Der Schatten des Galiläers, Sonderausgabe
In spannender Erzählform bringt uns Professor Gerd Theißen das Leben Jesu näher: Im Auftrag von Pilatus sammelt der junge Jude Andreas Material über eine neue religiöse Bewegung und stößt dabei auf Jesus....
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In spannender Erzählform bringt uns Professor Gerd Theißen das Leben Jesu näher: Im Auftrag von Pilatus sammelt der junge Jude Andreas Material über eine neue religiöse Bewegung und stößt dabei auf Jesus. Erzählungen über ihn fügen sich zu einem deutlichen Bild zusammen.
Gerd Theißen erzählt von Jesus und seiner Zeit. Die Rahmenhandlung ist fiktiv: Ein junger Jude, Andreas, wird von Pilatus dazu erpresst, Material über neue religiöse Bewegungen in Palästina zu sammeln. Dabei stößt er auf Jesus und reist ihm hinterher. Aus Erzählungen über Jesus rekonstruiert er dessen Leben.
Theißen ist ein fesselndes Buch gelungen, das dem Stand der Forschung entspricht, aber auch für die Gegenwart verständlich ist. Verkündigung und Geschick Jesu werden aus der Perspektive eines jüdischen Zeitgenossen dargestellt und im Rahmen der religiösen und sozialen Welt des Judentums verständlich gemacht.
Theißen ist ein fesselndes Buch gelungen, das dem Stand der Forschung entspricht, aber auch für die Gegenwart verständlich ist. Verkündigung und Geschick Jesu werden aus der Perspektive eines jüdischen Zeitgenossen dargestellt und im Rahmen der religiösen und sozialen Welt des Judentums verständlich gemacht.
DerSchatten des Galiläers von GerdTheißen
LESEPROBE
Das Verhör
Die Zelle war dunkel. Eben noch hatten sich Menschen inPanik um mich gedrängt. Jetzt war ich allein. Mein Schädel brummte. MeineGlieder schmerzten. Die Soldaten hatten harmlos ausgesehen, hattenmitdemonstriert und mitgeschrien. Niemand konnte ahnen, daß sie Spitzel waren,bis sie ihre versteckten Knüppel herausholten und auf uns einschlugen. Diemeisten von uns flohen. Einige wurden auf der Flucht totgetrampelt, andere wurdenvon knüppelnden Soldaten erschlagen.
Ich hatte keinen Grund gehabt zu fliehen. War ich doch nurzufällig mit Timon und Malchos vorbeigekommen. Nicht die Demonstration hattemich interessiert. Mich interessierte Barabbas, den ich unter den Demonstrantenentdeckt hatte. Ich wollte gerade zu ihm, als die Panik ausbrach und alles imDurcheinander der Schreie, Prügel, Pfiffe und Tritte unterging. Als ich wieder zumir kam, war ich inhaftiert. Timon auch. Ob Malchos entkommen war?
Jetzt hockte ich in dieser Finsternis. Ich spürte dieSchmerzen in meinem Körper. Es waren nicht nur die Schläge und Fesseln, die wehtaten. Was die Glieder verkrampfte, war mehr: Es war die Erniedrigung durchbrutale Gewalt. Es war die Angst vor weiterer Erniedrigung, der ich ohnmächtigausgesetzt sein würde.
Eine Wache ging draußen auf und ab. Ich hörte Stimmen. Jemandschloß auf. Ich wurde in Fesseln zum Verhör geschleppt - irgendwo imJerusalemer Amtssitz des römischen Präfekten. Ein Offizier saß mir gegenüber.Ein Schreiber führte Protokoll.
»Sprichst du Griechisch?» lautete die erste Frage.
»Alle Gebildeten sprechen bei uns Griechisch«, antworteteich.
Der Mann, der mich verhörte, hatte ein fein gegliedertes Gesicht.Seine wachen Augen musterten mich eindringlich. Unter anderen Umständen wäre ermir vielleicht sympathisch gewesen.
»Wie heißt du?«
»Andreas, Sohn des Johannes.«
»Woher stammst du?«
»Aus Sepphoris in Galiläa.«
»Beruf?«
»Obst- und Getreidehändler.«
Der Offizier machte eine Pause und wartete, bis derSchreiber alles mit kratzender Feder notiert hatte.
»Was suchst du in Jerusalem?« setzte er sein Verhör fort. »Ichhabe am Pfingstfest teilgenommen.«
Er hob den Blick und sah mir direkt in die Augen: »Warumhast du gegen Pilatus demonstriert?«
»Ich habe nicht demonstriert. Ich bin zufällig in die Demonstrationhineingeraten.«
Hätte ich sagen sollen, daß ich einen alten Bekannten in derdemonstrierenden Menge erkannt hatte? Auf keinen Fall! Barabbas war einRömerhasser. Womöglich stand er auf den Fahndungslisten. Ich durfte mit ihmnicht in Verbindung gebracht werden.
»Du behauptest, du hättest nicht mitgeschrien: Kein Geld fürPilatus!«
»Ich weiß nicht einmal, worum es geht«, log ich.
Der Beamte lächelte abfällig. Wußte doch jeder, der sichdamals in Jerusalem aufhielt, daß es sich um das Geld handelte, das Pilatusaus dem Tempelschatz nehmen wollte, um eine neue Wasserleitung für Jerusalembauen zu lassen.
»Du solltest wissen, daß man sich aus einer demonstrierendenMenge entfernt.«
»Niemand war bewaffnet. Alles verlief friedlich, bis dieSoldaten eingriffen«, entgegnete ich hastig.
»Aber die Demonstration richtete sich gegen uns Römer. So wasmacht verdächtig. Warst du nicht schon einmal in Auseinandersetzungen zwischenJuden und Nichtjuden verwickelt? Kennen wir dich nicht schon?«
»Was für Auseinandersetzungen?«
»Ich meine Konflikte in unseren Städten, bei denen Hitzköpfein deinem Alter aneinandergeraten. Es fängt mit dummen Streichen an und endetmit Straßenschlachten wie in Cäsarea!«
»Meine Heimatstadt, Sepphoris, ist ruhig. Die Bewohner sind meistJuden - aber sie sind griechisch gebildet.«
»Sepphoris sagst du? Hat esnicht auch in Sepphoris Unruhen gegeben? Wie war das mit der Revolte nach demTod des Herodes? Eure Stadt war ein richtiges Terroristennest!« schrie er mich unvermitteltan.
»Das ist nicht wahr. Vor 33 Jahren gab es in ganz Palästinaeinen Aufstand gegen Römer und Herodäer. Die Aufständischen eroberten imHandstreich unsere Stadt und zwangen ihre Bewohner zum Krieg gegen die Römer.Die Stadt hat es büßen müssen. Der römische General Quintilius Varus sandteTruppen gegen sie, ließ sie erobern, verbrennen, die Bevölkerung töten oder in dieSklaverei verkaufen. Es war eine schreckliche Katastrophe für unsere Stadt!«(...)
© Gütersloher Verlagshaus GmbH, Gütersloh 1986
- Autor: Gerd Theißen
- 2004, N.-Auflage, 269 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Gütersloher Verlagshaus
- ISBN-10: 3579064045
- ISBN-13: 9783579064048
- Erscheinungsdatum: 12.01.2004