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  • 4 Sterne

    26 von 31 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    claudi-1963, 11.04.2021 bei bewertet

    "Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus." (Marie von Ebner-Eschenbach)
    Die erst kürzlich mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet Autorin beschreibt in 29 Geschichten aus der Sicht ihres Lebens. Dieser Preis hätte ihr schon 1980 zugestanden, doch die DDR Regierung wollte, dass sie ihn ablehnt. Ihre Geschichten erzählt die Autorin hier in der Ich-Form, in knappen kurzen Sätzen und mitunter wiederholen sich einzelne der Begebenheiten. Die Geschichten sind nicht chronologisch angeordnet, sondern ich habe eher den Eindruck, als wenn sie das niedergeschrieben hat, was ihr gerade in den Sinn kam. So schildert sie von der Nachkriegszeit und dem viel zu frühen Tod ihres Vaters, den sie selbst nie kennenlernen durfte, da er im Krieg gefallen ist. Und auch wenn sie ihn nicht kannte, bleibt sein Verlust doch immer ein Trauma für sie. Weil sie nie erfahren wird, ob wenigstens er sie geliebt hätte. Den ihre kaltherzige und lieblose Mutter vertraut lieber der eigenen Mutter ihr Kind an, als sich selbst um sie zu kümmern. Dort jedoch erlebt Helga meist ihre schönsten Zeiten. Besonders, wenn sie in den Ferien zwischen zwei Apfelbäumen in der Hängematte liegt und den Duft von Großmutters frischem Streuselkuchen ihr in die Nase steigt. Zumindest bei ihr fühlt sie Liebe und Geborgenheit, die ihr die eigene Mutter nie geben konnte. Die Mutter dagegen vermittelt ihr bei jeder Gelegenheit, das sie Helga eigentlich erst abtreiben, auf der Flucht zurücklassen und vor den Russen fast vergiften wollte. Was müssen solche Aussagen bei einem Kind für Spuren hinterlassen? Es muss für sie doch jedes Mal wie ein Stich gewesen sein, mitzuerleben, dass die eigene Mutter sie nie haben wollte. Lag diese Ablehnung daran, weil Helga ihrer Schwiegermutter und ihrem Vater so ähnlich war? Selbst mit dem vierten Gebot hadert sie, weil sie ihre Mutter ebenfalls keine Liebe zeigen konnte. Doch eine Theologin kann sie diesbezüglich etwas beruhigen. Und erst als die Mutter stirbt, beginnt sie ihre Leben mit diesem Buch aufzuarbeiten. Bei vielen Geschichten schreibt sie über den Alltag und das Regime der ehemaligen DDR, unter dem sie ebenfalls zu leiden hatte. Sie berichtet von ihrem ehemaligen Nachbarn, der sich erhängt hat, genauso wie über ihren Ehemann, dem Sohn der Enkelin, dem Altwerden und der Pflege, so wie den Vorlieben für gute Gerüche. Da schreibt sie z. B. über ihre Erinnerung an den Duft nach Nelkenseife, das Lavendelsäckchen neben dem Kissen und der Duft ihrer Bettwäsche, der in einem diese Gerüche widerspiegelt. Sie lässt den Leser in ihren Geschichten die Erinnerungen nicht nur fühlen, sehen, schmecken, sondern ebenso riechen. Leider kam ich nicht immer mit ihrem Schreibstil klar, der doch mitunter sehr anspruchsvoll war. Oft musste ich Sätze mehrmals lesen und sogar herausfinden, über wen sie gerade in der Geschichte erzählt. Doch die Emotionen, Tragik, mitunter Humor und insbesondere die Traurigkeit, die sich darin widerspiegelt, die spüre ich auf alle Fälle in ihnen. Und trotzdem sie mit so wenig Mutterliebe gesegnet wurde, habe ich das Gefühl bei ihren Geschichten, das sie mit ihrem Leben glücklich und zufrieden ist. Was sie sicherlich ihrer Großmutter, ihrem Mann, der Familie, dem starken Willen und ihrem Glauben zu verdanken hat. "Vom Aufstehen", einem autobiografischen, sehr persönlichen und intimen Einblick in ihr Leben und über Verletzung und Heilung, dem ich 4 von 5 Sterne gebe.

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  • 5 Sterne

    18 von 26 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    lisbethsalander, 27.04.2021

    Eins vorweg, ich schreibe dies nicht oft, dieses Buch werde ich noch so manches Mal zur Hand nehmen, und immer wieder darin lesen!

    Ein Leben in einzelnen Geschichten, diese Idee hatte mich neugierig gemacht, und doch hatte ich vorher nicht gedacht, dass mich das Leben von Helga Schubert, ihre Biographie in vielen kleinen Episoden so sehr bewegen würde. Ich habe viele Passagen mehrmals gelesen, es sind leise Ereignisse, so persönlich, und dadurch entwickeln sie solche Schlagkraft, die man immer wieder auf sich wirken lassen muss.

    Helga Schubert hat zwei Diktaturen erlebt in diesem unseren Deutschland, sie war ein Flüchtlingskind, nirgends und doch eigentlich überall zu Hause, wo sie sich oder ihre Familie niedergelassen hat. Die eigene Mutter sagt ihr einmal, "ach hätte ich dich doch auf der Flucht vergiftet".....wie muss sich das anfühlen, so etwas zu hören? Gerührt hat mich die mehr als enge innige Beziehung zu Urenkelin Millie, die ihr eigentlich fast der wichtigste Mensch ist. Wir lesen über den Krieg, die Flucht, über Alltagsgeschichten in der DDR, kleine Freuden im wiedervereinigten Deutschland. Oftmals klitzekleine Banalitäten, zusammengefügt (für mich) zu etwas ganz Großem. Die poetische Sprache der Autorin hat mich berührt, man fliegt nur so über die Zeilen, und blättert dann doch zurück, weil man das Bedürfnis hat, einiges nochmal zu genießen, zu überdenken.

    Ganz ganz großes Kino, fünf Sterne sind eigentlich zu wenig, eine absolute Leseempfehlung!!!

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  • 4 Sterne

    7 von 8 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    claudi-1963, 11.04.2021

    aktualisiert am 01.05.2021

    "Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus." (Marie von Ebner-Eschenbach)
    Die erst kürzlich mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet Autorin beschreibt in 29 Geschichten aus der Sicht ihres Lebens. Dieser Preis hätte ihr schon 1980 zugestanden, doch die DDR Regierung wollte, dass sie ihn ablehnt. Ihre Geschichten erzählt die Autorin hier in der Ich-Form, in knappen kurzen Sätzen und mitunter wiederholen sich einzelne der Begebenheiten. Die Geschichten sind nicht chronologisch angeordnet, sondern ich habe eher den Eindruck, als wenn sie das niedergeschrieben hat, was ihr gerade in den Sinn kam. So schildert sie von der Nachkriegszeit und dem viel zu frühen Tod ihres Vaters, den sie selbst nie kennenlernen durfte, da er im Krieg gefallen ist. Und auch wenn sie ihn nicht kannte, bleibt sein Verlust doch immer ein Trauma für sie. Weil sie nie erfahren wird, ob wenigstens er sie geliebt hätte. Den ihre kaltherzige und lieblose Mutter vertraut lieber der eigenen Mutter ihr Kind an, als sich selbst um sie zu kümmern. Dort jedoch erlebt Helga meist ihre schönsten Zeiten. Besonders, wenn sie in den Ferien zwischen zwei Apfelbäumen in der Hängematte liegt und den Duft von Großmutters frischem Streuselkuchen ihr in die Nase steigt. Zumindest bei ihr fühlt sie Liebe und Geborgenheit, die ihr die eigene Mutter nie geben konnte. Die Mutter dagegen vermittelt ihr bei jeder Gelegenheit, das sie Helga eigentlich erst abtreiben, auf der Flucht zurücklassen und vor den Russen fast vergiften wollte. Was müssen solche Aussagen bei einem Kind für Spuren hinterlassen? Es muss für sie doch jedes Mal wie ein Stich gewesen sein, mitzuerleben, dass die eigene Mutter sie nie haben wollte. Lag diese Ablehnung daran, weil Helga ihrer Schwiegermutter und ihrem Vater so ähnlich war? Selbst mit dem vierten Gebot hadert sie, weil sie ihre Mutter ebenfalls keine Liebe zeigen konnte. Doch eine Theologin kann sie diesbezüglich etwas beruhigen. Und erst als die Mutter stirbt, beginnt sie ihre Leben mit diesem Buch aufzuarbeiten. Bei vielen Geschichten schreibt sie über den Alltag und das Regime der ehemaligen DDR, unter dem sie ebenfalls zu leiden hatte. Sie berichtet von ihrem ehemaligen Nachbarn, der sich erhängt hat, genauso wie über ihren Ehemann, dem Sohn, der Enkelin, dem Altwerden und der Pflege, so wie den Vorlieben für gute Gerüche. Da schreibt sie z. B. über ihre Erinnerung an den Duft nach Nelkenseife, das Lavendelsäckchen neben dem Kissen und der Duft ihrer Bettwäsche, der in einem diese Gerüche widerspiegelt. Sie lässt den Leser in ihren Geschichten die Erinnerungen nicht nur fühlen, sehen, schmecken, sondern ebenso riechen. Leider kam ich nicht immer mit ihrem Schreibstil klar, der doch mitunter sehr anspruchsvoll war. Oft musste ich Sätze mehrmals lesen und sogar herausfinden, über wen sie gerade in der Geschichte erzählt. Doch die Emotionen, Tragik, mitunter Humor und insbesondere die Traurigkeit, die sich darin widerspiegelt, die spüre ich auf alle Fälle in ihnen. Und trotzdem sie mit so wenig Mutterliebe gesegnet wurde, habe ich das Gefühl bei ihren Geschichten, das sie mit ihrem Leben glücklich und zufrieden ist. Was sie sicherlich ihrer Großmutter, ihrem Mann, der Familie, dem starken Willen und ihrem Glauben zu verdanken hat. "Vom Aufstehen", einem autobiografischen, sehr persönlichen und intimen Einblick in ihr Leben und über Verletzung und Heilung, dem ich 4 von 5 Sterne gebe.

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  • 5 Sterne

    9 von 13 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Kristall, 16.05.2021

    Klappentext:

    „Drei Heldentaten habe sie in ihrem Leben vollbracht, erklärt Helga Schuberts Mutter ihrer Tochter: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie im Zweiten Weltkrieg auf die Flucht mitgenommen und sie vor dem Einmarsch der Russen nicht erschossen. In kurzen Episoden erzählt Helga Schubert ein deutsches Jahrhundertleben – ihre Geschichte, sie ist Fiktion und Wahrheit zugleich. Als Kind lebt sie zwischen Heimaten, steht als Erwachsene mehr als zehn Jahre unter Beobachtung der Stasi und ist bei ihrer ersten freien Wahl fast fünfzig Jahre alt. Doch vor allem ist es die Geschichte einer Versöhnung: mit der Mutter, einem Leben voller Widerstände und sich selbst.“



    Helga Schuberts Schreibstil ist etwas besonderes und geht ab der ersten Seiten seinen ganz eigenen Weg mit dem Leser. In den kurzen Texten, erleben wir eine Art Biografie und Erzählung und Schubert nimmt uns in ihre ganz persönliche Familiengeschichte mit. Jede Geschichte ist anders genau wie das Leben und hier wird nichts beschönigt. Schubert erlebt alles, was das Leben zu bieten hat. Schubert erzählt aber nicht nur aus dem was vergangen ist, sondern auch aus ihren Gedanken. Jede Geschichte hat ihren eigenen Stil und sie passt ihn den Darstellern an. Wir erleben alle Emotionslagen die es gibt und Schubert schafft es ausnahmslos fesselnd, begeisternd aber auch auf gewisser Weise auf Distanz zu bleiben. Sie zieht uns Leser nicht mit hinein, wir dürfen die Geschichten erfahren, brauchen aber nicht mit ihr mitleiden o.ä.. Es gehört unheimlich viel dazu, so einen Stil zu schaffen und die Leserschaft damit zu begeistern. Für mich war dies eine wirklich wunderbare Leseerfahrung und dieses Buch wird definitiv in die Sparte: „immer wieder lesbar“ einsortiert - 5 von 5 Sterne!

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  • 5 Sterne

    3 von 4 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Ruth L., 13.04.2021 bei bewertet

    Klug und lebenserfahren
    Die Schriftstellerin Helga Schubert wurde im vergangenen Jahr mit dem Ingeborg - Bachmann - Preis ausgezeichnet. Sie war die älteste Teilnehmerin bisher in Klagenfurt. Allerdings wurde sie schon einmal hierhin eingeladen, 1980. Doch Helga Schubert, in der DDR lebend, durfte nicht einreisen, u.a. weil Marcel Reich- Ranicki, „ der Kommunistenfresser“, in der Jury saß.
    „ Ich bin ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind, ein Kind der deutschen Teilung.“ Im Leben der Autorin lassen sich achtzig Jahre deutsch-deutsche Geschichte ablesen.
    Helga Schubert wurde 1940 in Berlin geboren. Ihr Vater fiel an der Ostfront, als Helga ein Jahr alt war. „ Er ist ein Trauma meines Lebens: Dieser zerrissene, mir doch unbekannte Mann...“
    Die Mutter flüchtet 1945 aus Hinterpommern mit der nunmehr fünfjährigen Helga vor den anrückenden Russen nach Greifswald zu den Schwiegereltern. Aufgewachsen in Ost- Berlin studierte Frau Schubert an der Humboldt- Universität Psychologie und war danach als klinische Psychologin tätig. Heute lebt sie zurückgezogen in einem kleinen Ort in Mecklenburg - Vorpommern und kümmert sich um die Pflege ihres schwerkranken Mannes. Zeitlebens hat Helga Schubert geschrieben, kurze Prosatexte, Kinderbücher, aber auch Theaterstücke, Hörspiele und Fernsehspiele. Im Westen war sie wenig bekannt. Doch das hat sich seit dem Bachmann- Preis geändert. Mit dem Text „ Vom Aufstehen“ überzeugte sie die Jury und „ Vom Aufstehen“ heißt nun auch der Erzählungsband. Neben dem Siegertitel enthält das Buch weitere 28 Geschichten unterschiedlicher Länge, meist aus der Ich- Perspektive erzählt.
    „ Ein Leben in Geschichten“ - so der Untertitel - das ergibt keine vollständige Biographie. Trotzdem kommt man der Autorin, ihrem Leben und ihren Gedanken, hier sehr nahe.
    Es gibt zwei immer wiederkehrende Themen, zum einen die Erfahrungen mit dem Leben in einer Diktatur, zum anderen die Beschäftigung mit der eigenen Familie und hier vor allem die schwierige Beziehung zur Mutter.
    Helga Schubert schreibt über das Eingesperrtsein im „ Zwergenstaat“, von der Sehnsucht nach „der normalen zivilisierten Welt“ da draußen, vom Bespitzeln der eigenen Person und von den Privilegien eines Schriftstellers in der DDR. „ Sie ließen mich beobachten, fanden mich feindlich-negativ, und sie ließen mich trotzdem in den Westen reisen. Ein unglaubliches Privileg. Ein Privileg, das verdächtig machte,...“
    Trotzdem bleibt Helga Schubert im ungeliebten Staat, ihrem Mann, ihrem Sohn zuliebe. Sie passt sich nicht an, wird aber auch keine Dissidentin.
    Dem Mauerfall begrüßt sie freudig. „ Der Kaiser war nackt - mein Lieblingsmärchen wurde wahr nach achtundzwanzig Jahren, zwei Monaten und siebenundzwanzig Tagen.“
    Was hat sich verändert nach der Wende? Vieles. Zum Beispiel gibt es endlich Spargel und Erdbeeren für alle, die hier leben. Nicht wie früher, als alles für Devisen in den Westen ging.
    Und nun, wo die ganze Welt offen steht für Helga Schubert, braucht sie die Ferne nicht mehr. „ Seit ich ohne behördliche Erlaubnis in die weite Welt reisen darf, ist mein zerstörerisches Fernweh geheilt.“
    Es sind Alltagsbeobachtungen, die sie beschreibt, oftmals kleine Details, die aber auf das große Ganze verweisen.
    Das zentrale Thema jedoch war und ist für Helga Schubert das problematische Verhältnis zu ihrer Mutter. Helga erfuhr als Kind wenig Liebe, keine Zärtlichkeit, stattdessen Vorwürfe, Ablehnung, verbale Verletzungen und Schläge. Die Autorin leidet ihr Leben lang darunter. Vor allem macht sie sich Vorwürfe, weil sie ihrer Mutter keine Liebe entgegenbringen kann. Für sie, als evangelische Christin, ist das vierte Gebot wesentlich. Erst das Gespräch mit einer jungen Pastorin entlastet sie. Denn: „ Von Liebe ist im Gebot nicht die Rede. Gott verlangt von uns nicht, dass wir unsere Eltern lieben. Wir brauchen sie nur zu ehren“.
    Es sind harte Sätze, die die über hundertjährige Mutter am Sterbebett zu ihrer Tochter sagt.
    „ Ich habe drei Heldentaten vollbracht, die dich betrafen. Erstens: Ich habe dich nicht abgetrieben, obwohl dein Vater das wollte. Und für mich kamst du eigentlich auch unerwünscht. Wir haben deinetwegen im fünften Monat geheiratet. Zweitens: Ich habe dich bei der Flucht aus Hinterpommern bis zur Erschöpfung in einem dreirädrigen Kinderwagen im Treck bis Greifswald geschoben, und drittens : Ich habe dich nicht vergiftet oder erschossen, als die Russen in Greifswald einmarschierten.“ Doch zu diesem Zeitpunkt ist Helga Schubert zum Vergeben bereit. „Ich verdanke dir, dass ich lebe, es ist alles gut.“
    Denn das Buch ist keine Abrechnung mit der Mutter. Helga Schubert versucht zu ergründen, warum ihre Mutter zu der werde, die sie war: Ein prügelnder Vater, jung verwitwet, alleinstehend mit Kind, die Flucht als lebenslanges Trauma. Es war ein hartes, kein glückliches Leben, das die Mutter gehabt hat.
    Es finden sich aber noch andere Geschichten im Buch, Erinnertes, Betrachtungen und Überlegungen. Eine bestimmte Chronologie ist nicht erkennbar, wobei der prämierte Text „ Vom Aufstehen“ gewissermaßen die Quintessenz darstellt. Doch jede Geschichte steht für sich selbst.
    In der ersten „ Mein idealer Ort“ träumt sich die Autorin zurück in die Sommerferien, die sie jedes Jahr bei der geliebten Großmutter verbracht hat. Bilder vom Liegen in der Hängematte unter Apfelbäumen, vom Duft des warmen Streuselkuchens werden heraufbeschworen. Erinnerungen, die ihr bis heute Halt geben. „ So konnte ich alle Kälte überleben. Jeden Tag. Bis heute.“
    Die 80jährige Autorin macht sich Gedanken über das „ Alt sein“. Kein Gejammer über körperlichen und geistigen Verfall, nein. Helga Schubert sieht auch hier das Positive. „ Das ist das Gute, Sanfte, das Glückbringende am Alter: Ich muss gar nichts.“
    Und man wünscht sich, dass man selbst irgendwann das gleiche Resümee ziehen kann: „ Denn ich habe mir in meinem langen Leben alles einverleibt, was ich wollte an Liebe, Wärme, Bildern, Erinnerungen, Fantasien, Sonaten. Es ist alles in diesem Moment in mir....Das ist nämlich mein Schatz.
    Mein unveräußerlicher.“
    Helga Schubert ist gläubige Christin, davon zeugen Liedtexte und Gebete, aber ebenso ihre Überlegungen zum Osterfest. „ Heute weiß ich: In dieser einen Woche vor Ostersonntag passiert alles, was ich inzwischen vom Leben verstanden habe:
    Wie schnell sich das Schicksal für einen Menschen ändert,
    dass man verraten werden kann.
    Dass es immer unvermuteten Beistand gibt und einen Ausweg.
    An diese Hoffnung will ich erinnert werden.
    Einmal im Jahr.“
    Es ist ungewöhnlich in der ( deutschen ) Gegenwartsliteratur, dass sich ein Autor zu seiner Religion bekennt. Die Kraft ihres Glaubens ist aber auch spürbar in Helga Schuberts Verständnis von Vergebung und Verzeihen.
    Sie erinnert an Leitsätze in ihrem Leben, die sie über Jahre begleitet haben , wie ein Zitat von Marie von Ebner- Eschenbach: „ Nicht, was wir erleben, sondern wie wir erleben, was wir erleben, macht unser Leben aus.“
    Die ganze Poetik ihres Schreibens umreißt Helga Schubert so : „ Die Geschichte hat etwas herausgehoben aus dem Lebensfluss, das ich nun betrachten kann, mit Freundlichkeit oder Trauer, mit Bewunderung oder Abscheu.“ Nichts erscheint ihr unwichtig, wenn man es nur genau und von allen Seiten betrachtet. Geschichten müssen keinen Anfang haben und kein Ende, denn in der Wirklichkeit gibt es auch keine solche Trennung. Wichtig ist ihr dagegen „ der letzte Satz. Vielleicht sogar eine Pointe.“ „ Geschichten als Mikroskop. Geschichten als Spiegel.“
    Natürlich gibt es auch schwächere Erzählungen in dem Band ( wie es in jedem Buch starke und schwache Passagen gibt ). Dafür sind die anderen großartig. Helga Schubert ist eine kluge Beobachterin, die in einer klaren und unpathetischen Sprache schreibt, dabei voller Poesie und Rhythmus. Alles ist durchdacht, jeder Satz wohl überlegt. Aus ihr spricht Lebenserfahrung und Reife. „ Vom Aufstehen“ ist kein Buch zur schnellen Lektüre. Es erfordert einen aufmerksamen Leser, der dafür reich belohnt wird.

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  • 5 Sterne

    6 von 10 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Milagro, 27.04.2021

    Ein Blick auf's Cover, die Beschreibung, die ersten Sätze....ein Buch ganz nach meinem Geschmack. "Ein Leben in Geschichten" fasst es gut zusammen , was für Geschichten aber, Kindheit, Erwachsenwerden, Alter, eingebettet in Literatur vom feinsten, einfach großartig. Für die 220 Seiten habe ich mir reichlich Lesezeit genommen, bei den kurzen Episoden kommt man in Versuchung gleich zum nächsten Abschnitt zu eilen, aber man hat deutlich mehr davon, wenn man das Buch nach jedem Abschnitt zur Seite legt. Dann überdenkt man die einzelnen Sätze, Bilder tauchen plötzlich vor dem inneren Auge auf, Gedanken zu der eigenen Vergangenheit tauchen auf. Das Buch ist mehr als ein Platz auf einer sogenannten "shortlist", es ist berührend, umwerfend, traurig, es ist echt. Es ist einfach ein großartiges Buch.

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  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Annafrieda, 28.04.2021

    Helga Schubert ist ein Flüchtlingskind und in der DDR aufgewachsen. Es gibt eine Mutter, die sie zeitlebens nicht geliebt hat, der Vater ist im Krieg geblieben, als sie zwei Jahre alt war. Nur die Ferien bei ihren Großeltern in Mecklenburg waren geliebte Highlights, denn dort begegnete man ihr mit Liebe und Fürsorge.

    Frau Schubert nimmt uns mit auf die Reise hinter die Kulissen ihres Lebens. Und bei dem, was man da erblickt, stockt mir teilweise der Atem. Wie kann ein kleiner Mensch aufwachsen mit einer Mutter, die einem den Tod wünscht? Unbegreiflich. Bei allem Verständnis auch für das schwere Leben der Mutter im Hinblick auf den Krieg, auf Vertreibung und Flucht, gibt es nichts, was so etwas verzeihen könnte. Und ganz schlimm finde ich, dass sie dieser Linie bis zu ihrem Tod treu blieb - ich konnte kein Bedauern, keine Entschuldigung finden. Da Frau Schubert sehr neutral schreibt, kann ich nicht genau einschätzen, ob sie ihrer Mutter jemals verziehen hat oder ob sie sich "nur"in eine neutrale Position begeben hat.

    Besonders angesprochen hat mich die Geschichte "Wahlverwandtschaft", sie ist toll geschrieben. Durch die gewählte Perspektive erzählt die Autorin sehr distanziert. Ich musste sehr bewusst lesen, um immer mitzukriegen, wer da eigentlich gemeint ist. In meinen Augen passt das absolut zu ihrem Verhältnis ihrer Mutter gegenüber. Die Geschichte hat eine außerordentliche Aussagekraft. Vielleicht schafft man eine so kühle Mutter nur zu überstehen, wenn man innerlichen Abstand schafft. Das hat mich berührt!
    Als studierte Psychologin und Schriftstellerin genoß Frau Schubert gewisse Privilegien in der DDR, sie konnte reisen, stand aber immer unter Beobachtung. Wir erfahren in den Geschichten ihr Erleben vor und nach dem Mauerfall.

    Am Ende dieses Buches glaube ich verstanden zu haben, was die Autorin mit ihren Geschichten zum Ausdruck bringen will: Es geht ums Verzeihen. Egal, was das Leben für einen bereithält, egal, wie tief die Narben sind, die uns zugefügt wurden - am Ende werden wir verzeihen müssen, um unser Leben selbstbestimmt und frei von selbstzerstörenden Mechanismen leben zu können.
    Ich finde es sehr berührend, dass die Autorin viele Stationen ihres Lebens vor uns Lesern ausbreitet. Immer ohne Effekthascherei oder Gefühlsduselei. Die Realität findet man zwischen den Zeilen. Frau Schubert findet wunderbare Worte, die berühren. Es gibt die eine oder andere Geschichte, die mich sehr berührt haben, aber ich habe hier in jeder Geschichte betrachtenswerte Aussagen gefunden. Das ganze Buch eine runde Sache, es wird noch lange in mir nachhallen. Daher von mir die verdiente volle Punktzahl.

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  • 5 Sterne

    1 von 4 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    yellowdog, 18.03.2021 bei bewertet

    In kurzen Episoden schreibt die 80jährige Autorin Helga Schubert von ihrem Leben. Und das Leben umfasste viel. Geboren zu Kriegszeiten, der Vater starb als sie ein Baby war, die Mutter musste flüchten. Dann lange Jahre in der DDR als Schriftstellerin. Auch da war die kurze Form ihre favorisierte.

    Es geht bei den Episoden zeitlich hin und her. Eben noch Kind, ist sie im nächsten Kapitel schon 80. Eben noch Krieg, dann schon Mauerfall.
    Ihre Großmutter bekommt früh ein sehr schönes Kapitel, aber die eigentlich übergroße Figur ist die Mutter, die viele Kapitel deutlich bestimmt.

    Es ist ein Buch, das ich sehr schätze, da es die Tragik der vergangenen Zeit verdeutlicht.

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  • 5 Sterne

    1 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Katrin E., 16.04.2021

    Ein Leben lang

    Die Autorin Helga Schubert hat hier ein ganz tolles Buch geschrieben, dass nun nicht umsonst für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist. "Vom Aufstehen" ist ihre Geschichte. Doch ist sie ist Fiktion und Wahrheit zugleich.

    Die Sprache ist ruhig und dennoch nimmt der Inhalt einen mit. Das Leben und arbeiten in der DDR wird beschrieben und wir sind mittendrin. Ich selbst habe davon nicht mehr viel mitbekommen, doch habe ich das Gefühl es nun durch die Augen von Frau Schubert erlebt zu haben.

    Eine ganz große Empfehlung von mir.

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  • 4 Sterne

    1 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Caroas, 02.04.2021

    Tiefblicke und Einblicke in ein Leben

    Helga Schubert erzählt in Kapitel eingeteilt von ihrem Leben. Das Verhältnis zu ihrer Mutter bzw. dieser zu ihr stellt sie so dar, dass sie von sich selbst in der dritten Person erzählt. Was für mich anfangs ungewöhnlich war. Sie verwendet tiefgründige Aussagen und treffsichere Zitate.

    Sie erzählt auch kurz, präzise und ohne viel Gefühlsduselei von ihrem Leben, ihren Grosseltern, Mutter und späteren Lebenspartner. Sie hatte sicher kein einfaches Leben, aber sie lies sich auch nie unterkriegen.

    Fazit, ein tiefblickendes Buch für das man sich die Zeit zum Lesen nehmen sollte.
    Lesen sollte man es auf jedenfall.

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