Riemenschneider
Historischer Roman
Was Tilmann Riemenschneider sich 1492 in Würzburg erlaubt, ist ein Skandal: Eine Bäuerin steht ihm für die Skulptur der Eva Modell - nackt!
Noch ahnt niemand, dass bald weit Schlimmeres das Land erschüttert.
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Produktinformationen zu „Riemenschneider “
Was Tilmann Riemenschneider sich 1492 in Würzburg erlaubt, ist ein Skandal: Eine Bäuerin steht ihm für die Skulptur der Eva Modell - nackt!
Noch ahnt niemand, dass bald weit Schlimmeres das Land erschüttert.
Noch ahnt niemand, dass bald weit Schlimmeres das Land erschüttert.
Klappentext zu „Riemenschneider “
Würzburg, 1492. Feierlich werden die Skulpturen von Adam und Eva vor dem Eingang der Marienkapelle enthüllt. Doch diesmal ist der Bildschnitzer Tilman Riemenschneider zu weit gegangen: Eine Bäuerin hat ihm Modell gestanden - nackt. Ein Skandal! Die Gemüter erhitzen sich. Dabei ahnt noch niemand, welch viel gewaltigeres Beben die Stadt in den nächsten Jahren erwartet, dass Reformation und Bauernkriege die bestehende Ordnung in ihren Grundfesten erschüttern werden. Bald muss auch Meister Riemenschneider um sein Leben kämpfen ...
Lese-Probe zu „Riemenschneider “
Riemenschneider von Tilman Röhrig
LESEPROBE
1
Wind kam auf. Er trieb eine Wolke vor sich her, eine Wolke aus Staub und Dornen Lauter wurde das Brausen Im Innern entstand Glut, sie wucherte, jetzt flimmerte der Staub, kleine Flammen sprangen aus den Dornenspitzen Ein Arm wuchs hinaus, die Hand öffnete sich, streckte den Zeigefinger Da brannte die Wolke, verbrannte der Arm, verglühte der Finger; ein Tropfen blieb und fiel.
Meister Til wischte sich über die Stirn, er hielt die Augen geschlossen. Stickig und schwer war die Luft in der Schlafstube. Das Traumbild verließ ihn nicht. Wieder sah er das Flirren in der Wolke, hörte das Brausen. »Bescheide dich«, flüsterte er. »Kein himmlischer Bote, der Rat hat dir den Auftrag gegeben. Nur die Herren vom Stadtrat « Neben ihm seufzte seine Frau Anna im Schlaf, drehte sich schwer zur Seite. Wie ertappt schwieg Til, erst als sie den Atem wieder geräuschvoll und gleichmäßig durch die Lippen blies, öffnete er die Lider. Durch die Ritzen der Schlagläden schimmerte grau der Morgen. Was für ein Tag! Durfte er das Wagnis eingehen?
»Nackt?« »Ja, nackt sollen sie sein!« Unvermittelt war Tumult in der Ratssitzung entstanden. »Nackte vor dem Eingang?«, ereiferten sich einige fromme Gemüter und erhitzten sich: »Unsere Marienkapelle ist kein Frauenhaus!« Hohngelächter der anderen Stadtväter antwortete: »Nackt. Wie denn sonst?«
Mit erhobenen Händen versuchte der oberste Bürgermeister zu beschwichtigen, erst die Glocke verschaffte ihm Gehör: »Freunde! Werte Herren! Auch wenn das Wort erneut einige von uns erschreckt. Es muss so sein. Denkt doch ans Paradies, ans Feigenblatt.« Geschickt nutzte er die Erleichterung. »Außerdem will ich ihn ohne Bart. Nicht nur der
... mehr
Meister, auch ich will es! Sein Vorschlag ist gut. Ja, jung sollen die beiden sein.« Keine Proteste mehr, die Abstimmung brachte den Beweis, der Fortschritt hatte in Würzburg gesiegt. Und nur einer konnte das erste Menschenpaar erschaffen, darin waren sich die Herren nach wie vor einig.
Ohne seine Frau zu wecken, befreite sich Meister Til von der dünnen Zudecke, fand mit den Füßen die Maulschuhe, blieb aber auf der Bettkante sitzen. »Jetzt haben wir Anfang Mai«, rechnete er. »Vier Monate sinds her. Keine lange Zeit für den Adam.« Sicher, es wäre leicht gewesen, eine Figur angetan mit Gewändern aus dem Sandstein zu hauen, und noch leichter, wenn er Holz statt Stein bearbeitet hätte. Aber den bloßen jungen Leib? »Und für einen Moment glaubte ich « Er schüttelte über sich selbst den Kopf und schmunzelte. Damals war er noch abends spät, nur bekleidet mit dem Hausmantel, hinüber in die Werkstatt gegangen, hatte Lampen rechts und links des Spiegels gehängt und das Kleidungsstück abgelegt. Wähnt sich ein Mann von gut dreißig Jahren auch immer noch jung, der Blick des Künstlers entschuldigt keinen Makel. Til tätschelte seinen Bauch und lachte vor sich hin. »Nein, als Adam war ich mir zu unansehnlich.«
In seinem Rücken raschelte Stoff, die Matratze bebte. »Schäm dich!« Mit dem Vorwurf reinigte sich die Stimme seiner Frau vom Schlaf, wurde spitzer: »Du freust dich wohl, kannst es erst gar nicht abwarten?« Ein Aufstöhnen folgte. »O Heilige Mutter, wäre ich doch Witwe geblieben. Warum hast du es zugelassen, dass ich diesen Mann geheiratet habe?«
Meister Til bewegte sich nicht, er schwieg und wartete ab. Ihre Anklage war noch nicht beendet. Seit Tagen schon kannte er Satz für Satz und musste jeden über sich ergehen lassen, um nicht neue Sätze heraufzubeschwören.
»Holt sich ein Weib in die Werkstatt. Ein Bauernweib. Ich hoffe nur, dass mein Goldschmied, Gott hab ihn selig, dass mein Ewald heute nicht von oben zusieht, wie das Laster in unser Haus einzieht. Du willst ein ehrbarer Schnitzer sein? Alle hast du getäuscht mit deinen Heiligenfiguren, mit der schönen Muttergottes für die Prozession.« Ein Aufschluchzen, die Stimme sank von der Anklage zur Klage. »Und ich hab so fest an dich geglaubt, war stolz stolz auf meinen Tilman Riemenschneider. Heute aber legt er die Maske ab. Und drunter steckt ein Lüstling « Der Satz erstickte im nächsten Schluchzer. Stille.
Immer noch hütete er sich, etwas zu erwidern.
Frau Anna schlug mit den flachen Händen auf die Matratze, ihr Ton fand zur Schärfe zurück: »Wohin soll das führen? Erst müssen sich die Söhne meines Ewald vor dir ausziehen, meine drei Buben. Einer nach dem anderen. Aber sie waren dir nicht gut genug «
»Zu dünn«, verbesserte er.
»Was?«
»Gut sind sie schon, aber sie sind mir zu dünn.« Meister Til wandte den Kopf und sprach ins Halbdunkel zu dem hellen Fleck des Nachthemdes. »Nur deshalb hab ich den Gesellen genommen. Der Tobias, der ist so ein Adam, so wollte ich den Körper haben.«
»Und was ist an diesem Weib besser? Was hat sie, was du nicht auch bei mir sehen kannst? Sag es mir.«
»Du bist « Gerade noch rechtzeitig stockte er. »Weißt du, so eine Eva. Also, ich glaube nicht, dass der Schöpfer bei der Erschaffung der Menschen gleich solch eine reife Frau Ich will sagen, dass du mir eine gute Frau bist, aber für die Eva «
»Sag es doch! Ich bin zu fett.« Sie rutschte zur unteren Bettkante, der Nachttopf schepperte, es kümmerte Anna nicht, mit bloßen Füßen stampfte sie um das Lager herum, neben Til hielt die mächtige Gestalt an. »Ausreden! Mal zu dünn, dann wieder zu alt und zu dick. Ich sag dir was, Mann: Schlecht ist es, was du heute vorhast, und eine Sünde.« Sie stieß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu. Von draußen hörte Til noch: »Jawohl, eine Sünde.«
Das morgendliche Unwetter war vorüber. »Besser jetzt als nachher, wenn Magdalena da ist.«
Er stand auf, in wenigen Schritten war er am Fenster, schob es hoch und öffnete mit beiden Händen langsam die Schlagläden. Licht flutete. »Willkommen.« Tief einatmend begrüßte er den klaren Morgen und kämmte mit den Fingern seine volle kupferfarbene Lockenmähne hinter die Ohren zurück. Unter ihm lag die Franziskanergasse noch im Schatten; auf den niedrigen Dächern gegenüber aber ließ die frühe Sonne den Tau funkeln. »Willkommen.« Dieser Gruß galt nicht dem Tag. Als es ihm auffiel, stahl sich wieder ein Lächeln in die Mundwinkel. »Ich gestehe es ja: Ich freue mich wirklich.«
Magdalena. Letzte Woche hatte er wieder das Pferd gesattelt, zum dritten Mal nun schon im April. »Will nach unserm Weinberg sehen«, so hatte er sich von Anna verabschiedet, »und danach auf dem Land ein wenig freie Luft atmen.«
Erneut eine Ausrede, doch wie die beiden Male zuvor bemerkte es seine Frau nicht. Zu sehr war sie mit Haus und Kindern beschäftigt. Kurzatmig flocht sie der gemeinsamen siebenjährigen Tochter Gertrud die Zöpfe und sah nur flüchtig über die Schulter. »Der Ritt wird dir guttun. Bei all dem Staub in der Werkstatt wirst du noch krank.« Und weil sie niemanden, ob nun Mann, Kind oder Geselle vom Hof Wolfmannsziechlein fortlassen konnte, ohne ihm einen Auftrag zu erteilen, setzte sie hinzu: »Aber bring uns einen Korb frisches Gras für die Hasen mit. Das vom Weinberg, das fressen sie so gern.«
Er war zum Hauger Tor in den Tag hinaus geritten. An den Rebstöcken brachen die Knospen auf, zeigten ihr Hellgrün der Sonne. »Ich hoffe auf einen guten Sommer. Für den Wein und auch für mich.« Keinen Blick verschwendete er fürs Hasenfutter und lenkte das Pferd weiter. »Bis zur Lese muss ich meinen Auftrag erfüllt haben.«
Heute nahm er sich vor, dem großen Lehnshof nahe Unterpleichfeld einen Besuch abzustatten. Oben auf der Höhe ließ er das Pferd traben. Seine Eva wollte er finden; eine, die unschuldig war oder wenigstens so aussah. »Unter den heiratsfähigen Jungfrauen in der Bürgerschaft gibts bestimmt die eine oder andere.« Er rundete die vollen Lippen und schüttelte den Kopf. Allein schon die Frage wäre ein unsittlicher Antrag und hätte in Würzburg einen Skandal ausgelöst.
»Welch eine Ehre. Der berühmte Bildschnitzer in meinem Haus.« Freundlich wurde er vom Verwalter begrüßt und bewirtet. Nur zu gern ließ sich Meister Til herumführen, lobte die Sauberkeit von Küche und Stallungen, während er unauffällig die Mägde betrachtete. Keine jedoch entsprach seiner Vorstellung.
Auf dem Rückweg durchs benachbarte Tal nagte Zweifel an ihm. »Du willst zu viel. Der Fehler liegt bei dir. Eva ist nicht unschuldig. Das ist es.« Gleich kamen ihm die Dirnen in Paulsen Wolfs Haus in den Sinn. »Für Geld stellt sich mir jede von denen zur Verfügung.« Nein, Gott bewahre, so eine darf ich meinem Adam nicht geben.
Ratlos, in Gedanken versunken, ritt er an einem ärmlichen Gehöft vorbei. Hühner flüchteten, ein Hund kläffte den Reiter an. Kaum nahm er es wahr. Hinter dem kleinen Haus führte der Weg wieder dichter am Bach entlang. Das klatschende Geräusch ganz in der Nähe schreckte ihn auf. Mit dem Rücken zu ihm stand eine Frau im seichten Wasser und schlug die Wäsche. »Gott zum Gruß.«
Sie wandte sich um und schaute auf. Ihr Blick war der Anfang gewesen.
Meister Til stützte beide Hände auf den Fenstersims und beugte sich vor. Niemand stand unten in der Gasse. »Es ist noch zu früh«, ermahnte er sich. Erst nach dem Morgenläuten werden die Stadttore geöffnet. »Der Bauer wird Wort halten, er wird seine Frau schon herbringen.«
Weil er nicht mehr gefragt hatte, wusste er nicht viel von Magdalena, nur dass sie erst im vergangenen Winter geheiratet hatte, dass sie die zweite Frau des Bauern war und dass trotz harter Arbeit kaum genug zum Leben übrig blieb. Angesehen hatte er sie. Keine strahlende Schönheit, aber Frau in jeder Geste, dennoch nicht erfahren. »Willst du mir Modell stehen?« ()
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Ohne seine Frau zu wecken, befreite sich Meister Til von der dünnen Zudecke, fand mit den Füßen die Maulschuhe, blieb aber auf der Bettkante sitzen. »Jetzt haben wir Anfang Mai«, rechnete er. »Vier Monate sinds her. Keine lange Zeit für den Adam.« Sicher, es wäre leicht gewesen, eine Figur angetan mit Gewändern aus dem Sandstein zu hauen, und noch leichter, wenn er Holz statt Stein bearbeitet hätte. Aber den bloßen jungen Leib? »Und für einen Moment glaubte ich « Er schüttelte über sich selbst den Kopf und schmunzelte. Damals war er noch abends spät, nur bekleidet mit dem Hausmantel, hinüber in die Werkstatt gegangen, hatte Lampen rechts und links des Spiegels gehängt und das Kleidungsstück abgelegt. Wähnt sich ein Mann von gut dreißig Jahren auch immer noch jung, der Blick des Künstlers entschuldigt keinen Makel. Til tätschelte seinen Bauch und lachte vor sich hin. »Nein, als Adam war ich mir zu unansehnlich.«
In seinem Rücken raschelte Stoff, die Matratze bebte. »Schäm dich!« Mit dem Vorwurf reinigte sich die Stimme seiner Frau vom Schlaf, wurde spitzer: »Du freust dich wohl, kannst es erst gar nicht abwarten?« Ein Aufstöhnen folgte. »O Heilige Mutter, wäre ich doch Witwe geblieben. Warum hast du es zugelassen, dass ich diesen Mann geheiratet habe?«
Meister Til bewegte sich nicht, er schwieg und wartete ab. Ihre Anklage war noch nicht beendet. Seit Tagen schon kannte er Satz für Satz und musste jeden über sich ergehen lassen, um nicht neue Sätze heraufzubeschwören.
»Holt sich ein Weib in die Werkstatt. Ein Bauernweib. Ich hoffe nur, dass mein Goldschmied, Gott hab ihn selig, dass mein Ewald heute nicht von oben zusieht, wie das Laster in unser Haus einzieht. Du willst ein ehrbarer Schnitzer sein? Alle hast du getäuscht mit deinen Heiligenfiguren, mit der schönen Muttergottes für die Prozession.« Ein Aufschluchzen, die Stimme sank von der Anklage zur Klage. »Und ich hab so fest an dich geglaubt, war stolz stolz auf meinen Tilman Riemenschneider. Heute aber legt er die Maske ab. Und drunter steckt ein Lüstling « Der Satz erstickte im nächsten Schluchzer. Stille.
Immer noch hütete er sich, etwas zu erwidern.
Frau Anna schlug mit den flachen Händen auf die Matratze, ihr Ton fand zur Schärfe zurück: »Wohin soll das führen? Erst müssen sich die Söhne meines Ewald vor dir ausziehen, meine drei Buben. Einer nach dem anderen. Aber sie waren dir nicht gut genug «
»Zu dünn«, verbesserte er.
»Was?«
»Gut sind sie schon, aber sie sind mir zu dünn.« Meister Til wandte den Kopf und sprach ins Halbdunkel zu dem hellen Fleck des Nachthemdes. »Nur deshalb hab ich den Gesellen genommen. Der Tobias, der ist so ein Adam, so wollte ich den Körper haben.«
»Und was ist an diesem Weib besser? Was hat sie, was du nicht auch bei mir sehen kannst? Sag es mir.«
»Du bist « Gerade noch rechtzeitig stockte er. »Weißt du, so eine Eva. Also, ich glaube nicht, dass der Schöpfer bei der Erschaffung der Menschen gleich solch eine reife Frau Ich will sagen, dass du mir eine gute Frau bist, aber für die Eva «
»Sag es doch! Ich bin zu fett.« Sie rutschte zur unteren Bettkante, der Nachttopf schepperte, es kümmerte Anna nicht, mit bloßen Füßen stampfte sie um das Lager herum, neben Til hielt die mächtige Gestalt an. »Ausreden! Mal zu dünn, dann wieder zu alt und zu dick. Ich sag dir was, Mann: Schlecht ist es, was du heute vorhast, und eine Sünde.« Sie stieß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu. Von draußen hörte Til noch: »Jawohl, eine Sünde.«
Das morgendliche Unwetter war vorüber. »Besser jetzt als nachher, wenn Magdalena da ist.«
Er stand auf, in wenigen Schritten war er am Fenster, schob es hoch und öffnete mit beiden Händen langsam die Schlagläden. Licht flutete. »Willkommen.« Tief einatmend begrüßte er den klaren Morgen und kämmte mit den Fingern seine volle kupferfarbene Lockenmähne hinter die Ohren zurück. Unter ihm lag die Franziskanergasse noch im Schatten; auf den niedrigen Dächern gegenüber aber ließ die frühe Sonne den Tau funkeln. »Willkommen.« Dieser Gruß galt nicht dem Tag. Als es ihm auffiel, stahl sich wieder ein Lächeln in die Mundwinkel. »Ich gestehe es ja: Ich freue mich wirklich.«
Magdalena. Letzte Woche hatte er wieder das Pferd gesattelt, zum dritten Mal nun schon im April. »Will nach unserm Weinberg sehen«, so hatte er sich von Anna verabschiedet, »und danach auf dem Land ein wenig freie Luft atmen.«
Erneut eine Ausrede, doch wie die beiden Male zuvor bemerkte es seine Frau nicht. Zu sehr war sie mit Haus und Kindern beschäftigt. Kurzatmig flocht sie der gemeinsamen siebenjährigen Tochter Gertrud die Zöpfe und sah nur flüchtig über die Schulter. »Der Ritt wird dir guttun. Bei all dem Staub in der Werkstatt wirst du noch krank.« Und weil sie niemanden, ob nun Mann, Kind oder Geselle vom Hof Wolfmannsziechlein fortlassen konnte, ohne ihm einen Auftrag zu erteilen, setzte sie hinzu: »Aber bring uns einen Korb frisches Gras für die Hasen mit. Das vom Weinberg, das fressen sie so gern.«
Er war zum Hauger Tor in den Tag hinaus geritten. An den Rebstöcken brachen die Knospen auf, zeigten ihr Hellgrün der Sonne. »Ich hoffe auf einen guten Sommer. Für den Wein und auch für mich.« Keinen Blick verschwendete er fürs Hasenfutter und lenkte das Pferd weiter. »Bis zur Lese muss ich meinen Auftrag erfüllt haben.«
Heute nahm er sich vor, dem großen Lehnshof nahe Unterpleichfeld einen Besuch abzustatten. Oben auf der Höhe ließ er das Pferd traben. Seine Eva wollte er finden; eine, die unschuldig war oder wenigstens so aussah. »Unter den heiratsfähigen Jungfrauen in der Bürgerschaft gibts bestimmt die eine oder andere.« Er rundete die vollen Lippen und schüttelte den Kopf. Allein schon die Frage wäre ein unsittlicher Antrag und hätte in Würzburg einen Skandal ausgelöst.
»Welch eine Ehre. Der berühmte Bildschnitzer in meinem Haus.« Freundlich wurde er vom Verwalter begrüßt und bewirtet. Nur zu gern ließ sich Meister Til herumführen, lobte die Sauberkeit von Küche und Stallungen, während er unauffällig die Mägde betrachtete. Keine jedoch entsprach seiner Vorstellung.
Auf dem Rückweg durchs benachbarte Tal nagte Zweifel an ihm. »Du willst zu viel. Der Fehler liegt bei dir. Eva ist nicht unschuldig. Das ist es.« Gleich kamen ihm die Dirnen in Paulsen Wolfs Haus in den Sinn. »Für Geld stellt sich mir jede von denen zur Verfügung.« Nein, Gott bewahre, so eine darf ich meinem Adam nicht geben.
Ratlos, in Gedanken versunken, ritt er an einem ärmlichen Gehöft vorbei. Hühner flüchteten, ein Hund kläffte den Reiter an. Kaum nahm er es wahr. Hinter dem kleinen Haus führte der Weg wieder dichter am Bach entlang. Das klatschende Geräusch ganz in der Nähe schreckte ihn auf. Mit dem Rücken zu ihm stand eine Frau im seichten Wasser und schlug die Wäsche. »Gott zum Gruß.«
Sie wandte sich um und schaute auf. Ihr Blick war der Anfang gewesen.
Meister Til stützte beide Hände auf den Fenstersims und beugte sich vor. Niemand stand unten in der Gasse. »Es ist noch zu früh«, ermahnte er sich. Erst nach dem Morgenläuten werden die Stadttore geöffnet. »Der Bauer wird Wort halten, er wird seine Frau schon herbringen.«
Weil er nicht mehr gefragt hatte, wusste er nicht viel von Magdalena, nur dass sie erst im vergangenen Winter geheiratet hatte, dass sie die zweite Frau des Bauern war und dass trotz harter Arbeit kaum genug zum Leben übrig blieb. Angesehen hatte er sie. Keine strahlende Schönheit, aber Frau in jeder Geste, dennoch nicht erfahren. »Willst du mir Modell stehen?« ()
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Autoren-Porträt von Tilman Röhrig
Tilman Röhrig, geboren 1945, lebt in der Nähe von Köln. Der ausgebildete Schauspieler ist seit über vier Jahrzehnten als freier Schriftsteller tätig. Die größten Erfolge brachten ihm seine historischen Romane, die allesamt Bestseller und vielfach übersetzt wurden. Für sein literarisches Werk erhielt der Autor, dessen lebendige Lesungen begeistern, zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Großen Rheinischen Kulturpreis.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tilman Röhrig
- 2009, 9. Aufl., 624 Seiten, Maße: 11,8 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492253679
- ISBN-13: 9783492253673
- Erscheinungsdatum: 26.02.2009
Rezension zu „Riemenschneider “
»Tilman Röhrig zeichnet nicht nur ein eindrucksvolles Bild des Künstlers Tilman Riemenschneider, sondern auch ein großartiges Panorama einer aufregenden Epoche deutscher Geschichte.« Kölnische Rundschau
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