Fleisch ist mein Gemüse
Heinz Strunk kommt aus einem kleinen Dorf. Seine Jugend ist geprägt von Akne und sexuellem Notstand.
Aus seinem Elend erlöst er sich selbst durch die Musik: Er wird Saxophonist bei einer Band, die auf Stadtfesten und Hochzeiten zwischen Elbe und Heide...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Heinz Strunk kommt aus einem kleinen Dorf. Seine Jugend ist geprägt von Akne und sexuellem Notstand.
Aus seinem Elend erlöst er sich selbst durch die Musik: Er wird Saxophonist bei einer Band, die auf Stadtfesten und Hochzeiten zwischen Elbe und Heide spielt.
Doch auch dieses ''Künstlerleben'' hat seine Schattenseiten.
Wie es ist, in Harburg aufzuwachsen, das weiß Heinz Strunk genau. Harburg, nicht Hamburg. Mitte der 80er ist Heinz volljährig und hat immer noch Akne, immer noch keinen Job, immer noch keinen Sex. Doch dann wird er Bläser bei Tiffanys, einer Showband, die auf den Schützenfesten zwischen Elbe und Lüneburger Heide bald zu den größten gehört. Aber auch das Musikerleben hat seine Schattenseiten: traurige Gaststars, heillose Frauengeschichten, sehr fettes Essen und Hochzeitsgesellschaften, die immer nur eins hören wollen: "An der Nordseeküste" von Klaus und Klaus.
Fleisch ist mein Gemüse von Heinz Strunk
LESEPROBE
1991 Die Bombe
Während meine braven Kollegen praktisch nur noch Mineralwassertranken, war ich saufmäßig fast schon wieder wie früher dabei. Ich wäre sonstgestorben vor Langeweile. Langeweile im Endstadium, ich verbrachte meine Tagewie mit einer Überdosis Insektengift aufgepumpt in einer Art Duldungsstarre.Langeweile gleich entarteter Stillstand minus Zeit. Das war meine Formel. Zeitgenug, mir so meine philosophischen Gedanken zu machen, hatte ich ja. Raum undZeit waren im Zwergenhaus so stark gestaucht, dass ich das Gefühl hatte, stattdreidimensional nur noch halbdimensional zu existieren und mich zu einem unendlichkleinen Punkt zu verdichten. In einer kaskadierenden Verschachtelungverschränken sich die Wahrnehmungsebenen so ineinander, dass am Ende nur nochein virtuelles Knäuel, ein Knäuel aus Licht, übrig bleibt, das sich nicht mehrsynchron zur Zeit bewegt, sondern von ihr weg. Und genau ab da verläuft dasLeben nicht mehr symmetrisch, sondern asymmetrisch. Vielleicht war ich jetzt jaauch endgültig verrückt geworden und merkte es nur nicht. Oder ich war eingroßer Privattheoretiker. Gibt es Rezepte gegen Langeweile? Ja, man kann zum Beispieldie Milch überkochen lassen und stundenlang die verkohlten Placken vomeingebrannten Ceranfeld schaben. Oder den Inhalt des Staubsaugerbeutels in derganzen Wohnung verteilen, nur um anschließend die Sauerei analog mit Kehrblechund Feger wieder zu beseitigen. Man kann Klimatabellen von Zwergstaaten führen,aus alten Topflappen Flurteppiche nähen oder aus Eisstielen und zerschlagenemAltglas rezeptfreie Lesebrillen basteln.
Meine wirksamsten Waffen gegen Langeweile waren aber immernoch Jubiläumsaquavit und Bier. Der Mineralwasserkonsum der Kollegen stiegderweil besorgniserregend, ein richtiger Trend wurde das bei Tiffanys. LautExpertenurteil von Norbert sollten am Tag mindestens drei Liter getrunkenwerden, um Gifte auszuschwemmen, die Zellmembran elastisch zu erhalten und nochanderen Quatsch. Am besten gleich auch noch stilles Wasser, die sinnlosesteErfindung der letzten hundert Jahre. Mich regte das auf, und aus Trotz trankich oft tagelang ausschließlich Kaffee und abends natürlich Bier. Keineneinzigen Schluck Wasser. Und? Ging es mir nur einen Deut schlechter als denanderen? Eben! Ich war schließlich kein Kamel.
Eine lustige Begebenheit hat sich in diesem ansonstenereignislosen Jahr dann aber doch zugetragen. Jens hatte als passionierterFleischesser öfter unter Blähungen zu leiden. Oft fragte er schon beim Essenlaut in die Runde, wie das wohl später riechen würde. Es stank meist ganzentsetzlich nach Problemen, Arbeitslosigkeit und chronischen Krankheiten, dochwir amüsierten uns wie die Kinder über die Feuerwerke, die da an so manchemAbend abbrannten. Einmal war es wieder besonders schlimm. Das Hochzeitsessenbestand aus drei Sorten Fleisch: Wild, Schwein und Rind. BeimMitternachtsbuffet wurde noch Gulaschsuppe mit Zwiebeln und Paprika gereicht,und man konnte sich darüber hinaus noch von einer reichlichen Auswahl anWurstsalaten bedienen. Eine Bombe nach der anderen zündete Jens im Verlauf desAbends! Der Gestank war sensationell. Mehrere Kilo Fleisch verrotteten dabeschleunigt im Jenskörper. Man konnte an seinem Gesicht ablesen, wie der Standder Dinge gerade war. Konzentration und Verkrampfung beim Rausdrücken,gespannte Erwartung, während die Wolke langsam hochstieg, und Zufriedenheit,wenn sich die Blume endlich entfaltet hatte. Während des Abbauens ging esmunter weiter, ein letzter Gruß der toten Tiere. Als wir den Hänger fasteingeladen hatten, sprang Jens ein letztes Mal mit einem Notenständer hinein,und kurz bevor wir das morsche Gefährt mit der Plane luftdicht abschlossen,ließ er drinnen noch ordentlich einen los. Als wir eine Stunde später dieStelle erreichten und den Hänger öffneten, quoll uns eine Wolke aus Gestankund Verderben entgegen. Jens schaute triumphierend in die Runde: Die Bombehatte sich die ganze Zeit über gehalten. Sensationell! So ein Geniestreichsollte allerdings auch ihm nie wieder gelingen, und gerne erinnerten wir unsmangels anderer Erlebnisse an diesen Höhepunkt des Jahres 1991 zurück.
© 2004 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Heinz Strunk
- 2004, 39. Aufl., 256 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499237113
- ISBN-13: 9783499237119
- Erscheinungsdatum: 01.10.2004
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Fleisch ist mein Gemüse".
Kommentar verfassen