Moin / Fastostsee-Küstenkrimi Bd.1 (ePub)
Ein Fastostsee-Küstenroman
Provinz-Polizist Boris Kröger hat es nicht leicht. Kaum geschieht im beschaulichen Altwarp am Oderhaff mal ein Mord, schon steht das Dorf Kopf! Von wegen Sonne, Strand und glasklare Beweisketten: In Altwarp herrscht Anarchie! Oma Machentut terrorisiert mit...
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Produktinformationen zu „Moin / Fastostsee-Küstenkrimi Bd.1 (ePub)“
Provinz-Polizist Boris Kröger hat es nicht leicht. Kaum geschieht im beschaulichen Altwarp am Oderhaff mal ein Mord, schon steht das Dorf Kopf! Von wegen Sonne, Strand und glasklare Beweisketten: In Altwarp herrscht Anarchie! Oma Machentut terrorisiert mit ihrem Rollator die Straßen, der einzige Fischer im Dorf stammt aus den Bergen Anatoliens, eine Krimi-Autorin sucht Inspiration und stachelt die Dorfbewohner auf. Dabei hat Boris mit dem Mord an seinem ehemaligen Schulkameraden genug zu tun. Hier an der Fast-Ostseeküste ist die Welt wirklich nicht mehr in Ordnung. Aber die stolzen »Hinterküstler« haben noch immer jedem Wetter getrotzt!
Lese-Probe zu „Moin / Fastostsee-Küstenkrimi Bd.1 (ePub)“
Moin von Richard FastenDonnerstag
Eigentlich ist der Tarek ein netter Kerl. Also, nett im Sinn von »ganz in Ordnung«, nicht im Sinn von »geht mir nicht auf den Sack«. Meistens ist er das. Gerade im Moment wohl eher nicht. Gerade im Moment würde ich ihm am liebsten den Hals umdrehen. Wenn ich könnte. Leider lässt das meine körperliche Verfassung nicht zu.
Ich hänge über der Brüstung von Tareks schwankendem Kutter und verteile Oma Machentuts delikate Fischsuppe im Haffwasser. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub, Fisch zu Fisch. Sterben hatte ich mir leichter vorgestellt.
»Du stirbst schon nicht«, sagt der Tarek gutmütig und wankt über seinen rostigen Kutter wie ein Kunstturner nach einem missglückten Abgang vom Reck. »Du bist nur ein bisschen seekrank, weissu. Konzentrier dich auf den Horizont, dann wird das wieder!«
So ein Arsch! Nur ein bisschen seekrank?!
»Du weißt ganz genau, dass ich meine Hände brauche, um mich an der Brüstung festzuhalten, und dir nur deshalb nicht den Hals umdrehen kann«, würge ich heraus.
»Reling heißt das, nicht Brüstung«, sagt der Tarek und lächelt mich mitleidig an.
Erschlagen wäre auch eine Option.
Ein neuer Schwall Fischsuppe von Oma Machentut schießt mir durch Mund und Nase. Nicht alles findet seinen Weg ins Wasser.
Die schönen Schuhe, denke ich. Ganz neu.
Letzte Worte eines Menschen im Todeskampf. Na ja, selber schuld. Warum muss ich auch mit dem Tarek rausfahren, obwohl ich weiß, dass mein Magen das Geschwanke nicht verträgt?
... mehr
Ausgerechnet mit dem Tarek, der aus irgendeinem ostanatolischen Bergdorf stammt, wo es keine Worte für »Meer«, »Wellen« und »Schiffe« gibt, weil es kein Meer, keine Wellen und keine Schiffe gibt. Rein genetisch gesehen, müsste er über der Reling-Brüstung hängen. Aber der Tarek ist einer der letzten Fischer, die wir in Altwarp haben. Zumindest in Teilzeit. Im Winter malocht er im Ueckermünder Stahlwerk, im Sommer zieht er sich ein blau-weiß gestreiftes Hemd über, steckt sich eine Pfeife in den Mund und lässt sich von den wenigen Touristen, die sich nach Altwarp verirren, auf seinem rostigen Kutter fotografieren. Ein echter Seebär eben. Wenn auch mit Migrationshintergrund. Dabei müsste ich eigentlich der Seebär sein. Rein genetisch gesehen. Immerhin war Opa Herbert, Oma Machentuts verstorbener Mann, einer der letzten Kapitäne in Altwarp. Und meine Eltern betreiben eine Surfschule für Senioren in Florida. Von Senioren für Senioren. Wasser ist das Element, das unsere Familie eint und verbindet. Vielleicht wurde ich adoptiert. Ich kann nicht mal schwimmen, und schon in der Badewanne wird mir leicht blümerant.
»Tarek«, grunze ich gurgelnd. »Bitte lass uns zurück an Land fahren ... Bitte!« Das zweite »Bitte« klingt leider leicht unterwürfig.
Der Tarek runzelt die Stirn und macht ein Gesicht, in dem ich mit viel Mühe ehrliches Bedauern erkennen kann. Drei Möwen kreisen über seinem Kopf, als er einen kleinen roten Teppich auf dem Vordeck seines Kutters ausbreitet.
»Später«, sagt er und geht auf die Knie. »Erst das Gebet. Glaube ist enorm wichtig in unserer heutigen Zeit, weissu ...«
Ich hätte meine Dienstwaffe mitnehmen sollen. Ich hätte es wie einen Unfall aussehen lassen können. Oder wie Notwehr. Nein, natürlich hätte ich nicht. Ich hätte gar nicht erst mit Tarek rausfahren sollen. Hätte, hätte, hätte. Hätte meine Oma Eier, wäre sie mein Opa.
»Das wird eine Art Schocktherapie, weissu«, hatte der Tarek gesagt. »Wir fahren zusammen raus, dir wird vielleicht ein bisschen übel dabei, aber dann überwindest du es und bist für immer von dieser verdammten Seekrankheit geheilt. Deine Oma wird stolz auf dich sein.«
Anschließend klopfte er mir auf die Schulter. Und Oma Machentut nickte glücklich dazu. Jetzt klopft mir etwas anderes auf die Schulter. Möwenkacke. Eines der drei kreischenden Viecher über mir hat sich entleert. Wie viele Demütigungen kann ein Mensch ertragen, ehe seine zarte Seele bricht?
»Hafftaufe! Du bist ein Glückspilz, Kröger!«, ruft der Tarek entzückt, als er den weiß-grauen Flatschen auf meiner Schulter entdeckt. Entweder hängt der Glückspilz zufällig in Richtung Mekka über der Reling- Brüstung des Kutters, oder aber Tarek hat sein Gebetszeremoniell extra so ausgerichtet, dass er auch ja keinen Kotzanfall verpasst.
»Es wird bald vorbei sein, weissu. Danach fühlst du dich wie neugeboren und wirst gar nicht mehr runterwollen von meinem Kahn. Allah hält seine schützende Hand auch über dich, mein Freund.« Er beugt seinen Oberkörper erneut über den kleinen Teppich und widmet sich wieder seinem Gebet.
Erschießen ginge zu schnell. Zu schmerzlos. Ich sollte ihn langsam über offenem Feuer rösten. Ganz langsam. Im flackernden Feuer der knisternden Planken seines Kutters. Wie ein knuspriges Spanferkel würde ich ihn drehen. Oder besser wie ein knuspriges Lämmchen, weil der Tarek ja Moslem ist und ich mich über seinen Glauben, der kein Schweinefleisch zulässt, dann doch nicht lustig machen will. Allerdings muss ich mich bei der Vorstellung vom Tarek als knusprigem Lammbraten wieder würgend über die Reling-Brüstung beugen. Das bringt zumindest kurzfristig Erleichterung und eine erstklassige, lupenreine Fata Morgana: Der »Fliegende Holländer« rast im Rücken des betenden Tarek auf uns zu. Zumindest ist es in meiner Vorstellung der »Fliegende Holländer«. Bedrohlich und majestätisch zugleich pflügt er durchs Haffwasser, die weißen Segel stolz vom Wind gebläht. Die Bugspitze ist keine drei Meter mehr von Tareks Kutter entfernt.
»Tarek«, stöhne ich und zeige in Richtung des »Fliegenden Holländers«. »Ich glaube, wir kriegen Besuch. «
Da kracht es auch schon. Der Bug des gut acht Meter langen Seglers rammt mit lautem Getöse gegen die Bordwand. Als ich sehe, dass der Tarek durch den Stoß auf seinem Gebetsteppich zur Seite kippt, wird mir endgültig klar, dass das wohl doch keine Fata Morgana ist.
»Verfluchte Scheiße!«, krächzt der Tarek und rappelt sich auf. Er schnappt sich eine Metallstange, deren eines Ende wie ein Enterhaken gebogen ist, hängt sie in der Reling des »Fliegenden Holländers« ein und drückt dagegen, um ihn auf Distanz zu halten. Dabei stößt er immer wieder lautstarke Flüche aus, die ich tendenziell als ordinär bezeichnen würde. Außerdem fordert er den gegnerischen Skipper dazu auf, endlich beizudrehen. Der denkt aber gar nicht daran. Gut möglich, dass ihn Tareks raubeinige Kommentare störrisch gemacht haben. Nicht jeder Skipper will »Bastard einer räudigen Hafennutte, weissu« genannt werden. Aber ich kann den Tarek verstehen. Sein rostiger Kutter hat von der Kollision eine ordentliche Delle in der Bordwand davongetragen. Und der Kapitän des »Fliegenden Holländers« zeigt nicht die geringste Reaktion. Langsam schwant mir, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Und dem Tarek schwant dasselbe.
»Da stimmt doch irgendwas nicht, Kröger!«, brüllt er zu mir rüber.
»Ja, da stimmt was nicht, Tarek«, würge ich zurück und bin froh, dass wir das erste Mal seit unserem Hafftrip auf einer Welle liegen.
»Komm her, du musst mir helfen«, sagt er in einem Befehlston, der mir gar nicht behagt.
»Wie?«, frage ich und schaue auf meine verkrampften Hände, die um die runde Reling-Brüstung festgeflanscht sind wie verrostete Schraubmuttern. »Ich kann mir doch selbst nicht helfen!«
»Stell dich nicht so an«, raunzt er und macht ein staatsmännisches Gesicht. »Das ist eine Ausnahmesituation in der modernen Seefahrt, weissu. Ich bin der Kapitän und du der Matrose. Als Matrose musst du den Anweisungen des Kapitäns Folge leisten! Ansonsten muss ich das als Meuterei bewerten. Also schieb deinen fetten Arsch endlich zu mir rüber, Kröger!«
»Aye, aye, Sir«, sage ich matt und schraube mich Zentimeter für Zentimeter an der Reling-Brüstung entlang in seine Richtung. Das flackernde Feuer, über dem ein zartes Lamm mit dem Gesicht vom Tarek schmort, treibt mich vorwärts.
Als ich bei ihm bin, drückt er mir die Metallstange in die Hand.
»Schön festhalten, Kröger«, sagt er bedeutungsschwer. »Ich gehe da jetzt rüber und sehe nach, was los ist, weissu. Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin, rufst du die Polizei.«
»Ich bin die Polizei.«
»Deine Kollegen, die nicht kotzen müssen, meine ich«, sagt er und lächelt dümmlich.
Blöder Sack.
Dann springt er wie der rote Korsar auf das Vordeck der fremden Segelyacht und pirscht sich indianermäßig zum Kajüteneinstieg vor. Ich sehe gerade noch, wie sein dunkler Lockenkopf unter Deck verschwindet, da taucht er auch schon wieder auf. Bleich wie ein Mozzarella, stolpert er über die Yacht, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Oder seine Nachbarin, die Plüschke. Die stellt ihm ständig nach, obwohl er nun rein gar nichts von ihr will. Es wäre jetzt allerdings schon ein sehr seltsamer Zufall, wenn ausgerechnet die Plüschke den Havariedampfer steuern würde.
Der Tarek springt zurück auf den Kutter und landet unsanft auf dem Hintern, weil ihm sein rutschender Gebetsteppich die Beine wegreißt. Er lässt sich aber nichts anmerken. Was er auf der fremden Segelyacht gesehen hat, muss ihn mit schmerzlinderndem Adrenalin versorgt haben. Wortlos nimmt er mir die Metallstange mit dem Enterhaken aus den Händen und drückt sie gegen die Bordwand des »Fliegenden Holländers «, um noch mehr Distanz zu gewinnen.
»Und?«, frage ich, weil es nun wohl an der Zeit für eine Erklärung ist. »Die Plüschke?«
Der Tarek winkt ab und kurbelt wie von Sinnen am Steuerrad seines Kutters, um aus der Gefahrenzone der Yacht zu kommen. Das gelingt ihm auch ganz gut.
Der »Fliegende Holländer« entfernt sich Richtung Horizont.
»Jetzt rede schon! Was hast du auf der Yacht gesehen? « Recht unappetitliche Bilder gehen mir durch den Kopf. Oma Machentut hat neulich von ihrem neuen Thriller erzählt, den sie gerade liest. »Die Gottesanbeterin « von Dora Pan. Da lässt sich die Mörderin einiges einfallen, um ihre Opfer zu quälen. Am Schluss schneidet sie den Männern - ihre Opfer sind allesamt Männer - bei lebendigem Leib die Organe heraus und verarbeitet sie in ihrem Chichi-Luxusrestaurant am Berliner Gendarmenmarkt zu sauteurem Schaschlik. Mit Paprika aus dem eigenen Garten.
»Nichts«, sagt der Tarek erschöpft und zuckt mit den Schultern. »Es war niemand an Bord ... zumindest kein Mensch, weissu.«
Sprich nicht in Rätseln, großer Kapitän und letzter Bewahrer der seemännischen Benimmregeln! Was heißt denn bitte schön zumindest kein Mensch? Aliens? Klabautermänner? Der Poltergeist? Doch die Plüschke?!
»Ich kotze dir den ganzen Kahn voll, wenn du jetzt nicht endlich sagst, was auf der Yacht los war!« Ich meine das sehr ernst. Ich könnte es beweisen.
»Kein Mensch«, wiederholt der Tarek stumpf. Dann schaut er mich mit irrem Blick an. »Aber Ratten. Alles voller Ratten. Hunderte, Tausende ...«
»Ratten?«, sage ich. Wahrscheinlich ist er jetzt völlig übergeschnappt. »Wegen ein paar dämlicher Ratten schickst du einen herrenlosen Kahn zurück in die offene See? Du tickst wohl nicht mehr ganz richtig?!«
»Das Haff ist nicht die offene See.« Tareks Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen. »Und Ratten sind der Feind eines jeden Seemanns, weissu. Wo Ratten sind, ist die Pest. Wo die Pest ist, ist der Tod. Das verstehst du als Landratte eben nicht, Kröger.«
Nein, das verstehe ich wirklich nicht. Ich spendiere den kackenden Möwen noch etwas von Oma Machentuts Fischsuppe und hole mein Handy raus. Holm Dietrich vom Seenotrettungsdienst in Ueckermünde soll sich um die herrenlose Rattenyacht kümmern und sie in den Hafen schleppen. Der kann das.
Hoffe ich.
Der Tarek sitzt in der Küche von Oma Machentuts Kapitänshaus und genehmigt sich einen doppelten Küstennebel. Er ist noch immer kreidebleich. Dafür bin ich wieder ganz der Alte, seit ich festen Boden unter den Füßen habe. Sogar ein leichtes Hungergefühl macht sich bemerkbar.
»Sag mal, findest du das gut mit dem Alkohol?«, frage ich den Tarek. »Ich dachte, ihr habt da so strenge Regeln ...«
»Allah ist mit den Schwachen, weissu«, antwortet er matt und gießt sich nach.
»Lass mal den Tarek«, sagt Oma Machentut und wischt sich die Hände an ihrer geblümten Kittelschürze ab. »Der tut das schon richtig machen mit seiner Religion. Da tust du nichts von verstehen, Kröger.«
Copyright © Ullstein Verlag.
Ausgerechnet mit dem Tarek, der aus irgendeinem ostanatolischen Bergdorf stammt, wo es keine Worte für »Meer«, »Wellen« und »Schiffe« gibt, weil es kein Meer, keine Wellen und keine Schiffe gibt. Rein genetisch gesehen, müsste er über der Reling-Brüstung hängen. Aber der Tarek ist einer der letzten Fischer, die wir in Altwarp haben. Zumindest in Teilzeit. Im Winter malocht er im Ueckermünder Stahlwerk, im Sommer zieht er sich ein blau-weiß gestreiftes Hemd über, steckt sich eine Pfeife in den Mund und lässt sich von den wenigen Touristen, die sich nach Altwarp verirren, auf seinem rostigen Kutter fotografieren. Ein echter Seebär eben. Wenn auch mit Migrationshintergrund. Dabei müsste ich eigentlich der Seebär sein. Rein genetisch gesehen. Immerhin war Opa Herbert, Oma Machentuts verstorbener Mann, einer der letzten Kapitäne in Altwarp. Und meine Eltern betreiben eine Surfschule für Senioren in Florida. Von Senioren für Senioren. Wasser ist das Element, das unsere Familie eint und verbindet. Vielleicht wurde ich adoptiert. Ich kann nicht mal schwimmen, und schon in der Badewanne wird mir leicht blümerant.
»Tarek«, grunze ich gurgelnd. »Bitte lass uns zurück an Land fahren ... Bitte!« Das zweite »Bitte« klingt leider leicht unterwürfig.
Der Tarek runzelt die Stirn und macht ein Gesicht, in dem ich mit viel Mühe ehrliches Bedauern erkennen kann. Drei Möwen kreisen über seinem Kopf, als er einen kleinen roten Teppich auf dem Vordeck seines Kutters ausbreitet.
»Später«, sagt er und geht auf die Knie. »Erst das Gebet. Glaube ist enorm wichtig in unserer heutigen Zeit, weissu ...«
Ich hätte meine Dienstwaffe mitnehmen sollen. Ich hätte es wie einen Unfall aussehen lassen können. Oder wie Notwehr. Nein, natürlich hätte ich nicht. Ich hätte gar nicht erst mit Tarek rausfahren sollen. Hätte, hätte, hätte. Hätte meine Oma Eier, wäre sie mein Opa.
»Das wird eine Art Schocktherapie, weissu«, hatte der Tarek gesagt. »Wir fahren zusammen raus, dir wird vielleicht ein bisschen übel dabei, aber dann überwindest du es und bist für immer von dieser verdammten Seekrankheit geheilt. Deine Oma wird stolz auf dich sein.«
Anschließend klopfte er mir auf die Schulter. Und Oma Machentut nickte glücklich dazu. Jetzt klopft mir etwas anderes auf die Schulter. Möwenkacke. Eines der drei kreischenden Viecher über mir hat sich entleert. Wie viele Demütigungen kann ein Mensch ertragen, ehe seine zarte Seele bricht?
»Hafftaufe! Du bist ein Glückspilz, Kröger!«, ruft der Tarek entzückt, als er den weiß-grauen Flatschen auf meiner Schulter entdeckt. Entweder hängt der Glückspilz zufällig in Richtung Mekka über der Reling- Brüstung des Kutters, oder aber Tarek hat sein Gebetszeremoniell extra so ausgerichtet, dass er auch ja keinen Kotzanfall verpasst.
»Es wird bald vorbei sein, weissu. Danach fühlst du dich wie neugeboren und wirst gar nicht mehr runterwollen von meinem Kahn. Allah hält seine schützende Hand auch über dich, mein Freund.« Er beugt seinen Oberkörper erneut über den kleinen Teppich und widmet sich wieder seinem Gebet.
Erschießen ginge zu schnell. Zu schmerzlos. Ich sollte ihn langsam über offenem Feuer rösten. Ganz langsam. Im flackernden Feuer der knisternden Planken seines Kutters. Wie ein knuspriges Spanferkel würde ich ihn drehen. Oder besser wie ein knuspriges Lämmchen, weil der Tarek ja Moslem ist und ich mich über seinen Glauben, der kein Schweinefleisch zulässt, dann doch nicht lustig machen will. Allerdings muss ich mich bei der Vorstellung vom Tarek als knusprigem Lammbraten wieder würgend über die Reling-Brüstung beugen. Das bringt zumindest kurzfristig Erleichterung und eine erstklassige, lupenreine Fata Morgana: Der »Fliegende Holländer« rast im Rücken des betenden Tarek auf uns zu. Zumindest ist es in meiner Vorstellung der »Fliegende Holländer«. Bedrohlich und majestätisch zugleich pflügt er durchs Haffwasser, die weißen Segel stolz vom Wind gebläht. Die Bugspitze ist keine drei Meter mehr von Tareks Kutter entfernt.
»Tarek«, stöhne ich und zeige in Richtung des »Fliegenden Holländers«. »Ich glaube, wir kriegen Besuch. «
Da kracht es auch schon. Der Bug des gut acht Meter langen Seglers rammt mit lautem Getöse gegen die Bordwand. Als ich sehe, dass der Tarek durch den Stoß auf seinem Gebetsteppich zur Seite kippt, wird mir endgültig klar, dass das wohl doch keine Fata Morgana ist.
»Verfluchte Scheiße!«, krächzt der Tarek und rappelt sich auf. Er schnappt sich eine Metallstange, deren eines Ende wie ein Enterhaken gebogen ist, hängt sie in der Reling des »Fliegenden Holländers« ein und drückt dagegen, um ihn auf Distanz zu halten. Dabei stößt er immer wieder lautstarke Flüche aus, die ich tendenziell als ordinär bezeichnen würde. Außerdem fordert er den gegnerischen Skipper dazu auf, endlich beizudrehen. Der denkt aber gar nicht daran. Gut möglich, dass ihn Tareks raubeinige Kommentare störrisch gemacht haben. Nicht jeder Skipper will »Bastard einer räudigen Hafennutte, weissu« genannt werden. Aber ich kann den Tarek verstehen. Sein rostiger Kutter hat von der Kollision eine ordentliche Delle in der Bordwand davongetragen. Und der Kapitän des »Fliegenden Holländers« zeigt nicht die geringste Reaktion. Langsam schwant mir, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Und dem Tarek schwant dasselbe.
»Da stimmt doch irgendwas nicht, Kröger!«, brüllt er zu mir rüber.
»Ja, da stimmt was nicht, Tarek«, würge ich zurück und bin froh, dass wir das erste Mal seit unserem Hafftrip auf einer Welle liegen.
»Komm her, du musst mir helfen«, sagt er in einem Befehlston, der mir gar nicht behagt.
»Wie?«, frage ich und schaue auf meine verkrampften Hände, die um die runde Reling-Brüstung festgeflanscht sind wie verrostete Schraubmuttern. »Ich kann mir doch selbst nicht helfen!«
»Stell dich nicht so an«, raunzt er und macht ein staatsmännisches Gesicht. »Das ist eine Ausnahmesituation in der modernen Seefahrt, weissu. Ich bin der Kapitän und du der Matrose. Als Matrose musst du den Anweisungen des Kapitäns Folge leisten! Ansonsten muss ich das als Meuterei bewerten. Also schieb deinen fetten Arsch endlich zu mir rüber, Kröger!«
»Aye, aye, Sir«, sage ich matt und schraube mich Zentimeter für Zentimeter an der Reling-Brüstung entlang in seine Richtung. Das flackernde Feuer, über dem ein zartes Lamm mit dem Gesicht vom Tarek schmort, treibt mich vorwärts.
Als ich bei ihm bin, drückt er mir die Metallstange in die Hand.
»Schön festhalten, Kröger«, sagt er bedeutungsschwer. »Ich gehe da jetzt rüber und sehe nach, was los ist, weissu. Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin, rufst du die Polizei.«
»Ich bin die Polizei.«
»Deine Kollegen, die nicht kotzen müssen, meine ich«, sagt er und lächelt dümmlich.
Blöder Sack.
Dann springt er wie der rote Korsar auf das Vordeck der fremden Segelyacht und pirscht sich indianermäßig zum Kajüteneinstieg vor. Ich sehe gerade noch, wie sein dunkler Lockenkopf unter Deck verschwindet, da taucht er auch schon wieder auf. Bleich wie ein Mozzarella, stolpert er über die Yacht, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Oder seine Nachbarin, die Plüschke. Die stellt ihm ständig nach, obwohl er nun rein gar nichts von ihr will. Es wäre jetzt allerdings schon ein sehr seltsamer Zufall, wenn ausgerechnet die Plüschke den Havariedampfer steuern würde.
Der Tarek springt zurück auf den Kutter und landet unsanft auf dem Hintern, weil ihm sein rutschender Gebetsteppich die Beine wegreißt. Er lässt sich aber nichts anmerken. Was er auf der fremden Segelyacht gesehen hat, muss ihn mit schmerzlinderndem Adrenalin versorgt haben. Wortlos nimmt er mir die Metallstange mit dem Enterhaken aus den Händen und drückt sie gegen die Bordwand des »Fliegenden Holländers «, um noch mehr Distanz zu gewinnen.
»Und?«, frage ich, weil es nun wohl an der Zeit für eine Erklärung ist. »Die Plüschke?«
Der Tarek winkt ab und kurbelt wie von Sinnen am Steuerrad seines Kutters, um aus der Gefahrenzone der Yacht zu kommen. Das gelingt ihm auch ganz gut.
Der »Fliegende Holländer« entfernt sich Richtung Horizont.
»Jetzt rede schon! Was hast du auf der Yacht gesehen? « Recht unappetitliche Bilder gehen mir durch den Kopf. Oma Machentut hat neulich von ihrem neuen Thriller erzählt, den sie gerade liest. »Die Gottesanbeterin « von Dora Pan. Da lässt sich die Mörderin einiges einfallen, um ihre Opfer zu quälen. Am Schluss schneidet sie den Männern - ihre Opfer sind allesamt Männer - bei lebendigem Leib die Organe heraus und verarbeitet sie in ihrem Chichi-Luxusrestaurant am Berliner Gendarmenmarkt zu sauteurem Schaschlik. Mit Paprika aus dem eigenen Garten.
»Nichts«, sagt der Tarek erschöpft und zuckt mit den Schultern. »Es war niemand an Bord ... zumindest kein Mensch, weissu.«
Sprich nicht in Rätseln, großer Kapitän und letzter Bewahrer der seemännischen Benimmregeln! Was heißt denn bitte schön zumindest kein Mensch? Aliens? Klabautermänner? Der Poltergeist? Doch die Plüschke?!
»Ich kotze dir den ganzen Kahn voll, wenn du jetzt nicht endlich sagst, was auf der Yacht los war!« Ich meine das sehr ernst. Ich könnte es beweisen.
»Kein Mensch«, wiederholt der Tarek stumpf. Dann schaut er mich mit irrem Blick an. »Aber Ratten. Alles voller Ratten. Hunderte, Tausende ...«
»Ratten?«, sage ich. Wahrscheinlich ist er jetzt völlig übergeschnappt. »Wegen ein paar dämlicher Ratten schickst du einen herrenlosen Kahn zurück in die offene See? Du tickst wohl nicht mehr ganz richtig?!«
»Das Haff ist nicht die offene See.« Tareks Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen. »Und Ratten sind der Feind eines jeden Seemanns, weissu. Wo Ratten sind, ist die Pest. Wo die Pest ist, ist der Tod. Das verstehst du als Landratte eben nicht, Kröger.«
Nein, das verstehe ich wirklich nicht. Ich spendiere den kackenden Möwen noch etwas von Oma Machentuts Fischsuppe und hole mein Handy raus. Holm Dietrich vom Seenotrettungsdienst in Ueckermünde soll sich um die herrenlose Rattenyacht kümmern und sie in den Hafen schleppen. Der kann das.
Hoffe ich.
Der Tarek sitzt in der Küche von Oma Machentuts Kapitänshaus und genehmigt sich einen doppelten Küstennebel. Er ist noch immer kreidebleich. Dafür bin ich wieder ganz der Alte, seit ich festen Boden unter den Füßen habe. Sogar ein leichtes Hungergefühl macht sich bemerkbar.
»Sag mal, findest du das gut mit dem Alkohol?«, frage ich den Tarek. »Ich dachte, ihr habt da so strenge Regeln ...«
»Allah ist mit den Schwachen, weissu«, antwortet er matt und gießt sich nach.
»Lass mal den Tarek«, sagt Oma Machentut und wischt sich die Hände an ihrer geblümten Kittelschürze ab. »Der tut das schon richtig machen mit seiner Religion. Da tust du nichts von verstehen, Kröger.«
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Autoren-Porträt von Richard Fasten
Richard Fasten, Jahrgang 1966, wurde in Cham (Oberpfalz) geboren und studierte Geschichte, Philosophie, Archäologie, Kommunikationsforschung und Phonetik in Bonn. Als freier Autor hat er mehrere Sachbücher veröffentlicht und schreibt u.a. Mitrate-Krimis für radioeins. Richard Fasten lebt in Berlin und ruht sich in Vorpommern aus.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richard Fasten
- 2014, 1. Auflage, 320 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 384370726X
- ISBN-13: 9783843707268
- Erscheinungsdatum: 11.04.2014
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.10 MB
- Ohne Kopierschutz
Family Sharing
eBooks und Audiobooks (Hörbuch-Downloads) mit der Familie teilen und gemeinsam genießen. Mehr Infos hier.
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