Die Ludwig-Verschwörung
Ein historischer Neuschwanstein-Krimi vom Erfolgsautor der Henkerstochter-Serie
Steven Lukas, ein Antiquar aus München, findet in seinen Regalen ein ihm unbekanntes altes Buch. Schon bald merkt er, dass es sich dabei um das Tagebuch eines engen Vertrauten von Ludwig II. handelt, den Assistenten des königlichen Leibarztes Max Schleiß...
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Produktinformationen zu „Die Ludwig-Verschwörung “
Klappentext zu „Die Ludwig-Verschwörung “
Steven Lukas, ein Antiquar aus München, findet in seinen Regalen ein ihm unbekanntes altes Buch. Schon bald merkt er, dass es sich dabei um das Tagebuch eines engen Vertrauten von Ludwig II. handelt, den Assistenten des königlichen Leibarztes Max Schleiß von Loewenfeld. Das über hundert Jahre alte Buch ist in einer geheimen Kurzschrift verfasst, die Lukas nur Stück für Stück entziffern kann. Der ungeheuerliche Fund könnte die wahren Umstände des Todes von Ludwig II. verraten! Doch offenbar haben verschiedene Parteien ein Interesse daran, die Veröffentlichung des Tagebuchs zu verhindern. Und ein Fanatiker geht dabei über Leichen. Gemeinsam mit der Kunstdetektivin Sara Lengfeld gelingt es Lukas, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen - eine Rätselreise, die die beiden zu sämtlichen Schlössern des Märchenkönigs führt.Lese-Probe zu „Die Ludwig-Verschwörung “
Die Ludwig-Verschwörung von Oliver PötzschPROLOG
Irgendwo bei München, Oktober 2010
... mehr
Der König zog sein Handy hervor und starrte auf die SMS, während Professor Paul Liebermann zu seinen
Füßen Blut und Fichtennadeln spuckte.
Die Nachricht schien Seine Exzellenz zu verstimmen. Er zog die Augenbrauen nach oben und schüttelte bedauernd den Kopf, so als wäre er von einem kleinen Kind enttäuscht. Dann stupste er den Mann am Boden mit dem Schuh an, um sicherzugehen, dass er nicht gerade erstickte. Paul Lie¬bermann ächzte und hustete ein paar weitere Nadeln aus. Um ihn herum war alles in Nebel getaucht, eine mystische Landschaft, in der einige tote Fichten in den trüben Nacht¬himmel ragten.
»Ich ... ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen«, keuchte der Professor und drehte sich stöhnend auf den Rücken. »Das muss ein Irrtum sein ... ein schrecklicher Irrtum.«
»Schrecklich. In der Tat«, murmelte der König. »Ich bin äußerst ungehalten.«
Seine Exzellenz trug einen Anzug aus feinstem engli¬schen Tweed, dazu ein rotes Seidenhalstuch und einen Mantel aus weißem Pelz, an dessen Saum Flecken von Blut schimmerten.
Mein Blut, dachte Liebermann. Und zwar eine ganze Menge davon. Sieht aus wie schwarze Punkte auf einem Hermelin. Ist es wirklich Hermelin?
So genau konnte er das nicht sagen, denn sein linkes Auge war komplett zugeschwollen, das rechte blutverkrustet. Die Brille lag zerbrochen und verbogen irgendwo im Gestrüpp, Hut und Gehstock hatte er bereits im Auto verloren. Ihm klebten noch Reste von dem modrigen Laub am Gaumen, das ihm die zwei Schläger während der letzten Stunden in den Mund gestopft hatten, bis er fast daran erstickt war. Außerdem wirkte noch immer die Spritze.
Sie hatten ihn nur wenige Schritte vor dem Antiquariat abgefangen. Als er den Wagen hörte, wusste er, dass er handeln musste. Er hatte das Buch versteckt und war nach draußen geeilt, um den Mann im Laden nicht zu verraten. Ein kleiner Stich nur, dann war er den beiden kräftigen Herren an seiner Seite in die Arme gesackt. Man stieß ihn ins Auto. Schon nach wenigen Sekunden war er bewusstlos gewesen, um schließlich hier in diesem Waldstück zwischen Pilzen und verwelkten Brombeersträuchern wieder aufzuwachen. Ganz von fern war das leise Dröhnen von Autos zu hören, ansonsten unterbrach nur das Krächzen einiger Krähen die herbstliche Stille.
Seit zwei Stunden hatten sie Liebermann immer wieder geschlagen, in den Magen, ins Gesicht, zwischen die Beine. Mittlerweile hatte sich die Dämmerung über den Wald gelegt, der König und seine Begleiter waren nur noch dunkle Schatten vor einem noch dunkleren Hintergrund.
Von weitem könnte es sich tatsächlich um Ludwig handeln. Welche Ironie! Wer hätte das ahnen können?
Dass Liebermann immer noch nichts verraten hatte, lag zum Teil an einer angeborenen Sturköpfigkeit, aber vielleicht auch an seiner Vergangenheit. Paul Liebermann war in seiner Zeit als Professor für Geschichte an der Universi tät Jena ein bekennender Gegner des Systems gewesen. Als man ihn für über zwei Jahre in Bautzen eingekerkert hatte, waren Dinge passiert, die ihn bis heute im Schlaf laut aufschreien ließen. Er hatte gelernt, Schläge einzustecken. Und er würde sich eher die Zunge abbeißen, als das Versteck preiszugeben.
Das Geheimnis des Buches war über hundert Jahre gewahrt geblieben, er durfte es nicht preisgeben. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel!
Wie ein Hammer war die Wirkung der Spritze über ihn gekommen. Er konnte sich noch an die verlassene Straße im Westendviertel erinnern und an das Auto, das so ähnlich ausgesehen hatte wie ein alter Wartburg. Aber die Stunden danach waren ein einziger schemenhafter Alptraum. Auch die Ereignisse vor der Spritze schienen merkwürdig vage. Liebermanns letzte konkrete Erinnerung war die an sein Frühstücksmüsli, dessen Reste er schon vor einiger Zeit auf den Waldboden erbrochen hatte.
»Sollen wir ihn noch mal in die Mangel nehmen?«, fragte nun einer der beiden Schläger, die Liebermann ebenso wie den König nur durch einen Schleier hindurch sah. »Ich habe noch einige Tricks auf Lager, die ihn sicher zum Sprechen bringen.«
»Ich glaube, es ist zwecklos.« Achselzuckend ließ der König das Handy zwischen den Falten seines Pelzmantels verschwinden und starrte Liebermann an. »Dieser Mann ist störrisch wie ein alter Esel. Außerdem verabscheue ich Gewalt.« Er seufzte. »Wie ich gerade erfahren musste, hat auch die Durchsuchung seines Hotelzimmers nichts ergeben. Gawain und Tristan haben alles auf den Kopf gestellt. Wenn ich nur wüsste ...«
Er verstummte und ließ seinen Blick über den Waldboden schweifen, der mit Laub und unzähligen Papierfetzen bedeckt war. Dazwischen lag wie eine zerbrochene Puppe Paul Liebermann, verkrümmt und gefesselt; ein mit Erde verschmiertes Stück Papier kitzelte seine Nase. Die Buchstaben darauf verschwammen ihm immer wieder vor den Augen. Erst nach einiger Zeit bekamen manche von ihnen einen Sinn. Es schien sich um eine Gedichtzeile zu handeln.
Siehst Vater, du, den Erlkönig nicht?
Trotz seines Zustands musste der ehemalige Professor für Neuere Geschichte lächeln. Die Romantik war immer sein Steckenpferd gewesen und der ›Erlkönig‹ sein liebstes Gedicht. Keine Ballade verkörperte für ihn so gut die Sehnsucht nach dem Tod, das Aufgehen in der Natur wie diese Zeilen. Jetzt stand Paul Liebermann selbst vor dem Erlkönig.
Du schönes Kind, komm spiel mit mir ...
»Mon Dieu!«
Der König trat mit der Stiefelspitze gegen den feuchten Waldboden, so dass Laub und Papierfetzen aufflogen. Sein weißer Pelzmantel flatterte im kalten Oktoberwind und gab ihm das Aussehen eines fetten, monströsen Schwans.
»Wo ist nur dieses verdammte Buch?«, zischte er. »Wir waren so nah dran, und jetzt das! Nur verfluchte Gedichte!« Er biss sich in die Faust und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. »Aber ich hätte den Band nicht zerreißen dürfen. Wenn etwas in dieser Welt Bestand hat, dann die Kunst. Nur sie ist zeitlos! Warum habt ihr mich nicht daran gehindert, hä?«
Die letzten Worte waren an die beiden Schläger gerichtet, die verlegen ihre blutverkrusteten Finger kneteten.
»Es ... es ging alles so schnell, Euer Exzellenz«, murmelte einer. »Ihr hattet den Gedichtband in der Hand und ...«
»Ah, arretez!«
Der König machte eine wegwerfende Bewegung, dann begann er seine Stirn zu massieren. Er schien Kopfschmerzen zu haben, nervös leckte er sich die Lippen. Nach einer Weile trat er dem Professor ohne Vorankündigung in den Bauch.
»Was hat Er mit dem Buch gemacht?«, schrie er. »Was hat Er gemacht? Es ist meins! Meins allein!«
Paul Liebermann spuckte Blut und Laub, auch ein paar der Papierfetzen waren darunter. Stöhnend krümmte er sich wie ein Embryo, um sich vor weiteren Tritten zu schützen. Doch glücklicherweise kamen keine mehr.
Liebermann war sich nicht sicher, ob er noch weitere Schmerzen überstanden hätte. Vielleicht hätte er am Ende das Geheimnis doch verraten?
Bleib standhaft! Die Linie des Königs steht auf dem Spiel.
Leise summend kniete Seine Majestät sich vor Lieber-mann hin und ließ Erde und Papierfetzen durch seine Finger gleiten.
»Natur und Kunst«, murmelte er. »Gibt es etwas Schöneres? Wir müssen uns auf die alten Mythen besinnen, wo diese beiden Dinge noch eins waren. Eine Götterdämmerung bricht an, fort mit den falschen Götzen ...«
Plötzlich hielt er inne und starrte auf einen Papierfetzen in seiner Hand. Dann fing er an zu kichern.
»Natürlich!«, prustete er und hielt sich wie ein kleines Mädchen die Hand vor den Mund. »Das gleiche Packpapier, nur das Buch ist ein anderes. Ihr ... ihr blasierten Idioten! « Die letzten Worte hatte der König erneut geschrien. Er hielt den zwei Schlägern den Fetzen vor die Nase. »Da hättet ihr suchen müssen. Merde! Ich lasse euch allesamt die Augen ausstechen, die Augen!«
Er hielt inne, und sein Blick bekam etwas Gläsernes.
Dann trat er auf Paul Liebermann zu und beugte sich über ihn. In aller Ruhe zog er unter dem Pelzmantel eine kleine altertümliche Pistole hervor, deren Griff einem Vogelkopf ähnelte.
»Schlauer alter Mann«, flüsterte er. »Ihr Beamten seid alle miteinander das gleiche intrigante Pack. Fast wäre dein Plan aufgegangen. Aber das hier hat dich verraten.«
Der König hielt ihm kichernd ein schmutziges Stück Pa¬pier vor sein nicht zugeschwollenes Auge. Wieder dauerte es eine Weile, bis sich die Buchstaben für Liebermann zu einem sinnvollen Ganzen zusammenschoben. Es schien der Abdruck eines Stempels zu sein, eine Art Exlibris, ge¬halten in antiker Schrift. Der Professor erkannte darauf einen Namen und eine Adresse.
ANTIQUARIAT LUKAS
Seltene und wertvolle Bücher des
17. bis 19. Jahrhunderts
Preise auf Anfrage
Plötzlich läutete in Paul Liebermann eine schrille Glocke. Er durfte den Mann im Laden nicht in Gefahr bringen. Sonst war alles verloren!
»Hören Sie«, stammelte er. »Ich ... ich kann Ihnen das Buch besorgen. Geben Sie mir eine Stunde Zeit und ich ...«
Doch sein Gegenüber schien mit einem Mal kein Inter¬esse mehr an ihm zu haben. Der König legte den Finger an die Lippen und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Verehrter Professor«, sagte er leise, »ich danke Ihnen für Ihre Mithilfe. Doch Sie werden verstehen, dass Ihr Weiterleben meinen hehren Zielen im Wege steht. Wenigs¬tens sterben Sie für eine gute Sache.«
Seine Exzellenz hielt dem hoch geschätzten Professor Dr. Paul Liebermann die Pistole direkt an die Stirn und drückte ab. Weiße Hirnmasse spritzte über den Waldboden und bedeckte Laub und Teile des Erlkönig-Gedichts.
»Und jetzt holen wir endlich, was mir zusteht«, zischte der König und stolzierte so aufrecht durch den Wald davon, als würde er eine unsichtbare Parade abschreiten.
Die leeren Augen des Professors starrten in einen nächtlichen Oktoberhimmel, an dem krächzend ein paar Krähen kreisten.
Der König zog sein Handy hervor und starrte auf die SMS, während Professor Paul Liebermann zu seinen
Füßen Blut und Fichtennadeln spuckte.
Die Nachricht schien Seine Exzellenz zu verstimmen. Er zog die Augenbrauen nach oben und schüttelte bedauernd den Kopf, so als wäre er von einem kleinen Kind enttäuscht. Dann stupste er den Mann am Boden mit dem Schuh an, um sicherzugehen, dass er nicht gerade erstickte. Paul Lie¬bermann ächzte und hustete ein paar weitere Nadeln aus. Um ihn herum war alles in Nebel getaucht, eine mystische Landschaft, in der einige tote Fichten in den trüben Nacht¬himmel ragten.
»Ich ... ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen«, keuchte der Professor und drehte sich stöhnend auf den Rücken. »Das muss ein Irrtum sein ... ein schrecklicher Irrtum.«
»Schrecklich. In der Tat«, murmelte der König. »Ich bin äußerst ungehalten.«
Seine Exzellenz trug einen Anzug aus feinstem engli¬schen Tweed, dazu ein rotes Seidenhalstuch und einen Mantel aus weißem Pelz, an dessen Saum Flecken von Blut schimmerten.
Mein Blut, dachte Liebermann. Und zwar eine ganze Menge davon. Sieht aus wie schwarze Punkte auf einem Hermelin. Ist es wirklich Hermelin?
So genau konnte er das nicht sagen, denn sein linkes Auge war komplett zugeschwollen, das rechte blutverkrustet. Die Brille lag zerbrochen und verbogen irgendwo im Gestrüpp, Hut und Gehstock hatte er bereits im Auto verloren. Ihm klebten noch Reste von dem modrigen Laub am Gaumen, das ihm die zwei Schläger während der letzten Stunden in den Mund gestopft hatten, bis er fast daran erstickt war. Außerdem wirkte noch immer die Spritze.
Sie hatten ihn nur wenige Schritte vor dem Antiquariat abgefangen. Als er den Wagen hörte, wusste er, dass er handeln musste. Er hatte das Buch versteckt und war nach draußen geeilt, um den Mann im Laden nicht zu verraten. Ein kleiner Stich nur, dann war er den beiden kräftigen Herren an seiner Seite in die Arme gesackt. Man stieß ihn ins Auto. Schon nach wenigen Sekunden war er bewusstlos gewesen, um schließlich hier in diesem Waldstück zwischen Pilzen und verwelkten Brombeersträuchern wieder aufzuwachen. Ganz von fern war das leise Dröhnen von Autos zu hören, ansonsten unterbrach nur das Krächzen einiger Krähen die herbstliche Stille.
Seit zwei Stunden hatten sie Liebermann immer wieder geschlagen, in den Magen, ins Gesicht, zwischen die Beine. Mittlerweile hatte sich die Dämmerung über den Wald gelegt, der König und seine Begleiter waren nur noch dunkle Schatten vor einem noch dunkleren Hintergrund.
Von weitem könnte es sich tatsächlich um Ludwig handeln. Welche Ironie! Wer hätte das ahnen können?
Dass Liebermann immer noch nichts verraten hatte, lag zum Teil an einer angeborenen Sturköpfigkeit, aber vielleicht auch an seiner Vergangenheit. Paul Liebermann war in seiner Zeit als Professor für Geschichte an der Universi tät Jena ein bekennender Gegner des Systems gewesen. Als man ihn für über zwei Jahre in Bautzen eingekerkert hatte, waren Dinge passiert, die ihn bis heute im Schlaf laut aufschreien ließen. Er hatte gelernt, Schläge einzustecken. Und er würde sich eher die Zunge abbeißen, als das Versteck preiszugeben.
Das Geheimnis des Buches war über hundert Jahre gewahrt geblieben, er durfte es nicht preisgeben. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel!
Wie ein Hammer war die Wirkung der Spritze über ihn gekommen. Er konnte sich noch an die verlassene Straße im Westendviertel erinnern und an das Auto, das so ähnlich ausgesehen hatte wie ein alter Wartburg. Aber die Stunden danach waren ein einziger schemenhafter Alptraum. Auch die Ereignisse vor der Spritze schienen merkwürdig vage. Liebermanns letzte konkrete Erinnerung war die an sein Frühstücksmüsli, dessen Reste er schon vor einiger Zeit auf den Waldboden erbrochen hatte.
»Sollen wir ihn noch mal in die Mangel nehmen?«, fragte nun einer der beiden Schläger, die Liebermann ebenso wie den König nur durch einen Schleier hindurch sah. »Ich habe noch einige Tricks auf Lager, die ihn sicher zum Sprechen bringen.«
»Ich glaube, es ist zwecklos.« Achselzuckend ließ der König das Handy zwischen den Falten seines Pelzmantels verschwinden und starrte Liebermann an. »Dieser Mann ist störrisch wie ein alter Esel. Außerdem verabscheue ich Gewalt.« Er seufzte. »Wie ich gerade erfahren musste, hat auch die Durchsuchung seines Hotelzimmers nichts ergeben. Gawain und Tristan haben alles auf den Kopf gestellt. Wenn ich nur wüsste ...«
Er verstummte und ließ seinen Blick über den Waldboden schweifen, der mit Laub und unzähligen Papierfetzen bedeckt war. Dazwischen lag wie eine zerbrochene Puppe Paul Liebermann, verkrümmt und gefesselt; ein mit Erde verschmiertes Stück Papier kitzelte seine Nase. Die Buchstaben darauf verschwammen ihm immer wieder vor den Augen. Erst nach einiger Zeit bekamen manche von ihnen einen Sinn. Es schien sich um eine Gedichtzeile zu handeln.
Siehst Vater, du, den Erlkönig nicht?
Trotz seines Zustands musste der ehemalige Professor für Neuere Geschichte lächeln. Die Romantik war immer sein Steckenpferd gewesen und der ›Erlkönig‹ sein liebstes Gedicht. Keine Ballade verkörperte für ihn so gut die Sehnsucht nach dem Tod, das Aufgehen in der Natur wie diese Zeilen. Jetzt stand Paul Liebermann selbst vor dem Erlkönig.
Du schönes Kind, komm spiel mit mir ...
»Mon Dieu!«
Der König trat mit der Stiefelspitze gegen den feuchten Waldboden, so dass Laub und Papierfetzen aufflogen. Sein weißer Pelzmantel flatterte im kalten Oktoberwind und gab ihm das Aussehen eines fetten, monströsen Schwans.
»Wo ist nur dieses verdammte Buch?«, zischte er. »Wir waren so nah dran, und jetzt das! Nur verfluchte Gedichte!« Er biss sich in die Faust und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. »Aber ich hätte den Band nicht zerreißen dürfen. Wenn etwas in dieser Welt Bestand hat, dann die Kunst. Nur sie ist zeitlos! Warum habt ihr mich nicht daran gehindert, hä?«
Die letzten Worte waren an die beiden Schläger gerichtet, die verlegen ihre blutverkrusteten Finger kneteten.
»Es ... es ging alles so schnell, Euer Exzellenz«, murmelte einer. »Ihr hattet den Gedichtband in der Hand und ...«
»Ah, arretez!«
Der König machte eine wegwerfende Bewegung, dann begann er seine Stirn zu massieren. Er schien Kopfschmerzen zu haben, nervös leckte er sich die Lippen. Nach einer Weile trat er dem Professor ohne Vorankündigung in den Bauch.
»Was hat Er mit dem Buch gemacht?«, schrie er. »Was hat Er gemacht? Es ist meins! Meins allein!«
Paul Liebermann spuckte Blut und Laub, auch ein paar der Papierfetzen waren darunter. Stöhnend krümmte er sich wie ein Embryo, um sich vor weiteren Tritten zu schützen. Doch glücklicherweise kamen keine mehr.
Liebermann war sich nicht sicher, ob er noch weitere Schmerzen überstanden hätte. Vielleicht hätte er am Ende das Geheimnis doch verraten?
Bleib standhaft! Die Linie des Königs steht auf dem Spiel.
Leise summend kniete Seine Majestät sich vor Lieber-mann hin und ließ Erde und Papierfetzen durch seine Finger gleiten.
»Natur und Kunst«, murmelte er. »Gibt es etwas Schöneres? Wir müssen uns auf die alten Mythen besinnen, wo diese beiden Dinge noch eins waren. Eine Götterdämmerung bricht an, fort mit den falschen Götzen ...«
Plötzlich hielt er inne und starrte auf einen Papierfetzen in seiner Hand. Dann fing er an zu kichern.
»Natürlich!«, prustete er und hielt sich wie ein kleines Mädchen die Hand vor den Mund. »Das gleiche Packpapier, nur das Buch ist ein anderes. Ihr ... ihr blasierten Idioten! « Die letzten Worte hatte der König erneut geschrien. Er hielt den zwei Schlägern den Fetzen vor die Nase. »Da hättet ihr suchen müssen. Merde! Ich lasse euch allesamt die Augen ausstechen, die Augen!«
Er hielt inne, und sein Blick bekam etwas Gläsernes.
Dann trat er auf Paul Liebermann zu und beugte sich über ihn. In aller Ruhe zog er unter dem Pelzmantel eine kleine altertümliche Pistole hervor, deren Griff einem Vogelkopf ähnelte.
»Schlauer alter Mann«, flüsterte er. »Ihr Beamten seid alle miteinander das gleiche intrigante Pack. Fast wäre dein Plan aufgegangen. Aber das hier hat dich verraten.«
Der König hielt ihm kichernd ein schmutziges Stück Pa¬pier vor sein nicht zugeschwollenes Auge. Wieder dauerte es eine Weile, bis sich die Buchstaben für Liebermann zu einem sinnvollen Ganzen zusammenschoben. Es schien der Abdruck eines Stempels zu sein, eine Art Exlibris, ge¬halten in antiker Schrift. Der Professor erkannte darauf einen Namen und eine Adresse.
ANTIQUARIAT LUKAS
Seltene und wertvolle Bücher des
17. bis 19. Jahrhunderts
Preise auf Anfrage
Plötzlich läutete in Paul Liebermann eine schrille Glocke. Er durfte den Mann im Laden nicht in Gefahr bringen. Sonst war alles verloren!
»Hören Sie«, stammelte er. »Ich ... ich kann Ihnen das Buch besorgen. Geben Sie mir eine Stunde Zeit und ich ...«
Doch sein Gegenüber schien mit einem Mal kein Inter¬esse mehr an ihm zu haben. Der König legte den Finger an die Lippen und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Verehrter Professor«, sagte er leise, »ich danke Ihnen für Ihre Mithilfe. Doch Sie werden verstehen, dass Ihr Weiterleben meinen hehren Zielen im Wege steht. Wenigs¬tens sterben Sie für eine gute Sache.«
Seine Exzellenz hielt dem hoch geschätzten Professor Dr. Paul Liebermann die Pistole direkt an die Stirn und drückte ab. Weiße Hirnmasse spritzte über den Waldboden und bedeckte Laub und Teile des Erlkönig-Gedichts.
»Und jetzt holen wir endlich, was mir zusteht«, zischte der König und stolzierte so aufrecht durch den Wald davon, als würde er eine unsichtbare Parade abschreiten.
Die leeren Augen des Professors starrten in einen nächtlichen Oktoberhimmel, an dem krächzend ein paar Krähen kreisten.
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Autoren-Porträt von Oliver Pötzsch
Oliver Pötzsch, geboren 1970, war jahrelang als Filmautor für den Bayerischen Rundfunk tätig. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt in München. Seine historischen Romane um den Schongauer Henker Jakob Kuisl haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Oliver Pötzsch
- 2011, 8. Aufl., 576 Seiten, Maße: 12 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548282903
- ISBN-13: 9783548282909
- Erscheinungsdatum: 14.02.2011
Rezension zu „Die Ludwig-Verschwörung “
»Spannende Unterhaltung - auch für Nicht-Münchner« P.M. History, 12.02.11 »Erneut beweist er erzählerisches Talent und Sinn für Spannung ... Der Krimi bietet, was man sich erhofft: gut recherchierte Unterhaltung.« Süddeutsche Zeitung, 25.03.11 »Eine spannende Reise in die Vergangenheit beginnt. Zwischen den Zeilen lässt der Autor bekannte Verschwörungstheorien anklingen, die unter dem Deckmantel der Fiktion ihr wahres Potenzial entfalten.« Münchner Merkur, 18.06.2011
Kommentare zu "Die Ludwig-Verschwörung"
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