« »... ist neben dem Inhaltsverzeichnis der einzige Bestandteil von Ladylike, der auch nach fast dreißig Jahren immer noch im Heft enthalten ist, Frau Jakobsen«, fiel er wiederum ihr ins Wort. »Ist das ein Argument?« »Für mich schon«, meinte er. »Als Chefredakteur ist es mein gutes Recht, Veränderungen vorzunehmen, die dem Magazin zugutekommen.« »Es kommt dem Magazin aber nicht zugute, wenn Sie meine Kolumne streichen!« »Das ist Ihre Meinung, Frau Jakobsen, ich sehe das anders.« Er nahm die neueste Ausgabe von Ladylike und schlug die vorletzte Seite auf. »Sehen Sie sich das doch nur mal an, und versuchen Sie, so unvoreingenommen zu sein wie jemand, der das hier zum ersten Mal zu Gesicht bekommt. ›Hilde hilft‹. Das klingt wie aus den Fünfzigerjahren, altbacken und ... ich weiß nicht ... hausmütterlich, betulich. Das ist nichts von heute.« »Als ich Anfang der Achtziger mit der Kolumne anfing, waren die Fünfzigerjahre aber auch schon fast dreißig Jahre her. Und da hat es niemanden gestört, da fand niemand, die Kolumne könnte zu altmodisch sein.« »Ja, aber die Achtziger waren auch die Zeit der Schlaghosen und der langen Haare«, wandte er ein. »Das waren die Siebziger!«, fuhr Hilde ihn an. »Sie sehen ja selbst, Sie haben gar keine Ahnung, was Sie da eigentlich reden. Wie wollen Sie dann wissen, was für das Magazin zu alt ist?« »Ich war gerade mit meinen Gedanken woanders«, redete er sich hastig und sichtlich verlegen heraus. »So was kann ja mal passieren.« »Ja, sicher, und vermutlich waren Sie mit Ihren Gedanken auch woanders, als Sie beschlossen haben, meine Kolumne zu streichen.« Herzmann schüttelte den Kopf. »Frau Jakobsen, Ihre Haltung ist nicht gerade förderlich für unsere Beziehung.« »Nicht förderlich? Wieso? Wollten Sie mir etwas anderes anbieten?«, gab sie zurück. »Wenn ich mich nicht irre, haben Sie mir als Erstes gesagt, dass meine Kolumne ersatzlos gestrichen wird. Das heißt, ich bin raus hier. Was für eine Beziehung sollen wir beide denn noch haben, die gefördert werden könnte?« Ein leiser Seufzer kam über Herzmanns Lippen. »Frau Jakobsen, ich möchte nicht, dass wir im Zorn auseinandergehen. « »Dann nehmen Sie mir nicht meine Kolumne weg«, konterte sie grimmig und lehnte sich zurück, während sie den Mann abwartend ansah. Seine bis eben noch ordentlich gescheitelten, rötlich-blonden Haare und sein rundliches Gesicht ließen ihn wie einen Schuljungen aussehen, nicht wie den Chefredakteur einer Illustrierten. Wenn es stimmte, was sie gehört hatte, dann war er nicht mal halb so alt wie sie, was seine Entscheidung gegen ihre weitere freie Mitarbeit erklären mochte. Vielleicht hatte er einfach zu sehr das Gefühl, seine Mutter vor sich zu haben, und weil er möglicherweise irgendwelche Probleme mit seiner Mutter hatte, ließ er den Frust - absichtlich oder unabsichtlich - an ihr aus. »Ich nehme Ihnen nicht Ihre Kolumne weg, ich ändere das Konzept von Ladylike«, stellte er klar, als würde das seine Entscheidung gegen sie irgendwie rechtfertigen. »Wenn Sie sich die Ausgaben der letzten zwanzig Jahre ansehen, werden Sie feststellen, dass immer wieder Rubriken herausgenommen wurden, um Platz für etwas Neues zu schaffen. Sie hätten Ihre Kolumne auch schon vor fünfzehn Jahren verlieren können. Anstatt sich mit mir zu streiten, sollten Sie lieber dankbar sein, dass Sie so lange einen festen Platz in unserem Heft hatten.« Schnaubend schüttelte sie den Kopf und stand auf. »Ich habe mir jetzt genug Blödsinn angehört«, sagte sie und ging zur Tür. »Außerdem ...«, rief er ihr nach. »Außerdem ist das ja nicht mit sofortiger Wirkung gültig, sondern erst in vier Wochen.« »Was für ein Trost«, murmelte sie im Rausgehen. Vier Wochen. Sie hatte Texte für fast zwanzig Ausgaben auf ihrem Computer gespeichert, zeitlose Themen, eine Reserve für die Zeit, wenn sie Urlaub machte oder wenn sich absolut nichts ereignete, was sie in ihrer Kolumne verarbeiten konnte. Sie hatte es immer für einen Glücksfall gehalten, nie auf diesen Vorrat zurückgreifen zu müssen, weil sich jedes Mal doch noch etwas ergeben hatte, worüber sie schreiben konnte. Das Thema ihrer nächsten Kolumne stand nach dieser Unterhaltung mit ihrem Chefredakteur natürlich schon fest - »Alt und abgeschoben« -, aber es war zu befürchten, dass Herzmann den Text als zu beleidigend empfinden und ihn rausschmeißen würde, um ihn durch etwas zu ersetzen, was sie »auf Halde« liegen hatte. So oder so änderte es nichts daran, dass Hilde in vier Wochen zum letzten Mal ihren Leserinnen helfen würde. »Das hat er gesagt? Dass du zu alt bist?«, fragte Sonja ungläubig, während sie die Teller aus dem Schrank holte. »Lieber Himmel, sind denn jetzt alle Leute dem Jugendwahn erlegen? Dabei liest man doch ständig, dass von den Fünfzigjährigen an aufwärts die größte Kaufkraft vorhanden ist.« »Erzähl das mal dem Herzmann«, sagte Hilde zu ihrer Tochter. Sie stand vor dem Backofen gebückt da und begutachtete durch die Glasscheibe, welche Fortschritte der Kartoffelauflauf machte. »Der will das Heft am liebsten an Fünfzehnjährige verkaufen, weil die Werbeheinis das wollen, aber es denkt keiner daran, dass eine Fünfzehnjährige nicht sechsmal im Jahr ein Luxusparfüm kauft, für das sie hundertfünfzig pro Flasche hinlegen muss. Genau das macht aber die erfolgreiche berufstätige Frau um die vierzig oder älter, nur dass die keine Frauenzeitschrift kaufen will, die sich nur an die jüngstmögliche Zielgruppe richtet.« »Herzmann schießt sich doch damit selbst ins Bein«, meinte Sonja. »Natürlich. Ich bin ja auch der Meinung, dass die Zielgruppe, die er für wichtig hält, viel zu jung ist, um ein Magazin zu kaufen, das sich Ladylike nennt. Aber vielleicht hat er ja auch den Auftrag, das Heft gegen die Wand zu fahren, damit es einen legitimen Grund für die Verlagsleitung gibt, es einzustellen.« Sonja stellte sich zu ihr an den Backofen und rührte die Erbsen und Möhren um, die in einem Topf auf dem Herd langsam erwärmt wurden. »Das würde doch keiner machen ...«, wandte sie ein, aber Hilde schüttelte den Kopf. »Doch, doch, das habe ich schon miterlebt. Allerdings geht es weniger darum, einen Titel vom Markt verschwinden zu lassen, sondern vielmehr darum, Leute zu entlassen, ohne sich selbst in ein schlechtes Licht zu rücken«, erzählte Hilde und suchte das Besteck zusammen. »Der Trick ist der, einen leichten Rückgang in den Verkaufszahlen auszunutzen und scheinbar in Panik das Konzept der Zeitschrift umzustellen, jedoch auf eine Weise, die von den Käufern nicht so schnell akzeptiert wird. Dazu schmeißt man bewährte Rubriken raus und füllt den Platz mit nichtssagenden Agenturtexten, die die Leute nicht lesen wollen. Dadurch gehen die Verkaufszahlen weiter in den Keller, man hat ein Argument für weitere Experimente, die alle nur dem Zweck dienen, noch mehr Käufer zu vergraulen, bis dann endlich der Punkt erreicht ist, an dem das Heft finanziell nicht mehr tragbar ist. Es wird eingestellt ...« »... und die Mitarbeiter werden entlassen«, fuhr Sonja fort, »während der Verlag sein Bedauern kundtun kann, man habe alles versucht, um das Heft zu retten, aber letztlich hat es nicht geklappt. Man werde sich bemühen, möglichst viele Mitarbeiter in anderen Redaktionen unterzubringen ...« Hilde nickte bestätigend. »Und in Wahrheit behält man nur eine Handvoll Leute, auf die man nicht verzichten möchte, während der Rest nach Hause gehen darf.« »Sehr geschickt«, murmelte ihre Tochter.
»Was ist sehr geschickt?« Sonja und Hilde drehten sich gleichzeitig um und sahen, dass Melissa die Küche betreten hatte. Sie war Sonjas jüngere Schwester, und obwohl sich Hilde alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, ihre beiden Töchter gleich gut zu erziehen, war ihr das bei Melissa nicht so recht gelungen. Sie war oft schroff und unhöflich, zu ihren eigenen Verwandten ebenso wie zu Fremden, doch Hilde war bis heute nicht dahintergekommen, wieso Melissa sich bloß für etwas Besseres hielt. In groben Zügen berichtete Sonja ihr, was sie von ihrer Mutter erfahren hatte. Melissa schien nur mit halbem Ohr zuzuhören, da sie den Kühlschrank geöffnet hatte und nach irgendetwas Ausschau hielt. »Na ja, in gewisser Weise hat er doch recht«, meinte sie achselzuckend, dann nahm sie eine Wurstpackung heraus und aß eine Scheibe Schinken, während sie mit vollem Mund weiterredete. »So viel erlebst du ja nun wirklich nicht mehr. Und wenn du immer nur von früher schreibst, was es da alles gab oder auch nicht gab, dann ist es ja kein Wunder, wenn Herzmann deine Kolumne für zu altbacken hält.« »Wenn ich immer nur von früher schreibe?«, wiederholte Hilde ungläubig. »Sag mal, liest du eigentlich meine Kolumne?« »Ja, neulich erst. Da hast du von früher geschrieben.« Melissa überlegte kurz. »Ich glaube, du hast dich darüber ausgelassen, dass man sich früher auch verabreden konnte, ohne ein Handy zu besitzen ... irgendwas in der Art.« »Meine liebe, aufmerksame Tochter«, sagte Hilde in gespielt nachsichtigem Ton. »Das war vor über einem Jahr, und das habe ich im Rahmen eines Themenmonats geschrieben, in dem es vier Ausgaben lang darum ging, wie die Menschen zurechtgekommen sind, bevor es Handys, Navis und den ganzen anderen Computerkram gab.« »Ja, genau. Sag ich doch.« Offenbar hatte sie ihrer Mutter die ganze Zeit über nicht zugehört. Hilde verdrehte die Augen und konzentrierte sich wieder darauf, den Schnittlauch zu schneiden. »Du kannst Besteck und Teller mitnehmen«, rief sie Melissa nach, als sie sah, wie die sich schnell wieder verziehen wollte, bevor sie irgendwelchen Küchenarbeiten zugeteilt werden konnte. »Wenn's sein muss«, kam eine wenig begeisterte Antwort, während Melissa kehrtmachte und zum Tresen zurückging. »Na, du weißt doch, diese Dinge haben keine Beine, also muss jemand sie von einem Zimmer ins andere tragen.« Hilde lächelte sie auf eine Weise an, die verriet, dass es eigentlich gar kein Lächeln war, sondern eine wortlose Aufforderung, endlich das zu tun, was sie gesagt hatte. Melissa verzog den Mund, legte die Messer und Gabeln auf den obersten Teller, nahm den Stapel vom Tresen und ging damit ins Esszimmer. »Es gibt Tage, an denen ich richtig dankbar dafür bin, dass ich Melissa habe«, sagte Hilde nach einer Weile. »Ich nehme an, heute ist keiner von diesen Tagen, wie?« Sonja grinste sie mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid an. »Doch, doch, heute ist eben einer von diesen Tagen.« »Ehrlich?« Sonja zog die Stirn in Falten, während sie überlegte, ob ihr irgendetwas entgangen war. »Ja, weil sie mir mal wieder vor Augen geführt hat, was ich an dir habe, Sonja«, gab sie mit einem Augenzwinkern zurück. Im Esszimmer herrschte das gleiche Durcheinander wie immer, wenn die ganze Familie bei ihr zu Besuch war. Hilde liebte dieses Durcheinander, aber nicht etwa, weil es ein Durcheinander war, sondern weil sie dann wusste, dass alle ihre Lieben bei ihr waren. Unwillkürlich verzog sie den Mund, da ihr klar war, wie übertrieben diese Formulierung in Wahrheit war. Zugegeben, sie hätte auf keinen von diesen Menschen verzichten wollen, aber einige waren ihr dennoch lieber als andere. Mit Sonja kam sie gut aus, ebenso mit deren Ehemann Gerhard und vor allem mit ihrer Enkelin Mercedes, die von allen Mercy genannt wurde. Ganz anders sah es mit dem jüngeren Sohn der beiden aus, Alex. Mercys Bruder war ein rüpelhafter, aufsässiger Fünfzehnjähriger, der seine Lieblingssprüche aus irgendwelchen Pseudo-Dokus hatte und sie bei jeder unpassenden Gelegenheit zum Besten gab. Sie konnte einfach nicht verstehen, wie zwei Geschwister so grundverschieden sein konnten, aber das gleiche Unverständnis löste bei ihr auch Melissa aus, die so ganz anders war als Sonja. Sie hatte beide Kinder gleich großgezogen und immer darauf geachtet, dass sich keine von ihnen benachteiligt fühlte. Und trotzdem benahm sich Melissa fast ständig so, als hätte man ihr soeben irgendeinen Vorwurf gemacht, über den sie jetzt noch immer beleidigt war. Melissas Mann Frank dagegen war vom Wesen her Sonja so ähnlich, dass sie beide eigentlich Geschwister hätten sein können. Dummerweise ließ er sich von Melissa in allen Dingen Vorschriften machen und tanzte ständig nach ihrer Pfeife. Wenn er seine Meinung als Erster kundtat, und Melissa dann etwas anderes sagte, konnte man in neun von zehn Fällen davon ausgehen, dass er sich unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand ihrer Ansicht anschloss. Kurioserweise empfand Hilde Mitleid mit dem Mann, wohl, weil sie wusste, wie biestig ihre Tochter werden konnte, wenn etwas nicht nach ihren Vorstellungen verlief. Es war kein Wunder, dass sie Frank geheiratet hatte, wusste sie bei ihm doch, dass er tun würde, was sie wollte. Seine guten Eigenschaften musste er seiner Tochter Alexandra vererbt haben, da sie genauso umgänglich war wie Mercy. Sohn Timo dagegen, der mit seinen zwölf Jahren der Jüngste ihrer Enkel war, kam wohl mehr nach seiner Mutter. Auch wenn er nicht so schroff und kaltherzig war wie Melissa, hatte er zumindest etwas von ihrem Egoismus abbekommen. Das äußerte sich bei ihm vor allem daran, dass er ständig in irgendwelche Computerspiele vertieft war und absolut kein Interesse hatte, sich mit jemandem zu unterhalten. Es gab nur zwei Lebewesen in diesem Raum, die wirklich immer absolut ehrlich zu ihr waren, und wenn sie mal nichts von ihr wissen wollten, dann zogen sie sich auch zurück, anstatt ihr vorzuspielen, sie seien auf ihre Anwesenheit erpicht: die Rexkatze Herr Albers und der Kartäuser-undnoch-irgendwas-Mischlingskater Frau Dietrich, die es bei jedem neuen Besucher in Hildes Haus erforderlich machten, ihm die lange Geschichte zu erzählen, wie es zu der Verwechslung der Namen gekommen war. Wie gleichgültig es - zumindest diesen - Katzen war, wie sie hießen, zeigte sich in diesem Fall besonders deutlich, da der Kater vom ersten Tag an auf »Frau Dietrich« gehört hatte, während seine Gefährtin keine Probleme damit hatte, Herr Albers zu sein. Die Meute einschließlich Katzen war nun im Esszimmer verteilt. Herr Albers und Frau Dietrich hatten sich in das gemütliche Plüschkörbchen nahe der Heizung zurückgezogen und schliefen fest. Gerhard und Frank unterhielten sich entweder über Autos oder über Sport, es waren die einzigen Interessen, die die beiden gemeinsam hatten. Hildes Enkelinnen standen in der Ecke neben dem Aquarium und waren in eine Unterhaltung vertieft. Melissa hatte die Teller auf dem Tisch verteilt und das Besteck dazugelegt, aber sie hatte weder an Servietten noch an Gläser gedacht. Wenn man nicht alles selbst erledigt, dachte Hilde nur, während ihr Blick weiter durch den Raum wanderte. Melissa stand am Fenster und redete auf Alex ein, doch den schien nicht zu interessieren, was seine Tante ihm erzählte. Zwar nickte er in Abständen, seine Augen waren aber auf sein Handy gerichtet, so als warte er auf einen erlösenden Anruf, der jedoch nicht erfolgte. Melissas Sohn Timo hatte sich in eine andere Ecke verkrümelt und hantierte wie wild mit seinem Handy. Vermutlich hatte er sich irgendein Spiel runtergeladen, das für ihn auf jeden Fall wichtiger war als das Zusammensein mit der Familie. Hilde stand eine Weile da und wunderte sich nicht darüber, dass niemand von ihr Notiz nahm. Bei ihr fühlten sich alle wie zu Hause, und wenn man zu Hause war, hielt man nicht ständig Ausschau nach dem Gastgeber. Sie räusperte sich, aber nur ihre Schwiegersöhne zeigten eine Reaktion, da sie in ihre Richtung schauten und sie anlächelten, ehe sie ihre Unterhaltung fortsetzten. Einen Moment später folgte Melissa, die aus langjähriger Erfahrung wusste, was gleich kommen würde, und die deshalb schnell zum Tisch zurückkehrte, um sich hinzusetzen. »Wer als Letzter auf seinem Platz ist, muss uns für den Rest des Abends helfen, das Essen zu servieren!«, rief Hilde in den Raum und sorgte dafür, dass Bewegung ins Geschehen kam. Alle anderen saßen bereits, da sah Alex plötzlich von seinem Handy auf. »Gibt's schon Essen?«, fragte er ein wenig ungeduldig, ohne zu ahnen, welche Aufgabe ihn erwartete. Das Abendessen verlief an diesem Tag genauso wie an jedem anderen Abend, an dem Hilde ihre Familie zu sich einlud, nämlich unspektakulär. Man unterhielt sich mit seinem Platznachbarn, man reichte den Teller weiter, wenn jemand Nachschlag wollte, und auch Pfeffer und Salz wanderten im Verlauf des Essens mindestens zweimal über den ganzen Tisch. Hilde sah sich im Kreis ihrer Familie um und war froh, dass sie diese gelegentlichen Abendessen arrangieren konnte. Von ihren Freundinnen wusste sie, dass deren Verwandtschaft über ganz Deutschland verteilt und manchmal sogar in alle Himmelsrichtungen verstreut war. Da war es im besten Fall an Geburtstagen oder an Weihnachten möglich, die ganze Familie zusammenzubekommen, und selbst dann musste man Kompromisse in Kauf nehmen, weil immer irgendwer doch nicht kommen konnte. Als alle aufgegessen hatten und ein missmutig dreinblickender Alex mit einem Tablett mit Dessertschälchen ins Esszimmer zurückgekehrt war, fragte Mercy auf einmal: »Mama hat eben was davon erzählt, dass deine Rubrik in Ladylike eingestellt wird, Oma. Stimmt das?« Hilde nickte ein wenig betrübt. »Ja, leider.« »Aber du schreibst doch schon für dieses Magazin, seit ich denken kann«, meldete sich Alexandra zu Wort, die ihren Namen offiziell auf Lexa verkürzt hatte, weil sie nicht Alex genannt werden wollte - schließlich hieß ihr dusseliger Cousin schon so. »Seit du denken kannst? Mann, das müssen ja mindestens drei Wochen sein«, lästerte Alex und bekam von seiner Schwester prompt einen Klaps an den Hinterkopf. »Ach, halt die Klappe«, zischte Lexa ihm zu und drehte sich so wie Mercy zu ihrer Großmutter um. »Wie kommt denn das?« In groben Zügen schilderte Hilde, was vorgefallen war - oder besser gesagt: Sie wollte es in groben Zügen schildern. Aber als sie anfing zu erzählen, da kam die ganze Wut auf Herzmann wieder hoch, und so verlor sie sich beinahe in den Details. Als sie geendet hatte, ging ein empörtes Raunen durch den Raum. Fast alle zeigten sich enttäuscht über diese Entwicklung, lediglich Melissa nicht, die ihre Meinung dazu schon in der Küche verkündet hatte. Aber Melissa war nicht die Einzige, denn anscheinend hatte sie ihren Mann während des Essens instruiert, welche Meinung er in der Sache zu vertreten habe. Dementsprechend räusperte Frank sich nun und erklärte ein wenig holprig: »Aber es ist doch nicht so, dass du ... na ja, dass du um deinen Lebensunterhalt gebracht wirst, wenn die Kolumne wegfällt. Die hast du doch eigentlich immer nur geschrieben, weil dir diese Betätigung Spaß gemacht hat.« »Genau«, pflichtete Melissa ihm wie einstudiert bei. »Vatis Witwenrente ist doch ganz stattlich. Außerdem hat dir die alte Frau Schneider ihr ganzes Erbe vermacht, weil du dich so viele Jahre um sie gekümmert hast. Da kommt es doch auf die paar Euro nicht an, die der Verlag dir zahlt.« »Es geht mir nicht um das Geld, sondern ums Prinzip«, betonte Hilde. »Meine Kolumne hat noch immer die meisten Reaktionen bei unseren Leserinnen. Ich denke, das heißt schon was.« »Recht hast du, Oma«, stimmte ihr Mercy zu, und Lexa nickte bekräftigend. Timo hatte sein Eis in Windeseile verputzt und war nun wieder mit seinem Handyspiel beschäftigt, aber von ihm hatte Hilde auch keinen nutzbringenden Beitrag erwartet. Alex löffelte sein Eis sichtlich lustlos. »Ich finde, so was ist pure Diskriminierung«, meinte Gerhard sichtlich verärgert. »Du solltest dich dagegen zur Wehr setzen.« »Tja, ich bin nur eine freie Mitarbeiterin, ich habe keinen Anspruch auf irgendwelche Bestandsrechte, oder wie man das nennen will, und du darfst nicht vergessen, dass er das Gespräch mit mir unter vier Augen geführt hat. Er kann alles leugnen, ich kann nichts davon beweisen.« »Ja, aber wenn doch die meisten Leserbriefe deine Kolumne betreffen«, wandte Mercy ein, »dann ist das schließlich ein Beweis dafür, dass die Leute sie lesen und dass sie was dazu sagen wollen.« »Sind das alles lobende Briefe?«, wollte Melissa wissen. Hilde nahm einen Löffel Eis in den Mund und schüttelte den Kopf. »Wie du ja bestimmt weißt ... oder auch nicht weißt«, erwiderte sie und konnte sich diese kleine Stichelei nicht verkneifen, »beziehe ich in meiner Kolumne zum jeweiligen Thema Stellung, indem ich mich für oder gegen etwas ausspreche. Und dann folgt die Frage: ›Finden Sie nicht auch?‹ Das ist das Stichwort für unsere Leserinnen, sich zum Thema zu äußern, und das tun sie dann auch zahlreich.« »Aha, dann schreiben die Leserinnen also nur, weil du sie dazu aufforderst«, gab Melissa zurück, die ihren Beruf als Anwältin nicht verleugnen konnte. Wenn es galt, ein Wortgefecht für sich zu gewinnen, kannte sie keinen Unterschied zwischen dem Privatleben und ihrem Auftritt vor Gericht. In diesem Moment versuchte sie, ihrer eigenen Mutter die Grundlage für ihre Argumente zugunsten ihrer Kolumne zu entziehen. »Ich fordere sie nicht dazu auf«, entgegnete Hilde, die ihrer Tochter nicht mal einen Vorwurf machen wollte, nur weil sie sie behandelte wie eine Angeklagte, die sie in Widersprüche verwickeln wollte. Es zeigte nur, mit welcher Hingabe sie ihren Beruf ausübte ... Ach, hör schon auf, es dir schönzureden, wurde sie von einer Stimme irgendwo in ihrem Kopf unterbrochen, die sich nur selten zu Wort meldete, und wenn, dann war es auch dringend nötig - so wie in diesem Moment, wo sie tatsächlich im Begriff gewesen war, Melissa durchgehen zu lassen, dass sie sich aufführte wie bei einer Gerichtsverhandlung. »Wenn du meine Rubrik gelesen oder mir gerade eben genau zugehört hättest, dann wäre dir aufgefallen, dass ich eine rhetorische Frage stelle. Und unter meiner Kolumne steht auch nie ›Schreiben Sie uns Ihre Meinung‹ oder etwas Ähnliches.« »Aber indirekt ...« »Melissa, jetzt fang nicht an, unsere Mutter zu verhören!«, ging Sonja dazwischen. »Wir spielen hier nicht L.A. Law oder so was!« »Ich werde ja noch mal ...« »Nein, wirst du nicht«, fiel ihre Schwester ihr erneut ins Wort. »Du kommst immer mit deinen Spitzfindigkeiten an, mit denen du so lange auf einen einredest, dass man am Ende das Gefühl hat, man hat etwas verbrochen, obwohl man eigentlich das Opfer ist.« »Mutter ist kein Opfer ...«, wandte Melissa ein, kam aber auch diesmal nicht weiter. »Mutter ist sehr wohl das Opfer«, beharrte Sonja und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht ihrer Schwester hin und her. »Sie ist das Opfer eines Chefredakteurs, der ihre Kolumne für altmodisch hält und sie deswegen aus dem Heft schmeißt. Du versuchst dagegen, dich an dem Punkt festzuklammern, dass ihre Kolumne nur deshalb so viele Zuschriften erhält, weil sie die Leserinnen angeblich dazu auffordert. Du willst darauf hinaus, dass ohne diese angebliche Aufforderung gar nicht so viele Leute schreiben würden, was wiederum heißt, dass ihre Kolumne doch nicht so wichtig ist, womit du dann ruhigen Gewissens sagen kannst, dass es sich nicht um Diskriminierung handelt und sie sich nicht so aufregen soll.« Melissa sah sie an und blieb stumm. Sonja nickte zufrieden. »Dachte ich's mir doch.« Dann drehte sie sich zu Hilde um. »Und was hast du jetzt vor?« »Ich habe keine Ahnung«, musste sie zugeben. Seit dem Gespräch mit Herzmann war sie so wütend gewesen, dass sie sich einfach keine Gedanken hatte machen können, weshalb sie nun immer noch ohne Schlachtplan dasaß. »Ich will ihm auf jeden Fall beweisen, dass er einen Fehler begeht, wenn er meine Kolumne rauswirft.« »Du kannst ihm ja eine anonyme Bombendrohung schicken «, schlug Alex plötzlich vor, der das Hin und Her zwischen seiner Mutter und seiner Tante ungewohnt interessiert verfolgt hatte. »Geh auf eure Facebook-Seite und poste ihm, dass der Laden in die Luft fliegt, wenn er nicht alles so lässt, wie es ist.« »Und wann soll Großmutter das machen? Und wie?« »Wie? Ist doch ganz einfach, Schwesterchen. Oma legt einen gefakten Account an, und dann postet sie die Drohung auf der Seite. Am besten gleich.« Er drehte sich zu ihr um. »Wenn du willst, helfe ich dir dabei.« »Sag mal, spinnst du völlig?«, fuhr Mercy ihn an. »Außer uns weiß das doch noch gar keiner! Was glaubst du, wie lange der Mann braucht, bis er weiß, von wem die Drohung kommt?« »Ähm ...« Alex kratzte sich am Kopf. »Stimmt ... das ist nicht so gut.« Er zuckte mit den Schultern. »Dann ruf ihn doch an und sprich mit verstellter Stimme.« Hilde lächelte ihn an. »Ich glaube, ich werde ihm weder auf diese noch auf eine andere Weise mit einer Bombe drohen. Ich habe nämlich keine Lust, auch noch ins Gefängnis zu wandern.« »Aber du willst doch was unternehmen, oder?«, fragte Lexa und klang besorgt, so als fürchte sie, ihre Großmutter könnte sich kampflos geschlagen geben. »Auf jeden Fall«, bekräftigte sie. »Nur habe ich im Moment noch keine Ideen, wie ich am besten den Kampf gegen Herzmann aufnehmen soll.« »Wir können ja einen Hirnsturm machen«, warf Timo ein, woraufhin sich alle zu ihm umdrehten. »Einen was?«, fragte sein Vater. »Einen Hirnsturm«, wiederholte der Junge, dann schüttelte er den Kopf. »Mann, ihr labert mich dauernd voll, dass ich nicht so viele englische Wörter benutzen soll, wenn ich was erzähle, und jetzt mach ich das, und keiner weiß, was ich will. Echt krass, so was.« Nach einer langen, langen Kunstpause fragte er schließlich: »Noch nie was von Brainstorming gehört?« Lexa seufzte. »Mercy, können wir nicht unsere Brüder tauschen? Ich halte das mit ihm nicht aus.« »Von mir aus«, meinte Mercedes. »Aber ich gebe dir keine zwei Stunden, dann wirst du ankommen und betteln, dass wir den Tausch rückgängig machen.« »Na ja, wenn ich wüsste, dass du den Tausch auch tatsächlich rückgängig machen wirst, dann würde ich's ja auf einen Versuch ankommen lassen.« Hilde verfolgte den Wortwechsel und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn manchmal die Fetzen flogen, so wie es vorhin beinahe zwischen Sonja und Melissa geschehen wäre, verliefen Essen mit ihrer Familie im Großen und Ganzen harmonisch, und das konnte nun wirklich nicht jede Familie von sich behaupten. Ihr Gefühl sagte ihr allerdings, dass diese Harmonie einen empfindlichen Dämpfer bekommen dürfte, sollte sie die eine Sache ansprechen, die ihr seit ihrer Unterhaltung mit Herzmann nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Denn in einem Punkt hatte der Mann zumindest teilweise recht gehabt, auch wenn sie das in seiner Gegenwart niemals zugeben würde. Sie überlegte, ob sie etwas sagen sollte oder nicht. Sie wusste, dieses Thema war äußerst heikel, und aus diesem Grund hatte sie es auch immer wieder vor sich hergeschoben und auf eine passende Gelegenheit gewartet, um darauf zu sprechen zu bekommen. Diese Gelegenheit war jetzt da, doch es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie dabei mit ihren Töchtern allein gewesen wäre. »Ich bin fertig«, rief plötzlich Timo in die Runde, sprang von seinem Stuhl auf und verzog sich mit seinem Smartphone spielbereit nach nebenan ins Wohnzimmer. Hilde wusste nicht so recht, ob sie dem Jungen dankbar sein oder sich über ihn ärgern sollte, hatte er ihr doch die Entscheidung abgenommen. Sein Ausruf war wie ein Signal für die anderen, da sie begannen, die Teller zu stapeln und die Bestecke auf einem Teller zu sammeln. Seufzend erhob sie sich von ihrem Platz und griff nach den Gläsern, die in ihrer Nähe standen, um sie in die Küche zu bringen. »Dann eben ein ander Mal«, murmelte sie. Ihre Katzen öffneten gleichzeitig die Augen zu einem schmalen Schlitz und sahen ihr nach. Sie wussten, dass der Weg ihrer Dosenöffnerin in die Küche führte, und wer in die Küche ging, der befand sich in der - jedenfalls aus Sicht der Katzen - erfreulichen Position, ihren Fressnapf auffüllen zu können. Als hätte Hilde sie gerufen, streckten und dehnten sie sich, dann folgten sie ihr nach nebenan.
2
Wisst ihr«, sagte Hilde, als sie eine Viertelstunde später mit ihren Töchtern allein in der Küche war, »so falsch hat Herzmann mit seinen Worten gar nicht gelegen.« Herr Albers und Frau Dietrich hatten etwas zu fressen bekommen und es sofort runtergeschlungen, dann waren sie schnell zu ihrem Schlafplatz an der Heizung zurückgekehrt. Melissa zog flüchtig eine Augenbraue nach oben und machte einen erleichterten Eindruck. Anscheinend war sie der Meinung, dass ihre Mutter die Sache mit der Kolumne nun doch auf sich beruhen lassen würde, anstatt einen aus ihrer Sicht sinnlosen Kampf gegen den Chefredakteur zu beginnen. Sonja dagegen wirkte überrascht und ein wenig enttäuscht, da sie wusste, wie viel ihrer Mutter diese Kolumne bedeutete. Außerdem las sie sie regelmäßig - ganz im Gegensatz zu Melissa -, und sie ließ Hilde auch ihre Meinung zum jeweiligen Thema wissen. »Blödsinn, du bist nicht zu alt, und deine Kolumne ist auch nicht altmodisch!«, protestierte sie sofort. »Ach, das«, entgegnete Hilde. »Nein, nein, davon rede ich nicht. Die Sache ist noch nicht vorüber, da werde ich mir schon irgendwas einfallen lassen. Nein, ich meine, was er dazu gesagt hat, dass sich in meinem Leben nicht mehr genug tut, über das ich schreiben könnte.« »Aber du erlebst doch viel«, hielt Sonja dagegen. »Du reist, du gehst ins Theater und in die Oper, du hast deine Freundinnen, mit denen du Ausflüge machst und Museen besuchst ...« »Und uns hast du ja auch noch«, ergänzte Melissa. »Du verarbeitest in deiner Kolumne doch sicher auch Dinge, die du von uns hörst, oder?« Hilde sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen an. »Wenn du meine Kolumne lesen würdest ...«, sagte sie, den Rest ließ sie unausgesprochen, dann wandte sie sich wieder Sonja zu. »Ja, ich komme viel raus und erlebe viel, aber eigentlich fehlt schon etwas Neues, etwas ... etwas anderes. Ich meine, wie oft kann ich schon einen Museumsbesuch zum Thema machen? Ich bin schließlich keine Kunstkritikerin. Ich ... ich denke da an ein anderes Thema.« Beide Töchter sahen sie abwartend an. »Und an welches?«, fragte Melissa schließlich als Erste. »Na ja, euer Vater ist jetzt seit fünfundzwanzig Jahren tot«, begann sie. »Als ich vor fast dreißig Jahren mit dieser Kolumne anfing, da habe ich das mehr zum Spaß gemacht. Dann starb Stephan, und auf einmal wurde meine Kolumne zu einem ... zu einer Art Ventil, wenn man das so sagen kann. Ich schrieb über persönlichere Dinge als zuvor, und das gab meinen Texten das besondere Etwas. Die Leserinnen hatten das Gefühl, über ihr eigenes Leben zu lesen, und deshalb waren sie auch so begeistert davon.« »Aber das hast du doch seitdem beibehalten, Mutti«, wandte Sonja ein. »Es ist doch immer persönlich geblieben.« Sie warf einen Seitenblick zu ihrer Schwester, die sich bemühte, einen unbeteiligten Eindruck zu machen, um nicht wieder darauf angesprochen zu werden, dass sie in Wahrheit keine Ahnung hatte, ob es stimmte, was Sonja redete. »Ja, aber wenn euer Vater noch leben würde, dann könnte ich auch über die Dinge schreiben, die den Mann in meinem Leben betreffen. So, wie es jetzt ist, spreche ich seit einem Vierteljahrhundert vor allem die alleinstehenden Leserinnen an, aber mir fehlt der Draht zu den Frauen, die nicht verwitwet oder Single sind.« »Und was willst du machen?«, fragte Melissa ratlos. »Mal eben den nächstbesten Mann heiraten, damit du darüber schreiben kannst?« »Ich will natürlich nicht den nächstbesten Mann heiraten«, antwortete sie, »aber ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich jetzt lange genug allein gewesen bin und wieder einen Mann in meinem Leben haben möchte.« »Du bist doch nicht allein«, widersprach ihr Sonja. »Du hast doch uns!« »Ja, genau«, stimmte ihre Schwester ihr hastig zu. »Du hast uns.« »Ich weiß, dass ich euch habe, und dafür bin ich euch auch dankbar«, erwiderte Hilde leise. »Trotzdem ist es etwas anderes, wenn man einen Mann an seiner Seite hat. Das müsstet ihr beide eigentlich wissen.« »Aber du hast Vati doch so sehr geliebt.« Sonja sah sie fragend an, als fürchte sie, ihr ganzes Weltbild könnte in sich zusammenstürzen. »Das hast du immer gesagt.« Hilde ließ sich seufzend gegen den Tresen sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. Das hier war genau die Diskussion, von der sie gewusst hatte, sie würde in dem Moment einsetzen, in dem sie das Thema Mann ansprach. Ihr war klar gewesen, dass sie von ihnen nicht die bedingungslose Unterstützung bekommen würde, die sie sich wünschte. Anstatt zu sagen: »Toll, dass du das machst«, musste sie sich nun vor ihren Töchtern rechtfertigen und sich Löcher in den Bauch fragen lassen. Und selbst wenn sie das hier hinter sich hatte, konnte sie nicht einfach davon ausgehen, dass sie dann ihre Ruhe hatte. Vielmehr würden den beiden jeden Tag noch weitere Fragen einfallen, oder ihre Männern würden sie mit ihren Kommentaren auf neue Ideen bringen, und sie würde weiter Rede und Antwort stehen müssen. Nicht auszudenken, was das gegeben hätte, wäre sie vor einer Viertelstunde im Esszimmer vor der gesamten Familie darauf zu sprechen gekommen. Das hier war schon mehr als genug, und es war noch nicht vorüber. »Das bedeutet nicht, dass ich euren Vater nicht mehr liebe. Ich werde ihn immer lieben, aber ich muss und will nicht für den Rest meines Lebens auf einen Mann verzichten. Und ich glaube, euer Vater wäre damit einverstanden, wenn ich ihn fragen könnte.« Sie zog die Schultern hoch. »Wären die Rollen vertauscht, hätte ich auch nichts dagegen.« »Wären die Rollen vertauscht, könntest du gar nichts dagegen haben, weil du dann seit fünfundzwanzig Jahren tot wärst«, konterte Melissa. »Ich finde, das ist immer ein vorgeschobenes Argument, wenn einer sagt, dass jemand, der tot ist, irgendetwas so gewollt hätte. Wenn derjenige das nicht noch zu Lebzeiten gesagt oder sogar aufgeschrieben hat, kann man ihm anschließend alles Mögliche in den Mund legen, um sein eigenes Handeln zu rechtfertigen.« »Entschuldige bitte, Melissa, dass dein Vater und ich nicht gleich nach unserer Hochzeit schriftlich festgehalten haben, was der jeweils Überlebende tun darf und was nicht, wenn einer von uns stirbt«, raunzte Hilde ihre Tochter an. »So war das nicht gemeint, Mutti«, sagte sie und setzte eine zerknirschte Miene auf. »Ich find's nur manchmal nervig, wenn Leute sagen, der Verstorbene hätte es bestimmt so gewollt. Manchmal mag das ja stimmen, trotzdem ist das immer nur eine Vermutung, weil keiner wissen kann, was Vati gewollt hätte.« »Jetzt hör schon auf, Mutti ein schlechtes Gewissen einzureden! «, ermahnte Sonja sie. »Du hast so was selbst schon gesagt, also tu nicht so scheinheilig!« »Wann habe ich das selbst schon gesagt?« »Als Tante Magda gestorben ist, hast du dir ihre Puppensammlung unter den Nagel gerissen und behauptet, sie hätte das so gewollt, weil du mit ihren Puppen immer so begeistert gespielt hast, als du klein warst.« »Das hat sie auch gewollt!«, beharrte Melissa. »Nur seltsam, dass das außer dir nie jemand mitbekommen hat!« »Ich glaube«, ging Hilde seufzend dazwischen, »es ist egal, über was ich heute rede, ihr beide müsst euch dauernd streiten.« »Melissa hat damit angefangen!« »Blödsinn, du hast angefangen, weil dir was nicht gefallen hat, was ich gesagt habe.« »Wenn ihr jetzt nicht endlich aufhört, geht ihr sofort ins Bett und dürft nicht fernsehen«, sagte Hilde laut genug, um die beiden zu übertönen. Beide verstummten sie und sahen ihre Mutter an, als hätte die den Verstand verloren. »Nein, ich habe nicht vergessen, dass ihr keine kleinen Mädchen mehr seid«, erklärte sie geduldig. »Trotzdem habe ich erreicht, dass ihr endlich ruhig seid.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür. »Ihr könnt jetzt gehen. Das Thema ist für den Moment beendet.« »Für den Moment?«, griff Melissa sofort ihre Bemerkung auf. »Dann ist das also dein Ernst? Du willst dir einen Mann suchen?« »Nein, mein Schatz«, gab Hilde bissig zurück. »Ich will gar keinen Mann für mich, sondern einen Stiefvater für euch, damit ihr euch nicht länger wie Halbwaisen fühlen müsst.« Als sie sah, dass ihre jüngere Tochter einen Moment lang nicht wusste, was sie von dieser Äußerung halten sollte, redete Hilde weiter: »Natürlich will ich einen Mann für mich. Es ist ja schließlich nicht so, als hätte ich keine Bedürfnisse mehr, nur weil mein Ehemann gestorben ist.« »O Gott, nicht das Thema«, murmelte Sonja und wurde bleich. »Deshalb willst du in deinem Alter noch eine Beziehung anfangen?«, fragte Melissa ungläubig. »Wegen Sex?« »Melissa, bitte«, flehte ihre Schwester, die einfach nicht über ihre Mutter beim Sex nachdenken wollte. Je heftiger sie sich dagegen zur Wehr zu setzen versuchte, umso mehr Bilder stürmten auf sie ein, die ihre Mutter auf eine Weise zeigten, die sie sich eigentlich gar nicht vorstellen wollte. »Hör schon auf!« »Sex im hohen Alter ist ein Mythos, weiter nichts«, stellte Melissa klar. »Sprichst du aus eigener Erfahrung?«, konterte Hilde, auch wenn sie lieber nicht so boshaft gewesen wäre. Aber manchmal war ihre jüngere Tochter so unausstehlich, dass sie einfach nicht anders konnte. »Sehr witzig.« »Und was heißt hier ›hohes Alter‹?«, redete sie weiter. »Ich bin noch keine fünfundachtzig.« »Natürlich nicht, aber es wird doch nicht dein Ernst sein, dass dir Sex so viel bedeutet, dass du dir einen Mann ins Haus holen willst. Du weißt ja nicht mal, ob einer im passenden Alter für dich überhaupt noch was zustande bringt!« »Das werde ich natürlich erst mal ausprobieren!«, hielt Hilde dagegen. »Ich kaufe ja nicht die Katze im Sack.« »Die Katze kaufst du zwar nicht, dafür kriegst du aber den ...« »Redet ihr etwa über poppende alte Leute? Bah, igitt!«, meldete sich eine jüngere Stimme zu Wort. Die drei drehten sich um und sahen Alex in der Tür stehen, der von ihnen unbemerkt die Küche betreten und es bis zum Kühlschrank geschafft hatte. Keine von ihnen wusste, was sie darauf erwidern sollte, doch dieses Problem erübrigte sich im nächsten Moment, da Alex kehrt machte und einem entsetzten »Ist ja voll widerlich« die Küche verließ. »Wie ging dieser alte Spruch?«, fragte Melissa in die Runde. »Kindermund tut Wahrheit kund? War doch richtig so, oder?« Hilde schnaubte mürrisch. »Glaub ja nicht, dass du darauf von mir eine Antwort bekommst.« »Ach, weißt du«, meldete sich Sonja wieder zu Wort. »Eigentlich ist das gar keine so schlechte Idee. Du kannst dich doch ruhig mal umsehen, ob du nicht irgendwo einen netten Herrn findest, der deinen Vorstellungen entspricht.« Ein wenig argwöhnisch sah Hilde ihre ältere Tochter an. »Ist das dein Ernst?« »Na, klar. Guck mal, du hast uns allein großgezogen, du hast so viele Jahre lang auf so viel verzichten müssen, da ist es doch nur gerecht, wenn du jetzt mal an dich denkst. Das hättest du eigentlich schon viel früher tun sollen.« Kopfschüttelnd ging Melissa an den beiden vorbei nach draußen. »Danke, Sonja«, sagte Hilde. »Wenigstens eine von meinen Töchtern hält mich nicht für scheintot.« »Melissa meint es eigentlich nicht so«, versuchte sie ihre Schwester zu verteidigen. »Du weißt, wie sie manchmal sein kann.« Hilde nickte nachdenklich. »Ja, ich weiß«, murmelte sie und dachte betrübt darüber nach, dass Melissa nicht nur manchmal, sondern meistens so war. An der Erziehung konnte es nicht liegen, weil sie darauf geachtet hatte, keiner ihrer Töchter den Eindruck zu vermitteln, eine von ihnen werde bevorzugt. Vermutlich lag es einfach in Melissas Wesen, dass sie immer zuerst an sich und an ihren eigenen Vorteil dachte. Und möglicherweise war das durch ihre Arbeit als Anwältin noch verstärkt worden, schließlich musste sie in diesem Beruf stets an ihren Mandanten und an dessen Vorteil denken. »Können wir nach Hause fahren?«, rief auf einmal Timo aus dem Esszimmer nebenan. Hilde sah auf die Uhr. Kurz vor halb zehn. »Willst du etwa schon ins Bett?«, erwiderte Melissa, die sich etwas weiter entfernt aufhielt. »Nein, aber Micky und die anderen fangen um zehn online eine Runde World of Warcraft an, und wenn wir früh genug zurück sind, kann ich noch mitmachen.« Grinsend schüttelte Hilde den Kopf und wandte sich zu Sonja um. »Es ist immer wieder dasselbe, nur ist das Thema bei jeder Generation ein anderes.« »Ja, als ich in Timos Alter war, wollte ich um zehn mit meinen Freundinnen ins Kino gehen, heute bleibt man zu Hause, um was zu erleben.« »Und als ich in Timos Alter war«, ergänzte Hilde, »da musste ich um acht zu Hause sein und um neun im Bett liegen. Und trotzdem habe ich diese Zeit überlebt.« Sonja legte ihr eine Hand auf die Schulter, lächelte sie an und verließ dann ebenfalls die Küche. Eine halbe Stunde später kehrte Hilde ins Haus zurück und schloss die Tür hinter sich, um die kalte Januarluft nicht nach drinnen zu lassen. Sonja und Melissa winkten ihrer Mutter zu, während sie sich mit ihren Familien auf den Weg zu den Autos machten, die - bedingt durch die schwierige Parkplatzsituation in dem Wohnviertel - ein paar Hundert Meter von Hildes Haus entfernt abgestellt waren. Melissa ließ sich mit Sonja ein Stück hinter Mercy und Lexa zurückfallen, die die Ohrstöpsel ihrer iPods eingesetzt hatten und die Köpfe im Takt zu einem Song bewegten, den sie aus dem Internet heruntergeladen hatten. »Warum hast du das gesagt?«, fragte Melissa ihre Schwester. »Was gesagt?« »Dass Mutti sich ruhig nach einem neuen Mann umsehen soll.« Sonja stöhnte. »Himmel, ich wollte, dass sie aufhört, über Sex zu reden. Ich dachte, das nimmt gar kein Ende mehr.« Sie legte den Kopf in den Nacken. »Ich will von absolut niemandem etwas über dessen Sexleben erfahren, nicht von meinen Kindern, nicht von dir, und erst recht nicht von Mutti.« »Um das Sexleben deiner Kinder solltest du dich aber schon kümmern, sonst bringt deine Mercy irgendwann mal einen Baby-Benz mit nach Hause.« »Ich sage meinen Kindern, was sie nicht tun sollen und dass sie verhüten sollen, aber ich will nicht hören, was sie tun«, machte Sonja ihr klar. »Die werden durch das Internet heute so mit allen möglichen Praktiken konfrontiert, dass ich lieber gar nicht wissen will, auf welche dummen Gedanken sie kommen.« »Lexa hat mich neulich gefragt, wie man ...«, begann Melissa. »Hast du mir eben nicht zugehört? Ich will von niemandem etwas über dieses Thema hören.« Melissa nickte und grinste sie an. »Okay, dann schreib ich dir halt eine sms.« »Untersteh dich«, knurrte Sonja. »Kleiner Scherz. Aber mal ernsthaft: Dann bist du also auch nicht dafür, dass Mutti sich einen Mann sucht?« Sonja hob unschlüssig die Schultern. »Na ja, ein bisschen schon, das gebe ich ja zu«, gestand sie ihrer Schwester. »Ich meine, so lange ohne einen Partner ... ich weiß nicht, ob ich das ertragen könnte.« Sie verzog den Mund, dann fuhr sie fort: »Aber du weißt doch, wie Mutti reagiert, wenn man ihr von etwas abrät und wenn man ihr etwas ausreden will, was sie sich vorgenommen hat.« »Dann zieht sie alle Register, nur um jedem zu beweisen, dass sie das schafft, was sie sich in den Kopf gesetzt hat.« »Richtig. Und je länger und beharrlicher du dagegenredest, umso mehr spornst du sie an, auf jeden Fall einen Mann zu finden.« Melissa verdrehte die Augen. »Oh, daran hatte ich vorhin gar nicht gedacht. Verdammt, da rede ich auf sie ein, damit sie die Finger von einem solchen Experiment lässt, und sie ist jetzt vermutlich erst so richtig entschlossen, uns zu zeigen, dass sie einen Mann finden kann, der zu ihr passt.« Sie schnaubte aufgebracht. »Ich könnte mich ohrfeigen.« »Wenn du willst, übernehme ich das für dich«, meinte Sonja und grinste sie breit an. Die Luft war so kalt, dass jeder Atemhauch sich in weiße Wölkchen verwandelte, die von den Straßenlaternen angestrahlt wurden. »Danke, aber das kann ich selbst viel besser.« »Außerdem ist das gar nicht so schlimm, wenn sie anfängt, nach einem Mann Ausschau zu halten, der sie interessieren könnte«, redete Sonja weiter und veranlasste ihre Schwester zu einer ungläubigen Miene. »Warum ist das nicht schlimm?«, fragte sie.
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»Ich bin was? Zu alt?«, rief Hilde aufgebracht. »Was fällt Ihnen eigentlich ein?« »Aber, aber, Frau Jakobsen, nun regen Sie sich doch nicht so auf«, versuchte ihr Gegenüber, der Chefredakteur Werner Herzmann, sie zu beschwichtigen. »Warum nicht? Weil ich zu alt bin?«, fauchte sie ihn an. »Haben Sie Angst, ich könnte vor Aufregung in Ihrem Büro tot umfallen? Falls ja, hätten Sie sich das besser vorher überlegt, bevor Sie mir so was an den Kopf werfen!« »Frau Jakobsen«, redete er weiter auf Hilde ein. »Ich habe nicht gesagt, dass Sie zu alt sind. Ich habe Ihnen zu verstehen geben wollen, dass eine Frau in Ihrem Alter nicht mehr genug erlebt, um weiterhin diese Kolumne mit interessanten Beiträgen füllen zu können. Das ist doch etwas ganz anderes, das müssen Sie zugeben.« »Erstens kommt das für mich aufs Gleiche raus, Herr Herzmann, und zweitens: Was heißt, eine Frau in meinem Alter erlebt nicht mehr genug? Denken Sie, ich sitze den ganzen Tag im Schlafzimmerschrank und kriege nichts davon mit, was draußen passiert?« »Frau Jakobsen, ich versuche doch nur ...« »Und hören Sie auf mit diesem Tonfall, als würden Sie mit einer senilen alten Frau reden. Ich bin siebenundsechzig, ich habe alle meine Sinne beisammen, ich weiß noch, wie ich heiße. Und ich habe Sie etwas gefragt«, beharrte Hilde und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ähm, Frau Jakobsen, Sie wissen aber noch, dass ich Ihr Vorgesetzter bin, oder?«, raunte er angesichts ihrer energischen Reaktion. »Wenn Sie meinen, Sie müssten mich wie eine alte Oma behandeln, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn ich Sie behandele wie einen ungezogenen Enkel!«, zischte sie wütend. »Und jetzt noch mal: Was soll das heißen, dass eine Frau in meinem Alter nicht mehr genug erlebt?« Herzmann fuhr sich durchs Haar und brachte ungewollt seine Föhnfrisur in Unordnung. »Es soll das heißen, was ich gesagt habe. Sie führen jetzt ein ruhigeres, beschaulicheres Leben als vor dreißig Jahren. Ihre Kolumne beschreibt ein Leben, wie es unsere Leserinnen noch lange nicht führen werden ...« »Ja, klar, weil neunzig Prozent unserer Leserinnen noch nicht mal die Pubertät erreicht haben, wie?«, spottete sie. »Tut mir leid, dass ich vergessen habe, dass ich meine Kolumne für die Bravo schreibe!« »Ziehen Sie doch nicht alles so ins Lächerliche, Frau Jakobsen «, ermahnte der Chefredakteur sie. »Ich habe Sie zu mir gebeten, um Ihnen den Sachverhalt in Ruhe zu erklären, und ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie eine Frau sind, die meine Entscheidung nachvollziehen kann.« »Da sehen Sie mal, wie man sich irren kann«, warf Hilde ein und verschränkte die Arme vor der Brust. »Können Sie mir verraten, wie ich Ihre Entscheidung nachvollziehen soll, meine Kolumne einzustellen? Seit fast dreißig Jahren schreibe ich Woche für Woche diese eine Spalte, und fast dreißig Jahre lang waren all Ihre Vorgänger von meinen Beiträgen begeistert. Und wissen Sie auch wieso? Weil ich kein Blatt vor den Mund nehme und weil ich etwas schreibe, was die Frauen lesen wollen, die Ladylike kaufen.« »Nicht alles, was jahrzehntelang beibehalten wird, ist auch zwangsläufig gut!«, wandte Herzmann ein. »Die ddr ist auch erst nach vielen Jahr...« »Herr Herzmann, Ihre Vergleiche hinken!«, unterbrach sie ihn. »Also lassen Sie die lieber bleiben. Meine Kolumne ...« »... ist neben dem Inhaltsverzeichnis der einzige Bestandteil von Ladylike, der auch nach fast dreißig Jahren immer noch im Heft enthalten ist, Frau Jakobsen«, fiel er wiederum ihr ins Wort. »Ist das ein Argument?« »Für mich schon«, meinte er. »Als Chefredakteur ist es mein gutes Recht, Veränderungen vorzunehmen, die dem Magazin zugutekommen.« »Es kommt dem Magazin aber nicht zugute, wenn Sie meine Kolumne streichen!« »Das ist Ihre Meinung, Frau Jakobsen, ich sehe das anders.« Er nahm die neueste Ausgabe von Ladylike und schlug die vorletzte Seite auf. »Sehen Sie sich das doch nur mal an, und versuchen Sie, so unvoreingenommen zu sein wie jemand, der das hier zum ersten Mal zu Gesicht bekommt. ›Hilde hilft‹. Das klingt wie aus den Fünfzigerjahren, altbacken und ... ich weiß nicht ... hausmütterlich, betulich. Das ist nichts von heute.« »Als ich Anfang der Achtziger mit der Kolumne anfing, waren die Fünfzigerjahre aber auch schon fast dreißig Jahre her. Und da hat es niemanden gestört, da fand niemand, die Kolumne könnte zu altmodisch sein.« »Ja, aber die Achtziger waren auch die Zeit der Schlaghosen und der langen Haare«, wandte er ein. »Das waren die Siebziger!«, fuhr Hilde ihn an. »Sie sehen ja selbst, Sie haben gar keine Ahnung, was Sie da eigentlich reden. Wie wollen Sie dann wissen, was für das Magazin zu alt ist?« »Ich war gerade mit meinen Gedanken woanders«, redete er sich hastig und sichtlich verlegen heraus. »So was kann ja mal passieren.« »Ja, sicher, und vermutlich waren Sie mit Ihren Gedanken auch woanders, als Sie beschlossen haben, meine Kolumne zu streichen.« Herzmann schüttelte den Kopf. »Frau Jakobsen, Ihre Haltung ist nicht gerade förderlich für unsere Beziehung.« »Nicht förderlich? Wieso? Wollten Sie mir etwas anderes anbieten?«, gab sie zurück. »Wenn ich mich nicht irre, haben Sie mir als Erstes gesagt, dass meine Kolumne ersatzlos gestrichen wird. Das heißt, ich bin raus hier. Was für eine Beziehung sollen wir beide denn noch haben, die gefördert werden könnte?« Ein leiser Seufzer kam über Herzmanns Lippen. »Frau Jakobsen, ich möchte nicht, dass wir im Zorn auseinandergehen. « »Dann nehmen Sie mir nicht meine Kolumne weg«, konterte sie grimmig und lehnte sich zurück, während sie den Mann abwartend ansah. Seine bis eben noch ordentlich gescheitelten, rötlich-blonden Haare und sein rundliches Gesicht ließen ihn wie einen Schuljungen aussehen, nicht wie den Chefredakteur einer Illustrierten. Wenn es stimmte, was sie gehört hatte, dann war er nicht mal halb so alt wie sie, was seine Entscheidung gegen ihre weitere freie Mitarbeit erklären mochte. Vielleicht hatte er einfach zu sehr das Gefühl, seine Mutter vor sich zu haben, und weil er möglicherweise irgendwelche Probleme mit seiner Mutter hatte, ließ er den Frust - absichtlich oder unabsichtlich - an ihr aus. »Ich nehme Ihnen nicht Ihre Kolumne weg, ich ändere das Konzept von Ladylike«, stellte er klar, als würde das seine Entscheidung gegen sie irgendwie rechtfertigen. »Wenn Sie sich die Ausgaben der letzten zwanzig Jahre ansehen, werden Sie feststellen, dass immer wieder Rubriken herausgenommen wurden, um Platz für etwas Neues zu schaffen. Sie hätten Ihre Kolumne auch schon vor fünfzehn Jahren verlieren können. Anstatt sich mit mir zu streiten, sollten Sie lieber dankbar sein, dass Sie so lange einen festen Platz in unserem Heft hatten.« Schnaubend schüttelte sie den Kopf und stand auf. »Ich habe mir jetzt genug Blödsinn angehört«, sagte sie und ging zur Tür. »Außerdem ...«, rief er ihr nach. »Außerdem ist das ja nicht mit sofortiger Wirkung gültig, sondern erst in vier Wochen.« »Was für ein Trost«, murmelte sie im Rausgehen. Vier Wochen. Sie hatte Texte für fast zwanzig Ausgaben auf ihrem Computer gespeichert, zeitlose Themen, eine Reserve für die Zeit, wenn sie Urlaub machte oder wenn sich absolut nichts ereignete, was sie in ihrer Kolumne verarbeiten konnte. Sie hatte es immer für einen Glücksfall gehalten, nie auf diesen Vorrat zurückgreifen zu müssen, weil sich jedes Mal doch noch etwas ergeben hatte, worüber sie schreiben konnte. Das Thema ihrer nächsten Kolumne stand nach dieser Unterhaltung mit ihrem Chefredakteur natürlich schon fest - »Alt und abgeschoben« -, aber es war zu befürchten, dass Herzmann den Text als zu beleidigend empfinden und ihn rausschmeißen würde, um ihn durch etwas zu ersetzen, was sie »auf Halde« liegen hatte. So oder so änderte es nichts daran, dass Hilde in vier Wochen zum letzten Mal ihren Leserinnen helfen würde. »Das hat er gesagt? Dass du zu alt bist?«, fragte Sonja ungläubig, während sie die Teller aus dem Schrank holte. »Lieber Himmel, sind denn jetzt alle Leute dem Jugendwahn erlegen? Dabei liest man doch ständig, dass von den Fünfzigjährigen an aufwärts die größte Kaufkraft vorhanden ist.« »Erzähl das mal dem Herzmann«, sagte Hilde zu ihrer Tochter. Sie stand vor dem Backofen gebückt da und begutachtete durch die Glasscheibe, welche Fortschritte der Kartoffelauflauf machte. »Der will das Heft am liebsten an Fünfzehnjährige verkaufen, weil die Werbeheinis das wollen, aber es denkt keiner daran, dass eine Fünfzehnjährige nicht sechsmal im Jahr ein Luxusparfüm kauft, für das sie hundertfünfzig pro Flasche hinlegen muss. Genau das macht aber die erfolgreiche berufstätige Frau um die vierzig oder älter, nur dass die keine Frauenzeitschrift kaufen will, die sich nur an die jüngstmögliche Zielgruppe richtet.« »Herzmann schießt sich doch damit selbst ins Bein«, meinte Sonja. »Natürlich. Ich bin ja auch der Meinung, dass die Zielgruppe, die er für wichtig hält, viel zu jung ist, um ein Magazin zu kaufen, das sich Ladylike nennt. Aber vielleicht hat er ja auch den Auftrag, das Heft gegen die Wand zu fahren, damit es einen legitimen Grund für die Verlagsleitung gibt, es einzustellen.« Sonja stellte sich zu ihr an den Backofen und rührte die Erbsen und Möhren um, die in einem Topf auf dem Herd langsam erwärmt wurden. »Das würde doch keiner machen ...«, wandte sie ein, aber Hilde schüttelte den Kopf. »Doch, doch, das habe ich schon miterlebt. Allerdings geht es weniger darum, einen Titel vom Markt verschwinden zu lassen, sondern vielmehr darum, Leute zu entlassen, ohne sich selbst in ein schlechtes Licht zu rücken«, erzählte Hilde und suchte das Besteck zusammen. »Der Trick ist der, einen leichten Rückgang in den Verkaufszahlen auszunutzen und scheinbar in Panik das Konzept der Zeitschrift umzustellen, jedoch auf eine Weise, die von den Käufern nicht so schnell akzeptiert wird. Dazu schmeißt man bewährte Rubriken raus und füllt den Platz mit nichtssagenden Agenturtexten, die die Leute nicht lesen wollen. Dadurch gehen die Verkaufszahlen weiter in den Keller, man hat ein Argument für weitere Experimente, die alle nur dem Zweck dienen, noch mehr Käufer zu vergraulen, bis dann endlich der Punkt erreicht ist, an dem das Heft finanziell nicht mehr tragbar ist. Es wird eingestellt ...« »... und die Mitarbeiter werden entlassen«, fuhr Sonja fort, »während der Verlag sein Bedauern kundtun kann, man habe alles versucht, um das Heft zu retten, aber letztlich hat es nicht geklappt. Man werde sich bemühen, möglichst viele Mitarbeiter in anderen Redaktionen unterzubringen ...« Hilde nickte bestätigend. »Und in Wahrheit behält man nur eine Handvoll Leute, auf die man nicht verzichten möchte, während der Rest nach Hause gehen darf.« »Sehr geschickt«, murmelte ihre Tochter.
»Was ist sehr geschickt?« Sonja und Hilde drehten sich gleichzeitig um und sahen, dass Melissa die Küche betreten hatte. Sie war Sonjas jüngere Schwester, und obwohl sich Hilde alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, ihre beiden Töchter gleich gut zu erziehen, war ihr das bei Melissa nicht so recht gelungen. Sie war oft schroff und unhöflich, zu ihren eigenen Verwandten ebenso wie zu Fremden, doch Hilde war bis heute nicht dahintergekommen, wieso Melissa sich bloß für etwas Besseres hielt. In groben Zügen berichtete Sonja ihr, was sie von ihrer Mutter erfahren hatte. Melissa schien nur mit halbem Ohr zuzuhören, da sie den Kühlschrank geöffnet hatte und nach irgendetwas Ausschau hielt. »Na ja, in gewisser Weise hat er doch recht«, meinte sie achselzuckend, dann nahm sie eine Wurstpackung heraus und aß eine Scheibe Schinken, während sie mit vollem Mund weiterredete. »So viel erlebst du ja nun wirklich nicht mehr. Und wenn du immer nur von früher schreibst, was es da alles gab oder auch nicht gab, dann ist es ja kein Wunder, wenn Herzmann deine Kolumne für zu altbacken hält.« »Wenn ich immer nur von früher schreibe?«, wiederholte Hilde ungläubig. »Sag mal, liest du eigentlich meine Kolumne?« »Ja, neulich erst. Da hast du von früher geschrieben.« Melissa überlegte kurz. »Ich glaube, du hast dich darüber ausgelassen, dass man sich früher auch verabreden konnte, ohne ein Handy zu besitzen ... irgendwas in der Art.« »Meine liebe, aufmerksame Tochter«, sagte Hilde in gespielt nachsichtigem Ton. »Das war vor über einem Jahr, und das habe ich im Rahmen eines Themenmonats geschrieben, in dem es vier Ausgaben lang darum ging, wie die Menschen zurechtgekommen sind, bevor es Handys, Navis und den ganzen anderen Computerkram gab.« »Ja, genau. Sag ich doch.« Offenbar hatte sie ihrer Mutter die ganze Zeit über nicht zugehört. Hilde verdrehte die Augen und konzentrierte sich wieder darauf, den Schnittlauch zu schneiden. »Du kannst Besteck und Teller mitnehmen«, rief sie Melissa nach, als sie sah, wie die sich schnell wieder verziehen wollte, bevor sie irgendwelchen Küchenarbeiten zugeteilt werden konnte. »Wenn's sein muss«, kam eine wenig begeisterte Antwort, während Melissa kehrtmachte und zum Tresen zurückging. »Na, du weißt doch, diese Dinge haben keine Beine, also muss jemand sie von einem Zimmer ins andere tragen.« Hilde lächelte sie auf eine Weise an, die verriet, dass es eigentlich gar kein Lächeln war, sondern eine wortlose Aufforderung, endlich das zu tun, was sie gesagt hatte. Melissa verzog den Mund, legte die Messer und Gabeln auf den obersten Teller, nahm den Stapel vom Tresen und ging damit ins Esszimmer. »Es gibt Tage, an denen ich richtig dankbar dafür bin, dass ich Melissa habe«, sagte Hilde nach einer Weile. »Ich nehme an, heute ist keiner von diesen Tagen, wie?« Sonja grinste sie mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid an. »Doch, doch, heute ist eben einer von diesen Tagen.« »Ehrlich?« Sonja zog die Stirn in Falten, während sie überlegte, ob ihr irgendetwas entgangen war. »Ja, weil sie mir mal wieder vor Augen geführt hat, was ich an dir habe, Sonja«, gab sie mit einem Augenzwinkern zurück. Im Esszimmer herrschte das gleiche Durcheinander wie immer, wenn die ganze Familie bei ihr zu Besuch war. Hilde liebte dieses Durcheinander, aber nicht etwa, weil es ein Durcheinander war, sondern weil sie dann wusste, dass alle ihre Lieben bei ihr waren. Unwillkürlich verzog sie den Mund, da ihr klar war, wie übertrieben diese Formulierung in Wahrheit war. Zugegeben, sie hätte auf keinen von diesen Menschen verzichten wollen, aber einige waren ihr dennoch lieber als andere. Mit Sonja kam sie gut aus, ebenso mit deren Ehemann Gerhard und vor allem mit ihrer Enkelin Mercedes, die von allen Mercy genannt wurde. Ganz anders sah es mit dem jüngeren Sohn der beiden aus, Alex. Mercys Bruder war ein rüpelhafter, aufsässiger Fünfzehnjähriger, der seine Lieblingssprüche aus irgendwelchen Pseudo-Dokus hatte und sie bei jeder unpassenden Gelegenheit zum Besten gab. Sie konnte einfach nicht verstehen, wie zwei Geschwister so grundverschieden sein konnten, aber das gleiche Unverständnis löste bei ihr auch Melissa aus, die so ganz anders war als Sonja. Sie hatte beide Kinder gleich großgezogen und immer darauf geachtet, dass sich keine von ihnen benachteiligt fühlte. Und trotzdem benahm sich Melissa fast ständig so, als hätte man ihr soeben irgendeinen Vorwurf gemacht, über den sie jetzt noch immer beleidigt war. Melissas Mann Frank dagegen war vom Wesen her Sonja so ähnlich, dass sie beide eigentlich Geschwister hätten sein können. Dummerweise ließ er sich von Melissa in allen Dingen Vorschriften machen und tanzte ständig nach ihrer Pfeife. Wenn er seine Meinung als Erster kundtat, und Melissa dann etwas anderes sagte, konnte man in neun von zehn Fällen davon ausgehen, dass er sich unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand ihrer Ansicht anschloss. Kurioserweise empfand Hilde Mitleid mit dem Mann, wohl, weil sie wusste, wie biestig ihre Tochter werden konnte, wenn etwas nicht nach ihren Vorstellungen verlief. Es war kein Wunder, dass sie Frank geheiratet hatte, wusste sie bei ihm doch, dass er tun würde, was sie wollte. Seine guten Eigenschaften musste er seiner Tochter Alexandra vererbt haben, da sie genauso umgänglich war wie Mercy. Sohn Timo dagegen, der mit seinen zwölf Jahren der Jüngste ihrer Enkel war, kam wohl mehr nach seiner Mutter. Auch wenn er nicht so schroff und kaltherzig war wie Melissa, hatte er zumindest etwas von ihrem Egoismus abbekommen. Das äußerte sich bei ihm vor allem daran, dass er ständig in irgendwelche Computerspiele vertieft war und absolut kein Interesse hatte, sich mit jemandem zu unterhalten. Es gab nur zwei Lebewesen in diesem Raum, die wirklich immer absolut ehrlich zu ihr waren, und wenn sie mal nichts von ihr wissen wollten, dann zogen sie sich auch zurück, anstatt ihr vorzuspielen, sie seien auf ihre Anwesenheit erpicht: die Rexkatze Herr Albers und der Kartäuser-undnoch-irgendwas-Mischlingskater Frau Dietrich, die es bei jedem neuen Besucher in Hildes Haus erforderlich machten, ihm die lange Geschichte zu erzählen, wie es zu der Verwechslung der Namen gekommen war. Wie gleichgültig es - zumindest diesen - Katzen war, wie sie hießen, zeigte sich in diesem Fall besonders deutlich, da der Kater vom ersten Tag an auf »Frau Dietrich« gehört hatte, während seine Gefährtin keine Probleme damit hatte, Herr Albers zu sein. Die Meute einschließlich Katzen war nun im Esszimmer verteilt. Herr Albers und Frau Dietrich hatten sich in das gemütliche Plüschkörbchen nahe der Heizung zurückgezogen und schliefen fest. Gerhard und Frank unterhielten sich entweder über Autos oder über Sport, es waren die einzigen Interessen, die die beiden gemeinsam hatten. Hildes Enkelinnen standen in der Ecke neben dem Aquarium und waren in eine Unterhaltung vertieft. Melissa hatte die Teller auf dem Tisch verteilt und das Besteck dazugelegt, aber sie hatte weder an Servietten noch an Gläser gedacht. Wenn man nicht alles selbst erledigt, dachte Hilde nur, während ihr Blick weiter durch den Raum wanderte. Melissa stand am Fenster und redete auf Alex ein, doch den schien nicht zu interessieren, was seine Tante ihm erzählte. Zwar nickte er in Abständen, seine Augen waren aber auf sein Handy gerichtet, so als warte er auf einen erlösenden Anruf, der jedoch nicht erfolgte. Melissas Sohn Timo hatte sich in eine andere Ecke verkrümelt und hantierte wie wild mit seinem Handy. Vermutlich hatte er sich irgendein Spiel runtergeladen, das für ihn auf jeden Fall wichtiger war als das Zusammensein mit der Familie. Hilde stand eine Weile da und wunderte sich nicht darüber, dass niemand von ihr Notiz nahm. Bei ihr fühlten sich alle wie zu Hause, und wenn man zu Hause war, hielt man nicht ständig Ausschau nach dem Gastgeber. Sie räusperte sich, aber nur ihre Schwiegersöhne zeigten eine Reaktion, da sie in ihre Richtung schauten und sie anlächelten, ehe sie ihre Unterhaltung fortsetzten. Einen Moment später folgte Melissa, die aus langjähriger Erfahrung wusste, was gleich kommen würde, und die deshalb schnell zum Tisch zurückkehrte, um sich hinzusetzen. »Wer als Letzter auf seinem Platz ist, muss uns für den Rest des Abends helfen, das Essen zu servieren!«, rief Hilde in den Raum und sorgte dafür, dass Bewegung ins Geschehen kam. Alle anderen saßen bereits, da sah Alex plötzlich von seinem Handy auf. »Gibt's schon Essen?«, fragte er ein wenig ungeduldig, ohne zu ahnen, welche Aufgabe ihn erwartete. Das Abendessen verlief an diesem Tag genauso wie an jedem anderen Abend, an dem Hilde ihre Familie zu sich einlud, nämlich unspektakulär. Man unterhielt sich mit seinem Platznachbarn, man reichte den Teller weiter, wenn jemand Nachschlag wollte, und auch Pfeffer und Salz wanderten im Verlauf des Essens mindestens zweimal über den ganzen Tisch. Hilde sah sich im Kreis ihrer Familie um und war froh, dass sie diese gelegentlichen Abendessen arrangieren konnte. Von ihren Freundinnen wusste sie, dass deren Verwandtschaft über ganz Deutschland verteilt und manchmal sogar in alle Himmelsrichtungen verstreut war. Da war es im besten Fall an Geburtstagen oder an Weihnachten möglich, die ganze Familie zusammenzubekommen, und selbst dann musste man Kompromisse in Kauf nehmen, weil immer irgendwer doch nicht kommen konnte. Als alle aufgegessen hatten und ein missmutig dreinblickender Alex mit einem Tablett mit Dessertschälchen ins Esszimmer zurückgekehrt war, fragte Mercy auf einmal: »Mama hat eben was davon erzählt, dass deine Rubrik in Ladylike eingestellt wird, Oma. Stimmt das?« Hilde nickte ein wenig betrübt. »Ja, leider.« »Aber du schreibst doch schon für dieses Magazin, seit ich denken kann«, meldete sich Alexandra zu Wort, die ihren Namen offiziell auf Lexa verkürzt hatte, weil sie nicht Alex genannt werden wollte - schließlich hieß ihr dusseliger Cousin schon so. »Seit du denken kannst? Mann, das müssen ja mindestens drei Wochen sein«, lästerte Alex und bekam von seiner Schwester prompt einen Klaps an den Hinterkopf. »Ach, halt die Klappe«, zischte Lexa ihm zu und drehte sich so wie Mercy zu ihrer Großmutter um. »Wie kommt denn das?« In groben Zügen schilderte Hilde, was vorgefallen war - oder besser gesagt: Sie wollte es in groben Zügen schildern. Aber als sie anfing zu erzählen, da kam die ganze Wut auf Herzmann wieder hoch, und so verlor sie sich beinahe in den Details. Als sie geendet hatte, ging ein empörtes Raunen durch den Raum. Fast alle zeigten sich enttäuscht über diese Entwicklung, lediglich Melissa nicht, die ihre Meinung dazu schon in der Küche verkündet hatte. Aber Melissa war nicht die Einzige, denn anscheinend hatte sie ihren Mann während des Essens instruiert, welche Meinung er in der Sache zu vertreten habe. Dementsprechend räusperte Frank sich nun und erklärte ein wenig holprig: »Aber es ist doch nicht so, dass du ... na ja, dass du um deinen Lebensunterhalt gebracht wirst, wenn die Kolumne wegfällt. Die hast du doch eigentlich immer nur geschrieben, weil dir diese Betätigung Spaß gemacht hat.« »Genau«, pflichtete Melissa ihm wie einstudiert bei. »Vatis Witwenrente ist doch ganz stattlich. Außerdem hat dir die alte Frau Schneider ihr ganzes Erbe vermacht, weil du dich so viele Jahre um sie gekümmert hast. Da kommt es doch auf die paar Euro nicht an, die der Verlag dir zahlt.« »Es geht mir nicht um das Geld, sondern ums Prinzip«, betonte Hilde. »Meine Kolumne hat noch immer die meisten Reaktionen bei unseren Leserinnen. Ich denke, das heißt schon was.« »Recht hast du, Oma«, stimmte ihr Mercy zu, und Lexa nickte bekräftigend. Timo hatte sein Eis in Windeseile verputzt und war nun wieder mit seinem Handyspiel beschäftigt, aber von ihm hatte Hilde auch keinen nutzbringenden Beitrag erwartet. Alex löffelte sein Eis sichtlich lustlos. »Ich finde, so was ist pure Diskriminierung«, meinte Gerhard sichtlich verärgert. »Du solltest dich dagegen zur Wehr setzen.« »Tja, ich bin nur eine freie Mitarbeiterin, ich habe keinen Anspruch auf irgendwelche Bestandsrechte, oder wie man das nennen will, und du darfst nicht vergessen, dass er das Gespräch mit mir unter vier Augen geführt hat. Er kann alles leugnen, ich kann nichts davon beweisen.« »Ja, aber wenn doch die meisten Leserbriefe deine Kolumne betreffen«, wandte Mercy ein, »dann ist das schließlich ein Beweis dafür, dass die Leute sie lesen und dass sie was dazu sagen wollen.« »Sind das alles lobende Briefe?«, wollte Melissa wissen. Hilde nahm einen Löffel Eis in den Mund und schüttelte den Kopf. »Wie du ja bestimmt weißt ... oder auch nicht weißt«, erwiderte sie und konnte sich diese kleine Stichelei nicht verkneifen, »beziehe ich in meiner Kolumne zum jeweiligen Thema Stellung, indem ich mich für oder gegen etwas ausspreche. Und dann folgt die Frage: ›Finden Sie nicht auch?‹ Das ist das Stichwort für unsere Leserinnen, sich zum Thema zu äußern, und das tun sie dann auch zahlreich.« »Aha, dann schreiben die Leserinnen also nur, weil du sie dazu aufforderst«, gab Melissa zurück, die ihren Beruf als Anwältin nicht verleugnen konnte. Wenn es galt, ein Wortgefecht für sich zu gewinnen, kannte sie keinen Unterschied zwischen dem Privatleben und ihrem Auftritt vor Gericht. In diesem Moment versuchte sie, ihrer eigenen Mutter die Grundlage für ihre Argumente zugunsten ihrer Kolumne zu entziehen. »Ich fordere sie nicht dazu auf«, entgegnete Hilde, die ihrer Tochter nicht mal einen Vorwurf machen wollte, nur weil sie sie behandelte wie eine Angeklagte, die sie in Widersprüche verwickeln wollte. Es zeigte nur, mit welcher Hingabe sie ihren Beruf ausübte ... Ach, hör schon auf, es dir schönzureden, wurde sie von einer Stimme irgendwo in ihrem Kopf unterbrochen, die sich nur selten zu Wort meldete, und wenn, dann war es auch dringend nötig - so wie in diesem Moment, wo sie tatsächlich im Begriff gewesen war, Melissa durchgehen zu lassen, dass sie sich aufführte wie bei einer Gerichtsverhandlung. »Wenn du meine Rubrik gelesen oder mir gerade eben genau zugehört hättest, dann wäre dir aufgefallen, dass ich eine rhetorische Frage stelle. Und unter meiner Kolumne steht auch nie ›Schreiben Sie uns Ihre Meinung‹ oder etwas Ähnliches.« »Aber indirekt ...« »Melissa, jetzt fang nicht an, unsere Mutter zu verhören!«, ging Sonja dazwischen. »Wir spielen hier nicht L.A. Law oder so was!« »Ich werde ja noch mal ...« »Nein, wirst du nicht«, fiel ihre Schwester ihr erneut ins Wort. »Du kommst immer mit deinen Spitzfindigkeiten an, mit denen du so lange auf einen einredest, dass man am Ende das Gefühl hat, man hat etwas verbrochen, obwohl man eigentlich das Opfer ist.« »Mutter ist kein Opfer ...«, wandte Melissa ein, kam aber auch diesmal nicht weiter. »Mutter ist sehr wohl das Opfer«, beharrte Sonja und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht ihrer Schwester hin und her. »Sie ist das Opfer eines Chefredakteurs, der ihre Kolumne für altmodisch hält und sie deswegen aus dem Heft schmeißt. Du versuchst dagegen, dich an dem Punkt festzuklammern, dass ihre Kolumne nur deshalb so viele Zuschriften erhält, weil sie die Leserinnen angeblich dazu auffordert. Du willst darauf hinaus, dass ohne diese angebliche Aufforderung gar nicht so viele Leute schreiben würden, was wiederum heißt, dass ihre Kolumne doch nicht so wichtig ist, womit du dann ruhigen Gewissens sagen kannst, dass es sich nicht um Diskriminierung handelt und sie sich nicht so aufregen soll.« Melissa sah sie an und blieb stumm. Sonja nickte zufrieden. »Dachte ich's mir doch.« Dann drehte sie sich zu Hilde um. »Und was hast du jetzt vor?« »Ich habe keine Ahnung«, musste sie zugeben. Seit dem Gespräch mit Herzmann war sie so wütend gewesen, dass sie sich einfach keine Gedanken hatte machen können, weshalb sie nun immer noch ohne Schlachtplan dasaß. »Ich will ihm auf jeden Fall beweisen, dass er einen Fehler begeht, wenn er meine Kolumne rauswirft.« »Du kannst ihm ja eine anonyme Bombendrohung schicken «, schlug Alex plötzlich vor, der das Hin und Her zwischen seiner Mutter und seiner Tante ungewohnt interessiert verfolgt hatte. »Geh auf eure Facebook-Seite und poste ihm, dass der Laden in die Luft fliegt, wenn er nicht alles so lässt, wie es ist.« »Und wann soll Großmutter das machen? Und wie?« »Wie? Ist doch ganz einfach, Schwesterchen. Oma legt einen gefakten Account an, und dann postet sie die Drohung auf der Seite. Am besten gleich.« Er drehte sich zu ihr um. »Wenn du willst, helfe ich dir dabei.« »Sag mal, spinnst du völlig?«, fuhr Mercy ihn an. »Außer uns weiß das doch noch gar keiner! Was glaubst du, wie lange der Mann braucht, bis er weiß, von wem die Drohung kommt?« »Ähm ...« Alex kratzte sich am Kopf. »Stimmt ... das ist nicht so gut.« Er zuckte mit den Schultern. »Dann ruf ihn doch an und sprich mit verstellter Stimme.« Hilde lächelte ihn an. »Ich glaube, ich werde ihm weder auf diese noch auf eine andere Weise mit einer Bombe drohen. Ich habe nämlich keine Lust, auch noch ins Gefängnis zu wandern.« »Aber du willst doch was unternehmen, oder?«, fragte Lexa und klang besorgt, so als fürchte sie, ihre Großmutter könnte sich kampflos geschlagen geben. »Auf jeden Fall«, bekräftigte sie. »Nur habe ich im Moment noch keine Ideen, wie ich am besten den Kampf gegen Herzmann aufnehmen soll.« »Wir können ja einen Hirnsturm machen«, warf Timo ein, woraufhin sich alle zu ihm umdrehten. »Einen was?«, fragte sein Vater. »Einen Hirnsturm«, wiederholte der Junge, dann schüttelte er den Kopf. »Mann, ihr labert mich dauernd voll, dass ich nicht so viele englische Wörter benutzen soll, wenn ich was erzähle, und jetzt mach ich das, und keiner weiß, was ich will. Echt krass, so was.« Nach einer langen, langen Kunstpause fragte er schließlich: »Noch nie was von Brainstorming gehört?« Lexa seufzte. »Mercy, können wir nicht unsere Brüder tauschen? Ich halte das mit ihm nicht aus.« »Von mir aus«, meinte Mercedes. »Aber ich gebe dir keine zwei Stunden, dann wirst du ankommen und betteln, dass wir den Tausch rückgängig machen.« »Na ja, wenn ich wüsste, dass du den Tausch auch tatsächlich rückgängig machen wirst, dann würde ich's ja auf einen Versuch ankommen lassen.« Hilde verfolgte den Wortwechsel und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Auch wenn manchmal die Fetzen flogen, so wie es vorhin beinahe zwischen Sonja und Melissa geschehen wäre, verliefen Essen mit ihrer Familie im Großen und Ganzen harmonisch, und das konnte nun wirklich nicht jede Familie von sich behaupten. Ihr Gefühl sagte ihr allerdings, dass diese Harmonie einen empfindlichen Dämpfer bekommen dürfte, sollte sie die eine Sache ansprechen, die ihr seit ihrer Unterhaltung mit Herzmann nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Denn in einem Punkt hatte der Mann zumindest teilweise recht gehabt, auch wenn sie das in seiner Gegenwart niemals zugeben würde. Sie überlegte, ob sie etwas sagen sollte oder nicht. Sie wusste, dieses Thema war äußerst heikel, und aus diesem Grund hatte sie es auch immer wieder vor sich hergeschoben und auf eine passende Gelegenheit gewartet, um darauf zu sprechen zu bekommen. Diese Gelegenheit war jetzt da, doch es wäre ihr lieber gewesen, wenn sie dabei mit ihren Töchtern allein gewesen wäre. »Ich bin fertig«, rief plötzlich Timo in die Runde, sprang von seinem Stuhl auf und verzog sich mit seinem Smartphone spielbereit nach nebenan ins Wohnzimmer. Hilde wusste nicht so recht, ob sie dem Jungen dankbar sein oder sich über ihn ärgern sollte, hatte er ihr doch die Entscheidung abgenommen. Sein Ausruf war wie ein Signal für die anderen, da sie begannen, die Teller zu stapeln und die Bestecke auf einem Teller zu sammeln. Seufzend erhob sie sich von ihrem Platz und griff nach den Gläsern, die in ihrer Nähe standen, um sie in die Küche zu bringen. »Dann eben ein ander Mal«, murmelte sie. Ihre Katzen öffneten gleichzeitig die Augen zu einem schmalen Schlitz und sahen ihr nach. Sie wussten, dass der Weg ihrer Dosenöffnerin in die Küche führte, und wer in die Küche ging, der befand sich in der - jedenfalls aus Sicht der Katzen - erfreulichen Position, ihren Fressnapf auffüllen zu können. Als hätte Hilde sie gerufen, streckten und dehnten sie sich, dann folgten sie ihr nach nebenan.
2
Wisst ihr«, sagte Hilde, als sie eine Viertelstunde später mit ihren Töchtern allein in der Küche war, »so falsch hat Herzmann mit seinen Worten gar nicht gelegen.« Herr Albers und Frau Dietrich hatten etwas zu fressen bekommen und es sofort runtergeschlungen, dann waren sie schnell zu ihrem Schlafplatz an der Heizung zurückgekehrt. Melissa zog flüchtig eine Augenbraue nach oben und machte einen erleichterten Eindruck. Anscheinend war sie der Meinung, dass ihre Mutter die Sache mit der Kolumne nun doch auf sich beruhen lassen würde, anstatt einen aus ihrer Sicht sinnlosen Kampf gegen den Chefredakteur zu beginnen. Sonja dagegen wirkte überrascht und ein wenig enttäuscht, da sie wusste, wie viel ihrer Mutter diese Kolumne bedeutete. Außerdem las sie sie regelmäßig - ganz im Gegensatz zu Melissa -, und sie ließ Hilde auch ihre Meinung zum jeweiligen Thema wissen. »Blödsinn, du bist nicht zu alt, und deine Kolumne ist auch nicht altmodisch!«, protestierte sie sofort. »Ach, das«, entgegnete Hilde. »Nein, nein, davon rede ich nicht. Die Sache ist noch nicht vorüber, da werde ich mir schon irgendwas einfallen lassen. Nein, ich meine, was er dazu gesagt hat, dass sich in meinem Leben nicht mehr genug tut, über das ich schreiben könnte.« »Aber du erlebst doch viel«, hielt Sonja dagegen. »Du reist, du gehst ins Theater und in die Oper, du hast deine Freundinnen, mit denen du Ausflüge machst und Museen besuchst ...« »Und uns hast du ja auch noch«, ergänzte Melissa. »Du verarbeitest in deiner Kolumne doch sicher auch Dinge, die du von uns hörst, oder?« Hilde sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen an. »Wenn du meine Kolumne lesen würdest ...«, sagte sie, den Rest ließ sie unausgesprochen, dann wandte sie sich wieder Sonja zu. »Ja, ich komme viel raus und erlebe viel, aber eigentlich fehlt schon etwas Neues, etwas ... etwas anderes. Ich meine, wie oft kann ich schon einen Museumsbesuch zum Thema machen? Ich bin schließlich keine Kunstkritikerin. Ich ... ich denke da an ein anderes Thema.« Beide Töchter sahen sie abwartend an. »Und an welches?«, fragte Melissa schließlich als Erste. »Na ja, euer Vater ist jetzt seit fünfundzwanzig Jahren tot«, begann sie. »Als ich vor fast dreißig Jahren mit dieser Kolumne anfing, da habe ich das mehr zum Spaß gemacht. Dann starb Stephan, und auf einmal wurde meine Kolumne zu einem ... zu einer Art Ventil, wenn man das so sagen kann. Ich schrieb über persönlichere Dinge als zuvor, und das gab meinen Texten das besondere Etwas. Die Leserinnen hatten das Gefühl, über ihr eigenes Leben zu lesen, und deshalb waren sie auch so begeistert davon.« »Aber das hast du doch seitdem beibehalten, Mutti«, wandte Sonja ein. »Es ist doch immer persönlich geblieben.« Sie warf einen Seitenblick zu ihrer Schwester, die sich bemühte, einen unbeteiligten Eindruck zu machen, um nicht wieder darauf angesprochen zu werden, dass sie in Wahrheit keine Ahnung hatte, ob es stimmte, was Sonja redete. »Ja, aber wenn euer Vater noch leben würde, dann könnte ich auch über die Dinge schreiben, die den Mann in meinem Leben betreffen. So, wie es jetzt ist, spreche ich seit einem Vierteljahrhundert vor allem die alleinstehenden Leserinnen an, aber mir fehlt der Draht zu den Frauen, die nicht verwitwet oder Single sind.« »Und was willst du machen?«, fragte Melissa ratlos. »Mal eben den nächstbesten Mann heiraten, damit du darüber schreiben kannst?« »Ich will natürlich nicht den nächstbesten Mann heiraten«, antwortete sie, »aber ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich jetzt lange genug allein gewesen bin und wieder einen Mann in meinem Leben haben möchte.« »Du bist doch nicht allein«, widersprach ihr Sonja. »Du hast doch uns!« »Ja, genau«, stimmte ihre Schwester ihr hastig zu. »Du hast uns.« »Ich weiß, dass ich euch habe, und dafür bin ich euch auch dankbar«, erwiderte Hilde leise. »Trotzdem ist es etwas anderes, wenn man einen Mann an seiner Seite hat. Das müsstet ihr beide eigentlich wissen.« »Aber du hast Vati doch so sehr geliebt.« Sonja sah sie fragend an, als fürchte sie, ihr ganzes Weltbild könnte in sich zusammenstürzen. »Das hast du immer gesagt.« Hilde ließ sich seufzend gegen den Tresen sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. Das hier war genau die Diskussion, von der sie gewusst hatte, sie würde in dem Moment einsetzen, in dem sie das Thema Mann ansprach. Ihr war klar gewesen, dass sie von ihnen nicht die bedingungslose Unterstützung bekommen würde, die sie sich wünschte. Anstatt zu sagen: »Toll, dass du das machst«, musste sie sich nun vor ihren Töchtern rechtfertigen und sich Löcher in den Bauch fragen lassen. Und selbst wenn sie das hier hinter sich hatte, konnte sie nicht einfach davon ausgehen, dass sie dann ihre Ruhe hatte. Vielmehr würden den beiden jeden Tag noch weitere Fragen einfallen, oder ihre Männern würden sie mit ihren Kommentaren auf neue Ideen bringen, und sie würde weiter Rede und Antwort stehen müssen. Nicht auszudenken, was das gegeben hätte, wäre sie vor einer Viertelstunde im Esszimmer vor der gesamten Familie darauf zu sprechen gekommen. Das hier war schon mehr als genug, und es war noch nicht vorüber. »Das bedeutet nicht, dass ich euren Vater nicht mehr liebe. Ich werde ihn immer lieben, aber ich muss und will nicht für den Rest meines Lebens auf einen Mann verzichten. Und ich glaube, euer Vater wäre damit einverstanden, wenn ich ihn fragen könnte.« Sie zog die Schultern hoch. »Wären die Rollen vertauscht, hätte ich auch nichts dagegen.« »Wären die Rollen vertauscht, könntest du gar nichts dagegen haben, weil du dann seit fünfundzwanzig Jahren tot wärst«, konterte Melissa. »Ich finde, das ist immer ein vorgeschobenes Argument, wenn einer sagt, dass jemand, der tot ist, irgendetwas so gewollt hätte. Wenn derjenige das nicht noch zu Lebzeiten gesagt oder sogar aufgeschrieben hat, kann man ihm anschließend alles Mögliche in den Mund legen, um sein eigenes Handeln zu rechtfertigen.« »Entschuldige bitte, Melissa, dass dein Vater und ich nicht gleich nach unserer Hochzeit schriftlich festgehalten haben, was der jeweils Überlebende tun darf und was nicht, wenn einer von uns stirbt«, raunzte Hilde ihre Tochter an. »So war das nicht gemeint, Mutti«, sagte sie und setzte eine zerknirschte Miene auf. »Ich find's nur manchmal nervig, wenn Leute sagen, der Verstorbene hätte es bestimmt so gewollt. Manchmal mag das ja stimmen, trotzdem ist das immer nur eine Vermutung, weil keiner wissen kann, was Vati gewollt hätte.« »Jetzt hör schon auf, Mutti ein schlechtes Gewissen einzureden! «, ermahnte Sonja sie. »Du hast so was selbst schon gesagt, also tu nicht so scheinheilig!« »Wann habe ich das selbst schon gesagt?« »Als Tante Magda gestorben ist, hast du dir ihre Puppensammlung unter den Nagel gerissen und behauptet, sie hätte das so gewollt, weil du mit ihren Puppen immer so begeistert gespielt hast, als du klein warst.« »Das hat sie auch gewollt!«, beharrte Melissa. »Nur seltsam, dass das außer dir nie jemand mitbekommen hat!« »Ich glaube«, ging Hilde seufzend dazwischen, »es ist egal, über was ich heute rede, ihr beide müsst euch dauernd streiten.« »Melissa hat damit angefangen!« »Blödsinn, du hast angefangen, weil dir was nicht gefallen hat, was ich gesagt habe.« »Wenn ihr jetzt nicht endlich aufhört, geht ihr sofort ins Bett und dürft nicht fernsehen«, sagte Hilde laut genug, um die beiden zu übertönen. Beide verstummten sie und sahen ihre Mutter an, als hätte die den Verstand verloren. »Nein, ich habe nicht vergessen, dass ihr keine kleinen Mädchen mehr seid«, erklärte sie geduldig. »Trotzdem habe ich erreicht, dass ihr endlich ruhig seid.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür. »Ihr könnt jetzt gehen. Das Thema ist für den Moment beendet.« »Für den Moment?«, griff Melissa sofort ihre Bemerkung auf. »Dann ist das also dein Ernst? Du willst dir einen Mann suchen?« »Nein, mein Schatz«, gab Hilde bissig zurück. »Ich will gar keinen Mann für mich, sondern einen Stiefvater für euch, damit ihr euch nicht länger wie Halbwaisen fühlen müsst.« Als sie sah, dass ihre jüngere Tochter einen Moment lang nicht wusste, was sie von dieser Äußerung halten sollte, redete Hilde weiter: »Natürlich will ich einen Mann für mich. Es ist ja schließlich nicht so, als hätte ich keine Bedürfnisse mehr, nur weil mein Ehemann gestorben ist.« »O Gott, nicht das Thema«, murmelte Sonja und wurde bleich. »Deshalb willst du in deinem Alter noch eine Beziehung anfangen?«, fragte Melissa ungläubig. »Wegen Sex?« »Melissa, bitte«, flehte ihre Schwester, die einfach nicht über ihre Mutter beim Sex nachdenken wollte. Je heftiger sie sich dagegen zur Wehr zu setzen versuchte, umso mehr Bilder stürmten auf sie ein, die ihre Mutter auf eine Weise zeigten, die sie sich eigentlich gar nicht vorstellen wollte. »Hör schon auf!« »Sex im hohen Alter ist ein Mythos, weiter nichts«, stellte Melissa klar. »Sprichst du aus eigener Erfahrung?«, konterte Hilde, auch wenn sie lieber nicht so boshaft gewesen wäre. Aber manchmal war ihre jüngere Tochter so unausstehlich, dass sie einfach nicht anders konnte. »Sehr witzig.« »Und was heißt hier ›hohes Alter‹?«, redete sie weiter. »Ich bin noch keine fünfundachtzig.« »Natürlich nicht, aber es wird doch nicht dein Ernst sein, dass dir Sex so viel bedeutet, dass du dir einen Mann ins Haus holen willst. Du weißt ja nicht mal, ob einer im passenden Alter für dich überhaupt noch was zustande bringt!« »Das werde ich natürlich erst mal ausprobieren!«, hielt Hilde dagegen. »Ich kaufe ja nicht die Katze im Sack.« »Die Katze kaufst du zwar nicht, dafür kriegst du aber den ...« »Redet ihr etwa über poppende alte Leute? Bah, igitt!«, meldete sich eine jüngere Stimme zu Wort. Die drei drehten sich um und sahen Alex in der Tür stehen, der von ihnen unbemerkt die Küche betreten und es bis zum Kühlschrank geschafft hatte. Keine von ihnen wusste, was sie darauf erwidern sollte, doch dieses Problem erübrigte sich im nächsten Moment, da Alex kehrt machte und einem entsetzten »Ist ja voll widerlich« die Küche verließ. »Wie ging dieser alte Spruch?«, fragte Melissa in die Runde. »Kindermund tut Wahrheit kund? War doch richtig so, oder?« Hilde schnaubte mürrisch. »Glaub ja nicht, dass du darauf von mir eine Antwort bekommst.« »Ach, weißt du«, meldete sich Sonja wieder zu Wort. »Eigentlich ist das gar keine so schlechte Idee. Du kannst dich doch ruhig mal umsehen, ob du nicht irgendwo einen netten Herrn findest, der deinen Vorstellungen entspricht.« Ein wenig argwöhnisch sah Hilde ihre ältere Tochter an. »Ist das dein Ernst?« »Na, klar. Guck mal, du hast uns allein großgezogen, du hast so viele Jahre lang auf so viel verzichten müssen, da ist es doch nur gerecht, wenn du jetzt mal an dich denkst. Das hättest du eigentlich schon viel früher tun sollen.« Kopfschüttelnd ging Melissa an den beiden vorbei nach draußen. »Danke, Sonja«, sagte Hilde. »Wenigstens eine von meinen Töchtern hält mich nicht für scheintot.« »Melissa meint es eigentlich nicht so«, versuchte sie ihre Schwester zu verteidigen. »Du weißt, wie sie manchmal sein kann.« Hilde nickte nachdenklich. »Ja, ich weiß«, murmelte sie und dachte betrübt darüber nach, dass Melissa nicht nur manchmal, sondern meistens so war. An der Erziehung konnte es nicht liegen, weil sie darauf geachtet hatte, keiner ihrer Töchter den Eindruck zu vermitteln, eine von ihnen werde bevorzugt. Vermutlich lag es einfach in Melissas Wesen, dass sie immer zuerst an sich und an ihren eigenen Vorteil dachte. Und möglicherweise war das durch ihre Arbeit als Anwältin noch verstärkt worden, schließlich musste sie in diesem Beruf stets an ihren Mandanten und an dessen Vorteil denken. »Können wir nach Hause fahren?«, rief auf einmal Timo aus dem Esszimmer nebenan. Hilde sah auf die Uhr. Kurz vor halb zehn. »Willst du etwa schon ins Bett?«, erwiderte Melissa, die sich etwas weiter entfernt aufhielt. »Nein, aber Micky und die anderen fangen um zehn online eine Runde World of Warcraft an, und wenn wir früh genug zurück sind, kann ich noch mitmachen.« Grinsend schüttelte Hilde den Kopf und wandte sich zu Sonja um. »Es ist immer wieder dasselbe, nur ist das Thema bei jeder Generation ein anderes.« »Ja, als ich in Timos Alter war, wollte ich um zehn mit meinen Freundinnen ins Kino gehen, heute bleibt man zu Hause, um was zu erleben.« »Und als ich in Timos Alter war«, ergänzte Hilde, »da musste ich um acht zu Hause sein und um neun im Bett liegen. Und trotzdem habe ich diese Zeit überlebt.« Sonja legte ihr eine Hand auf die Schulter, lächelte sie an und verließ dann ebenfalls die Küche. Eine halbe Stunde später kehrte Hilde ins Haus zurück und schloss die Tür hinter sich, um die kalte Januarluft nicht nach drinnen zu lassen. Sonja und Melissa winkten ihrer Mutter zu, während sie sich mit ihren Familien auf den Weg zu den Autos machten, die - bedingt durch die schwierige Parkplatzsituation in dem Wohnviertel - ein paar Hundert Meter von Hildes Haus entfernt abgestellt waren. Melissa ließ sich mit Sonja ein Stück hinter Mercy und Lexa zurückfallen, die die Ohrstöpsel ihrer iPods eingesetzt hatten und die Köpfe im Takt zu einem Song bewegten, den sie aus dem Internet heruntergeladen hatten. »Warum hast du das gesagt?«, fragte Melissa ihre Schwester. »Was gesagt?« »Dass Mutti sich ruhig nach einem neuen Mann umsehen soll.« Sonja stöhnte. »Himmel, ich wollte, dass sie aufhört, über Sex zu reden. Ich dachte, das nimmt gar kein Ende mehr.« Sie legte den Kopf in den Nacken. »Ich will von absolut niemandem etwas über dessen Sexleben erfahren, nicht von meinen Kindern, nicht von dir, und erst recht nicht von Mutti.« »Um das Sexleben deiner Kinder solltest du dich aber schon kümmern, sonst bringt deine Mercy irgendwann mal einen Baby-Benz mit nach Hause.« »Ich sage meinen Kindern, was sie nicht tun sollen und dass sie verhüten sollen, aber ich will nicht hören, was sie tun«, machte Sonja ihr klar. »Die werden durch das Internet heute so mit allen möglichen Praktiken konfrontiert, dass ich lieber gar nicht wissen will, auf welche dummen Gedanken sie kommen.« »Lexa hat mich neulich gefragt, wie man ...«, begann Melissa. »Hast du mir eben nicht zugehört? Ich will von niemandem etwas über dieses Thema hören.« Melissa nickte und grinste sie an. »Okay, dann schreib ich dir halt eine sms.« »Untersteh dich«, knurrte Sonja. »Kleiner Scherz. Aber mal ernsthaft: Dann bist du also auch nicht dafür, dass Mutti sich einen Mann sucht?« Sonja hob unschlüssig die Schultern. »Na ja, ein bisschen schon, das gebe ich ja zu«, gestand sie ihrer Schwester. »Ich meine, so lange ohne einen Partner ... ich weiß nicht, ob ich das ertragen könnte.« Sie verzog den Mund, dann fuhr sie fort: »Aber du weißt doch, wie Mutti reagiert, wenn man ihr von etwas abrät und wenn man ihr etwas ausreden will, was sie sich vorgenommen hat.« »Dann zieht sie alle Register, nur um jedem zu beweisen, dass sie das schafft, was sie sich in den Kopf gesetzt hat.« »Richtig. Und je länger und beharrlicher du dagegenredest, umso mehr spornst du sie an, auf jeden Fall einen Mann zu finden.« Melissa verdrehte die Augen. »Oh, daran hatte ich vorhin gar nicht gedacht. Verdammt, da rede ich auf sie ein, damit sie die Finger von einem solchen Experiment lässt, und sie ist jetzt vermutlich erst so richtig entschlossen, uns zu zeigen, dass sie einen Mann finden kann, der zu ihr passt.« Sie schnaubte aufgebracht. »Ich könnte mich ohrfeigen.« »Wenn du willst, übernehme ich das für dich«, meinte Sonja und grinste sie breit an. Die Luft war so kalt, dass jeder Atemhauch sich in weiße Wölkchen verwandelte, die von den Straßenlaternen angestrahlt wurden. »Danke, aber das kann ich selbst viel besser.« »Außerdem ist das gar nicht so schlimm, wenn sie anfängt, nach einem Mann Ausschau zu halten, der sie interessieren könnte«, redete Sonja weiter und veranlasste ihre Schwester zu einer ungläubigen Miene. »Warum ist das nicht schlimm?«, fragte sie.
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Autoren-Porträt von Julia Sander
Julia Sander lebt mit Mann und Kind in der Nähe von Neuss und liest leidenschaftlich gern Liebesromane. Als sie sich vor einiger Zeit gefragt hat: „Warum schreibe ich nicht mal selbst einen Liebesroman?", war das der Beginn ihrer Schriftsteller-Karriere. Mit Schmusekatze, ledig, jung, sucht legte sie ihren erster Roman vor. Mit (K)ein Mann für Mutti wendet sie sich nun dem heiteren Fach zu.
Bibliographische Angaben
- Autor: Julia Sander
- 2013, 284 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863657691
- ISBN-13: 9783863657697
- Erscheinungsdatum: 13.03.2013
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