Der einzige Brief
Roman
Die Witwe Bess bringt ihren Sohn zu ihrer Schwiegermutter nach Indien, um sich selbst eine neue Existenz in Schottland aufzubauen. Sie schreibt unzählige Briefe an ihn - doch nie wird einer davon beantwortet. Was bleibt, ist Sehnsucht.
Und dann, 20...
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Produktinformationen zu „Der einzige Brief “
Die Witwe Bess bringt ihren Sohn zu ihrer Schwiegermutter nach Indien, um sich selbst eine neue Existenz in Schottland aufzubauen. Sie schreibt unzählige Briefe an ihn - doch nie wird einer davon beantwortet. Was bleibt, ist Sehnsucht.
Und dann, 20 Jahre später, steht ihr Sohn plötzlich vor der Tür.
Klappentext zu „Der einzige Brief “
"Würde ich ihn überhaupt wiedererkennen, nach all der Zeit?" - Unzählige Briefe hat Bess an ihren Sohn geschrieben, seit sie ihn in Indien zurücklassen musste, doch sie hat nie eine Antwort bekommen. Bis es eine halbe Ewigkeit später an ihre Haustür klopft: Der selbstbewusste junge Frazer ist gekommen, um sein Erbe anzutreten ... Mit Spannung und Eleganz erzählt die britische Erfolgsautorin Judith Lennox das aufregende, drei Generationen umspannende Schicksal einer Familie im 20. Jahrhundert.
Lese-Probe zu „Der einzige Brief “
Der einzige Brief von Judith LennoxRoman
An das hellblonde Haar, das zahnlose Babylächeln, die drallen kleinen Hände, wenn sie nach einem Blatt oder einer Nuss griffen, um sie ihr zu bringen. An sein glucksendes Lachen, wenn die Nuss zu Boden el und sie ihn in die Arme nahm und küsste.
Während sie zum tiefblauen Wasser des Indischen Ozeans hinausblickte, musste sie plötzlich daran denken, dass ihre Ehe mit einem Lachen begonnen und mit einem Lachen geendet hatte. »Ich hörte dein Lachen und habe mich nach dir umgeschaut«, hatte Jack Ravenhart einmal zu ihr gesagt. »Und als ich dich sah, wusste ich, dass ich dich heiraten würde.«
Sie hatten sich an einem indigoblauen Abend kennengelernt. Die Markthalle in Shimla war hell erleuchtet und voller Menschen, und in der Nachtluft hing der Geruch von Gewürzen _und Holzfeuern. Bess war während einer Geschäftsreise ihres verwitweten Vaters bei Freunden in der Stadt zu Besuch. Ganz Shimla traf sich abends in der Markthalle. Es wurden heimliche Verabredungen getroffen, Streitigkeiten angezettelt oder beigelegt, Liebesabenteuer mit einem kurzen Blick begonnen.
Bess konnte sich später nicht erinnern, warum sie gelacht hatte. Aber sie erinnerte sich ihr Leben lang an den Moment, als sie den hochgewachsenen, gut aussehenden Jack Ravenhart das erste Mal sah. Im Sattel eines tänzelnden schwarzen Pferds auf der anderen Seite der Markthalle. Sie nahm das Blitzen von Sporen und Uniformknöpfen wahr und seinen Blick, als sie vorüberging, und ihr Lachen wurde ein wenig gezwungen. In seinen Augen erkannte sie den Ausdruck, der ihr bald so vertraut wurde, eine Mischung aus Begierde, Entzücken und Verwegenheit.
Sie heirateten drei Monate später. Jack ließ keine Einwände gelten. Er wollte sie haben, und er bekam immer, was er wollte. Bess war achtzehn, als sie Jack Ravenharts Frau und die
... mehr
Schwiegertochter von Fenton und Cora Ravenhart wurde. Sie und Jack lebten in einem geräumigen, ebenerdigen Bungalow in Shimla mit großer Dienerschaft und einem Stall voller Polo-Ponys und Jagdpferde.
Ein Jahr später wurde ihr Sohn Frazer geboren. An ihrem Lebensstil änderte sich dadurch kaum etwas. Ein Kindermädchen versorgte Frazer, während Bess und Jack weiterhin Kostümfeste und Bälle besuchten, an Picknicks teilnahmen, auf die Jagd gingen und zu den Pferderennen. Trotzdem hatte sich etwas verändert, Bess wusste es, aber sie behielt es für sich. Wenn sie sich für den Abend ankleidete, nahm sie sich ein paar Augenblicke, um ihr schlafendes Kind zu betrachten, gerührt von der weichen Rundung der Wange und den pummeligen kleinen Händen, bis Jack sie dort wegholte und mit sich aus dem Haus zog, während sie noch ihre Handschuhe knöpfte oder eine letzte Nadel ins Haar schob.
Die Ehe mit Jack Ravenhart war ein Abenteuer, und sie genoss es. Keine Herausforderung war ihm zu groß; er liebte _die Spannung und suchte die Gefahr. Ausgelassen und unbeschwert tanzten sie durch die zwei Jahre ihrer Ehe. Sie stachelten einander an; in Jack hatte sie einen Partner gefunden, dessen Lebenshunger so groß war wie ihr eigener. Sie waren vom selben Schlag, sie lebten den Augenblick, ohne sich um die Zukunft zu sorgen.
Die Tage der Unbeschwertheit fanden mit seinem Tod ein jähes Ende. Es war früh am Morgen, noch nicht richtig hell, und sie ritten in den Hügeln oberhalb von Shimla. Er forderte sie zu einem Rennen heraus, aber eine plötzliche Furcht, eine böse Ahnung – der unbekannte steinige Weg, der Nebel, der sich in den Kiefern ver ng – trieben sie dazu, ihn zurückzuhalten. »Nein, Jack!«
Ihr Schrei hing noch in der Luft, als er seinem Pferd die Sporen gab und den schmalen Pfad hinuntergaloppierte. Das Letzte, was sie hörte, bevor das Pferd ihn abwarf, waren trommelnder Hufschlag und, aus der Ferne, sein unbekümmertes Lachen.
Ein abgebrochener Ast quer über dem Weg, sagten sie ihr, und der Nebel, der den Rand einer abschüssigen Böschung verbarg. Jack Ravenhart hatte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen. Der endlose Reigen rauschender Feste und aufregender Unternehmungen, der ihr Leben in Shimla gewesen war, hatte ein schreckliches Ende gefunden.
Mit Jacks Tod verlor es alle Farbe. Nachts, wenn sie allein im Bett lag, war ihr, als hörte sie immer noch sein Lachen.
»Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Cora Ravenhart, Jacks Mutter, am Tag nach der Beerdigung.
Sie hatte Bess in dem Haus aufgesucht, das diese mit Jack zusammen bewohnt hatte, eine große, imposante Person mit wogendem Busen und eng geschnürter Taille. Das Schwarz ihrer Kleidung betonte die Blässe ihres vom Schmerz gezeichneten Gesichts.
»Ich dachte…«, begann Bess und sprach nicht weiter, als sie die Fallen hinter der Frage erkannte.
Cora Ravenhart setzte sich nicht. Sie ging unablässig im Zimmer umher und berührte hier eine Vase, dort einen Vorhang oder einen Paravent mit Holzschnitzereien. »Hier werden Sie leider nicht bleiben können, Elizabeth. Jack hat seine Angelegenheiten nicht gerade wohlgeordnet hinterlassen. Es sind hohe Schulden da. Die Kosten für den Haushalt – seine persönlichen Ausgaben…« Coras Blick blieb einen Moment geringschätzig an Bess haften, als sie hinzufügte: »Das Leben, das Sie und Jack geführt haben – Sie haben über Ihre Verhältnisse gelebt.«
»Das wusste ich nicht«, murmelte Bess.
»Ach nein? Das Einkommen eines Kavallerieof ziers ist bescheiden. Niemals hätten Sie ein solches Leben führen können, wenn wir Jack nicht unter die Arme gegriffen hätten – und zwar sehr kräftig. Dieses Haus –«
»Unser Haus?«
»Es gehört natürlich Fenton.« Fenton Ravenhart, Jacks Vater, war so kalt und unzugänglich, wie sein Sohn herzlich und offen gewesen war.
Cora blieb stehen, als ihr Blick auf die Fotogra e von Jack el, die auf dem Klavier stand. Als sie wieder zu sprechen begann, war ihre Stimme noch härter als zuvor. »Alles hier gehört Fenton. Sie haben nichts. Und kein Mensch kann verlangen, dass wir jetzt zwei Haushalte nanzieren. Die Ausgaben –«
»Sind Sie hergekommen«, unterbrach Bess heftig, »um _mir mitzuteilen, dass Frazer und ich jetzt bei Ihnen leben müssen?«
Cora Ravenhart lachte. »Das würde wohl kaum gut gehen, meinen Sie nicht auch, Elizabeth? Lassen Sie mich offen sein: Ich glaube nicht, dass das uns oder Ihnen passen würde.«
Die Abneigung in Cora Ravenharts Blick, zu Jacks Lebzeiten stets sorgfältig versteckt, kam jetzt offen zum Vorschein. »Ich nahm an«, fuhr Cora Ravenhart fort, »Sie würden zu Ihrem Vater zurückkehren. Er würde Sie doch sicher aufnehmen?«
»Ja… ich weiß nicht…« Es war fast zwei Jahre her, dass sie ihren Vater das letzte Mal gesehen hatte. Joe Cadogan war ein Getriebener und ein Träumer, immer auf der Jagd nach dem einmaligen Unternehmen, mit dem er endlich sein Glück machen würde. Er war kurz nach Bess’ Heirat in das Land seiner Herkunft zurückgekehrt.
»Mein Vater lebt jetzt in England«, sagte sie.
Ihre Schwiegermutter schaute zum Fenster hinaus, eine schwarze Silhouette vor dem irrenden Blaugrün des Gartens. »Bitte halten Sie mich nicht für kleinlich, Elizabeth. Trotz aller Differenzen zwischen uns, Sie waren Jacks Frau. Ich bin hier, um Ihnen Hilfe anzubieten. Ich werde Ihre Passage nach England bezahlen, und ich werde mich um Frazer kümmern, bis Sie ihn nachkommen lassen können.«
Ich werde mich um Frazer kümmern. Bess schluckte ihre erste zornige Erwiderung hinunter und erwiderte kühl: »Danke, aber ich nehme Frazer natürlich mit.«
Cora Ravenhart setzte sich. »Wissen Sie, wo Ihr Vater lebt?«
»Selbstverständlich.« Aber plötzlich war Bess unsicher. Sie hatte seit Monaten, vielleicht sogar seit einem halben Jahr nichts mehr von ihrem Vater gehört. Sie hatte ihm in das Hotel geschrieben, in dem er wohnte, und ihm Jacks Tod mitgeteilt, aber bisher keine Antwort auf ihr Schreiben erhalten.
»Wissen Sie überhaupt, ob er in Verhältnissen lebt, die einem Kind angemessen sind? Nein? Das dachte ich mir.« Cora Ravenhart lächelte mit schmalem Mund. »Ich habe gehört, er hätte Indien unter – nun, sagen wir, unter etwas dubiosen Umständen verlassen.« Cora Ravenhart senkte bedeutungsvoll die Stimme. »Er hatte Spielschulden, nicht wahr?«
Bess hatte Mühe, ihren aufsteigenden Zorn im Zaum zu halten.
»Ich möchte nur das Beste für Jacks Sohn«, fuhr Cora Ravenhart fort. »Wie Sie sicher auch. Deshalb schlage ich vor, Frazer bleibt hier, und Sie reisen erst einmal allein nach England, um alles vorzubereiten. Wir haben schon seit einiger Zeit vor, Sheldon, den älteren Bruder meines Mannes, in Schottland zu besuchen. Es ist alles veranlasst – wir reisen im nächsten April und bleiben den Sommer über dort, wenn alles klappt. Da können wir Frazer mitnehmen. Bis dahin sollten Sie eine passende Wohnung gefunden haben, um ein Kind großzuziehen. In der Zwischenzeit werde ich regelmäßig schreiben und Sie über seine Entwicklung auf dem Laufenden halten. Das ist sicher die beste Regelung.«
»Aber ich kann ihn doch nicht einfach hierlassen!«, rief Bess. »Er ist alles, was ich noch habe.«
»Frazer ist ein zartes Kind«, sagte Cora Ravenhart kalt und mitleidlos. »Seine Gesundheit könnte bleibenden Schaden nehmen, wenn Sie ihn jetzt mitnähmen und in irgendeiner feuchten, zugigen Wohnung in England unterbrächten. Außerdem wird die Trennung ja nicht länger als ein paar Monate dauern. Sie dürfen nicht an sich denken, Elizabeth. Sie müssen an Frazer denken, daran, was das Beste für ihn ist. Das ist im Moment das Wichtigste.«
Ein Jahr später wurde ihr Sohn Frazer geboren. An ihrem Lebensstil änderte sich dadurch kaum etwas. Ein Kindermädchen versorgte Frazer, während Bess und Jack weiterhin Kostümfeste und Bälle besuchten, an Picknicks teilnahmen, auf die Jagd gingen und zu den Pferderennen. Trotzdem hatte sich etwas verändert, Bess wusste es, aber sie behielt es für sich. Wenn sie sich für den Abend ankleidete, nahm sie sich ein paar Augenblicke, um ihr schlafendes Kind zu betrachten, gerührt von der weichen Rundung der Wange und den pummeligen kleinen Händen, bis Jack sie dort wegholte und mit sich aus dem Haus zog, während sie noch ihre Handschuhe knöpfte oder eine letzte Nadel ins Haar schob.
Die Ehe mit Jack Ravenhart war ein Abenteuer, und sie genoss es. Keine Herausforderung war ihm zu groß; er liebte _die Spannung und suchte die Gefahr. Ausgelassen und unbeschwert tanzten sie durch die zwei Jahre ihrer Ehe. Sie stachelten einander an; in Jack hatte sie einen Partner gefunden, dessen Lebenshunger so groß war wie ihr eigener. Sie waren vom selben Schlag, sie lebten den Augenblick, ohne sich um die Zukunft zu sorgen.
Die Tage der Unbeschwertheit fanden mit seinem Tod ein jähes Ende. Es war früh am Morgen, noch nicht richtig hell, und sie ritten in den Hügeln oberhalb von Shimla. Er forderte sie zu einem Rennen heraus, aber eine plötzliche Furcht, eine böse Ahnung – der unbekannte steinige Weg, der Nebel, der sich in den Kiefern ver ng – trieben sie dazu, ihn zurückzuhalten. »Nein, Jack!«
Ihr Schrei hing noch in der Luft, als er seinem Pferd die Sporen gab und den schmalen Pfad hinuntergaloppierte. Das Letzte, was sie hörte, bevor das Pferd ihn abwarf, waren trommelnder Hufschlag und, aus der Ferne, sein unbekümmertes Lachen.
Ein abgebrochener Ast quer über dem Weg, sagten sie ihr, und der Nebel, der den Rand einer abschüssigen Böschung verbarg. Jack Ravenhart hatte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen. Der endlose Reigen rauschender Feste und aufregender Unternehmungen, der ihr Leben in Shimla gewesen war, hatte ein schreckliches Ende gefunden.
Mit Jacks Tod verlor es alle Farbe. Nachts, wenn sie allein im Bett lag, war ihr, als hörte sie immer noch sein Lachen.
»Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Cora Ravenhart, Jacks Mutter, am Tag nach der Beerdigung.
Sie hatte Bess in dem Haus aufgesucht, das diese mit Jack zusammen bewohnt hatte, eine große, imposante Person mit wogendem Busen und eng geschnürter Taille. Das Schwarz ihrer Kleidung betonte die Blässe ihres vom Schmerz gezeichneten Gesichts.
»Ich dachte…«, begann Bess und sprach nicht weiter, als sie die Fallen hinter der Frage erkannte.
Cora Ravenhart setzte sich nicht. Sie ging unablässig im Zimmer umher und berührte hier eine Vase, dort einen Vorhang oder einen Paravent mit Holzschnitzereien. »Hier werden Sie leider nicht bleiben können, Elizabeth. Jack hat seine Angelegenheiten nicht gerade wohlgeordnet hinterlassen. Es sind hohe Schulden da. Die Kosten für den Haushalt – seine persönlichen Ausgaben…« Coras Blick blieb einen Moment geringschätzig an Bess haften, als sie hinzufügte: »Das Leben, das Sie und Jack geführt haben – Sie haben über Ihre Verhältnisse gelebt.«
»Das wusste ich nicht«, murmelte Bess.
»Ach nein? Das Einkommen eines Kavallerieof ziers ist bescheiden. Niemals hätten Sie ein solches Leben führen können, wenn wir Jack nicht unter die Arme gegriffen hätten – und zwar sehr kräftig. Dieses Haus –«
»Unser Haus?«
»Es gehört natürlich Fenton.« Fenton Ravenhart, Jacks Vater, war so kalt und unzugänglich, wie sein Sohn herzlich und offen gewesen war.
Cora blieb stehen, als ihr Blick auf die Fotogra e von Jack el, die auf dem Klavier stand. Als sie wieder zu sprechen begann, war ihre Stimme noch härter als zuvor. »Alles hier gehört Fenton. Sie haben nichts. Und kein Mensch kann verlangen, dass wir jetzt zwei Haushalte nanzieren. Die Ausgaben –«
»Sind Sie hergekommen«, unterbrach Bess heftig, »um _mir mitzuteilen, dass Frazer und ich jetzt bei Ihnen leben müssen?«
Cora Ravenhart lachte. »Das würde wohl kaum gut gehen, meinen Sie nicht auch, Elizabeth? Lassen Sie mich offen sein: Ich glaube nicht, dass das uns oder Ihnen passen würde.«
Die Abneigung in Cora Ravenharts Blick, zu Jacks Lebzeiten stets sorgfältig versteckt, kam jetzt offen zum Vorschein. »Ich nahm an«, fuhr Cora Ravenhart fort, »Sie würden zu Ihrem Vater zurückkehren. Er würde Sie doch sicher aufnehmen?«
»Ja… ich weiß nicht…« Es war fast zwei Jahre her, dass sie ihren Vater das letzte Mal gesehen hatte. Joe Cadogan war ein Getriebener und ein Träumer, immer auf der Jagd nach dem einmaligen Unternehmen, mit dem er endlich sein Glück machen würde. Er war kurz nach Bess’ Heirat in das Land seiner Herkunft zurückgekehrt.
»Mein Vater lebt jetzt in England«, sagte sie.
Ihre Schwiegermutter schaute zum Fenster hinaus, eine schwarze Silhouette vor dem irrenden Blaugrün des Gartens. »Bitte halten Sie mich nicht für kleinlich, Elizabeth. Trotz aller Differenzen zwischen uns, Sie waren Jacks Frau. Ich bin hier, um Ihnen Hilfe anzubieten. Ich werde Ihre Passage nach England bezahlen, und ich werde mich um Frazer kümmern, bis Sie ihn nachkommen lassen können.«
Ich werde mich um Frazer kümmern. Bess schluckte ihre erste zornige Erwiderung hinunter und erwiderte kühl: »Danke, aber ich nehme Frazer natürlich mit.«
Cora Ravenhart setzte sich. »Wissen Sie, wo Ihr Vater lebt?«
»Selbstverständlich.« Aber plötzlich war Bess unsicher. Sie hatte seit Monaten, vielleicht sogar seit einem halben Jahr nichts mehr von ihrem Vater gehört. Sie hatte ihm in das Hotel geschrieben, in dem er wohnte, und ihm Jacks Tod mitgeteilt, aber bisher keine Antwort auf ihr Schreiben erhalten.
»Wissen Sie überhaupt, ob er in Verhältnissen lebt, die einem Kind angemessen sind? Nein? Das dachte ich mir.« Cora Ravenhart lächelte mit schmalem Mund. »Ich habe gehört, er hätte Indien unter – nun, sagen wir, unter etwas dubiosen Umständen verlassen.« Cora Ravenhart senkte bedeutungsvoll die Stimme. »Er hatte Spielschulden, nicht wahr?«
Bess hatte Mühe, ihren aufsteigenden Zorn im Zaum zu halten.
»Ich möchte nur das Beste für Jacks Sohn«, fuhr Cora Ravenhart fort. »Wie Sie sicher auch. Deshalb schlage ich vor, Frazer bleibt hier, und Sie reisen erst einmal allein nach England, um alles vorzubereiten. Wir haben schon seit einiger Zeit vor, Sheldon, den älteren Bruder meines Mannes, in Schottland zu besuchen. Es ist alles veranlasst – wir reisen im nächsten April und bleiben den Sommer über dort, wenn alles klappt. Da können wir Frazer mitnehmen. Bis dahin sollten Sie eine passende Wohnung gefunden haben, um ein Kind großzuziehen. In der Zwischenzeit werde ich regelmäßig schreiben und Sie über seine Entwicklung auf dem Laufenden halten. Das ist sicher die beste Regelung.«
»Aber ich kann ihn doch nicht einfach hierlassen!«, rief Bess. »Er ist alles, was ich noch habe.«
»Frazer ist ein zartes Kind«, sagte Cora Ravenhart kalt und mitleidlos. »Seine Gesundheit könnte bleibenden Schaden nehmen, wenn Sie ihn jetzt mitnähmen und in irgendeiner feuchten, zugigen Wohnung in England unterbrächten. Außerdem wird die Trennung ja nicht länger als ein paar Monate dauern. Sie dürfen nicht an sich denken, Elizabeth. Sie müssen an Frazer denken, daran, was das Beste für ihn ist. Das ist im Moment das Wichtigste.«
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Autoren-Porträt von Judith Lennox
Judith Lennox, geboren 1953 in Salisbury, wuchs in Hampshire auf. Nach ihrem Englischstudium in Lancester arbeitete sie unter anderem als Pianistin in einer Ballettschule, bevor sie sich ganz aufs Schreiben verlegte und zur Bestsellerautorin avancierte. Sie lebt mit ihrem Mann und dem jüngsten ihrer drei Söhne auf dem Land bei Cambridge. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Judith Lennox
- 2009, 581 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Sandberg-Ciletti, Mechtild
- Übersetzer: Mechtild Sandberg
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492254047
- ISBN-13: 9783492254045
Rezension zu „Der einzige Brief “
»Neben romantischen Liebesgeschichten erzählt Judith Lennox immer auch von den Läufen der Zeit, den Wandlungen der Gesellschaft und dem Durst nach Freiheit und Eigenständigkeit der Frauen.« Buchkultur
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