In weißer Stille / Kommissar Dühnfort Bd.2
Kriminalroman. Originalausgabe
Ein stürmischer Oktoberabend: In seinem Wochenendhaus am Starnberger See wird ein pensionierter Kinderarzt tot aufgefunden. An eine Heizung gefesselt, ist er langsam verdurstet - ein qualvoller Tod. War es Rache oder doch nur ein Raubmord? Kommissar...
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Klappentext zu „In weißer Stille / Kommissar Dühnfort Bd.2 “
Ein stürmischer Oktoberabend: In seinem Wochenendhaus am Starnberger See wird ein pensionierter Kinderarzt tot aufgefunden. An eine Heizung gefesselt, ist er langsam verdurstet - ein qualvoller Tod. War es Rache oder doch nur ein Raubmord? Kommissar Konstantin Dühnfort enthüllt nach und nach den dunklen Charakter des Toten und stößt auf ein Drama, das seine längst erwachsenen Kinder bis heute verfolgt.Lese-Probe zu „In weißer Stille / Kommissar Dühnfort Bd.2 “
In weisser Stille von Inge LöhnigEs war kurz vor acht und bereits dunkel. Regentropfen rannen am gekippten Küchenfenster herab und fielen auf das Alublech. Durch die Bäume auf dem alten Südfriedhof fegte der Wind. Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort konnte ihr Ächzen bis in die Küche hören.
Er stand vor dem Herd. Neben ihm lagen auf einem Holzbrett zwei dicke Steaks. Bestes Angusrind. Hinter ihm am Küchentisch saß Agnes mit noch feuchten Haaren und machte den Salat an. Sie hatte gerade geduscht.
Kurz nach sechs Uhr hatte sie angerufen und gefragt, ob er Zeit habe. Sie hatte eine Typographie-Ausstellung besucht und keine Lust, schon zurück nach Mariaseeon zu fahren, wo sie wohnte. Natürlich hatte er sich gefreut, sie zu sehen. Wie immer. Natürlich waren sie nach einer halben Stunde im Bett gelandet. Wie immer. Ich bin ein Depp, dachte er und wunderte sich einen Augenblick, dass er, der Hamburger, nun dieses Wort in seinen Sprachschatz aufgenommen hatte. Doch nach fünf Jahren in München war es dafür auch nicht zu früh.
Er nahm einen Holzkochlöffel und hielt den Stiel in die Pfanne. Kleine Blasen bildeten sich, feiner Rauch stieg auf. Das Fett war heiß genug.
Agnes stand auf und trat hinter ihn. Er spürte ihre Wärme, als sie beide Arme um seinen Körper legte und ihren Kopf auf seine Schulter. Er wandte sich zu ihr um, sah den Blick aus ihren blauen Augen auf sich gerichtet und fuhr ihr durch die streichholzkurzen Haare. Als er Agnes im Mai kennengelernt hatte, waren sie beinahe hüftlang gewesen. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis sie die Geister, die sie beherrschten, abgeschüttelt hatte, bis es für ihn einen Platz in ihrem Leben gab? Sein Handy begann zu klingeln. »Merde«, fluchte er halblaut, löste sich von Agnes und meldete sich.
»Hast du schon zu Abend
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gegessen?« Es war Berentz von der Einsatzabteilung.
»Wollte ich gerade.«
»Verschieb es auf später. Es gibt Arbeit für euch. Scheint kein schöner Anblick zu sein. Ein alter Mann liegt draußen am Starnberger See in seinem Wochenendhaus. Anscheinend schon länger. Besser, du isst hinterher.« Berentz gab Dühnfort Adresse und Wegbeschreibung. Das Haus sei nicht einfach zu finden, hatte der Sohn des Toten erklärt.
Agnes schaltete den Herd aus und legte die Steaks in den Kühlschrank. »Du musst los, oder?«
»Aber deswegen musst du ja nicht gehen – und schon gar nicht hungrig.« Er wollte, dass sie blieb. Wenigstens ein Mal. »Du könntest doch hier schlafen.«
Sie zog die Schultern hoch. »Mal sehen.«
Er versuchte sich seine Freude nicht anmerken zu lassen.
»Mach dir doch eines der Steaks. Im Kühlschrank ist ein gut gekühlter Soave und im Dritten kommt gleich Casablanca, den könntest du dir doch ansehen. Bis der Film vorbei ist, bin ich zurück.«
Er gab ihr einen Kuss und schlüpfte in den Mantel.
Als er seine Wohnung verließ, stand Agnes in der Tür und sah ihm nach. Dieses Bild sah falsch und gleichzeitig richtig aus. Keine Zeit zu grübeln. Die ausgetretenen Stufen des Treppenhauses knarrten unter seinen Schritten. Er trat vors Haus.
Es war dunkel, ein kalter Ostwind wehte, feiner Nieselregen fiel lautlos. Das Licht der Straßenlaternen beleuchtete die herbstlich gefärbten Blätter einer Linde. Ein alter Mann, der einen Rauhaardackel an der Leine führte, näherte sich. Der Hund schnupperte kurz an Dühnforts Schuhen und hob dann sein Bein am Baum. Der Alte nickte grüßend. Er wirkte eingesunken, wie eine alte Mauer, deren Fundament nachgab. Ein anderer alter Mann lag tot in seinem Wochenendhaus. Dühnfort ging zu seinem Wagen.
Als er auf die Garmischer Autobahn einbog, griff er zum Telefon und forderte ein Team der Spurensicherung und einen Rechtsmediziner an. Dann wählte er die Nummern von Alois und Gina und vergewisserte sich, dass beide unterwegs waren.
Anschließend schaltete er das Autoradio ein. Auf dem Kulturkanal gab es eine Buchbesprechung. Der Moderator verlief sich in Formulierungen. Er sprach vom namenlosen Ich, vom Erotiker, der im Gegensatz zum Faun, der ja ein Sammler und Eroberer sei, keine Siege zähle, sondern allenfalls Kapitulationen.
Dühnfort schaltete ab. Er hatte die Stadt hinter sich gelassen. Die Nacht war dunkel, die Scheibenwischer quietschten. Zum ersten Mal fragte er sich, wie lange er sich noch auf diese Art unverbindlicher Beziehung einlassen wollte, die er mit Agnes hatte. Vielleicht sollte auch er kapitulieren.
Bei Wolfratshausen verließ er die Autobahn und fuhr über Münsing nach Holzhausen. Kurz nach dem Ortsende verlangsamte er die Fahrt, um die Abzweigung des Feldweges nicht zu verpassen. Die Lichter streiften über Schlaglöcher und Unkraut am Wegesrand. Ein Stein flog krachend gegen die Karosserie. Dann führte der Weg in den Wald. Die Dunkelheit verdichtete sich. Für einen kurzen Moment tauchte ein Kaninchen im Scheinwerferlicht auf. Nach etwa einem Kilometer bemerkte er Lichter zwischen den Bäumen. Er war da. Ein Geländewagen und ein Polizeifahrzeug parkten auf dem schmalen Weg vor einem Grundstück, in dessen Mitte ein Blockhaus stand. Die Außenbeleuchtung war eingeschaltet. Neben der Haustür lehnte eine Streifenpolizistin an der Wand. Im Haus brannte Licht. Die Beifahrertür des Streifenwagens stand offen. Auf dem Sitz saß ein Mann, vermutlich der Sohn des Toten. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und blickte nicht auf, als Dühnfort stoppte und ausstieg.
Für einen Moment blieb er neben dem Wagen stehen.
Der Regen hatte nachgelassen. Durch ein Loch in der Wolkendecke schien der Vollmond und beleuchtete dürftig den Weg, der zur Uferstraße in etwa fünfzig Metern Entfernung führte. Dahinter glitzerte das Wasser des Starnberger Sees. Die Fahrertür des Steifenwagens wurde geöffnet. Ein Polizist stieg aus. Sein schmales Gesicht und die hervorstehenden runden Augen erinnerten Dühnfort an einen Karpfen. Der Kollege stellte sich vor: »Fischer. Der Tote ist im Bad.«
»Außer Ihnen hat niemand das Haus betreten?«
»Nein. Nur ich und natürlich Dr. Heckeroth. Er hat ihn ja gefunden.«
Als der Mann auf dem Beifahrersitz seinen Namen hörte, stand er auf. »Es ist meine Schuld«, sagte er. Dühnfort musterte ihn. Im Mondlicht erschien sein Gesicht beinahe grau, die Lippen farblos. Die braunen Haare waren sehr kurz geschnitten, aber oberhalb der rechten Schläfe sträubte sich ein Wirbel.
»Wie meinen Sie das?«
Heckeroth fuhr sich über die Augen. »Eigentlich wollte er gestern Abend zurück sein, und als er heute Morgen noch nicht da war, hätte ich gleich nach ihm schauen sollen. « Langsam ließ er die Hand sinken. »Aber das hätte ja auch nichts mehr geändert.«
Dühnfort wollte sich den Toten ansehen. In aller Ruhe. Das war der Grund, weshalb er nach Möglichkeit Spurensicherung und Rechtsmedizin mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung informierte. So blieben ihm einige ungestörte Minuten, bevor der Trubel losging. »Ich sehe mir das jetzt an. Sie warten bitte hier.«
Die Polizistin neben der Tür grüßte ihn. Sie hatte die gedrungene Figur, den rosigen Teint und die frische Ausstrahlung eines Landmädchens. »Polizeihauptmeisterin Christine Meingast. Kann ich mit reinkommen?«
»Besser nicht. Das ist sicher kein schöner Anblick.«
»Der Kollege Fischer hat mich schon nicht reingelassen und nun auch noch Sie. Ich will mich für das Auswahlverfahren zum gehobenen Dienst bewerben. Von daher wäre es gut, wenn ich mir das mal anschauen könnte.«
»Später. Es reicht, wenn der Leiter der Spurensicherung auf mich sauer ist.« Dühnfort zog Überschuhe an, sog die frische Luft ein und betrat das Haus. Es stank unbeschreiblich. Nach Urin und Exkrementen, aber vor allem nach Verwesung. Vor ihm lag ein schmaler Flur. Holzboden, Flickenteppich. Eine Matratze lehnte links an der Wand. Die Tür rechts zum Schlafzimmer stand offen. Kissen, Decken und Laken waren auf dem Boden verstreut. Die beiden Matratzen des Doppelbetts fehlten. Die Tür auf der linken Seite des Flurs war geschlossen. Dühnfort streifte Latexhandschuhe über, bevor er sie öffnete. Eine Welle von warmer Luft und Verwesungsgeruch brandete ihm entgegen und nahm ihm den Atem. Der alte Mann saß vor dem Heizkörper auf dem Boden, die Beine ausgestreckt, den durch die fortgeschrittene Verwesung bereits grün verfärbten Kopf zur Brust gesenkt, die Arme ausgebreitet auf Schulterhöhe. Dühnforts Blick blieb an den Gürteln hängen, die um die Handgelenke geschlungen und an den Halterungen des Heizkörpers befestigt waren. Wolfram Eberhard Heckeroth hatte verzweifelt versucht, sich zu befreien. Haut und Fleisch waren weggescheuert, blanke Knochen schienen hervor. Dühnfort hätte gerne durchgeatmet, aber das musste noch einen Augenblick warten.
An der Hose fehlte der Gürtel, der Bund schnitt in den durch Faulgase geblähten Bauch des Toten. Der Eintritt des Todes lag sicher schon drei, eher vier Tage zurück.
Vor dem Fenster lehnte die zweite Matratze. Dühnfort blickte auf das Thermometer neben dem Spiegel – dreiundzwanzig Grad – und verließ das Bad.
Das Wohnzimmer war rustikal eingerichtet. Holzboden, Holzwände, bunte Flickenteppiche, dunkle Polstermöbel. Ein Kreuzworträtselheft lag auf dem Couchtisch. In der nicht abgetrennten Küche stand auf der Ablagefläche neben dem Herd ein Tablett, darauf ein Teller mit einem Salamibrot. Die vertrockneten Ränder bogen sich nach oben, Butter und Salamifett waren geschmolzen und in der Brotscheibe versickert. Ein beinahe leeres Weinglas stand daneben. Eine tote Fliege schwamm in einer Pfütze Rotwein. Ein zweites Glas und ein Teller befanden sich im Spülbecken.
Dühnfort ging hinaus, schloss die Tür hinter sich und sog die frische Waldluft tief ein. Sie trug den Geruch von Herbst und Pilzen, von See und Regen in sich. Dennoch konnte sie den Leichengeruch nicht verdrängen, der in seinem Mund klebte wie schmieriger Belag. »Gibt es hier noch andere Häuser?«
»Zwei liegen gleich dahinter.« Christine Meingast deutete auf eine Fichtenhecke, die das Grundstück im Norden begrenzte. »Und ein Stückchen weiter im Süden ist noch eines. Aber um die Jahreszeit sind die Leute selten am See.«
»Wollte ich gerade.«
»Verschieb es auf später. Es gibt Arbeit für euch. Scheint kein schöner Anblick zu sein. Ein alter Mann liegt draußen am Starnberger See in seinem Wochenendhaus. Anscheinend schon länger. Besser, du isst hinterher.« Berentz gab Dühnfort Adresse und Wegbeschreibung. Das Haus sei nicht einfach zu finden, hatte der Sohn des Toten erklärt.
Agnes schaltete den Herd aus und legte die Steaks in den Kühlschrank. »Du musst los, oder?«
»Aber deswegen musst du ja nicht gehen – und schon gar nicht hungrig.« Er wollte, dass sie blieb. Wenigstens ein Mal. »Du könntest doch hier schlafen.«
Sie zog die Schultern hoch. »Mal sehen.«
Er versuchte sich seine Freude nicht anmerken zu lassen.
»Mach dir doch eines der Steaks. Im Kühlschrank ist ein gut gekühlter Soave und im Dritten kommt gleich Casablanca, den könntest du dir doch ansehen. Bis der Film vorbei ist, bin ich zurück.«
Er gab ihr einen Kuss und schlüpfte in den Mantel.
Als er seine Wohnung verließ, stand Agnes in der Tür und sah ihm nach. Dieses Bild sah falsch und gleichzeitig richtig aus. Keine Zeit zu grübeln. Die ausgetretenen Stufen des Treppenhauses knarrten unter seinen Schritten. Er trat vors Haus.
Es war dunkel, ein kalter Ostwind wehte, feiner Nieselregen fiel lautlos. Das Licht der Straßenlaternen beleuchtete die herbstlich gefärbten Blätter einer Linde. Ein alter Mann, der einen Rauhaardackel an der Leine führte, näherte sich. Der Hund schnupperte kurz an Dühnforts Schuhen und hob dann sein Bein am Baum. Der Alte nickte grüßend. Er wirkte eingesunken, wie eine alte Mauer, deren Fundament nachgab. Ein anderer alter Mann lag tot in seinem Wochenendhaus. Dühnfort ging zu seinem Wagen.
Als er auf die Garmischer Autobahn einbog, griff er zum Telefon und forderte ein Team der Spurensicherung und einen Rechtsmediziner an. Dann wählte er die Nummern von Alois und Gina und vergewisserte sich, dass beide unterwegs waren.
Anschließend schaltete er das Autoradio ein. Auf dem Kulturkanal gab es eine Buchbesprechung. Der Moderator verlief sich in Formulierungen. Er sprach vom namenlosen Ich, vom Erotiker, der im Gegensatz zum Faun, der ja ein Sammler und Eroberer sei, keine Siege zähle, sondern allenfalls Kapitulationen.
Dühnfort schaltete ab. Er hatte die Stadt hinter sich gelassen. Die Nacht war dunkel, die Scheibenwischer quietschten. Zum ersten Mal fragte er sich, wie lange er sich noch auf diese Art unverbindlicher Beziehung einlassen wollte, die er mit Agnes hatte. Vielleicht sollte auch er kapitulieren.
Bei Wolfratshausen verließ er die Autobahn und fuhr über Münsing nach Holzhausen. Kurz nach dem Ortsende verlangsamte er die Fahrt, um die Abzweigung des Feldweges nicht zu verpassen. Die Lichter streiften über Schlaglöcher und Unkraut am Wegesrand. Ein Stein flog krachend gegen die Karosserie. Dann führte der Weg in den Wald. Die Dunkelheit verdichtete sich. Für einen kurzen Moment tauchte ein Kaninchen im Scheinwerferlicht auf. Nach etwa einem Kilometer bemerkte er Lichter zwischen den Bäumen. Er war da. Ein Geländewagen und ein Polizeifahrzeug parkten auf dem schmalen Weg vor einem Grundstück, in dessen Mitte ein Blockhaus stand. Die Außenbeleuchtung war eingeschaltet. Neben der Haustür lehnte eine Streifenpolizistin an der Wand. Im Haus brannte Licht. Die Beifahrertür des Streifenwagens stand offen. Auf dem Sitz saß ein Mann, vermutlich der Sohn des Toten. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und blickte nicht auf, als Dühnfort stoppte und ausstieg.
Für einen Moment blieb er neben dem Wagen stehen.
Der Regen hatte nachgelassen. Durch ein Loch in der Wolkendecke schien der Vollmond und beleuchtete dürftig den Weg, der zur Uferstraße in etwa fünfzig Metern Entfernung führte. Dahinter glitzerte das Wasser des Starnberger Sees. Die Fahrertür des Steifenwagens wurde geöffnet. Ein Polizist stieg aus. Sein schmales Gesicht und die hervorstehenden runden Augen erinnerten Dühnfort an einen Karpfen. Der Kollege stellte sich vor: »Fischer. Der Tote ist im Bad.«
»Außer Ihnen hat niemand das Haus betreten?«
»Nein. Nur ich und natürlich Dr. Heckeroth. Er hat ihn ja gefunden.«
Als der Mann auf dem Beifahrersitz seinen Namen hörte, stand er auf. »Es ist meine Schuld«, sagte er. Dühnfort musterte ihn. Im Mondlicht erschien sein Gesicht beinahe grau, die Lippen farblos. Die braunen Haare waren sehr kurz geschnitten, aber oberhalb der rechten Schläfe sträubte sich ein Wirbel.
»Wie meinen Sie das?«
Heckeroth fuhr sich über die Augen. »Eigentlich wollte er gestern Abend zurück sein, und als er heute Morgen noch nicht da war, hätte ich gleich nach ihm schauen sollen. « Langsam ließ er die Hand sinken. »Aber das hätte ja auch nichts mehr geändert.«
Dühnfort wollte sich den Toten ansehen. In aller Ruhe. Das war der Grund, weshalb er nach Möglichkeit Spurensicherung und Rechtsmedizin mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung informierte. So blieben ihm einige ungestörte Minuten, bevor der Trubel losging. »Ich sehe mir das jetzt an. Sie warten bitte hier.«
Die Polizistin neben der Tür grüßte ihn. Sie hatte die gedrungene Figur, den rosigen Teint und die frische Ausstrahlung eines Landmädchens. »Polizeihauptmeisterin Christine Meingast. Kann ich mit reinkommen?«
»Besser nicht. Das ist sicher kein schöner Anblick.«
»Der Kollege Fischer hat mich schon nicht reingelassen und nun auch noch Sie. Ich will mich für das Auswahlverfahren zum gehobenen Dienst bewerben. Von daher wäre es gut, wenn ich mir das mal anschauen könnte.«
»Später. Es reicht, wenn der Leiter der Spurensicherung auf mich sauer ist.« Dühnfort zog Überschuhe an, sog die frische Luft ein und betrat das Haus. Es stank unbeschreiblich. Nach Urin und Exkrementen, aber vor allem nach Verwesung. Vor ihm lag ein schmaler Flur. Holzboden, Flickenteppich. Eine Matratze lehnte links an der Wand. Die Tür rechts zum Schlafzimmer stand offen. Kissen, Decken und Laken waren auf dem Boden verstreut. Die beiden Matratzen des Doppelbetts fehlten. Die Tür auf der linken Seite des Flurs war geschlossen. Dühnfort streifte Latexhandschuhe über, bevor er sie öffnete. Eine Welle von warmer Luft und Verwesungsgeruch brandete ihm entgegen und nahm ihm den Atem. Der alte Mann saß vor dem Heizkörper auf dem Boden, die Beine ausgestreckt, den durch die fortgeschrittene Verwesung bereits grün verfärbten Kopf zur Brust gesenkt, die Arme ausgebreitet auf Schulterhöhe. Dühnforts Blick blieb an den Gürteln hängen, die um die Handgelenke geschlungen und an den Halterungen des Heizkörpers befestigt waren. Wolfram Eberhard Heckeroth hatte verzweifelt versucht, sich zu befreien. Haut und Fleisch waren weggescheuert, blanke Knochen schienen hervor. Dühnfort hätte gerne durchgeatmet, aber das musste noch einen Augenblick warten.
An der Hose fehlte der Gürtel, der Bund schnitt in den durch Faulgase geblähten Bauch des Toten. Der Eintritt des Todes lag sicher schon drei, eher vier Tage zurück.
Vor dem Fenster lehnte die zweite Matratze. Dühnfort blickte auf das Thermometer neben dem Spiegel – dreiundzwanzig Grad – und verließ das Bad.
Das Wohnzimmer war rustikal eingerichtet. Holzboden, Holzwände, bunte Flickenteppiche, dunkle Polstermöbel. Ein Kreuzworträtselheft lag auf dem Couchtisch. In der nicht abgetrennten Küche stand auf der Ablagefläche neben dem Herd ein Tablett, darauf ein Teller mit einem Salamibrot. Die vertrockneten Ränder bogen sich nach oben, Butter und Salamifett waren geschmolzen und in der Brotscheibe versickert. Ein beinahe leeres Weinglas stand daneben. Eine tote Fliege schwamm in einer Pfütze Rotwein. Ein zweites Glas und ein Teller befanden sich im Spülbecken.
Dühnfort ging hinaus, schloss die Tür hinter sich und sog die frische Waldluft tief ein. Sie trug den Geruch von Herbst und Pilzen, von See und Regen in sich. Dennoch konnte sie den Leichengeruch nicht verdrängen, der in seinem Mund klebte wie schmieriger Belag. »Gibt es hier noch andere Häuser?«
»Zwei liegen gleich dahinter.« Christine Meingast deutete auf eine Fichtenhecke, die das Grundstück im Norden begrenzte. »Und ein Stückchen weiter im Süden ist noch eines. Aber um die Jahreszeit sind die Leute selten am See.«
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Autoren-Porträt von Inge Löhnig
Schon als Kind verfügte Inge Löhnig über so viel Fantasie, dass ihre Geschichten noch heute in der Familie legendär sind. Neben dem Beruf als Grafik-Designerin war Schreiben lange ein Hobby. Erst mit dem Erscheinen der Reihe um den Münchner Kommissar Konstantin Dühnfort wurde daraus die neue Profession. Die Kriminal-Romane von Inge Löhnig sind ebenso regelmäßig auf der Bestsellerliste zu finden, wie die spannenden Familien-Romane, die sie unter dem Pseudonym Ellen Sandberg veröffentlicht. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Inge Löhnig
- 2010, 11. Aufl., 448 Seiten, Maße: 12,1 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354826865X
- ISBN-13: 9783548268651
- Erscheinungsdatum: 11.01.2010
Rezension zu „In weißer Stille / Kommissar Dühnfort Bd.2 “
»Für mich bislang das beste Krimi-Debüt des Jahres.« Sebastian Fitzek zu Der Sünde Sold »Mehr davon! « Freundin, 27.01.2010
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