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  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Gisela E., 21.12.2019

    Als Buch bewertet

    Wie ein Bild von Zille

    Im Berlin der Zwanziger Jahre sind die wahren Verlierer der Wirtschaftskrise diejenigen, die durch alle sozialen Netze hindurchfallen: Kriegsheimkehrer, Bettler, Prostituierte, Verrückte. Sie versuchen sich mehr schlecht als recht durch’s Leben zu schlagen. Man kennt sich größtenteils untereinander. So bleibt es nicht aus, dass an einem Abend mehrere Leute mit verschiedenen Ideen ein einziges Ziel ansteuern: den Fröhlichen Waidmann. Zum Trinken, zum Tanzen, zur Musik, um jemand sehnsüchtig Erwartetes zu finden… Da kann es schon sein, dass die Dinge ihren eigenen Lauf nehmen.

    Es ist das Berliner Lumpenproletariat, in deren Welt der Autor Ulrich Alexander Boschwitz in diesem Buch eintaucht. Keiner der Protagonisten hat es leicht, jeder muss sehen, wie er zurechtkommt. Sehr einfühlsam sind die Figuren gezeichnet, der Autor zeigt ganz besonders viel Fingerspitzengefühl, um seinen Personen Leben einzuhauchen, ihre Lebensweise darzustellen. Auch wenn einer Protagonisten ganz unten angekommen ist, bleibt der Autor sachlich und lässt ihm den nötigen Raum, um seine Ideen und seine Motivationen zu zeigen. Man fühlt sich dabei an die Bilder von Zille erinnert, nicht immer einfach zu lesen, aber sehr nah an der Realität. Dies ist bereits das zweite Buch von Ulrich Alexander Boschwitz, das mir in die Hände gefallen ist, und ich finde es herausragend geschrieben. Leider wird es keine weiteren Bücher von ihm geben, denn der Autor ist bereits 1942 noch recht jung gestorben.

    Dieses Buch möchte ich sehr gerne weiter empfehlen, auch wenn es teilweise keine leichte Kost ist. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

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  • 5 Sterne

    4 von 7 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Sandra S., 14.09.2019

    Als Buch bewertet

    Bei „ Menschen neben dem Leben“ von Ulrich Alexander Boschwitz handelt es sich um einen Roman.


    „Menschen neben dem Leben“ porträtiert kleine Leute in Berlin der zwanziger Jahre, die nach Krieg und Weltwirtschaftskrise rein gar nichts mehr zu lachen haben und trotzdem nicht aufhören, das Leben zu feiern.

    In Boschwitz Debütroman haben es die Protagonisten nicht leicht, da sie die wahren Verlierer der Wirtschaftskrise sind. Abends zieht es Kriegsheimkehrer, Bettler, Prostituierte und Verrückte alle in den Fröhlichen Waidmann. Einige zum Trinken, Andere zu Musik und Tanz. Bevor sich der graue Alltag am nächsten Morgen wieder erhebt, haben sie Sehnsucht nach ein paar sorglosen Stunden.

    Grissmann, der sich im Waidmann eine Frau angeln will, tanzt mit der Frau des blinden Sonnenbergs und unterschätzt den Jähzorn des gehörnten Ehemanns. Im Fröhlichen Waidmann nimmt das Verhängnis seinen Lauf, bis sich neue Liebschaften gefunden haben und Bier und Pfefferminzschnaps ausgeschenkt wurde und der nächste Morgen graut.


    Sehr interessant finde ich den abgedruckten Lebenslauf des Autors, der alle wichtigen Stationen in seinem leider viel zu kurzen Leben beinhaltet.


    Das Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre wird sehr gut beschrieben. Man spürt beim Lesen, dass der Autor ein feines Gespür für interessante Menschen hatte. Seine Auswahl der Protagonisten- einfach klasse.


    Die Protagonisten werden sehr lebendig und authentisch beschrieben. Der Autor hat jedem „seine“ Geschichte gegen. Diese sind sehr interessant. Jeder erlebt sein Schicksal. Dieses wird sehr authentisch beschrieben..Da der Autor uns Leser an dem Leben der Protagonisten ein Stückchen teilnehmen lässt, konnte ich mich sehr gut in die einzelnen Protagonisten hineinversetzen und ihr Ängste, Verluste, Hoffnungen usw. spüren.

    Der Schreibstil des Autors hat mir sehr gut gefallen. Knackige , leicht verständliche Sätze. Einmal angefangen, konnte ich diese Buch kaum aus der Hand legen.

    Das Nachwort des Herausgebers Peter Graf hat mir sehr gut gefallen. Es ist sehr interessant, lehrreich und macht nachdenklich.

    Ein sehr zu empfehlender Roman.

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  • 5 Sterne

    2 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Elke S., 06.10.2019

    Als Buch bewertet

    Grandiose Gesellschaftsstudie zum Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre.

    Schon der „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz hat mir eine großartige Gesellschaftsstudie geboten und deshalb habe ich mich sehr darüber gefreut, dass nun auch zum ersten Mal sein Debütroman „Menschen neben dem Leben“ auf Deutsch veröffentlicht wird. Ich wurde nicht enttäuscht, ich denke sogar, dass ich hier beim Lesen noch eine Schippe mehr an Begeisterung verspürt habe.

    „Wenn sie morgens aus den Betten krochen, waren sie noch frisch und optimistisch und gingen Arbeit suchen. Waren sie aber den ganzen Vormittag vergeblich gelaufen oder kamen vom Stempeln, neigten sie mehr zur Melancholie. Dann saßen sie in den Parks und Anlagen und versuchten zu vergessen, dass sie arbeitslos waren. Sie wollten so tun, als seien Ferien, als wäre es ein Privileg, in der Sonne sitzen zu dürfen und nichts zu tun. Je nach Veranlagung gelang es ihnen mal besser, mal schlechter, sich davon zu überzeugen.“

    Der Roman spielt im Berlin Anfang der 1930er-Jahre – ein Heer von Arbeitslosen, zahllose Prostituierte und Bettler prägen seit der Weltwirtschaftskrise das Stadtbild mit, kein Wunder, denn zwischen 1927 und 1932 steigt die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland von etwa einer Million auf über sechs Millionen an. Und genau dort halten sich sie drei Hauptpersonen Bettler Fundholz, Tönnchen, ein traumatisierter „Schwachsinniger“, dem er sich angenommen hat, und der Arbeitslose und auf den großen Durchbruch als Kleinkrimineller hoffende Grissmann auf. Gekreuzt werden deren Wege durch weiteres, ebenfalls aus dem Takt geratenes „Menschenmaterial“, wie Prostituierte, Kriegsveteranen oder auch Kriegswitwen. Man darf mit ihnen den traurigen Alltag erleben und dann erfahren, warum sich alle abends im Fröhlichen Waidmann treffen. Der eine sehnt sich nach Liebe, der andere will nur ein bisschen Abwechslung und ganz viele wollen einfach nur ihre Alltagssorgen bei einem Gläschen Schnaps vergessen. Was dann aber werden kann, wenn man einem Anderen die Frau ausspannen will, zu viel Alkohol fließt und die Moral sowieso am Boden liegt, wird nicht verraten.

    „Wo ehemals Hunderte von Arbeitern tätig gewesen waren, genügten nun einige vierzig. Man hatte ja Maschinen. Alle Probleme schienen sich herrlich lösen zu lassen.“, allerdings „Maschinen hatten nicht genügend Bedürfnisse, um den menschlichen Käufer zu ersetzen.“ Dem Thema Industriealisierung und Rationalisierung widmet sich Boschwitz von allen Seiten. Toll fand ich auch solche kleine spannende Einblicke wie „In den letzten Jahren waren überall moderne Automatenrestaurants aus der Erde gewachsen. [….] Ersparnis der menschlichen Arbeitskraft; keine Kellner mehr, sondern Automaten. Außerdem waren sie eine gelungene Spekulation auf den menschlichen Spieltrieb. Die Brötchen lagen appetitlich drapiert hinter den großen Glasfächern. Sie reizten zum Kauf und waren sehr billig. Für zehn Pfennig gab es sogar Kaviarbrötchen. Zwar war es kein richtiger Störkaviar, eher Lachsrogen, und das Brötchen war klein, aber die Kaviar- oder auch nicht Kaviarbrötchen sahen so appetitlich aus, dass jeder sie einmal versuchen wollte.“, vermitteln sie doch so viel vom Zeitgeist.

    Pointiert und mit spitzer Zunge wird auch immer wieder ein Augenmerk auf die Kluft zwischen Arm und Reich gelegt, was ich äußerst gelungen finde. Da kann es schon mal heißen, „Um die Mittagszeit fuhren alle Direktoren und Direktörchen zum Essen. Sie hatten es eilig und zeigten es auch. Sie hupten und tuteten wild durcheinander und fraßen die Nerven der Leute, die zu Fuß gingen. Benzingestank und Auspuffgase verpesteten die Luft. Wie schön ist es, bequem in einem Auto zu sitzen. Hinten aus dem Auspuffrohr kommt der Qualm in schmutzigen Schwaden hervor. Man selbst sitzt vorne, man selbst merkt nichts davon, man selbst gibt Gas und braust davon. Nur die anderen, die Unbekannten, die Uninteressanten bekommen das Gas mit Luft vermischt in die Lungen.“ oder ein Fundholz kann sich beim Betteln denken, „Die Reichen hatten doch mehr Geld, als sie für ihre Leben brauchten. Die Armen rechneten mit jeder Mark. Aber eher bekam man von einem Armen fünfzig Pfennige geschenkt, als von einem Reichen zwei Mark.“

    „Geraten aber schon Staaten mit unzähliger Vielfalt der Interessen mörderisch aneinander, und Millionen sehen in den anderen Millionen plötzlich den Alp auf ihrer Brust, wie viel leichter kollidieren da zwei Menschen? Zwei Menschen, deren Existenzbasis eine so schmale ist, deren Lebensfreude eine so geringe ist, dass die Furcht, sie zu riskieren, leicht vom Hass zur Seite gedrängt werden kann. […] Zwei geprügelte Menschen standen vor der Explosion. Sie explodierten gegeneinander. Sie sahen in sich gegenseitig den Todfeind. Den Feind, dessen bloße Existenz das Leben vergiftete. Sie lagen beide unter den Rädern des Lebens.“ Dass sich Deutschland und die Menschen zwischen zwei Weltkriegen befinden, wird ebenfalls mehr als deutlich, ja schon erschreckend zum Ausdruck gebracht.

    Der Sprachstil, ist klar authentisch, ist er ja schließlich dieser Zeit entsprungen, nichtsdestotrotz liest sich der Roman äußerst flüssig. Dem Autor gelingt es Bilder im Kopf entstehen zu lassen und einen so richtig mit vor Ort zu nehmen. Er beschreibt mit vielen tollen Vergleichen, „Menschen, die morden wollen, ähneln gespannten Bogensehnen. Sie sind aufs Höchste konzentriert und bei der Sache. Alles Menschliche tritt in ihnen zurück, nur eins hebt sich aus ihnen heraus: der beabsichtigte Mord.“ und spielt mit Sprache, „Sein doppeltes Doppelkinn zitterte vor Aufregung.“. Zudem sorgt er mit seinen pointierten Formulierungen wie, „Auch in den schlechtesten Zeiten hat man sich noch nicht abgewöhnen können zu essen.“ und auch mit der einen oder anderen amüsanten Szene für viel Lesevergnügen. Da kann von einem Tönnchen, dessen Leben nur das Essen bestimmt, schon mal bei einer Unterhaltung über Literaten ein, „Schiller dachte er, wie das wohl schmeckt? Er hatte noch den süßlichen Geschmack von Walter Schreibers Backpflaumen im Mund.“, zu lesen sein. Das hat mir sehr gefallen, ebenso wie die Tatsache, dass Boschwitz darstellt ohne zu verurteilen, auch nicht, wenn sich menschliche Abgründe auftun.
    Fundholz mochte ich von Anfang an gern. Arbeitslos geworden, aber seine Moral nicht verloren, fand ich toll, dass er selbst das Wenige, das er hat, noch mit Tönnchen teilt, könnte der alleine sicher nicht überleben. Für den egoistischen Kleinkriminellen „Grissmann ärgerte sich bereits, ihm das Geld gegeben zu haben. Jetzt muss ich wieder zwanzig Pfennig billiger essen, dachte er erbittert. Immer die verdammte, weiche Birne. Dabei verpflegt doch Fundholz den Idioten.“, konnte ich keine Sympathien entwickeln. Richtig ans Herz ging mir aber die Kriegerwitwe, die ihre Augen vor der Realität so komplett verschließt. „Wilhelm konnte gar nicht von einem Tage zum anderen gestorben sein. Das war unmöglich. Das war nur eine Intrige gegen sie, gegen Frau Fliebusch, geborene Kernemann. Und dass aus den sechzigtausend Mark, ihrem eingebrachten Heiratsgut, der Bruchteil eines Pfennigs geworden war? Nein, auch das war eine Intrige gegen sie, und das hatte sie dem Bankdirektor auch so gesagt.“ In Minchen, die alles andere als glücklich mit ihrem arbeitslosen Vater und den Männern, die ihr ein reiches Leben ermöglichen, ist, konnte ich mich richtig gut hineinversetzen. Sie ist wie die anderen Nebendarsteller gelungen gezeichnet.

    Alles in allem begeisterte fünf Sterne, wie schade, dass kein weiteres Werk dieses Autors erhalten ist.

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  • 5 Sterne

    Sagota, 22.09.2019

    Als Buch bewertet

    Nach der literarischen Wiederentdeckung von "Der Reisende" ist nun der erste (und leider auch letzte) Roman des Autors (man lese seine tragische Biografie und erfährt den Grund) auf Deutsch erschienen: "Menschen neben dem Leben" ist ein literarisch stimmungsvoller und in die Tiefe gehender Ausflug ins Berlin der frühen 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts und wurde wiederum vom Verlag Klett-Cotta (HC, gebunden, 2019) herausgegeben.

    Die Weltwirtschaftskrise (1929) liegt noch nicht weit hinter den Menschen und hat ein Heer von Arbeitslosen, Prostituierten und Bettlern hinterlassen, die auch das Stadtbild von Berlin mitprägen. So besteht das Romanpersonal aus einigen Entwurzelten, die und deren Geschick und Vergangenheit hier näher kennenlernt:

    Boschwitz stellt seine HauptprotagonistInnen nach und nach vor; im Romanverlauf lernt man sie immer besser kennen. Der Beginn ist in Walter Schreibers Keller, in dem er mit Gemüse handelt und einen kleinen Raum für wenig Geld an Fundholz und Tönnchen zum Schlafen vermietet: Fundholz ist ein gutmütiger, immer noch sozialer Mensch, dem sich Tönnchen einst anschloss, da dieser ihn "mitversorgt". So begleiten wir beide - oder nur Fundholz - durch Berlin und seinen "Schnorr-Alltag" - immer auf der Hut vor der Polizei.
    Während Fundholz einmal Heim und Frau hatte, war das Schicksal Tönnchen gegenüber weniger gnädig: Bis zum Alter von 12 Jahren ein normaler Junge, hatte er ein traumatisches Erlebnis, das ihn das Leben hätte kosten können und ihn für viele Jahre in die Klapse brachte. Dieser Vorfall hat die Verbindung zwischen seinem Denken und Handeln vollständig unterbrochen und der einzige Lebensinhalt ist das Essen; daher wohl auch sein Spitzname....
    Diesen beiden schließt sich Grissmann an; ein über sein eigenes Schicksal der Armut erboster junger Mann, der im Gegensatz zu Fundholz jedoch noch nicht mit dem Leben abgeschlossen hat, nichts mehr erwartet. Seine Besuche in der Bibliothek sind nicht dem Motiv einer Weiterbildung zuzuordnen wie es bei vielen anderen Arbeitslosen der Fall ist, sondern um ein Gegenmittel gegen die Langeweile zu finden - und Menschen zu treffen, die wie er einen absonderen erotischen Hang zu Fotografien haben, die dort getauscht werden und mit denen er kleine Geschäfte macht. Im Grunde schlummert jedoch eine kriminelle Ader in ihm und seine Vorbilder sind die Ganoven amerikanischer Kriminalromane, die "immer davonkommen". Solch ein Ganove möchte er sein, weiß jedoch, dass er die Gewieftheit eines größeren "Dings" nicht wirklich umsetzen kann. Denn im Grunde ist er ein ängstlicher Mensch...
    Bis er Elsi, die Frau des blinden Sonnenbergs trifft und mit ihr tanzt sowie das viel schönere Minchen Lindner, das ihn jedoch kalt abweist. Denn letztere hat Gefallen an dem "schönen Wilhelm" gefunden, den wiederum die geistig verwirrte Frau Fliebusch für ihren seit 20 Jahren verschollenen Wilhelm hält und an dessen Tod im 1. Weltkrieg sie nicht glaubt: Sie glaubt hingegen, dass alle Menschen niederträchtig sind und sie belügen. Daher trägt sie auch in zwei Koffern seine Uniform immer bei sich, in der Hoffnung lebend, ihn wiederzusehen...

    All diese tragischen Gestalten werden kurz angetroffen, bevor sich der Autor ihnen dann auf einer sehr einfühlsamen, warmherzig-emotionalen Ebene nähert und dem Leser das oftmals leidvoll erlittene Schicksal der ProtagonistInnen beschreibt, uns daran teilhaben lässt und Verständnis hat für die jeweilige "Überlebensstrategie", ohne einen moralischen Zeigefinger. Ausser Grissmann und auch dem alten Sonnenberg, der über den Verlust seines Augenlichts im 1. Weltkrieg wütend und verbittert ist, dies auch seine Frau spüren lässt, sind die übrigen Figuren, die sich letztendlich im "Fröhlichen Waidmann" treffen, durchaus sehr sympathisch. In einer Nebenfigur skizziert Boschwitz auch die bereits vorhandene Ablehnung gegenüber Juden, die in den frühen 30er Jahren (und auch zuvor) in Form von bestehendem Antisemitismus durchaus vorhanden war und die nicht unerheblich zum Entstehen des nationalsozialistischen Denkens beitrug.

    In der Eskalation zwischen Sonnenberg und Grissmann, in der die aufgestaute Wut beider Ausdruck findet, beide "unter den Rädern des Lebens" liegend, nimmt der Roman eine überaus dramatische Wendung; Boschwitz vergleicht den Kampf der beiden Unterdrückten mit dem Krieg von Nationen und sieht die Zukunft, in der noch mehr Vernichtungserfolge in Kriegen zu finden sein werden, sehr realistisch: Er sollte Recht behalten, was beim Lesen mehr als betroffen macht.
    Während die beiden Kontrahenten keinen Ausweg sehen, ihrer Wut zu entkommen und auch Fundholz nicht schlichten kann, endet das Zusammentreffen in einer Katastrophe: Für andere wiederum gibt es Hoffnung auf ein besseres Leben als jenes, das sie nicht mehr führen möchten: Wird Minchen Lindner, deren Ersparnisse aus ihrer Edelprostitution stammen, mit dem früheren Zuhälter Wilhelm einen Kolonialwarenladen führen können; werden beide heiraten? Wir wissen es nicht, aber zu hoffen wäre es.

    Ein sehr berührendes Gesellschaftsportrait der oftmals in schuldlos unwürdigen Lebensverhältnissen lebenden Menschen im Berlin der frühen 30er Jahre, in dem der Autor es zutiefst menschlich versteht, jeder Romanfigur Respekt, Aufmerksamkeit und Würde entgegen zubringen, dem man sich als Leser nicht entziehen kann. Ein Roman, der nachhallt - und dessen Personal an "Zille sein Milljöh", an Hans Fallada ("Kleiner Mann - was nun?") und an Döblin's "Berlin Alexanderplatz". Eine absolute Leseempfehlung von mir und ein Dank an den Herausgeber Peter Graf, dessen brillantem Nachwort zum Roman ich mich gerne anschließe! 4,5*

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  • 5 Sterne

    Diamondgirl, 22.09.2019

    Als Buch bewertet

    Was hätte dieser Mann noch alles schreiben können....

    In diesem Roman wird das Leben verschiedener Protagonisten im Berlin der 20er Jahre beschrieben. Der Gemüsehändler Schreiber, der einen Nebenkeller an 2 Arbeitslose für 1,50 Mark die Woche als Schlafplatz vermietet; die Arbeitslosen Fundholz und Tönnchen, die sich ihren Lebensunterhalt erbetteln müssen und schließlich den jungen Arbeitslosen Grissmann.
    Grissmann lebt am Rande zur Illegalität, denn seine Gedanken kreisen ständig um evtl. Chancen, zu Geld zu kommen. An anderer Leute Geld, versteht sich, durchaus auch mittels Einbruch, Raub oder Erpressung.
    Fundholz hingegen hat sich mit seiner desolaten Lage abgefunden. Er träumt schon länger nicht mehr davon, aus dieser prekären Situation heraus zu finden, sondern fristet sein Leben mit Betteleien. Als ob er nicht schon wenig genug hätte, füttert er auch noch Tönnchen mit durch, der durch eine psychische Beeinträchtigung nicht mehr für sich sorgen kann.
    Es gibt noch so einige Mitwirkende, die ebenfalls ihr Päckchen zu tragen haben und für den Handlungsverlauf interessant sind. Trotz ihres trüben Tagesablaufs zieht es sie abends in den Fröhlichen Waidmann, um bei Pfefferminzschnaps, Musik und Tanz dem grauen Alltag für wenige Stunden zu entfliehen, was nicht immer reibungslos vonstatten geht.
    Trotz aller Entbehrungen und Tiefschläge bleibt letztlich dennoch ein Hoffnungsschimmer in den Köpfen der Protagonisten, dass es irgendwann ja auch wieder bergauf gehen muss.

    Ähnlich wie das bereits zuvor erschienene Buch "Der Reisende" hat mich sein Erstwerk "Menschen neben dem Leben" begeistert. Erzählt wird aus der dritten Person und das so gekonnt, dass ich immer wieder verwundert war, dass man einen solchen Schriftsteller so lange ignorieren konnte in Deutschland. Man ist innerhalb einer Seite in der grauen Zeit der Weltwirtschaftskrise und spürt förmlich die weitgehend vorhandene Hoffnungslosigkeit der Menschen. Boschwitz verrät uns die Gedankengänge der Protagonisten, als ob er selbst bereits in ähnlichen Situationen gewesen wäre. Aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt steuert alles auf einen Showdown im Waidmann hin, wo die Ereignisse sich quasi überschlagen.

    Boschwitz Sprache hat absolut nichts antiquiertes an sich sondern könnte auch vor wenigen Jahren niedergeschrieben worden sein. An einigen Stellen war der Text sogar hochaktuell - bspw. wenn er von der Umweltbelastung des starken Verkehrs auf Berlins Straßen berichtet.
    Dass ein so junger Mensch einen solch tiefen Blick auf die Gesellschaft werfen und dann auch noch derart eindrucksvoll formulieren kann, ist in meinen Augen herausragend. Als ob er gewusst hätte, dass ihm nicht viel Zeit zum schreiben vergönnt sein würde.

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  • 5 Sterne

    Bibuschka, 19.09.2019

    Als Buch bewertet

    Der Roman „Menschen neben dem Leben“ von 1937 lässt den Leser am Überlebenskampf einer Handvoll Personen am untersten Rand der Gesellschaft in der Zeit zwischen den Weltkriegen teilhaben. Allen ist der unverschuldete gesellschaftliche Absturz gemeinsam. So liegen die Ursachen dafür im Bereich der Arbeitslosigkeit, geistiger Behinderung oder Kriegsversehrtheit. Im Zentrum des Geschehens steht die Kneipe „zum fröhlichen Waidmann“, in der unter Alkoholeinfluss ein Konflikt untereinander eskaliert.

    Der Roman lebt vom Umgang mit der Perspektivlosigkeit nach dem gesellschaftlichen Fall. So äußert sich die Hilflosigkeit und Frustration eines der Protagonisten in Aggressivität, während ein weiterer sich durch Übernahme von Verantwortung für den Schwächsten der Gruppe hervortut. Ein Dritter zeichnet sich durch Abkehr von der gesellschaftlichen Ethik aus, die sich darin äußert, dass er sich seinen gesellschaftlichen Platz auf illegalem Weg zurückerobern möchte.

    Insgesamt gelingt es dem Autor hervorragend, in nüchternen Worten ein düsteres Gesellschaftsbild zu skizzieren, in der für die Ärmsten die Sicherstellung der elementarsten Grundbedürfnisse nicht gegeben ist und die eine so hohe Durchlässigkeit aufweist, dass ein gesellschaftlicher Absturz eine reale Bedrohung für große Bevölkerungsanteile darstellt. Faszinierend, wie der Autor die Froschperspektive dazu benutzt, die Gesellschaft zu sezieren. Dass das Buch von einem Zeitzeugen verfasst wurde, erhöht die Authentizität und ermöglicht mir als Leser, tief in eine vergangene Zeit und ins Proletariat einzutauchen. Auch fällt mir positiv auf, dass die Protagonisten sämtlich komplex sind, ohne Stereotype zu bemühen. Unterhaltsam, mit welch leisem Spott der Erzähler bisweilen auf die Akteure blickt. Ich möchte die Lektüre des Romans uneingeschränkt empfehlen!!!

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  • 5 Sterne

    Ursula U., 27.10.2019

    Als Buch bewertet

    In den 30er Jahren gab es in Berlin viele Arbeitslose, Kleinkriminelle und Prostituierte, die versuchten zu Überleben. Die Weltwirtschaftskrise und die Schrecken des 1. Weltkrieges sind allgegenwärtig und trifft besonders die Arbeiterklasse. Der Obdachlose Fundholz zieht mit Tönnchen, einem extrem übergewichtigen und immer hungrigen geistig Zurückgebliebenen durch die Straßen und erhofft an mancher Haustür etwas zu bekommen. Wenigstens haben die Beiden eine sichere Unterkunft für die Nacht. Sie treffen auf den blinden Sonnenberg, der voller Hass auf die Sehenden psychisch wie physisch auf seine Frau Elsi einschlägt. Als diese den smarten Grissmann kennenlernt überlegt sie, Sonnenberg zu verlassen. Die ältere Frau Fliebusch hingegen hatte vor dem Krieg bessere Zeiten gekannt, damals, als ihr schöner Wilhelm noch bei ihr war. Man sagte ihr, dass er im Krieg gestorben ist, doch sie will es nicht wahrhaben und sucht immer noch nach ihm. Für den Abend treffen sich alle in der Wirtschaft zum fröhlichen Waidmann, mit Alkohol, Musik und Tanz wollen sie das Elend vergessen.
    Der Roman spielt in einer lange zurückliegenden Zeit und dennoch sind die Probleme der Menschen auch heute noch greifbar. Die Sorgen und Nöte und wie sie wurden was sie sind kann man bestens nachempfinden. Kein Krimineller, keine Prostituierte, kein geistig Zurückgebliebener werden verurteilt, sie alle haben auch ihre positiven Seiten. Es werden nur 2 Tage im Leben dieser "kleinen Leute" beschrieben und man wünscht sich am Ende der Handlung, mehr von ihnen zu erfahren. Schade, dass es nicht mehr davon gibt.

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  • 5 Sterne

    Bücherfreund, 27.10.2019

    Als Buch bewertet

    Den Autor kannte ich bereits vom ersten erschienenen (wieder entdeckten) Buch "Der Reisende". Schon da war ich beeindruckt von der Beobachtungsgabe und der eindrucksvollen Fähigkeit des Autors, Menschen zu beschreiben und die Gesellschaft zu charakterisieren.

    "Menschen neben dem Leben" ist das erste Buch des damals noch sehr jungen Autors, auch wenn dies erst nach dem Reisenden erschienen ist. Die Geschichte spielt im Berlin während der Wirtschaftskrise zwischen den Weltkriegen. Als Leser begleitet man die Leute, die im ersten Weltkrieg alles verloren haben durch ihren Alltag. Es sind die kleinen Leute, die wenig besitzen, zum Teil nur noch die Kleider an ihren Körpern und auf der Straße leben.

    Ich fand das Buch sehr mitreißend. Der Autor hat eine erstaunlich kraftvolle Sprache, wodurch man sich als Leser direkt in die Handlung hinein versetzt fühlt. Man ist mit diesen Leuten unterwegs, begleitet sie durch ihren tristen Alltag und freut sich mit ihnen über die kleinen Freuden ihres Lebens: ein Tänzchen oder ein Bier im Fröhlichen Waidmann, wenn man es sich leisten konnte. Man merkt, dass Boschwitz die Zeit selber miterlebt hat, was die ganze Geschichte sehr authentisch macht.
    Was ich außerdem interessant fand, waren auch die Reaktionen der Mitmenschen auf diese Charaktere, was die Gesellschaft zu der Zeit gut charakterisiert.

    Ein wirklich lesenswertes und vor allem auch heute noch aktuelles Buch.

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  • 4 Sterne

    Marianne, 25.09.2019

    Als Buch bewertet

    Am Anfang der 30er Jahre gibt es in Berlin viel Not. Maschinen ersetzen Menschen, darum gibt es viele Arbeitslose. Andere leiden unter den Folgen des Großen Kriegs. Männer müssen betteln, Frauen verdienen Geld mit „Gefälligkeiten“.

    Diese Geschichte beginnt mit einem Gemüsehändler, der einen muffigen Kellerraum als Schlafplatz an zwei Obdachlose vermietet. Abends werden sie eingeschlossen und morgens herausgelassen, sodass die hungrigen Männer sich nicht an Obst und Gemüse des Händlers zu schaffen machen können.

    Der Tag beginnt viel zu früh für die beiden Männer. Während der eine hausieren geht, wartet der andere im Park. Er ist geistig behindert, die Folge eines traumatischen Erlebnisses in seiner Kindheit.

    Im Laufe des Tages tauchen viele weitere Männer und Frauen auf. Jeder hat seine Geschichte und alle leiden auf der einen oder anderen Weise Not.

    Da gibt es den Blinden, der im Krieg sein Augenlicht verlor, und seine Frau, die sich aus dieser gewalttätigen Beziehung befreien möchte. Eine betagte Frau glaubt auch mehr als Jahrzehnt später nicht, dass ihr Mann gefallen und ihr Vermögen wertlos geworden ist. Eine hübsche, junge Frau hat ein gutes Einkommen. Verschiedene ältere Herrn suchen sie regelmäßig auf. Ein Arbeitsloser ist wegen seinen Umständen wütend und er fragt sich, warum immer er benachteiligt wird. Er heckt verschiedene Pläne aus, um zu bekommen, was ihm seiner Meinung nach zusteht.

    Diese unterschiedlichen Personen haben eins gemeinsam: Sie stehen neben dem Leben. Sie sind die Leidtragenden der Wirtschaftskrise.

    Der junge Autor dieses literarischen Werks starb schon als junger Mann im Jahr 1942. Sein Buch wurde 1937 in Schweden herausgegeben. Der Text wurde vor dieser ersten deutschen Veröffentlichung lektoriert und dabei vermutlich der heutigen Sprache ein wenig angepasst.

    Die Lebensläufe der Menschen stehen nebeneinander. Immer wieder erfährt der Leser Bruchstücke aus ihrer traurigen Vergangenheit. Der Autor beschreibt die Beweggründe dieser Menschen und erzählt von Motiven, die ihnen oft selbst nicht bewusst sind. Es sind oft niedere Instinkte und Wünschen, von denen diese einfachen Menschen gesteuert sind.

    Was diesem Buch fehlt ist eine überzeugende Handlung. Die beschriebenen Menschen versammeln sich abends in einer Wirtschaft, in der etwas Dramatisches geschieht, aber dem Buch fehlt ein Spannungsbogen. Die Persönlichkeiten und Verhältnisse in dieser Stadt sind gut beschrieben, aber für einen Roman vielleicht zu sachlich und spannungslos.

    Die Beschreibungen der hoffnungslosen Schicksale lässt besser verstehen, warum ein Führer, der versprach die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, immer beliebter wurde. Als Zeitzeugnis ist dieses Buch besonders wertvoll. Hier schreibt jemand, der diese Zeit tatsächlich erlebt hat. Er kannte die Fragen und Probleme, aber er ahnte nicht wie viel Leid die angebliche Antwort mit sich bringen würde.

    Der Autor streut tiefsinnige Reflektionen und Vergleich in seine Geschichte ein. So vergleicht er neutrale Beobachter bei einer Auseinandersetzung in einer Kneipe mit Staaten, die den Starken unterstützen und doch auf Seiten der Schwachen stehen. „Ihre eigentliche Aufgabe besteht darin, die kriegführenden Parteien aufzustacheln und, im Falle von Nationen, kriegsfähig durch Lieferungen zu erhalten.“ Wer denkt da nicht an aktuelle Ereignisse!

    Fazit: Die Besonderheit dieses Buchs ist, dass es das authentische Zeugnis eines Zeitgenossen ist. Da er Berlin in diesen längst vergangenen Jahren so gut kennt, kann er ein bewegendes Bild der vergessenen Menschen dieser Stadt malen.

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  • 5 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    yellowdog, 27.10.2019

    Als eBook bewertet

    Bild einer Zeit

    In seinem Buch „Menschen neben dem Leben“ zeigt der Schriftsteller Ulrich Alexander Boschwitz das Leben von Menschen im sozialen Abseits. Es sind die schweren Zeiten der Wirtschaftskrise in Deutschland, was für viele Arbeitslosigkeit, Armut sogar Hunger bedeutet.
    Der Autor setzt eine große Anzahl von Figuren ein, um ein umfassendes Zeitportrait von Berlin zu zeigen.

    Da ist zum Beispiel Grissmann, arbeitslos, aber auf Unabhängigkeit bestehend. Der alte Bettler Emil Fundholz und Tönnchen, der wie ein Kind ist, dabei ist er schon 40. Der kriegsblinde Sonnenberg, die Prostituierte Minchen und andere.

    Der Autor gibt allen auch wirklich Charakter, daher wirken sie real und lebendig. Es wird aber auch gezeigt, wie die Perspektiv- und hoffnungslosigkeit die Menschen in Gleichgültigkeit treibt.
    So sind manche eigentlich ehrliche Leute jetzt zur Kriminalität bereit. Ein anderer wird Zuhälter.

    Wie Boschwitz die Figuren miteinander verknüpft ist stimmig. Ein wirklich gutes Buch.

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  • 5 Sterne

    bibliofreund, 15.09.2019

    Als Buch bewertet

    Von Ulrich Alexander Boschwitz habe ich bereits sein Buch „Der Reisende“ gelesen und fand es aussergewöhnlich gut. Ulrich Alexander Boschwitz verbinden hier in seinem Debüt verschiedene Biographien zusammen mit eine aussgesprochen gekonnten Schreibstil, der die kleinen Leute der 20er Jahre zu Wort kommen lässt.
    Verschiedene Charaktere, alle mitsamt vom Leben enttäuscht, versuchen die Protagonisten zu überleben. Andere sind jahrelang arbeitslos, andere haben ihre Hälfte beim Krieg verloren, haben vom Leben resigiert, suchen nach illegalen Wegen um ein besseres Morgen zu ergattern oder sich phychisch nicht mehr stabil. Und all diese treffen sich an den Abenden im „ Fröhlichen Waidmann“ wieder, wo sie mit viel Alkohol zu vergessen versuchen, dass das Kämpfen ums tägliche Überleben eine schwierige Aufgabe ist.
    Eine Milieustudie aus der Nachkriegszeit, eindrucksvoll geschildert. Zu Recht wird der Autor mit großen Namen wie Kästner, Keun und Fallada verglichen. Volle Punktzahl von mir.

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  • 5 Sterne

    begine, 30.09.2019

    Als Buch bewertet

    Berlin in den Zwanzigern

    Der Schriftsteller Ulrich Alexander Boschwitz lebte von 1915 bis 1942. Sein erster Roman Der Reisende war schon ein Kunstwerk.

    „Menschen neben dem Leben“ ist sein Zweiter Roman. Was hätte er noch schreiben können, wenn er nicht so früh sterben musste.
    Der Klett-Cotta Verlag hat beide Romane neu aufgelegt.
    Der Autor beschreibt in diesem Roma die Unterschicht Berlins. Da sind die Wohnungslosen, die Arbeitslosen und die Prostituierten. Irgendwie muss man ja überleben. Es ist sie Zeit zwischen den Weltkriegen
    Die Kriminalität wächst. Er hat das Milieu gut erfasst.
    Man kann so richtig miterleben, wie die Leute sich abends in den Lokalen traf, um ihren Frust zu vergessen.
    Boschwitz hat sich wohl so richtig damit befasst, denn es fühlt sich echt an.
    Es war eine dramatische Zeit.
    Der Roman ist ganz anders als Der Reisende, aber genau so gut.

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  • 4 Sterne

    Miriam G., 30.09.2019

    Als Buch bewertet

    Anfang der 30er Jahre in Deutschland: Die Goldenen 20er Jahre sind vorbei, die Industrialisierung ist bereits weit fortgeschritten und zeigt sich ihre negativen Auswirkungen: Die Arbeitslosigkeit unter Arbeiter, die mittlerweile von Maschinen ersetzt wurden, ist hoch und damit auch die Armut. Viele leben nur von Tag zu Tag, halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, gehen betteln oder werden kriminell.

    In „Neben dem Leben“ begleitet der Leser eine Reihe an Figuren an einem Tag ihres Lebens, die so unterschiedlich sie auch sind, eines gemeinsam haben: sie stehen finanziell (und auch gesellschaftlich) vor dem Abgrund. Da wären beispielsweise der ältliche Bettler Fundholz mit seinem geistig behinderten Begleiter Tönnchen, der kriegsversehrte und blinde Sonnenberg mit seiner Frau und der Kleinkriminelle Grissmann, der auf einen großen Coup hofft, der ihn wieder in die Gesellschaft zurückkatapultiert. Eindrucksvoll beschreibt Boschwitz die unterschiedlichen Arten von Armut und gesellschaftlicher Randstellung – nicht nur Bettler und Kriminelle, sondern auch Prostitution und Behinderung spielen in dem Roman eine Rolle. Daher finde ich den Titel sehr passend gewählt: Der Autor beschreibt das Leben von Menschen, die auf irgendeine Art und Weise nicht dazu gehören und außen stehen, eben „neben dem (gesellschaftlichen) Leben“.

    Der Roman zeigt dem Leser als historisches Zeitdokument, wie unterschiedliche Personen versuchen, mit der Arbeitslosigkeit klar zu kommen. Dabei erzählt Boschwitz in einer klugen und angenehm leichten Sprache von dem Leben in Berlin.
    Alles in allem hat mir der Roman – wobei man meines achtens nach nicht von richtigen Roman sprechen kann – gut gefallen. Durch die Kürze von nur 200 Seiten und die Vielzahl an unterschiedlichen Personen, fällt es jedoch schwer, alles im Gedächtnis zu behalten. Es fehlt der Tiefgang und schon nach wenigen Tagen nach Beenden des Buches habe ich die meisten Namen vergessen. Was bleibt ist jedoch der eindrucksvolle Gesamteindruck – die Verzweiflung, die Armut –, sodass ich die Bezeichnung „Mileustudie“ wirklich sehr passend finde. Ich kann „Neben dem Leben“ allen empfehlen, die sich über die Zeit der 30er Jahre weiterbilden möchten, ohne direkt ein Geschichtsbuch lesen zu müssen. Das ist deswegen so wichtig, weil die damalige hohe Arbeitslosigkeit der Menschen einen nicht unwesentliche Beitrag zum Aufstieg des Nationalsozialismus beitrug.

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  • 5 Sterne

    inya, 05.09.2019

    Als Buch bewertet

    ergreifend

    Dieses Buch erzählt die Geschichten unterschiedlicher Menschen der Stadt Berlin Anfang der 30er Jahre. Sie sind alle aus verschiedenem Hause und haben unterschiedliche Ziele im Leben, doch was sie verbindet ist, dass sie ganz unten im Leben angekommen sind. Sie sind Bettler, Prostituierte und Arbeitslose, die sich Tag für Tag durch die Stadt und ums Überleben kämpfen. Hauptfiguren sind der Bettler Fundholz und sein geistig beeinträchtigter Begleiter Tönnchen. Beide versuchen sich mit ihrem Elend abzufinden und versuchen so gut wie es geht über die Runden zu kommen. Das Buch hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen, da es absolut realistisch die Schicksale der Menschen zu dieser Zeit beschreibt und einen sehr lebendigen Einblick in die Geschichte gibt.

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  • 4 Sterne

    Elchi130, 22.10.2019

    Als Buch bewertet

    Wirklich eine Entdeckung!

    Ulrich Alexander Boschwitz hat einen Roman geschrieben über die Menschen, die Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ganz unten angekommen sind. Es geht um Bettler, Arbeitslose, Prostituierte, Zuhälter und Menschen, die ein Trauma vom letzten Krieg davon getragen haben. Wir lernen also die „Goldenen 20er Jahre“ einmal aus einer anderen Perspektive kennen.

    Die Bücher des Autors werden als DIE Wiederentdeckung angepriesen. Bei dieser Ankündigung war ich sehr skeptisch. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass solche Bücher oft vom Thema her interessant, aber nur bedingt zu lesen sind. Oft ist der Stil hölzern und die Schilderungen sind langweilig. Doch nicht bei Ulrich Alexander Boschwitz. Der Autor konnte wirklich gut schreiben.

    Seine Schilderungen wirken realitätsnah, so wie ich mir die damalige Zeit vorstelle. Seine Figuren sind so eindrücklich geschildert, dass ich mich ihnen verbunden fühle bzw. mit ihnen fühle. Der Autor analysiert Probleme der damaligen Zeit sehr scharfsinnig. Er erzählt von den Zusammenhängen der zunehmenden Automatisierung und der steigenden Arbeitslosigkeit, verbunden mit der sinkenden Kaufkraft. Er schildert, wie das Misstrauen allem Fremden gegenüber wächst, wenn man selber entweder nichts mehr hat oder befürchtet, seinen Lebensstandard nicht halten zu können. Zudem wird sehr eindrücklich geschildert, wie moralische Schranken fallen, wenn man von der Hand in den Mund lebt. Da fallen mir direkt die Parallelen zur heutigen Zeit auf.

    Das Buch und der Autor sind wirklich eine Entdeckung und wer weiß, was er noch erreicht hätte, wenn er nicht viel zu früh gestorben wäre. Während des Lesens ist mir wiederholt in den Sinn gekommen, dass sich dieses Buch sehr gut als Schullektüre eignen würde. Bei vielen Sätzen lohnt es, sich tiefer damit auseinanderzusetzen. Und oft laden ganze Passagen zum Analysieren ein. Zudem beschreibt der Autor sehr gut die zunehmende Verrohung und Feindseligkeit in der Gesellschaft gegenüber anderen, fremden Menschen. Das Buch wurde erstmals 1937 in Schweden veröffentlicht. Aus heutiger Perspektive bewundere ich die Hellsichtigkeit des Autors, wohin das alles führen kann.

    Das Buch ist für mich ein Roman, den es zu lesen lohnt, ja, den man vielleicht sogar gelesen haben sollte.

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  • 5 Sterne

    brauneye29, 02.10.2019

    Als Buch bewertet

    Zum Inhalt:
    Die Protagonisten haben erwas gemeinsam und zwar dass sie es alle schwer haben in der Wirtschaftskrise. Doch aufgeben ist keine Option. Abends suchen sie ein wenig Ablenkung, tagsüber erleben sie den Alltag und manchen kämpft ums Überleben.
    Meine Meinung:
    Ich finde es unfassbar, wie der Autor mit mal gerade mal zweiundzwanzig Jahren ein solch großartiges Buch geschrieben hat. Der Sprachgebrauch ist ungeheuer pointiert und sehr ansprechend. Die Protagonisten werden fein beobachtet und beschrieben und man lebt und leidet mit ihnen mit. Ich frage mich gerade, wie wohl Bücher dieses Autoren im gesetzteren Alter geworden wären, wenn schon in so einem jugendlichen Alter so große Literatur entstehen konnte.
    Fazit:
    Großartig geschrieben

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  • 4 Sterne

    Maria B., 14.09.2019

    Als Buch bewertet

    Unter den Rädern des Lebens

    Die Kneipe "Der fröhliche Waidmann" ist eine Oase der Gestrandeten, der Verlierer und Obdachlosen, der am Rand der Gesellschaft lebenden Menschen. Sie tragen die Auswirkungen der Elendsjahre nach Ende des ersten Weltkrieges und sind unter die Räder des Lebens geraten. Vielfach geprügelt von der Not, kollidieren sie immer wieder mit den Anforderungen des Alltags. Um nicht allein zu sein und sich ein wenig abzulenken, suchen sie die billige Geselligkeit. Alkohol ist allgegenwärtig, im Hintergrund lauert stets die Gewalt.
    Der Autor skizziert den bisherigen Lebenslauf der tragenden Figuren und gibt Einblick in ihre spezielle Lage. Er greift zwei Tage heraus, die besser als jeder Geschichtsunterricht deutlich machen, wie so viele Arbeitslose und Bettler (in Deutschland und bestimmt auch in weiten Teilen Europas) ums Überleben kämpfen mussten. Er schildert die einzelnen Episoden keineswegs larmoyant, sondern nüchtern und objektiv. Gerade dadurch hatte ich Mitleid mit diesen Menschen.
    In fast heiterem, leichtem Ton erzählt Boschwitz von dieser Subkultur, in der sich Trägheit und Explosion nebeneinander bewegen. Ihm selbst werden die geschilderten Situationen nicht gänzlich fremd gewesen zu sein, musste er doch selbst emigrieren. So sind auch weite Teile des Textes den Betrachtungen über die menschliche Psyche gewidmet, besonders nach Niederlagen und in Konfliktsituationen. Daneben gefiel mir besonders die Art, wie die Geräusche der Strasse in Worte gefasst werden, zum Beispiel: "Leise meckerten die Klingeln der Fahrräder." Das dürfte in der Literatur nicht oft vorkommen.
    Der Titel allerdings könnte besser gewählt sein, denn neben dem Leben befinden sich die Protagonisten keineswegs. Für sie ist es DAS LEBEN. Es sieht auch heute noch für viele ganz ähnlich aus, denn Leben ist nicht gleich Wohlstand. Nur widmet ihnen – seit Erich Kästner, Irmgard Keun und Hans Fallada – kaum ein Autor mehr als ein paar Worte.

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  • 4 Sterne

    skiaddict7, 29.10.2019

    Als Buch bewertet

    Eindrückliches Debüt von 1937

    Ich war bereits von "Der Reisende" begeistert und wollte daher das andere (erste) Werk des Autors unbedingt lesen. Boschwitz schrieb zwei Bücher, "Menschen neben dem Leben" und "Der Reisende". Sie wurden erst 2018 bzw 2019 auf Deutsch übersetzt, lektoriert und im Klett Cotta Verlag publiziert. "Menschen neben dem Leben" erschien 1937 auf Schwedisch, 1939 auf Englisch, 2019 nun auf Deutch. Boschwitz starb 1942 im Alter von 27 Jahren bei einem deutschen Torpedo-Angriff auf der Überfahrt von Australien nach England.

    In "Menschen neben dem Leben" beschreibt Boschwitz die Menschen am Rande der Gesellschaft im Berlin der Zwischenkriegsjahre. Der Krieg und die Weltwirtschaftskrise lässt viele Menschen mittellos dastehen: vor allem durch technische Verbesserungen werden viele Berufe obsolet, die Arbeitslosigkeit steigt, die Arbeiter werden immer schlechter behandelt, weil sie sofort austauschbar sind. So geht es auch Boschwitz' Protagonisten: Schreiber, der Gemüsehändler, die Obdachlosen Fundholz und Tönnchen, der kleinkriminelle Grissman und der blinde Sonnenberg.

    Boschwitz hat ein gutes Gespür für Menschen und kann sich ausgezeichnet in diese hineinfühlen. So schafft er, dass der Leser diese ihm vermutlich fernen Menschen ausgezeichnet versteht. In kurzen, gut verständlichen Sätzen beschreibt er dicht, lebendig und authentisch das Leben im Berlin der 20er Jahre. Auch der Humor kommt trotz des ernsten Themas nicht zu kurz. Wahnsinn, dass der Autor dieses Buch mit nur 22 Jahren geschrieben hat. Ein wirklich eindrücklicher Debüt-Roman der noch lange nachwirkt.

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  • 4 Sterne

    yesterday, 05.12.2019

    Als Buch bewertet

    Der jung verstorbene Ulrich Alexander Boschwitz skizziert hier anhand mehrerer Charaktere das Bild bestimmter Bevölkerungsschichten aus dem Berlin der Zwischenkriegszeit. Sie alle stehen in gewisser Hinsicht “neben dem Leben” - neben dem der gut situierten oder der über alle Zweifel erhabenen.

    In unterschiedlichen Szenen begegnet der Leser Emil Fundholz, der betteln geht um Nahrung und Unterkunft zu haben; Tönnchen, einem leicht zurückgebliebenen Mann, der Fundholz’ Begleiter und von ihm abhängig ist; Grissmann, der Einbrüche dem Betteln vorzieht; Frau Fliebusch, die sich in ihre eigene Welt zurückgezogen hat; Minchen, die zwar deutlich mehr Geld hat als die anderen, dieses aber in der Waagrechten verdient - und vielen mehr.

    Es sind teils komische, dann wieder sehr ernste und auch gefährliche Episoden die wir mit den Protagonisten erleben und die zeigen wie viel sie entbehren mussten, mit wie wenig sie auskamen und dass manche für uns alltägliche Dinge damals einfach unerreichbar waren.

    Auch wenn die Abschnitte grundsätzlich chronologisch verlaufen, auch innerhalb der einzelnen Handlungsstränge der Figuren, sind sie doch keine so komplett zusammenhängende Geschichte wie man vermuten könnte. Am Ende aber lässt Boschwitz einige Charaktere aufeinanderprallen und sein Finale explodiert förmlich in einem Strudel an Emotionen. Das war auch das Einzige, wovon die Leute damals (zu) viel hatten und das nichts kostete.

    Wer eine stringente, noch stärker berührende Geschichte lesen will, die sich auf einen Hauptcharakter konzentriert, dem sei “Der Reisende” ans Herz gelegt.

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  • 4 Sterne

    Isabel R. (engi), 27.11.2019

    Als Buch bewertet

    Tell it like it is ... … selten kam mir ein Satz wahrer vor als nach Beendigung dieses erstaunlichen Romans, der wohl die Wiederentdeckung des Jahres schlechthin ist. Der auf tragische Weise bei einem Torpedoangriff verstorbene Autor Ulrich Alexander Boschwitz muss bereits in sehr jungen Jahren eine ganz wunderbare Beobachtungsgabe gehabt haben und wird sich zudem einiges an Wissen angelesen haben. Man fühlt sich beim Lesen fast als säße man selbst mit auf der Parkbank mit dem zurückgebliebenen Tönnchen und dem Obdachlosen Fundholz, ja als flirte und tanzte man selbst mit dem Kleinkriminellen und Arbeitslosen Grissmann im „Fröhlichen Waidmann“, wo das Unheil schließlich seinen Lauf nimmt. Hier gibt es keine Augenwischerei. Boschwitz schildert das Leben der jungen Männer ohne Perspektiven, der versehrten Kriegsheimkehrer, der übrig gebliebenen Witwen und der schwer arbeitenden Prostituierten wie er es gesehen hatte, wie es war in den späten zwanziger Jahren in Berlin. Der Schreibstil beschreibt auf anschauliche Weise das Leben der „Menschen neben dem Leben“ … wie gut habe ich es doch dagegen im Heute mit vollem Kühlschrank und warmer Wohnung. Boschwitz öffnet einem beim Lesen die Augen und fordert schon fast dazu auf, mal wieder aufmerksamer durch die Straßen zu gehen. Nicht allen geht es wie mir. Ich freue mich schon sehr auf den zweiten „geretteten“ Roman des Autors mit dem Titel „Der Reisende“. Ihr ahnt es, er liegt bereits auf meinem SUB ;)

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