Die Kaufmannstochter (ePub)
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Auftakt der großen Saga um eine Frankfurter Kaufmannsfamilie
Die Kaufmannstochter von Ines Thorn
LESEPROBE
Prolog
Burg Sauerthal irt der Nacht zum 1. Januar 1500
Ein Schrei durchbrach den nächtlichen Frieden der Burg, ging in schrilles Stöhnen über. Die Kerzen im Zimmer der Burgherrin flackerten und warfen zuckende Schatten an die Wände. Im Kohlebecken glimmten die rot glühenden Augen des letzten Holzscheites, während es zu Asche wurde. Draußen rüttelte ein Schneesturm an Fenstern und Türen, drückte die Bäume auf den Boden und brüllte mit der Kreißenden um die Wette.
»Gelobt sei Jesus Christus«, keuchte die Hebamme, riss sich den nassen Umhang vom Leib und wischte sich ein paar Eiskristalle von der Haube.
»In Ewigkeit, Amen«, flüsterte die Magd, die sich mit beiden Händen an den Bettpfosten klammerte. Angstvoll starrte sie auf das Gesicht der Kreißenden, die schlaff im Gebärstuhl hing und mit den Händen am Stoff ihres Kleides riss.
»Wie geht es Euch, Herrin?«
»Das Kind«, stammelte diese matt aus schweißfeuchten Kleidern. »Es liegt so schwer wie ein Stein. Gott wird uns alle strafen.«
Die Hebamme rieb die blassen, eiskalten Hände aneinander. »Abwarten, Herrin. Zwar sagte der Priester, dass die Welt in der heutigen Nacht, die die Jahrhunderte scheidet, untergehen wird, dass Gott uns alle für unsere Sünden strafen wird und deshalb diesen eisigen Sturm als Boten geschickt hat, aber erst bringen wir Euer Kind zur Welt.«
Dann trat sie zu den Fenstern, hängte Decken davor. Doch auch die hielten die Kälte und den Sturm nicht ab, sondern bewegten sich wie Leichentücher im Wind.
»Mir ... mir ist so kalt, als stünde der Tod schon im Zimmer«, flüsterte die junge Burgherrin und wand sich in einer Wehe.
»Pscht, pscht«, machte die Hebamme und betastete den Leib der Kreißenden mit sorgenvollem Ausdruck, Dann schlug sie ihr die Röcke nach oben, spreizte die Schenkel und ließ die Hände in ihrem Schoß verschwinden. Die junge Frau wimmerte.
»Das Kind«, murmelte die Hebamme. »Ihr habt recht, es liegt falsch. Eine Arschgeburt wird es wohl werden.«
Die Magd schrie auf und schlug sich die Hand vor den Mund. »Eine Arschgeburt?«, murmelte sie und riss die Augen weit auf.
»Ja. Das Kind, so es lebt, wird mit dem Hintern zuerst in die Welt gucken. Du, schrei nicht, sondern geh und hole Branntwein. Wird genug davon in diesem Hause geben, wie ich den Herrn kenne. Die Junge Frau kann's brauchen.«
Die Kreißende starrte wild auf die Magd. »Sag dem Burgherrn nichts von der Arschgeburt«, bat sie. »Halt den Mund! Er wird das Kind sonst verstoßen, noch bevor die Welt untergegangen ist.«
Die Hebamme stemmte die Hände in die Hüften.
»Jetzt hört mit dem Geschwätz auf, Herrin, Ihr werdet Eure Kräfte noch brauchen. Wenn Gott im Himmel wirklich zum Jüngsten Gericht blasen sollte, werden wir es noch früh genug erfahren.« Sie hätte gern weiter geschimpft, doch im selben Augenblick schlug draußen die Glocke des Kirchturms ein Mal, dann ein zweites Mal. Die Hebamme stand stumm und bekreuzigte sich.
»Gleich Mitternacht«, flüsterte die Kreißende und sah die Hebamme flehend an. »Macht, dass das Kind jetzt kommt. Sofort! Ihr wisst, dass es zum Unglück bestimmt ist, wenn ich es beim zwölften Glockenschlag zur Welt bringe. Und noch dazu eine Arschgeburt!«
Drei Mal, vier Mal schlug die Glocke. Die Tür flog auf und der Burgherr kam, gefolgt von der Magd, mit der Branntweinflasche herein. »Eine Arschgeburt«, schrie er. »Hebamme, ich werde dich der Inquisition ausliefern, wenn du das Balg verhext hast.« Er nahm einen langen Schluck vom Branntwein.
Fünfter, sechster, siebter Glockenschlag. Die junge Frau schrie in den Wehen, krallte ihre Hände in die Lehnen des Gebärstuhls, während die Hebamme, die Arme bis zu den Ellbogen im Schoß der Frau, versuchte, das Kind in die richtige Lage zu bringen.
»Ich kann es nicht drehen, es geht nicht!«
»Tu endlich was!«, brüllte der Burgherr. »Sonst bist du des Teufels!«
Der Hebamme lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht, während sie zugleich vor Kälte zitterte. Acht, neun Schläge. Sie riss dem Burgherrn den Branntwein aus den Händen, nahm einen kräftigen Schluck, goss wenig feinfühlig auch der Kreißenden davon in den offenen Mund.
Zehn Mal, elf Mal tönte die Kirchenglocke. Die junge Burgherrin schrie in schrillen Tönen, die Magd betete laut das Vaterunser. Die Hebamme kniete zwischen den Schenkeln der Kreißenden. »Es kommt! Jetzt kommt es!«
Mit dem mitternächtlichen Glockenschlag ertönte das erste zaghafte Schreien des Säuglings in dieser Welt. Seine Mutter wandte sich ab, bedeckte die Augen und begann zu schluchzen.
Sein Vater aber starrte auf das schreiende Bündel und sagte dumpf »Eine Arschgeburt um Mitternacht und zwischen zwei Jahrhunderten! Tötet das Kind, damit es kein Unglück über uns bringt.«
ã Verlagsgruppe Weltbild GmbH
- Autor: Ines Thorn
- 2012, 317 Seiten, Deutsch
- Verlag: Weltbild Deutschland
- ISBN-10: 3863657179
- ISBN-13: 9783863657178
- Erscheinungsdatum: 01.10.2012
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