GRATIS¹ Geschenk für Sie!
Gleich Code kopieren:

Merken
Merken
 
 
Leider schon ausverkauft

Bestellnummer: 129310231

Buch (Gebunden)
In den Warenkorb
Sortiert nach: relevanteste Bewertung zuerst
Filtern nach: alle
Alle Kommentare
  • 4 Sterne

    10 von 14 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Yvonne S., 19.05.2020

    Hier ist nichts gut, an der alten Zeit
    Zur Handlung:
    1885 in Paris, die Schicksale von Eugénie, Louise und Madame Geneviève Gleizes, fließen unaufhaltsam ineinander. Die eine ist ihrer Zeit voraus, die andere grausam an Leib und Seele verletzt, und eine hat die gesellschaftlichen Zwänge, ohne je zu hinterfragen, hingenommen. Und hinter den gesicherten Mauern der bekannten Heilanstalt für Geisteskranke, Salpêtrière, kommt etwas in Bewegung, das tief berührt und erschütternde Einblicke gewährt.

    Die Figuren:
    Madame Geneviève Gleizes ist die Tochter eines Landarztes und seit vielen Jahren Oberaufseherin im Salpêtrière. Sie leidet unter einem schweren Verlust und lebt nur für ihren Beruf. In einer männerdominierten Gesellschaft hat sie durch viel Engagement und ihre Intelligenz ein gewisses Ansehen erreicht. Die Schicksale der Irren berühren sie nicht und wenn sie nach Feierabend die Anstalt verlässt, bleibt alles, was mit ihrer Arbeit zu tun hat, hinter hohen Mauern eingeschlossen.

    Ihre Entwicklung wird eindrücklich geschildert. Wie sie sich verändert, dagegen ankämpft und am Ende im Herzen freier ist, als sie es vorher je war.

    Es spielen einige Personen aus der Heilanstalt, Insassen, inklusive des angesehensten Nervenarztes, Dr. Charcot, tragende Rollen in dieser Geschichte, die aus unterschiedlichen Perspektiven in der 3. Person geschildert werden.

    Die Umsetzung:
    Der Schreibstil wirkt der Zeit angepasst und durch seine Erlebbarkeit oft bedrücken authentisch. Die Schicksale wühlen mich auf. Es ist erschütternd, beklemmend und berührend.. Die Autorin führt mir eindrucksvoll vor Augen, wie gefährlich es seiner Zeit war, eine eigene Meinung zu haben. Als Frau diente man nur dazu dem Mann zu gefallen, Kinder zu bekommen, und darüber hinaus hatte sie sich aus allem anderen herauszuhalten.

    Erschreckend! Der Alltag in einer Heilanstalt für Geisteskranke nimmt mich mit und gewährt mir tiefe Einblicke in Schicksale einzelner Personen. Alleine die Einlieferungsgründe lassen mir eine Gänsehaut über den Rücken wandern. Von der Diagnosenstellung, den unwürdigen Untersuchungen, bis hin zu den fragwürdigen Experimenten für Studienzwecke, ist herzzerreißend und aufwühlend.

    Meine Kritik:
    Mit Geisterseherei kann ich persönlich nichts anfangen, doch die Autorin hat dies spannungsreich eingewebt, so das ich beim Lesen neugierig auf weitere Erscheinungen bin. Identifizieren kann ich mich mit diesem „seelischen Problem“ aber nicht. Ich liebe es nachvollziehbar und das ist hier nicht möglich.

    Gegen Ende fehlt mir ein wenig Zeit zwischen Eugénie und ihrem Bruder Théophile. An dieser Stelle hätte ich mir mehr Tiefgang gewünscht.

    Mein Fazit:
    Es ist etwas spuky, aber toll geschrieben. Distanziert und doch nahe genug am Grauen der früheren Zeit dran. Das Buch berührt und erschreckt mich mit grandiosen bildhaften Schilderungen, die vor meinem inneren Auge laserscharf ablaufen. Von mir erhält „Die Tanzenden“ 4 aufgewühlte Sterne von 5 und eine unbedingte Leseempfehlung.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    2 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Lisa O., 18.08.2020

    Dieses Buch spielt Ende des 19.Jahrhunders auf der Station der Hysterikerinnen der berühmten Pariser Nervenklinik. Wir begleiten 2 Frauen die verschiedener kaum sein könnten, aber beide Patientinnen auf dieser Station sind.

    Ich finde es immer ebenso spannend, wie auch erschreckend Bücher zu lesen die über Zustände und Krankheitsvorstellungen in Psychiatrien von früher berichten.
    Oft musste ich auch in diesem Buch entsetzt aufschnauben.

    Es hat ein wenig gedauert bis ich mit unseren zwei Protagonistinnen warm geworden sind und wir wären sicher keine besten Freundinnen geworden, aber ich mochte es über sie zu lesen.

    Das Buch hat einen unerwartet großen Hang zur Esoterik. Das hat mich etwas gestört.

    Ansonsten ist es echt ein richtig gutes Buch, was meiner Meinung nach auch mehr Aufmerksamkeit verdient hat!

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    2 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Helena H., 11.05.2020 bei bewertet

    aktualisiert am 18.05.2020

    „Ich bezweifle, dass es außerhalb dieser Mauern Freiheit gibt. Ich bin den größten Teil meines Lebens draußen gewesen und habe mich nicht frei gefühlt. Die Sehnsucht muss sich woanders erfüllen. Darauf zu warten, dass man befreit wird, ist ein vergebliches und unerträgliches Gefühl.“

    Paris, 1885: Schauplatz des Geschehens ist die Salpêtrière, Europas wohl bekannteste Nervenheilanstalt für geisteskranke Frauen. Für das von Zerstreuung und Sensation übersättigte Pariser Publikum stellt der alljährliche Ball an Mittfasten - von der Pariser Bourgeoisie schlicht „Ball der Verrückten“ genannt - eine willkommene Abwechslung dar, um der eigenen Schaulust zu frönen. Die Insassinnen flößen Angst ein und üben gleichzeitig Faszination aus, sie verursachen Unbehagen und regen gleichzeitig die Phantasie an. Für die Patientinnen selbst stellt der Ball den Höhepunkt des Jahres dar. An diesem Tag weicht jegliches Unwohlsein der allumfassenden Festtagsstimmung. Ein jede darf sich an diesem Tag ihren Träumen und Sehnsüchten hingeben. Für zwei von ihnen, Eugénie und Louise, sollen die Träume von Freiheit und Selbstbestimmung eine konkrete Realisierung finden. Doch damit Eugénie in die Freiheit gehen darf, muss eine andere ihren Platz einnehmen.

    Victoria Mas nimmt sich in ihrem Erstlingswerk einem Thema an, das eher zu den blinden Flecken von Paris zu zählen ist. Dem deutschsprachigen Leser mag die Salpêtrière aus „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ - Rilkes einzigem Roman von 1910, in dem er seine Parisaufenthalte von 1902/03 verarbeitet - ein Begriff sein. Weitere fiktive Werke, die sich diesem Thema widmen, sind rar gesät. Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, ist ein Ort der Weltoffenheit. Es ist die Stadt, die die Moderne erfand. Sie steckt voller Schwung, Eleganz und Zauber. Als kulturelles, wirtschaftliches und politisches Zentrum Europas bietet sie eine unausschöpfliche Quelle an schillernden und funkelnden Geschichten.

    Doch Victoria Mas entscheidet sich für die Kehrseite dieser blendenden Fassade. Sie entführt uns mit Entschlossenheit in die dunklen Winkel dieses funkelnden Bauwerks. Sie liefert uns einen historischen Abriss über die Geschichte der Salpêtrière und lässt uns die Zustände in dieser Anstalt um 1885 näher betrachten. „Eine Mülldeponie für all jene, die die öffentliche Ordnung gefährdeten. Eine Anstalt für Frauen, deren Empfindungen nicht den Erwartungen entsprachen. Ein Gefängnis für diejenigen, die sich einer eigenen Meinung schuldig gemacht hatten.“ Drei verschiedene Frauenfiguren projiziert die Autorin vor unser inneres Auge, um uns in eine vom Patriarchat geprägte Gesellschaftsordnung zu entführen. Sie lässt uns an drei Lebensschicksalen teilhaben, die von Tragik gezeichnet sind, die es ohne den männlichen Übergriff so nicht gegeben hätte. Obwohl Victoria Mas dies auf einfühlsame und berührende Weise bewerkstelligt, ist sie gleichzeitig um eine gewisse emotionale Distanz bemüht. Die Leserin soll mit-fühlen, aber dabei das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren: Frauen sind stark, so wie sie sind. Nicht umsonst wurden den Frauen von Männern intellektuelle und körperliche (das Korsett!) Fesseln angelegt: „Dass die Männer ihnen solche Grenzen aufgezwungen hatten, legte den Gedanken nahe, dass sie die Frauen nicht verachteten, sondern vielmehr fürchteten.“ Statt sich gegenseitig zu untergraben, sollten Frauen füreinander einstehen und füreinander kämpfen - so meine Interpretation von Victoria Mas' Roman „Die Tanzenden“.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Gisela E., 07.07.2020

    Aus der Geschichte der Psychiatrie

    Louise und Eugénie sind Patientinnen im Salpêtrière, dem Pariser Krankenhaus für geisteskranke Frauen. Eugénie wurde erst kürzlich von ihrem Vater ins Krankenhaus gebracht, weil sie ihrer Großmutter erzählte, dass sie Kontakt mit Toten hat. Es ist Ende des 19. Jahrhunderts, viele Frauen dieses Krankenhauses werden als Hysterikerinnen eingestuft und öffentlich in Hypnose versetzt. Die Oberschwester Geneviève hat ein strenges Auge auf die Frauen in diesem Krankenhaus. Der alljährliche Ball des Salpêtrière steht an, ein großes Ereignis, bei dem die „Irren“ vor der Öffentlichkeit auftreten dürfen.

    Mit großer Leichtigkeit in der Sprache, dafür aber umso mehr Nachdruck in ihrer Geschichte erzählt die Autorin Victoria Mas über die Zustände in diesem Krankenhaus, in dem die Frauen meistens gegen ihren Willen eingeliefert werden, um nie wieder in ein selbstbestimmtes Leben entlassen zu werden. Liebevoll werden die einzelnen Patientinnen dargestellt, bedrückend wirkt ihr Schicksal bei näherer Betrachtung. Sogar der Ball, fieberhaft erwartet von den Frauen selbst, erhält einen schalen Beigeschmack, wenn die (vermeintlich) Kranken letztendlich nur vorgeführt werden vor all den Bürgerinnen und Bürgern, die sich über diesen Frauen stehend wähnen. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Louise, Eugénie und Geneviève, ihre Schicksale sind eingebettet in die unzweifelhaft authentische Geschichte dieser Anstalt für Frauen, deren Empfindungen nicht den Erwartungen entsprachen.

    Für mich ist diese Geschichte überraschend anders als erwartet, berührend in den Schicksalen der einzelnen Frauen. Sehr gerne vergebe ich alle 5 möglichen Sterne und empfehle das Buch gerne weiter.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    skandinavischbook, 28.03.2020

    Inhalt:
    Einmal im Jahr verwandelt sich das "Hôpital de la Salpêtrière" zu einem riesigen Ballsaal, einem Ort der Tanzenden. Dass die Tanzenden dabei die Hysterikerinnen, Epileptikerinnen und psychisch Kranken sind, rückt an diesem einen Abend in den Hintergrund.
    Als die junge Pariserin Eugénie in die Anstalt eingewiesen wird, sieht sie sich mit den grauenvollen Umständen der Zeit konfrontiert. Eine Zeit, in der Frauen keine Recht besaßen und eine Zeit, in der Eugénie das Leben einiger auf den Kopf stellt... denn sie kann Geister sehen.

    Meine Meinung:
    Dieses Buch hat mich wirklich sehr überrascht und dies kann für unterschiedliche Leser, auch ein unterschiedliches Fazit herbeiführen. Denn wer nun eine Geschichte über die Rechte der Frauen Ende des 19. Jahrhunderts erwartet und eine Protagonistin, ja eine Handlung, die sich damit intensiv auseinandersetzt oder diese Freiheit gar erstrebt, der wird möglicherweise enttäuscht sein.

    Denn der Debütroman der französischen Autorin Victoria Mas erzählt eine sehr viel feinere und im kleineren Milieu angesiedelte Geschichte, die zwar diese für Frauen sehr schwere Zeit thematisiert, dafür aber keine großen Bogen spannt und diese Thematik allzu stark in den Mittelpunkt rückt.
    Zentrales Thema sind hierbei viel mehr die einzelnen Charaktere, die unsagbar liebevoll und detailgetreu ausgearbeitet sind und jede von ihnen bringt ihr eigenes Schicksal mit, so auch: Eugénie

    Welche eine sehr viel zentralere Rolle spielt, vor allem die besondere Gabe von Eugénie. Denn diese kann Geister sehen und auf dieser Gabe baut sich die ganze Handlungsstärke des Buches auf.
    Die Schriftstellerin stellt ihre Charaktere in einen zentralen Mittelpunkt und durch diese wird das Zeitgeschehen und die Machtlosigkeit der Zeit subtil deutlich gemacht. Diese allerdings keinesfalls in den Mittelpunkt gerückt oder zentral nach moralischen Antworten oder Lösungen gesucht, dessen muss man sich als Leser bewusst sein.

    Dennoch ist dieses Buch von hohem literarischen Wert, da es mit einer unschlagbaren Sanftheit erzählt wird, wortgewandt ist ohne dabei prätentiös zu sein. Generell ist dieses Buch (wie passend), wie ein ruhiger Tanz in dem alle Teile eine stimmige Symbiose ergeben. Denn ebenso wie der Schreibstil sind auch die Charaktere von einer Unaufgeregtheit und dennoch zielsicheren Stärke und machen eine anschauliche Entwicklung durch.

    Mein Fazit:
    Ein Roman, der ganz anders war, als ich es erwartet hatte.
    Dennoch konnte er mich durch ein literarisches Feingefühl und Können von sich überzeugen, da so viel mehr zwischen den Zeilen zu finden ist.
    Ein Buch für Leser, die genau diese Sensibilität und Zartheit in einer Geschichte mögen und das Besondere suchen.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    steffi k., 21.03.2020

    Gelungenes Debüt
    In der Ankündigung heißt es :“Ganz Paris will sie sehen: Im berühmtesten Krankenhaus der Stadt, der Salpêtrière, sollen Louise und Eugénie in dieser Ballnacht glänzen. Ob die Hysterikerinnen nicht gefährlich seien, raunt sich die versammelte Hautevolee zu.“
    Daraus , ebenso aus der LP konnte ich nicht wirklich viel entnehmen, aber ich war gespannt auf dieses so hochgelobte Buch.
    Und da ich sprachlich hochwertige Bücher liebe, wurde ich nach : »In einer glasklaren Sprache, leicht wie ein Pastell, schreibt diese junge Autorin gegen die männliche Norm an und gibt denen eine Stimme, die man mundtot gemacht und unterdrückt hat.« noch neugieriger.
    Pastellleicht kommt auch das Cover daher – aber nicht nur das wunderschöne Cover täuscht, auch die LP. Die beginnt mit Eugénie; vermittelt einen Einblick in den Alltag einer jungen aufbegehrenden Frau aus angesehener bürgerlicher Familie.
    Der Roman aber stellt uns zunächst Geneviève vor; der langjährigen Oberaufseherin der Salpêtrière. Insgesamt werden uns drei Frauen näher vorgestellt : Louise, Eugénie und Geneviève. Und die La Salpêtrière ist kein gewöhnliches Krankenhaus , sondern eine Pariser Nervenheilanstalt .
    Es geht im Roman nicht nur um Geneviève, auch nicht nur um Louise und Eugénie. Es geht um die Verflechtung der Entwicklung der drei Frauen von ganz unterschiedlicher Herkunft , die für kurze Zeit in der La Salpêtrière aufeinander treffen.
    Uns sind die gesellschaftlichen Zwänge Ende des 19.Jahrhunderts eher fremd. Fremd auch das Verhalten des Professor Charcot, der als Koryphäe in der Arbeit mit Hysterikerinnen gilt. Er leitet die Klinik und provoziert in seinen Vorlesungen im Namen der Wissenschaft hysterische Anfälle seiner Patientinnen, die im Auditorium für Euphorie , aber auch Sensationslust sorgen.
    Der auch von den Patientinnen langersehnte, jährliche öffentliche Ball gilt als DAS Ereignis für die sensationslüsternen Pariser. Die Frauen dürfen sich normal fühlen , tanzen und sich amüsieren . Dennoch ist diese Situation beklemmend. auch als Leser kommt man sich vor wie ein Voyeur, der Tiere im Zoo begafft.
    Beklemmend auch , dass es hier nicht um reine Fiktion geht …
    Aufbauend war für mich , dass die rauen nie aufgeben , sich unterstützen egal wie schlimm ihre Lage ist.
    Die Autorin Victoria Mas legt mit dem Roman ein eindrucksvolles Debüt hin. Die besonders unbekümmerte Benutzung der Sprache ; klar und schnörkellos macht das Lesen trotz der Tragik der Handlung leicht und flüssig.
    Der Roman hat es verdient , so gelobt zu werden. Ich bin beeindruckt.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Kristin I., 01.04.2020

    Ich habe eine ganz andere Geschichte erwartet. So bunt, lebensbejahend und federleicht, wie das eine tanzende Frau zierende Cover, ist der Inhalt nicht. Schon nach dem ersten Kapitel verspürte ich Unbehagen und ein beengendes Gefühl in der Brust. Mir stellte sich die Frage, wohin das einschneidende Setting führen soll und ob ich dem wirklich folgen möchte. Wir befinden uns in der Salpêtrière, in einem Krankenhaus, in dem all jene untergebracht wurden, die Paris nicht imstande war, zu "bewältigen": die Kranken und die Frauen. Während einige der Geisteskranken in dieser Anstalt tatsächlich an psychischen und neurologischen Störungen litten, zeigten viele von ihnen keine pathologischen Anzeichen. Ihre Familien hatten sie wegen ihres nicht den damaligen gesellschaftlichen Regeln entsprechenden Verhaltens abgelehnt. Aber auch Frauen, die misshandelt wurden, landeten hier, wenn sie als Flittchen anstelle als Opfer angesehen wurden. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte, von der man einige wenige erfährt. Diese Zeilen waren schockierend, machten mich traurig und wütend. Diese Frauen verloren ihre Identität und ihr gesamtes Leben nur deshalb, weil es vor allem die Männer entschieden haben. Die Grenze, die überschritten werden muss, um tatsächlich "verrückt" zu werden, ist nur noch verschwindend gering, wenn man in diesen Mauern eingeschlossen, gedemütigt und aller Freiheit beraubt lebt.

    Als wäre das nicht alles schon schlimm genug, werden sie im Krankenhaus als Versuchskaninchen von einer studentischen Männerschaft in den Vorlesungen lüsternd begafft. Auch der jährlich stattfindende Ball dient nur der Belustigung der Bourgeoisie, denen die "exotischen Tiere" ein wenig Nervenkitzel verschafft in der Hoffnung einen hysterischen Anfall aus nächster Nähe zu erleben - einfach nur widerlich und schäbig. Inmitten dieser Szenarien porträtiert Mas zwei charakterstarke Frauen - Geneviève und Eugénie. Zugegeben Geneviève war mir erst ganz und gar nicht sympathisch, die sich als Kartesianerin mit kaltem Geist der Medizin widmete und Charcot vergötterte. Die Haltung ihr gegenüber veränderte sich im Verlauf der Geschichte drastisch. Es bedurfte erst einer Erschütterung ihrer Grundfesten, dass sie plötzlich auch die Menschen hinter den Verrückten sah und auch zu sich selbst fand.

    Auch wenn ich etwas anderes erwartet habe, bin ich nicht minder begeistert. Ich kann nicht genau bezeichnen, was mich an dieser Geschichte trotz all der erbarmungslosen Düsternis faszinieren konnte. Es ist wohl die reichhaltige Dokumentation der Autorin, die realistische Einblicke in eine für uns unvorstellbare Zeit eines Paris um 1885 gewährt, eine Zeit des Spiritismus und fragwürdiger Wissenschaft unter Charcot/Babinski, die ebenso wie das Krankenhaus existierten, vor allem aber auch die einfühlsame Begegnung mit den weggesperrten Frauen. Der Roman stimmt sehr nachdenklich über die Anfänge der Psychiatrie, aber auch über das Schicksal der Frauen. Die Autorin wählt wunderbare und kraftvolle Worte inmitten der Trostlosigkeit und Verzweiflung. Sie malt schöne Frauenportraits, Menschlichkeit, Verbund unter den Frauen, die durch ihre ganz eigenen Wunden und gesellschaftliche Ablehnung in einem Gefängnis vereint wurden, das eher einem Zufluchtsort gleicht. Man lernt liebenswerte Frauen kennen: Thérèse, die ein so großes Herz hat oder Louise, ein liebenswürdiges Mädchen, das sich selbst nichts sehnlicher wünscht als echte Liebe zu erfahren. Es ist ein ungewöhnliches feministisches Werk, das patriarchalische Wurzeln nur zu deutlich macht.

    Auf den ersten Seiten war ich noch skeptisch, aber schließlich habe ich diesen Roman mit großer Freude gelesen. Die Neugierde des Lesers wird durch die Spannung, die die Geschichte durchzieht, angeregt, die, getragen von einer angenehmen und flüssigen Schrift, zu ihrem Ende fließt. Ja, das Cover hat etwas federleichtes und lebensdurstiges. Dies kann man mit dem Wissen um das Ende, was ich hier nicht verraten möchte, in einem anderen Licht betrachten.



    Mein Lieblingszitat: "Der einzige Zweck dieses Kleidungsstücks [das Korsett] war doch, die Frauen in einer vermeintlich begehrenswerten Haltung zu fixieren - ihnen keine Bewegungsfreiheit zu lassen! Als wären die intellektuellen Fesseln nicht schon genug, musste man sie auch noch körperlich einschränken. Dass die Männer ihnen solche Grenzen auf gezwungen hatten, legte den Gedanken nahe, dass sie die Frauen nicht verachteten, sondern vielmehr fürchteten."

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Island, 06.04.2020

    "Die Tanzenden" ist der Debütroman der 1987 geborenen französischen Autorin Victoria Mas. In Frankreich bekam er bereits viel Lob und die Auszeichnung als bestes Debüt des Jahres.

    Die Gestaltung des Einbandes ist recht hochwertig. Auf dem Cover des Schutzumschlages ist der Umriss einer Tänzerin mit einem Federrock zu sehen, die bunten Federn glänzen und weisen eine Struktur auf.

    Victoria Mas hat sich einem Thema gewidmet, das es verdient hat, wieder mehr ins Bewusstsein gerückt zu werden. "Die Tanzenden" spielt im Paris des Jahres 1885, Frauen hatten damals wenig Möglichkeiten von der Norm abzuweichen und die sah vor, dass sie früh heiraten, Hausfrau und Mutter werden und Männern nicht widersprechen. Schon der Wunsch zu studieren oder das Interesse für Literatur konnte dazu führen, dass eine Frau von ihrem Vater oder Ehemann in die berüchtigte Nervenklinik Salpêtrière eingewiesen wurde und aus ihr gab es meist so schnell kein Entkommen und viele Frauen starben unter den schlechten Umständen in der Klinik auch. Bereits seit 1863 ist dort der bekannte Neurologe Jean-Martin Charcot, der noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts als Wegbereiter der modernen Psychiatrie gefeiert wurde. Er veranstaltet Schau-Vorlesungen für interessiertes Publikum, nicht nur für Ärzte, und präsentiert dort die Hysterikerinnen, wie er alle eingewiesenen Frauen zusammenfassend nennt. Mit Hilfe von Hypnose löst er Anfälle bei ihnen aus und führt vor aller Augen zweifelhafte Behandlungsmethoden an ihnen durch. Eine seiner Probandinnen, Augustine, wird dabei regelrecht zu einem Star und jeder möchte die Präsentationen mit ihr sehen. Sie scheint sich damit zu arrangieren, aber irgendwann ist es zu viel für sie und sie flüchtet aus der Salpêtrière.

    Diese Augustine wird auch im Roman am Rande erwähnt, die 16-jährige Louise möchte ihr nacheifern, zumindest auf diesem Wege zu Bedeutsamkeit kommen. Die zweite "Insassin", die im Mittelpunkt des Romans steht, ist Eugénie, Tochter eines gutbürgerlichen Notars. Dieser ließ sie einweisen, weil sie Botschaften von ihrem toten Großvater empfangen hat. Eugénie ist ansonsten eine ganz normale Frau, außer dass sie nicht viel Wert darauf legt, möglichst jung verheiratet zu werden, und sie geht sehr reflektiert mit ihrer Gabe um und möchte gerne mehr über die Hintergründe erfahren. Sobald ihre Familie aber davon Wind
    bekommt, ist alles zu spät, mit Übersinnlichem hat man sich einfach nicht zu befassen, und so erfolgt ihre Einweisung. In der Salpêtrière ist Geneviève als leitende Schwester für die Betreuung der Frauen zuständig. Als Tochter eines Arztes hat sie sich schon früh für die Wissenschaft begeistert und da sie als Frau nicht studieren konnte, findet sie ihre Erfüllung jetzt darin, den berühmten Ärzten zumindest assistieren zu können und so bei den Vorlesungen dabei sein zu können. Zu den Patientinnen pflegt sie eigentlich immer ein professionell-distanziertes Verhältnis, doch dann knackt Eugénie ihre harte Schale und die Ereignisse nehmen ihren Lauf.

    Der Titel, "Die Tanzenden" kommt daher, dass die Frauen sich, als Eugénie eingewiesen wird, gerade auf ihr Highlight im Jahr vorbereiten, den Kostümball an Mittfasten. Dazu kommen reiche Pariser in die Salpêtrière, um sich an den, ihrer Meinungen nach, Irren in ihren aufwändigen Kostümen zu ergötzen und hoffentlich Anfälle live miterleben zu können. Auch diese Bälle haben wohl wirklich stattgefunden.

    Ich fand es auf jeden Fall sowohl interessant als auch erschreckend, in diese Zeit und diesen Ort einzutauchen und an den Schicksalen der Frauen, die ich wirklich nicht beneide, teilzuhaben. Dadurch, dass der Roman weitgehend im Präsens verfasst ist, kommt man den Protagonistinnen sehr nahe und kann sich gut in sie hineinversetzen. Weniger gefallen hat mir, dass Eugénie wegen ihrer Kommunikation mit Toten eingewiesen wurde. So etwas kann ich mir persönlich nur schwer vorstellen. Andererseits ist es jedoch für den weiteren Verlauf der Handlung wichtig. Ich persönlich hätte es aber besser gefunden, wenn sie wirklich nur wegen ihrer unangepassten Art in die Klinik gekommen wäre, was ja das Schicksal relativ vieler Frauen repräsentieren würde. Insgesamt empfehle ich dieses Buch aber gerne an alle weiter, die gerne Romane mit historischen Bezügen lesen. Der Schreibstil der Autorin ist sowohl gut lesbar als auch anschaulich und fesselnd.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    leseratte1310, 30.05.2020

    Dieser Roman spielt Ende des 19. Jahrhunderts in Paris. Es ist eine Zeit, in der die Männer bestimmten und die Frauen sich unterzuordnen hatten. Wer als Frau ein bisschen aus der Spur geriet, wurde als Hysterikerin bezeichnet und schnell in eine Anstalt abgeschoben. In Paris ist es das Hôpital de la Salpêtrière, in dem viele solcher Frauen von ihrer Familie oder ihrem Mann untergebracht wurden. Das Salpêtrière hatte ein Amphitheater, in der die Hysterikerinnen zur Schau gestellt wurden.
    Während es in Paris schneit, sollen bei der Ballnacht die Tänzerinnen Louise und Eugénie einen Auftritt haben. Das Publikum ist sensationslüstern und hofft auf besondere Unterhaltung. Doch die Frauen, die hier vorgeführt werden, wollen nur ein gleichberechtigtes Leben in Freiheit, sie wollen das, was den Männern bisher vorbehalten ist. Louise und Eugénie wollen aus der Rolle der Hysterikerinnen ausbrechen. Wird es ihnen gelingen?
    Es ist eigentlich eine sehr deprimierende Geschichte und doch ist es der Autorin gelungen, alles sehr lebendig zu erzählen.
    Die Charaktere sind interessant und authentisch dargestellt. Die Hauptpersonen sind sehr unterschiedlich und doch gibt es Verbindungen. Louise wird von Professor Jean-Martin Charcot mit Hypnose behandelt, da sie unter gynäkologisch bedingter Hysterie leiden soll.
    Geneviève ist die Tochter eines Arztes, aber sie hat nicht die Möglichkeit, diesen Beruf zu ergreifen und ist so im Salpêtrière als Aufseherin gelandet. Sie hat einen Verlust erlitten, versagt sich aber die Trauer. Sie hinterfragt die Behandlungen der Ärzte nicht und empfindet auch keine Empathie für ihre Schutzbefohlenen.
    Als Eugénie eingewiesen wird, kommt sie Geneviève nicht verrückt vor. Eugénie stammt aus einer wohlhabenden Familie und wollte nicht heiraten. Auch dass sie Kontakt zu Toten aufnehmen konnte, war der Familie ein Dorn im Auge. Als sich die junge Frau Geneviève anvertraut, kommt eine unverhoffte Wendung in die Geschichte.
    Was zu jener Zeit in psychiatrischen Kliniken mit den Patienten geschah, ist erschreckend. Die Experimente sind furchtbar und oft sehr brutal. Umso schlimmer ist es, wenn gesunde Frauen in so eine Anstalt abgeschoben und damit den Ärzten ausgeliefert werden, nur weil sie unbequem sind. Wenn man sie dann auch noch zur Schau stellt, ist das nur menschenverachtend. Leider konnte ich den Schmerz der Frauen, die solche Demütigungen ertragen musste, nicht wirklich fühlen. Dennoch geht einem die Geschichte nahe.
    Mir hat dieser historische Roman gut gefallen.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Maria B., 03.08.2020

    Verstörende Vorgänge
    Lange war mir nicht klar, was es mit dem Titel auf sich hat. War damit ein imaginärer Tanz im Kopf gemeint, unbemerkt von Angehörigen, Ärzten, Pflegepersonal und Mitpatienten? Denn von der Ballnacht ist erst spät die Rede. Im Originaltitel wird sie hingegen gleich angesprochen.
    Frauen jeden Alters, die man oft bereits als Kind für irr, gestört, geisteskrank erklärt hat, fristen in der Pariser Salpêtrière ihr unwürdiges Dasein.
    Sie werden gedemütigt, vor männlichem Publikum zu Versuchen vorgeführt und missbraucht, in deren Verlauf nicht selten irreparable Schäden angerichtet werden. Und das alles zum Wohl der Wissenschaft (erinnert stark an die Verbrechen der Nazi-Ärzte) und eines nun ungestörten Treibens ihrer Ehemänner und der Gesellschaft. Denn die Frauen haben gewagt, eigenständig zu denken, ihre Rechte einzufordern, ihre aussergewöhnlichen Fähigkeiten nicht geheim halten zu müssen, einfach ein gleichgestellter Mensch sein zu wollen.
    So jung sie noch ist, verfügt Victoria Mas bereits über viel Einfühlungsvermögen und Kenntnis der menschlichen Psyche. Es ist eine verstörende Lektüre, besonders wenn man bedenkt, dass die geschilderten Praktiken keineswegs erfunden, sondern noch vor gar nicht so langer Zeit tatsächlich durchgeführt wurden. In unlarmoyantem Stil, mit Spannung und Eindringlichkeit geschrieben, hat mich der Text ungemein gefesselt.
    Meine Sympathie gilt vor allem der kämpferischen Eugénie und Louise, die sich dagegen wehren, unschuldig in eine wahre Hölle weggeschlossen worden zu sein. Mir gefiel auch die strickende Thérèse, ein stabiler Fels inmitten des Schlafsaals, die so tragisch endet. Zwiespältig denke ich über Geneviève, die sich um die Freilassung von Patientinnen bemüht, was ihr letztlich zum Schaden gereicht. Ganz schlimm der eitle Arzt Charcot.
    Ein wichtiges Buch über ein Thema, von dem viele bis heute die Augen verschliessen.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    makkipakki, 19.04.2020

    In der bekanntesten Nervenheilanstalt der Stadt Paris, landen nicht nur psychisch kranke. Dort landen auch Frauen, die der Norm nicht entsprechen. Die beiden Protagonistinnen sind aber keineswegs zwingend verrückt. Sie sind einfach nur anders und hoffen trotzdem auf ein normales Leben, was sie durch eine Flucht erreichen könnten...

    Das Cover vermittelt einen leichten Eindruck. Die Farben sind angenehm und geben etwas träumerische wieder. Allerdings steht das leider in keinem Zusammenhang, mit den Grausamkeiten die in diesem Pariser Krankenhaus stattfinden. Ja, der Titel und somit des Cover passen sicherlich zum Inhalt, sind mit dem Klappentext dann doch irgendwie irreführend, versprechen sie doch eine warme und lebensfrohe Geschichte.
    Die Handlung ist anders als erwartet. Es geht eben nicht um die Leichtigkeit des Lebens, sondern um die Grausamkeiten die Männer in der Pariser Gesellschaft ausleben konnten. Es kommen viele Details zum Krankenhaus an das Tageslicht, zur Rolle der Frau und auch diverse Krankheitsbilder werden beschrieben. Es ist super interessant und spannend bis zum Schluss und für mich als geübte Thrillerleserin auch wirklich gut gemacht. Wer aber etwas zarter besaitet ist und einfach einen lebensfrohen Roman erwartet, der wird hier enttäuscht.
    Die Charaktere sind vielseitig. Im Prinzip gibt es zwei Protagonistinnen, die der Leser sehr gut kennenlernt. Inklusive ihrer psychischen Störungen. Tiefgründig ist vielleicht dann nicht das richtige Wort, aber Handlungen und Ansichten der beiden sind immer nachvollziehbar. Die Figuren dieses Buches wirken lebendig und machen viel Freude.
    Sprachlich ist es einfach gehalten. Nichtsdestotrotz schafft es die Autorin einen gewissen Eindruck vom Leben in Paris berühmtesten Krankenhaus zu hinterlassen. Auch durch bildhafte Beschreibungen konnte ihr das sehr gut gelingen.

    Wer also keinen lebensfrohen Roman erwartet, der findet hier ein wirklich tolle Werk mit Tiefgang.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    5 von 9 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Anna O., 09.04.2020

    Beeindruckend und bedrückend

    Das Cover dieses Buches mutet federleicht und fröhlich an, doch die Geschichte ist es keineswegs.
    Der Roman spielt in Paris Ende des 19.Jahrhunderts. Insbesondere für Frauen war dies keine leichte Zeit. Bereits ein geringes Abweichen von der Norm konnte dazu führen von Vater oder Ehemann in die Salpêtrière, eine berühmt-berüchtigte Nervenheilanstalt, eingewiesen zu werden.
    Dort vegetieren die Frauen vor sich hin oder werden vom führenden Neurologen Jean-Martin Charcot in wöchentlichen Vorlesungen einem breiten Publikum vorgeführt. Der Arzt ist sich sicher, dass die Frauen an Hysterie leiden, einem Oberbegriff unter dem ein breites Spektrum an Krankheiten zusammengefasst wird. Mit Rausmitteln und Hypnose löst er - zu Forschungszwecken- Symptome der Erkrankung aus und ganz Paris sieht zu. Einmal im Jahr findet sogar ein Ball statt, wo die Hysterikerinnen einem noch breiteren Publikum präsentiert werden. Dieser wahre Gesichte ist bedrückend und ein guter Stoff um darüber einen Roman zu schreiben.

    Victoria Mas erzählt beispielhaft das Schicksal zweier Frauen in der Nervenheilanstalt. Louise, die gerne der neue "Star" in den Aufführungen des Doktors wäre und Eugénie, ein Mädchen aus gutem Hause, das in der Salpêtrière landet, weil es mit den Geistern der Toten reden kann.
    Eugénies Geister nehmen für meinen Geschmack zu viel Raum im Roman ein. Dieses übernatürliche Elemente hätte es nicht gebraucht. Ein guter Roman mit einem wahren historischen Hintergrund wird so teilweise ins Absurde geführt. Dennoch ein beeindruckendes Buch, dass mein Interesse an diesem Kapitel der französischen Geschichte geweckt hat.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 2 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Lili-Marie, 23.04.2020

    Leider nicht meins
    Der Schreibstil der Autorin hat mir ganz gut gefallen und hat auch zu der Zeit gepasst in der die Geschichte spielt. Dennoch habe ich was ganz anderes erwartet.

    Hauptsächlich ging es um Frauen, die von den Männern in das Krankenhaus eingewiesen wurden wenn sie in ihren Augen nicht „normal“ waren. Ein falsches Wort und schon wurden die Frauen damals für verrückt erklärt, von der Familie ausgestoßen und in das Krankenhaus gesteckt.

    Was im Krankenhaus geschieht interessiert dabei kaum einen. Interessant sind nur die Vorführungen die regelmäßig stattfinden. Hier werden die Frauen auf grauenvolle Art und Weise vorgeführt. Es ist sehr erschreckend und absolut undvorstellbar wie grausam man früher zu den Frauen war.

    Wir lernen drei Frauen kennen, von denen eine nach kurzer Zeit eher in den Hintergrund verfrachtet wird, was ich sehr schade fand. Mit keiner Figur wurde ich richtig warum und konnte mich auch nur schwer in ihre Handlungen hineinversetzen.

    Vor allem hat mich gestört, dass einige Stellen ganz genau beschrieben wurden, die aber eher nebensächlich waren und das was einen wirklich interessiert hat und wo man mehr daraus hätte machen können kam viel zu kurz.

    Insgesamt empfand ich die Geschichte als sehr flach und kaum interessant.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 4 Sterne

    3 von 4 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Xirxe, 02.07.2020 bei bewertet

    Dass Frauen es in einer männerdominierten Gesellschaft nicht leicht haben, dürfte allgemein bekannt sein. Aber WIE schwer sie es hatten, davon haben vermutlich nur die Wenigsten eine Vorstellung. Wichen sie von der Norm ab oder zeigten ungebührliches Verhalten, kam dies für Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts einem Strafurteil gleich. Ihre Angehörigen liessen sie wegsperren, in Paris beispielsweise in die berühmte Salpêtrière, eine der grössten psychiatrischen Anstalten Europas, die Frauen vorbehalten war. Mit ihrem Buch 'Die Tanzenden' erinnert die Autorin Victoria Mas an diese Frauen, die von der Welt vergessen waren - und nur beim gesellschaftlichen Ereignis 'Bal des Folles' ins Bewusstsein der besseren Gesellschaft rückten.
    Die wichtigsten Figuren sind Geneviève, die Hauptverantwortliche für die Kranken in ihrem Bereich, eine durch und durch rationale Person; und Eugénie und Louise, die aus sehr unterschiedlichen Gründen in der Salpêtière landeten. Genevièves kühle Rationalität wird durch die Einlieferung Eugénies schwer auf die Probe gestellt und sie beginnt ihre Umgebung mit kritischeren Augen zu betrachten.
    Obwohl Männer in dieser Geschichte nur als Randfiguren erscheinen, sind sie es, die das Leben all dieser Frauen bestimmen, ob diese nun in der Salpêtrière arbeiten oder dort Patientinnen sind. Männer geben vor, was normal ist, was richtig oder falsch und eine Frau, die Kritik oder Zweifel äussert, kann nur krank sein. Kaum zu glauben, dass diese Zustände vor gerade einmal etwas mehr als 130 Jahren noch gang und gäbe waren. Victoria Mas beschreibt diese teilweise schauerlichen Verhältnisse in einer geradezu sanften und zarten Sprache, sodass der Wahnwitz dieser Anstalt sich noch deutlicher darstellt.
    Ein lesenswertes Buch, das Vergessene wieder in Erinnerung bringt. Den 'Bal des Folles' hat es übrigens tatsächlich gegeben, ein bisschen was ist darüber zu finden im französischen Wiki unter 'Bal des folles à la Salpêtrière'.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 3 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    world-of-books, 11.05.2020

    Enttäuschend, jedoch lesenswert

    In "Die Tanzenden" erzählt die Autorin Victoria Mas die Geschichte von vier Frauen die im Jahr 1885 in Frankreich lebten und in der Salpetriere, der berühmten Frauenpsychiatrie, aufeinandertreffen. Dabei gibt sie dem Leser sehr bedrückende Eindrücke in das Leben dieser Frauen und zeigt, wie allgegenwärtig die Macht des männlichen Geschlechts zur damaligen Zeit war.

    Cover
    Das Cover ist einnehmend, auffällig und auch sehr schön anzusehen. Zusammen mit dem Titel weiß man erst mal nicht, worüber die Geschichte handelt. Aber leider ist auch der Klappentext etwas irreführend.

    Meine Meinung
    Die Protagonistinnen dieser Geschichte könnten kaum unterschiedlicher sein und auch ihre Hintergrundgeschichte unterscheidet sie voneinander, auf diese Weise werden dem Leser unterschiedliche Denkweisen der Frauen zur damaligen Zeit dargestellt und auch ihre unterschiedliche Art mit ihrer Situation umzugehen. Dabei werden die Protagonistinnen, durch die eindrucksvolle Schreibweise der Autorin, dem Leser sehr realistisch dargestellt und man hat keine Probleme ihre Beweggründe zu verstehen.
    Zudem zeigt Victoria Mas die Umgangsweise mit den Patientinnen, wie zum Beispiel ihre öffentliche zur Schau Stellung und auch wie einfach es damals war sich einer unbequemen Frau zu entledigen. Besonders gut finde ich, dass nicht nur gezeigt wird, dass Männer die Frauen unterdrücken, sondern auch das sich Frauen gegenseitig unterdrückt haben.
    Insgesamt eine sehr gute Geschichte über die Unterdrückung der Frau im 19. Jahrhundert, welche einen zum Nachdenken anregt. Dabei muss man auch erwähnen, dass einige Charaktere, der Handlungsort und auch einige Handlungen der Geschichte echt sind.
    Jedoch hat die Autorin auch die Thematik der Spiritualität mit eingebunden. Wenn man nicht daran glaubt, ist man sehr enttäuscht, dass diese Thematik mit in einer so bewegenden und wichtigen Thematik der Unterdrückung eingebracht wurde. Das sorgte dafür, dass ich das Buch öfter zur Seite legen musste, weil ich nicht wusste, was ich davon halten soll. Denn plötzlich hat man auch noch die Seite der Unterdrücker verstanden und das fand ich, hat diese unglaublich bewegende Geschichte zum Teil wieder zunichtegemacht. Besonders, da ich nicht glaube, dass das die Intention der Autorin war.
    Doch nicht nur die Hinzunahme einer zweiten Thematik, sondern auch das Ende fand ich sehr enttäuschend. Das Ende hatte nämlich ein großes Potenzial, jedoch wurde schnell geschrieben, was mit den Protagonistinnen noch geschieht und dabei ein viel zu leichtes und schnelles Ende im Epilog gewählt.

    Fazit
    Victoria Mas hat eine unglaublich einnehmende Schreibweise, welche einem diese wichtige Thematik verdeutlicht und zum nachdenken anregt. Und auch trotz der doch sehr starken Defizite, kann man nicht anders als das Buch weiterzuempfehlen, denn Mas hat vier unglaubliche Protagonistinnen erschaffen, deren Geschichte man einmal gelesen haben sollte.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 3 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Elchi130, 29.03.2020

    Im Mittelpunkt von „Die Tanzenden“ stehen die Menschen in einer Nervenheilanstalt für Frauen in Paris. Hier begegnen wir der langjährigen Oberaufseherin Genevieve. Sie ist nach dem frühen Tod ihrer geliebten Schwester innerlich erstarrt. Die Prostituierte Therese ist mittlerweile seit 20 Jahren Patientin in der Anstalt. Sie möchte auch nirgendwo anders sein. Ganz anders Louise. Sie hofft in Kürze von Jules, einem jungen Mediziner aus der Salpetriere, wie das berühmteste Krankenhaus der Stadt heißt, nach 3 Jahren endlich herausgeholt zu werden. Das immergleiche Leben hinter den Mauern gerät in Bewegung durch die Einlieferung von Eugenie, einer gutbürgerlichen Notarstochter. Sie wird von ihrem Vater hierher gebracht, nachdem er erfahren hat, dass sie mit Toten kommunizieren kann.

    Victoria Mas führt die Hauptfiguren sehr lang und ausführlich und damit für meinen Geschmack zum Teil auch sehr langatmig ein. Besonders die Beschreibungen, wenn es um Genevieve und ihr Leben geht, sind sehr detailliert. Dabei ist es egal, ob es um Wertvorstellungen der Oberaufseherin geht oder um die Beschreibungen der Umgebung.

    Dazu kommen zum Teil schwer erträgliche Szenen, wenn es darum geht, wie schnell Frauen 1885 und früher in der Salpetriere landen können und wie wenig Hoffnung besteht, dass sie die Nervenheilanstalt jemals wieder verlassen. Die ganze Zeit hatte ich ein beklemmendes Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht. Bei den Schilderungen werden teilweise Behandlungsmethoden oder Lebensumstände vorgeführt, die ich nur mit Abscheu lesen konnte.

    Dass Eugenie Tote sehen und mit ihnen kommunizieren kann, war für mich sehr befremdlich, sodass ich beim Lesen dieser Szenen zu Beginn meistens nur ein Fragezeichen im Kopf hatte und gar nicht wusste, wie ich diesen Erzählstrang einordnen sollte. Der Gedanke, dass es Menschen gibt, die mit Toten kommunizieren können, ist mir einfach zu irreal. Obwohl mir natürlich bekannt ist, dass es diese spirituelle Richtung in der Avantgarde gab.

    Das Ganze führte dazu, dass ich die erste Hälfte des Buches nur mit Widerwillen gelesen habe. Es gab keinen Erzählstrang, der mich interessierte. Geändert hat sich das in der zweiten Hälfte des Buches. Endlich hatte ich den Eindruck, im Buch angekommen zu sein. Wir erleben hier die Entwicklung der Genevieve von einer innerlich erstarrten Person, die funktioniert, zu einem empathischen Menschen, der sich für andere einsetzt und sich selber wieder fühlt. Diese Entwicklung fand ich spannend und interessant. Hier habe ich den Schreibstil, den ich vorher zum Teil hölzern und langatmig fand, als sehr flüssig und kurzweilig empfunden.

    Die bessere zweite Hälfte des Buches reicht mir jedoch nicht für eine klare Leseempfehlung.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 3 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    yellowdog, 06.04.2020

    Verrückt? Nicht alle ...

    Schauplatz des Romans Die Tanzenden von Victoria Mas ist ein Pariser Krankenhaus für verrückte Frauen Ende des 19.Jahrhunderts.

    Man bekommt Einblick in diese Anstalt aus der wechselnden Perspektive von den Frauen. Die Pflegerin Genvieve, die Insassin Louise und Eugenie, die gerade neu hinzukommt. Ihr Vater hat sie einweisen lassen.
    Es ist Therese, die schon 20 Jahre hier ist, die verdeutlicht, das es bei vielen Frauen die Willkür und Gewalt der Männer ist, die sie hierher führten. Männer führen die Gewalt gegen andere aus, Frauen gegen sich selbst.

    Das Schicksal der Frauen vermag zu berühren. Die Entwicklung der Handlung spitzt die Situation zu.

    Es dauert eine Weile bis ich im Buch drin war, aber dann fand ich es nicht schlecht.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    Sheena01, 08.04.2020

    Was ist „normal“?

    Inhalt & Handlung:
    Paris, gegen Ende des 19 Jahrhunderts. Die Aufgabe der Frau ist es, sich dem Mann unterzuordnen und nicht aufzufallen. Wer sich nicht an die Norm hält, läuft Gefahr, in die gefürchtete „Salpêtrière“, der Nervenheilanstalt von Paris, in der der renommierte Neurologe Jean-Martin Charcot wirkt. Hier landen viele Frauen, derer die Gesellschaft überdrüssig geworden ist: Prostituierte, Bettlerinnen, nach Vergewaltigungen schwer traumatisierte Frauen, oder aber auch jene Freigeister, deren Familien sich für ihr fortschrittliches Auftreten schämen. Hier in der Salpêtrière einmal mit der Diagnose „Hysterie“, „Epilepsie“, „Melancholie“ konfrontiert, sind diese Frauen als „verrückt“ gebrandmarkt und werden hier zumeist für ihr restliches Leben, vor der „gesunden“ Bevölkerung weggesperrt. So auch Eugénie, deren Vater sie eigenhändig einweisen lässt, weil sie angeblich die Fähigkeit hat, mit Toten zu sprechen. Um seinen guten Ruf in der Gesellschaft zu wahren, entledigt er sich ihrer auf diese Weise. Eugénie trifft hier auf die Krankenschwester Geneviève, die seit vielen Jahren ihren Dienst in der Salpêtrière versieht und sich einen guten Ruf als „Oberaufseherin“ der Abteilung gemacht hat.

    Schreibstil:
    In ihrem Erstlingswerk besticht die junge Französin Victoria Mas mit einer sehr leichten, fast schon melodiösen Schreibweise, die im krassen Gegensatz zu dem oft sehr deprimierenden Inhalt steht. Schonungslos werden hier die für die damalige Zeit gängigen Methoden in der Nervenheilanstalt beschrieben, und die Ungerechtigkeiten, die sämtlichen Insassinnen widerfahren.
    Interessant der plötzliche Perspektivenwechsel: ab dem Zeitpunkt, ab welchem bei einer Frau „Hysterie“ oder Ähnliches als Diagnose im Raum stand, wurde diese nur noch als Geisteskranke oder Irre bezeichnet!

    Charaktere:
    Man trifft hier auf etliche sehr unterschiedliche Charaktere, hier seien zum einen Eugénie erwähnt, eine für diese Zeit unglaublich fortschrittlich denkende junge Frau, die ihr persönliches Glück nicht darin sieht, als Ehefrau in einem Haushalt zu verkümmern, sondern die für ihr künftiges Leben weitaus höhere Ziele gesteckt hat. Der Schock, von ihrer eigenen Familie verraten, in der Salpêtrière zu landen sitzt tief, und sie droht daran zu zerbrechen.
    Zum anderen trifft man auf Geneviève, ihres Zeichens langjährige, treue Mitarbeiterin in der Pariser Nervenheilanstalt. Als sie auf Eugénie trifft, gerät ihr Weltbild plötzlich ins Wanken, und sie beginnt vieles zu hinterfragen.

    Cover:
    Die Farbgebung des Covers beschränkt sich auf drei Farben, mit denen schemenhaft das Bild einer Tänzerin gezeichnet wird, ein Bild das symbolhaft für das verblassende Leben der Frauen in der Salpêtrière steht.

    Autorin:
    Die gebürtige Französin Victoria Mas hat jahrelang in den USA gelebt, wo sie als Script Supervisor, Standfotografin und Übersetzerin beim Film gearbeitet hat, ist dann aber zu einem Studium an die Sorbonne nach Frankreich zurückgekehrt, wo sie heute als freie Journalistin tätig ist.

    Meinung:
    Dies ist eines jener Bücher, die sich leicht und locker lesen lassen, die einen aber letztlich im Mark erschüttern, weil sie so viel Ungerechtigkeiten zum Inhalt haben, die einen aus heutiger Sicht einfach nur sprachlos machen: Frauen, die der Gesellschaft lästig oder unbequem waren, wurden aufgrund von fragwürdigen Diagnosen einfach weggesperrt, um mit ihnen menschenverachtende Forschung zu betreiben. Dass diese Frauen aber aus heutiger Sicht gesund, allerdings aufgrund von Gewalt und Misshandlungen schwer traumatisiert waren und einfach nur einer Therapie bedurft hätten, war damals undenkbar - es wurde alles auf „Hysterie“ zurückgeführt. Beim Lesen stellte ich mir mehr als nur einmal die Frage, ob es sich bei den Verrückten tatsächlich um die Insassinnen handelte, oder ob die wahren Verrückten vielmehr jenseits der Anstaltsmauern oder unter den behandelnden Ärzten, den Göttern in Weiß, zu suchen waren, die die Frauen wie Tiere im Zoo vorführten.

    Fazit:
    Ein Buch, das aufrührt und einen nachhaltig prägt, eine echte Leseempfehlung!

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    Buecherseele79, 24.04.2020

    Geneviéve arbeite 1885 in Paris, in der Salpétiére, einer Anstalt für Frauen. Frauen die verrückt sind, die ihre Ticks und Splins haben, die depressiv oder verrucht sind, Frauen die einfach nicht tragbar sind und unter unterschiedlichsten Gründen hier gelandet sind. Louise ist schon länger Insassin und hat einiges erleben müssen, vor allem Ablehnung und Missverständnis. Geneviéve versucht die Frauen unter Kontrolle zu halten, gerade jetzt als die alljährliche Ballnacht ansteht in der die Frauen auf die Pariser Elite trifft…aber Eugénie, der Neuzugang, bringt Geneviéve komplett aus dem Konzept…

    "Sie denken an die Gäste, die Pariser Elite, die sich freut, die Irren einmal von Nahem zu erleben und die Irren freuen sich nicht minder, dass man sie endlich einmal anschaut, sei es auch nur für ein paar Stunden." (Seite 74)

    Diese Buch entspricht nicht der Norm, das vorweg. Womöglich wäre noch eine Triggerwarnung angebracht, aber das muss jeder selbst für sich herausfinden. Es gibt große Diskussionen dass das Cover zu „leicht“ und „unbeschwert“ für diese Art der Geschichte ist. Das mag so sicherlich sein, aber gleichzeitig ist es das Bild was auf die Frauen passt die in der Salpétiére zugeschnitten ist, und um diese Frauen alleine geht es.

    Der Schreibstil ist leicht, locker, manchmal sogar humorvoll, ganz ungewöhnlich für ein Thema wie dieses, aber es nimmt diesem Buch gleichzeitig eine erdrückende Schwere, man kann es leichter zur Seite legen, darüber nachdenken, den Kopf schütteln, sich aufregen, ärgern und einfach dankbar sein in der heutigen Zeit leben zu dürfen.

    Die bildhafte Beschreibung macht dieses Leseerlebnis sehr intensiv, man hat ein inneres Kopfkino und kann sich viele Umstände, Umgebungen, Menschen und Geschehnisse vorstellen.

    Es geht um die zwei Frauen Geneviéve und Eugénie.

    Geneviéve lebt alleine und zurückgezogen, für sie war schnell als Kind schon klar dass sie in die Medizin, in die Wissenschaft möchte. Heute ist sie leitende Oberschwester in der Salpétiére. Aber durch eigene Schicksalsschläge ist sie kühl, zurückhaltend und distanziert geworden. Im Lauf der Geschichte erhalten wir einen Einblick warum es ihr so ergangen ist und was sie bewegt. Ihre Verwandlung und ihren Mut fand ich auf jeden Fall bemerkenswert.

    Eugénie steht für die Oberschicht in Paris, für die Pariser Elite. Für die Frauen zu der damaligen Zeit mit ihren mehr Pflichten als Rechten. Durch sie erhält man den Blickwinkel wie schwer es damals als Frau war den eigenen Weg überhaupt gehen zu dürfen, dass jedes falsche Wort oder Blick Abstrafung oder Einweisung in die Salpétiére bedeuten konnte. Mit ihr bekommt das Buch einen, ja mystischen, interessanten Punkt den der eine Leser toll findet, der andere Leser wird genervt sein.

    Louise steht für die vielen Frauen in Paris die in die Salpétiére eingewiesen worden sind. Die Schicksale ähneln sich, sie zeigen auf was Frauen, die nicht in das Gesellschaftsbild passen, passieren konnte bzw. passiert ist. Jedes einzelne Schicksal bewegt, macht wütend, schockiert und lässt einen immer wieder innehalten.

    Einfacher Stoff ist dieses Buch, trotz seines Titels und schönen Covers ganz gewiss nicht. Es ist ein Stück Zeigeschichte in das Paris von 1885, als Frauen keine wahren und wirklichen Werte hatten. Die Methoden der Salpétiére werden ebenso beleuchtet und aufgezeigt, auch was die Ballnacht für alle bedeutet – für die Pariser Elite, für die Mädchen in der Salpétiére, welche Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Sorgen damit verbunden sind.

    "Ich bezweifle, dass ich bald entlassen werden, ob überhaupt irgendwann. Ich bin den größten Teil meines Lebens draußen gewesen und habe mich nicht frei gefühlt. Die Sehnsucht muss ich woanders erfüllen. Darauf zu warten, dass man befreit wird, ist ein vergebliches und unerträgliches Gefühl."( Seite 233)

    Für mich, trotz seiner Thematik oder gerade deswegen, ein Must Read für 2020 und ein wahres Highlight für mein Lesejahr!

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein
  • 5 Sterne

    Miss.mesmerized, 06.04.2020 bei bewertet

    Ende des 19. Jahrhunderts ist das Hôpital de la Salpêtrière Heimat und Gefängnis für all diejenigen Frauen, die als nervenkrank, hysterisch, geistesgestört, epileptisch oder einfach für die Gesellschaft gefährlich eingestuft wurden - bzw. derer man sich entledigen wollte. Auch die junge Eugénie landet dort, nachdem sie ihrer Großmutter offenbarte, dass sie Geister sehen und mit ihnen kommunizieren kann. Dem strengen Vater bleibt keine andere Wahl als das Kind wegsperren zu lassen. Doch Eugénie ist nicht krank, das merkt auch die Aufseherin Geneviève schnell. Den anderen Mädchen und Frauen, die regelmäßig der interessierten Öffentlichkeit vorgeführt werden und für die es kaum eine Hoffnung auf ein Leben in Freiheit gibt, bleibt ebenfalls nicht verborgen, dass der Neuzugang anders ist. Aber in den Vorbereitungen des jährlichen Bal des Folles, bei dem die Verrückten ihren großen Auftritt haben, sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

    Victoria Mas beschreibt in ihrem Roman eine gängige Praxis des 19. Jahrhunderts. Die an Erkenntnis interessierte Medizin, das wachsende Interesse an der Psyche, nachdem der Körper weitgehend studiert wurde, und zugleich das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen und der Leichtigkeit, mit welcher letztere als psychisch krank deklariert werden konnten, öffneten den Weg für nicht nur fragwürdige, sondern menschenunwürdige Machenschaften unter dem Deckmäntelchen der Forschung und des Fortschritts. Eugénie sieht das Vorführen der Patientinnen wie in einem Zoo, in den man geht, um die wilden Tiere aus sicherer Entfernung fasziniert und abgeschreckt zugleich zu bestaunen. Jeglicher Menschlichkeit und Würde beraubt, sind die oft jungen Mädchen schutzlos ausgeliefert.

    Pointiert und treffsicher lässt die Autorin ihre Protagonistin das Treiben hinter den dicken Mauern des altehrwürdigen Krankenhauses beschreiben. Sie weigert sich, zum Tier degradiert zu werden, das der Pariser Prominenz wie im Zirkus dressiert vorgeführt wird. Ihr unabhängiges Denken und ihre Neugier haben sie in die Kreise der Spiritisten gebracht, wodurch sie ihre Gabe erkennt, die ihr zum Verhängnis wird. Eugénie ist zu fortschrittlich für ihre Zeit, sie erkennt sie scheinbar naturgegebene Vormachtstellung und Überlegenheit der Männer nicht an und sowohl der Vater wie auch die Ärzte unterstreichen mit ihrem Verhalten die Zweifel, die man an ihnen haben kann.

    Auch Louise und Thérèse sind Opfer männlicher Gewalt geworden, die ihre Spuren auf den Seelen der beiden Frauen hinterlassen haben. Sicherlich haben sie deutliche Anzeichen von diagnostizierbaren psychischen Krankheiten. Diese sind jedoch die unmittelbaren Folgen dessen, was sie erleiden mussten und keineswegs Zeichen für einen fehlenden Verstand. Gerade die ältere Thérèse hat dies durchschaut und erkannt, dass für sie Freiheit und Schutz nur innerhalb der geschlossenen Anstalt existieren, der Welt draußen will sie nie mehr ausgeliefert sein. Ihre Erlebnisse, keineswegs untypisch für ihre Zeit, waren so furchtbar, dass sie lieber zweifelhafte Behandlungsmethoden und Degradierung in Kauf nimmt.

    Den Gegenpol bildet Geneviève, die als Aufseherin für Ruhe und Ordnung sorgt. Ihr analytisch-wissenschaftlicher Blick lässt sie vieles mit einer gewissen Distanz betrachten und ertragen. Doch auch sie wird zum Opfer männlicher Hybris und deutlich in ihre Schranken gewiesen: als Frau ist ihre Meinung schlichtweg irrelevant.

    Der Roman liest sich wie eine herausragend erzählte Geschichte, die Sympathien für die jungen Frauen weckt und aufmuntert, sich gegen vermeintlich überlegene Obrigkeiten aufzulehnen. Daneben ist er jedoch auch eine Dokumentation dessen, was sich real zugetragen hat und nicht nur reine Fiktion. Mit wachsender Wut liest man, welche fragwürdigen Methoden angewandt wurden und wie schamlos sich die Männer verhielten. So dass man sich am Ende unweigerlich die Frage stellt, wer eigentlich der gestörte ist.

    War dieser Kommentar für Sie hilfreich?

    ja nein