Vater unser
Für die Familie ist er väterlich, treusorgend - und absolut tödlich.
Mord in Miami. Der Täter: der angesehene Chirurg Dr. David Marquette. Die Opfer: seine Frau und seine drei kleinen Kinder. Hat der Familienvater unter dem Eindruck einer schizophrenen...
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Für die Familie ist er väterlich, treusorgend - und absolut tödlich.
Mord in Miami. Der Täter: der angesehene Chirurg Dr. David Marquette. Die Opfer: seine Frau und seine drei kleinen Kinder. Hat der Familienvater unter dem Eindruck einer schizophrenen Wahnvorstellung gehandelt, wie seine Anwälte behaupten? Oder hat Marquette kaltblütig gemordet, wie Detective John Lantorino glaubt? Der routinierte Leiter der Mordkommission meint sogar, beweisen zu können, dass der Arzt ein lang gesuchter Serienkiller ist. Staatsanwältin Julia Valentine ist fest entschlossen, in diesem Sensationsprozess die Wahrheit zu ergründen - und das gegen alle Widerstände: Ihr Chef will die Todesstrafe für Marquette, um den nächsten Wahlkampf zu gewinnen; die liberale Presse hingegen fordert, die Anklage gegen einen offensichtlich kranken Mann fallen zu lassen. Aber kann ausgerechnet Julia herausfinden, ob Dr. Marquette zum Zeitpunkt der Tat zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte? Denn die junge Frau hat eine Vergangenheit, die sie seit fünfzehn Jahren erfolgreich verdrängt.
Vater unser vonJilliane Hoffmann
LESEPROBE
PROLOG
GE0RGIA ADAMS leerte den letzten Schluck Kaffee aus dem großen Becher mit derAufschrift «Some Bunny LovesYou». Dann lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück undschloss die Augen. Um Viertel vor fünf Uhr morgens schafften es nicht mal vier dampfendeTassen flüssiges Koffein, sie wach zu halten, und eine Sekunde später war siewieder in einen verrückten Traum versunken. Seit einer knappen Woche hatte sieNachtschicht, doch ihr Biorhythmus wollte sich einfach nicht auf dieGeisterstunde umstellen. Georgia hasste es, nachts zu arbeiten, aber mit demBaby hatte sie keine Wahl. Randy war Dachdecker, und Dächer wurden am Taggedeckt. Sie brauchten das Geld, und Kinderbetreuung war keine Option für sie nie und nimmer. Selbst wenn ihre ehrgeizige, arbeitssüchtige Schwiegermuttersich auf den Kopf stellte.
Das Klingeln der Telefonanlageschrillte plötzlich in Georgias Ohr und verpasste ihr den vertrautenAdrenalinstoß. Sie setzte sich auf und drückte die Taste, mit der sie den Anrufentgegennahm. «Notrufzentrale», sagte sie monoton, mit der unbeteiligtenStimme, die man ihr auf dem Amt beigebracht hatte, während sie sich den Schlafaus den Augen rieb. «Um was für einen Notfall handelt es sich?»
Bis auf das tote Rauschen blieb esin der Leitung still.
«Hier ist der Notruf,neun-eins-eins», sagte Georgia. «Haben Sie einen Notfall zu melden?»
Wieder Schweigen.
«Hören Sie, Sie haben neun-eins-einsgewählt. Möchten Sie einen Notfall melden?», wiederholte Georgia. Langsam ging derAnrufer ihr auf die Nerven. Sie hätte nicht einschlafen dürfen, das war klar,aber von irgendeinem Scherzkeks oder Betrunkenen geweckt zu werden, machte ihreLaune auch nicht besser.
«Helfen Sie uns», flüsterte aufeinmal eine Stimme, dünn und irgendwie weit entfernt.
Georgia rollte ihren Stuhl näher andie Konsole mit den drei Monitoren. «Natürlich helfen wir», sagte sieberuhigend. Ihre Finger glitten über die Tasten. Wenn sie einen bestimmten Codeeintippte, verschickte der Computer automatisch eine Nachricht an die Feuerwehroder die Polizei, je nachdem, um welche Art von Notfall es sich handelte. Dochbis jetzt wusste sie nicht, worum es ging. «Wie heißen Sie? Können Sie lauter sprechen?»,fragte Georgia und drehte die Lautstärke an ihrem Headsetauf. «Ich kann Sie kaum verstehen.» Aus irgendeinem Grund lief ihr plötzlichein Schauer über den Rücken, und die kleinen Härchen in ihrem Nacken stelltensich auf. Dabei arbeitete sie schon lange in der Notrufzentrale - zu langevielleicht - und ließ normalerweise nichts an sich ran. Sie hatte mit angehört,wie Frauen von ihren Männern geschlagen wurden, wie bei einem Streit imStraßenverkehr auf einmal Schüsse fielen und wie Frauen auf dem Küchenfußbodenihr Baby zur Welt brachten. Aber diesmal - da war etwas in dieser Stimme.Etwas, das nicht in Ordnung war. Etwas, das ihr aus unerfindlichen Gründen naheging.
«Helfen Sie uns ... bitte.»
So dünn, so weit weg, so unsicher. Wieein Kind.
Auf einem der Monitore vor ihrleuchtete die zu der Telefonnummer gehörige Adresse auf, die das Systemautomatisch ermittelt hatte. Ein anderer Monitor zeigte eine Straßenkarte, undin einem Wohngebiet blinkte das Symbol für ein Einfamilienhaus auf. Der Anrufkam über das Festnetz rein.
«Ich helfe dir, Kleines», sagteGeorgia voller Wärme. «Aber du musst mir genau sagen, was passiert ist.»
«Ich glaube, er kommt zurück»,flüsterte die Mädchenstimme zwischen kurzen, heftigen Schluchzern.
«Wer kommt zurück? Bist du verletzt?Wie heißt du?» Versetz dich in den Anrufer hinein, Georgia. Halte ihn inder Leitung, egal, was passiert. Wenn möglich, frage nach Details.
«Er kommt zurück ...», wiederholtedie Kleine mit erstickter Stimme, dann fing sie zu weinen an.
«Wer kommt zurück? Ist jemandverletzt? Braucht ihr einen Arzt?» Das monotone Sprechen war ihr noch nie so schwergefallen. Georgia starrte das Häuschen an, dashilflos auf ihrem Monitor blinkte. Was zum Teufel war da draußen los?
Und dann hörten die Tränenunvermittelt auf. «0 nein, nein ... Schsch,schsch ...» Und es wurde wieder still in der Leitung.
Vielleicht war es nur ein dummerStreich, versuchteGeorgia sich einzureden. Eine Göre, die dich auf den Arm nehmen will. Inihrer Laufbahn hatte sie Dutzende von Telefonstreichen erlebt - beliebterZeitvertreib bei Pyjama-Partys unter kichernden Teenagern, deren Eltern ihnennie beigebracht hatten, dass man mit dem Notruf nicht spielte. Erst vor einpaar Wochen hatte eine Kollegin ein paar Kabinen weiter einen Anruf von zweiZwölfjährigen angenommen, die es für einen Mordsspaß gehalten hatten zubehaupten, dass sie entführt worden wären. Stunde um Stunde waren Polizeiteamsdraußen im Einsatz gewesen, Tausende Dollar Steuergelder wurden verschwendet.
Im Hintergrund hörte sie plötzlicheinen dumpfen Schlag. Georgia zögerte einen Moment, dann versuchte sie es nocheinmal. «Hallo? Hallo? Bist du noch da?» Sie stand auf, um dem Leiter derZentrale ein Zeichen zu geben, damit er das Gespräch mit anhörte, doch seineKabine war leer wie viele Kabinen auf der Etage um diese Zeit. Die Rushhour inder Notrufzentrale war zwischen drei Uhr nachmittags und Mitternacht. Unfälleim Berufsverkehr, gestresste Angestellte, die ihren Frust nach Feierabend anFamilie und Freunden ausließen. Dagegen war es zur Friedhofsschicht fürgewöhnlich vergleichsweise ruhig.
«Hallo? Ist da jemand am Telefon?»,fragte Georgia wieder. «Hallo? Hier ist die Notrufzentrale.»
Die Leitung war tot.
Georgia starrte den Monitor an. IhrHerz klopfte schnell. Das Häuschen blinkte immer noch und warf eingespenstisches Licht in die Dunkelheit ihrer Kabine.
Sie würde nie wieder dieNachtschicht übernehmen.
© Wunderlich Verlag
Übersetzung: Nina Scheweling und Sophie Zeitz
Autoren-Porträt von Jilliane Hoffman
DieKrimiautorin Jilliane Hoffman ist in Long Island, New York, aufgewachsen undstudierte an der St. Johns School of Law Rechtswissenschaften. Nach dem Examenwar sie als Staatsanwältin in Miami tätig und dort für die juristische Beratungder Spezialeinheiten zuständig. Sie arbeitete fast zehn Jahre mitDrogenfahndern und der Abteilung für organisiertes Verbrechen zusammen undschied 2001 aus diesem Beruf aus. Sie wollte nur noch schreiben, informiert undmotiviert durch die Erfahrungen in der Welt des Verbrechens. Dazu äußerte sieeinmal den Wunsch, "dass die Leute erfahren, was es heißt, Opfer einesVerbrechens zu werden, Teil des Verbrechens zu sein."
Jilliane Hoffmanwill die Leser aber auch das Fürchten lehren. Und das ist ihr gleich mit ihremersten Thriller "Cupido" gelungen. Der Titel erinnert zwar an den Liebesgott,das Buch erzählt aber von einer Staatsanwältin, die im Gericht plötzlich demMann gegenüber steht, der sie Jahre zuvor eine ganze Nacht lang gequält undvergewaltigt hatte. Die Geschichte wäre aber kein Thriller, wenn sich der Fallso klar und eindeutig darstellen würde. Falsche Spuren, hinterhältige Freunde,brutal gemeuchelte Opfer und Rachsucht erschweren die Aufklärungsarbeit.
Auch dasNachfolgebuch "Morpheus" ist nicht gerade nervenschonend geschrieben, die Nachtin "Morpheus Armen" wird garantiert nicht behaglich. Wie in "Cupido" leitetauch hier die Staatsanwältin C. J. Townsend die Ermittlungen. Im drittenThriller mit dem Titel "Vater unser" wird eine junge Anwältin zur zweitenStaatsanwältin berufen und mit den Ermittlungen in einem erschütterndenMordfall beauftragt: Ein Familienvater soll seine Frau und die drei Kinder brutalgetötet haben. Stand der Mann unter Drogen? Hatte er Wahnvorstellungen? War erschizophren? Wieder einmal beginnt ein Verwirrspiel, und wieder einmal muss derLeser die letzten Antworten selbst finden.
Interview mit Jilliane Hoffman
In "Vater Unser" wird der gesamte Prozess gegen denmutmaßlichen Mörder im Fernsehen übertragen. Sie selbst haben jahrelang alsStaatsanwältin gearbeitet. Fühlten Sie sich durch die Live-Berichterstattungaus dem Gerichtssaal in Ihrer Arbeit beeinträchtigt?
Auf jedenFall lenkt es ab, wenn man an solch einem Fall arbeitet. Je stärker dieöffentliche Aufmerksamkeit ist, umso höher ist natürlich der Druck. Wenn duweißt, dass dein Fall Tag für Tag von der Presse und der Öffentlichkeitüberprüft und analysiert wird, ist der Antrieb, alles richtig zu machen,größer. Es bedeutet nicht, dass du etwa Beweise zurückhalten würdest, sondernheißt, dass du bis zum Ende konzentriert sein musst. Leider habe ich zu vieleFälle erlebt, aus denen die Presse versucht hat, Sensationen zu machen.Informationen wurden so gestreut, dass eine Seite besser dastand als die andere- einfach, indem man die Fakten verbreitet hat, von denen man wollte, dass dieÖffentlichkeit sie kennt. Und so habe ich gelernt, dass es ein wichtiger Fall,über den in der Zeitung berichtet wird, nicht unbedingt mit all seinen Facettenin die Abendnachrichten schafft.
Im Verlauf der Verhandlungen entdeckt Staatsanwältin JuliaValentine, dass sie einen schizophrenen Bruder hat, der ihre Eltern im Wahntötete. Damals war sie 13 Jahre alt. Sie hatte es verdrängt. Wie realistischist es, dass eine 13-Jährige derartige Erinnerungslücken hat?
Juliahatte die Erinnerung an die Morde nicht verloren. Sie weiß, dass ihr Bruder dieEltern getötet hat. Aber sie glaubt, dass der Bruder ebenfalls tot ist. Wieviele Verbrechensopfer, die an einer posttraumatischen Belastungsstörungleiden, hat sie bestimmte Details und Erinnerungen aus der Nacht, in der dieEltern umgebracht wurden, verdrängt. Aber als sie nun ihren ersten, von derÖffentlichkeit vielbeachteten Mordfall untersuchen soll, stellt sie
Warum haben Sie Ihre Arbeit als Staatsanwältin gegen dieals Schriftstellerin eingetauscht? Wollten Sie mehr Freiheiten?
Als ich mirdas erste Mal Gedanken machte über die Handlung von "Cupido", dachte ich: "Das wäre ein Stoff für einen großartigen Film!"Und der einzige Weg, das zu erreichen, wäre, wenn ich mich selbst an die Arbeitmachen würde. Das bedeutete, zuerst das Buch und dann das Drehbuch zuschreiben. Die Geschichte war einfach zu stark, um sie nicht zu Papier zu bringen. Die anderen und auf jeden Fallwichtigeren Gründe zu Hause zu bleiben und zu schreiben, waren meine beidenTöchter, damals sechs und vier Jahre alt. So verließ ich also meinen Postenbeim "Florida Department of Law Enforcement". Ich konnte nun meine Töchter vomBus abholen, ihnen bei den Hausarbeiten helfen. Wenn man von 9 bis 17 Uhr imBüro ist, funktioniert das nicht. Über Verbrechen zu schreiben, war für micheine Möglichkeit, dem Beruf, den ich liebe, treu zu bleiben - nach meinenRegeln.
Wie reagieren Ihre Leser auf Ihre sehr realistischen undjuristisch wie psychologisch anspruchsvollen Romane?
Danke fürdas Kompliment! Ich denke, die Leute lesen meine Bücher gern, eben weil sierealistisch sind. Für mich sind sie eine atemberaubende Achterbahnfahrt durchdas Strafrechtssystem - mit dem man als Leser sonst lieber nichts zu tun habenmöchte. Das ist ein Ort, an dem es keine Garantie für ein Happy End gibt. Undes ist auch nicht immer sicher, dass es gerecht zugeht.
Es gibt so viele amerikanische Krimis über extreme Gewalt.Warum ist die amerikanische Öffentlichkeit z.B. von Serienmördern so besessen?Ist das ein neues Phänomen?
MeinesErachtens wollen die Leute verstehen, wie menschliche Monster entstehen. Siewollen wissen, womit Ermittler und Polizisten Tag für Tag konfrontiert sind.Und sie möchten erfahren, was hinter den schrecklichen Verbrechen steckt, vondenen die Zeitung voll sind.
DieFragen stellte Carsten Hansen, Literaturtest.
- Autor: Jilliane Hoffman
- 2007, 3, 576 Seiten, Maße: 14,8 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Nina Scheweling, Sophie Zeitz
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805208324
- ISBN-13: 9783805208321
4 von 5 Sternen
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