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  • 5 Sterne

    3 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Ruth L., 15.02.2023

    Als Buch bewertet

    Wenig bekanntes Kapitel deutsch-russischer Geschichte
    War Sabrina Janesch in ihrem meisterhaften Debutroman „ Katzenberge“ auf Spurensuche in der Familiengeschichte ihrer polnischen Mutter, so begibt sie sich in ihrem neuesten Roman zurück in die Vergangenheit ihres Vaters.
    Ausgelöst wird die Erinnerungsarbeit durch einen besorgten Anruf der Mutter. Der Vater verliert anscheinend den Verstand und die erwachsene Tochter Leila, die Ich- Erzählerin, kommt zurück nach Hause.
    Der Vater Josef Ambacher wird als Zehnjähriger von der Roten Armee nach Sibirien verschleppt. Seine Familie war im 18. Jahrhundert dem Ruf der österreichischen Kaiserin Maria Theresia gefolgt und hatte sich in Galizien angesiedelt. Doch als 1939 das zu Polen gehörige Galizien von sowjetischen Truppen besetzt wurde, änderte sich das Klima für die ehemaligen deutschen Siedler. Sie zogen deshalb in das nunmehr deutsche Wartheland. Dort wohnten sie in den Höfen vertriebener polnischer Bauern. Nach dem Sieg der Roten Armee gegen Nazi- Deutschland wurden alle zurückgebliebenen Deutschen deportiert. Darunter auch Josef mit seiner Familie. Der kleine Bruder überlebt die wochenlange Reise nicht. Und als der Zug mit den überlebenden Passagieren endlich in der kasachischen Steppe angekommen ist, verschwindet die Mutter in einem entsetzlichen Schneesturm, dem Buran. Josef kann sich lange nicht dem Verlust der Mutter abfinden; wiederholt macht er sich auf die Suche nach der Verschwundenen.
    Ansonsten versuchen die Großeltern und die Tante hier zu überleben. Dabei kommt ihnen zugute, dass der Großvater, ein Tischler, handwerklich begabt ist und die Tante mit ihren medizinischen Kenntnissen gebraucht wird. Josef hilft die Freundschaft zu dem gleichaltrigen Kasachenjungen Tachawi .
    Sabrina Janesch erzählt ihre Geschichte auf zwei Zeit-und Ortsebenen. Sie wechselt von der Kindheit Josefs im fernen Kasachstan in den Jahren 1945/46 in die frühen 1990er Jahre an den südlichen Rand der Lüneburger Heide zur 10jährigen Leila.
    Hierher nach Mühlheide hat es Mitte der Fünfziger Jahre Josef und seine Familie verschlagen. Am Ortsrand haben sich die russischen Zivilgefangenen nach ihrer Ankunft in Deutschland angesiedelt. Und am Rande der Gesellschaft fühlten sie sich auch. Als läge ein Makel auf ihnen, eine Mitschuld an ihrem Schicksal, werden sie von den Einheimischem argwöhnisch betrachtet .
    Als nun 1990 die Grenzen offen sind und zahlreiche „Aussiedler“ aus Kasachstan in die niedersächsische Kleinstadt kommen, wird Josef verstärkt mit seiner sibirischen Vergangenheit konfrontiert. Auch wenn er versucht, alte Erinnerungsstücke loszuwerden, zeigt sich doch, wie stark das Vergangene in die Gegenwart hineinwirkt.
    Sabrina Janesch beschränkt sich in ihrem Roman auf jeweils einen kurzen Lebensabschnitt und stellt die beiden Kindheiten gegenüber. Obwohl die von Josef wesentlich dramatischer verläuft - und mich auch weitaus mehr gepackt hat - als die seiner Tochter Leila, so gibt es doch einige Parallelen. Z.B. ist für beide Kinder die Freundschaft zu einem Gleichaltrigen wichtig , beide fühlen sich fremd in ihrer Umgebung, werden aufgrund familiärer Hintergründe ausgegrenzt, beide suchen ihren Platz. Dabei zeigt sich, wie Familiengeschichten prägen und weiterwirken.
    Die Autorin entwickelt dabei glaubhafte und psychologisch stimmige Figuren. In Erinnerung bleibt z.B., wie Josef deutsche Begriffe auf selbstgefertigte Lehmtäfelchen ritzt, um sie nicht zu vergessen. Deutsch war verboten, darüber wachten die Sowjets. Doch die deutsche Sprache war das, was die Verschleppten mit ihrer Heimat verband. Und für Josef war es das Band zur vermissten Mutter.
    Sabrina Janesch gelingen viele eindrückliche Szenen, die lang im Gedächtnis des Lesers bleiben. Sie findet starke Bilder, um die Weite und Unwirtlichkeit, aber auch die Schönheit der kasachischen Steppe zu beschreiben.
    Für diesen Roman hat die Autorin lange recherchiert.
    Sabrina Janesch beleuchtet mit ihrem neuen Roman ein Stück wenig bekannter deutsch- russischer Geschichte: die Verschleppung deutscher Zivilgefangener in weit entfernte östliche Gebiete. Man geht von 300.000 bis 800.000 deutschen Zivilgefangenen - keine Kriegsgefangenen - aus, die in den Osten der Sowjetunion verschleppt worden sind.
    Anhand von Einzelschicksalen zeigt sie eindrücklich, welche verheerenden Auswirkungen die politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts auf die Menschen hatten. Angesichts aktueller Fluchtgeschichten sind solche Erzählungen umso wichtiger.

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  • 5 Sterne

    2 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Bookflower173, 13.02.2023

    Als Buch bewertet

    Ein spannendes und tiefgründiges Buch über einen vernachlässigten Teil der deutschen Geschichte!

    Inhalt:

    1945 - Josef Ambacher wird mit 10 Jahren gemeinsam mit seiner Familie nach Kasachstan, genauer gesagt Sibirien, verschleppt. Dort erlebt er eine eindrückliche, dunkle und abenteuerliche Zeit, die ihn sehr geprägt hat. Dies ist auch nach 45 Jahren deutlich bemerkbar. Josef ist dement und als Aussiedler aus der Sowjetunion im Jahr 1990 in seine Stadt Mühlheim zurückkehren, kommen die Erinnerungen an seine Vergangenheit zurück und scheinen ihn zu plagen. Seine Tochter Leila versucht seine Vergangenheit zu rekonstruieren, indem sie seine Tagebücher durchsucht und seine Erzählungen niederschreibt und ordnet.

    Meinung:

    Die Erzählweise finde ich sehr spannend, da die Tochter von Joseph die Geschichte von ihrem Vater rekonstruiert. Die Geschichte spielt sich auf zwei Ebenen ab, zum einen geht es und Josephs Kindheit, zum anderen um die Kindheit der Tochter Leila.

    Ich wusste wenig über Russlanddeutsche und fand den Roman dahingehend sehr bereichernd und spannend. Die Autorin beschreibt sehr eindrücklich, wie sich die nach Kasachstan verschleppten Deutschen fühlen, wie sie die mythische Landschaft und das extreme Klima wahrnehmen. Joseph und seine Familie wurden in Sibir als "die Deutschen" gesehen und als Joseph und seine Familie 10 Jahre später nach Deutschland zurückkehren durften, fühlten sie sich auch hier als Außenseiter, da sie für die anderen nur "die Russen" sind.
    Somit geht es auch darum, dass es manchmal schwierig es ist, sich irgendwo heim und zu Hause zu fühlen. Joseph wurde sowohl in Sibir als auch später in einem kleinen Dorf in Niedersachsen als Außenseiter gesehen. Wie die Erfahrungen und Erlebnisse der Eltern auch die Kinder beeinflussen, wir im Handlungsstrang über Leilas leben deutlich. Auch sie fühlt sich nirgendwo richtig zu Hause.

    Fazit:

    Das Buch thematisiert einen Teil der deutschen Geschichte, der den meisten nicht sehr bekannt ist. Themen wie Heimat und Zugehörigkeit sind nicht nur Themen der Vergangenheit sondern reichen bis zu unserer Gegenwart.
    Mich konnte das Buch durch die spannende Thematik und gelungene Erzählweise fesseln!

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  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Mariola P., 01.02.2023

    Als Buch bewertet

    Die mitreißende Geschichte spielt auf zwei Zeitebenem - in Jahr 1945 wenn der 10-jährige Josef nach Kasachstan verschleppt wird und in Jahr 1990 wenn Josef und seine Tochter in Deutschland mit Vergangenheit abrechnen müssen. Wir erfahren viel von Kindheit von Vater und Tochter und merken die enorme Unterschiede, das was einem kommt leicht die andere muss um das kämpfen.

    Das Buch ist nicht einfach zum lesen und braucht bestimmt große Aufmerksamkeit, der Wechsel zwischen die Zeiten ist nicht besonders gelungen und da habe ich die meiste Probleme, sonst hat mir das Buch sehr gefallen, besonders der Schreibstil, nicht leicht aber deutlich und inhaltlich sehr geladen. Sehr gelungen finde ich auch die Charaktere , die Autorin schreibt mit vielen Menschenkenntnis und kann das ganze Palette von Gefühlen welche sich in den Protagonisten regen auf der Leser übertragen.

    Die Geschichte über der Josef hat mir besser gefallen als die über Leila, vielleicht weil seine Kindheit so schwer war, aber eine Geschichte vervollständigt die andere und zusammen bilden ein Einheit welche berührt, bewegt und zwingt zum nachdenken.

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  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    yellowdog, 24.04.2023

    Als eBook bewertet

    Die Rückkehr der Stimmen

    Sabrina Janesch ist eine interessante Autorin und ihr Roman Sibir lockt schon mit dem gut gemalten Cover. Die Handlung geht von der Gegenwart aus, wirft jedoch schnell einen Blick in die Vergangenheit. Es geht viel um das Thema Herkunft und der Bedeutung der Vergangenheit.
    Es gibt zwei Hauptfiguren: Josef Ambacher und seine Tochter Leila.
    Es wird Josefs Geschichte geschildert, der als 10jähriges Kind mit seiner Familie nach Sibirien kam und später nach Mühlheim in Niedersachsen gelangte. Auch die Geschichte der Tochter Leila nimmt viel Raum ein.
    Sabrina Janesch macht wirklich beeindruckende Beschreibungen.

    Es ist ein konzentrierter,dennoch angenehmer Erzählton mit ein wenig Melancholie versetzt.
    Man kommt schnell in die Geschichte hinein., Das liegt auch daran, dass die Figuren lebensecht wirken und man schnell Anteil an ihnen und ihrer Geschichte nimmt.

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  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    lenalovesbooks, 12.02.2023

    Als Buch bewertet

    Eindrucksvolle Geschichte!
    Dieser wundervolle Roman über die Geschichte der Deportationen von Deutschen nach Kasachstan hat mich gefesselt und begeistert.

    Ich kannte Sabrina Janesch nicht und war erstmal skeptisch, wieso ausgerechnet sie über diese Geschichte schreibt. Dann stellte sich heraus, dass auch ihr Vater damals verschleppt wurde. Die Autorin ist sogar selbst nach Kasachstan und Kirgisistan gefahren, um auf Recherche zu gehen. Dies spiegelt sich auch in den Erzählungen wider! Durch die schöne bildliche Sprache konnte ich mir Kasachstan sehr gut vorstellen. Auch das Cover passt perfekt dazu!

    Es gibt zwei Erzählstränge, die die Perspektive des verschleppten 10-Jährigen Josef und viele Jahre später die Perspektive seiner Tochter Leila behandeln. Diese wechseln sich ab und verbinden sich zu einer Geschichte über die Familie. Josef hat die Erlebnisse auf seine einzigartige Weise verarbeitet und trotzdem wirkt sich das später auf seine Tochter aus.

    MIch konnten am meisten die Gefühle und Handlungen von dem Vater überzeugen. Ich wollte unbedingt wissen, wie es ihm in Kasachstan ergeht und hätte mir sogar mehr über seine Erlebnisse gewünscht. Wie hat z.B. die Familie erfahren, dass sie zurück nach Deutschland kommen dürfen?

    Das Buch hat mich richtig gefesselt und deshalb empfehle ich dieses allen, die sich für diese wichtige Vergangenheit interessieren!

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  • 5 Sterne

    Sigrid C., 09.02.2023

    Als Buch bewertet

    Wie es war, erzählt aus vielen Ansichten
    Die Autorin Sabrina Janesch hat mit " Sibir" ein echtes 5-Sterne-Buch geschrieben.
    Viele Recherchen und Reisen waren notwendig, um zu diesem Ergebnis kommen zu können.

    Erzählt wird die sehr berührende Geschichte des damals ( 1945) 10jährigen Josef Ambacher, der mit seiner Familie nach " Sibirien" deportiert wird und schlußendlich in Kasachstan landet.
    Unterwegs aber geschieht ein gravierendes Erlebnis: sein jüngerer Bruder überlebt die Reise nicht, und bei der Ankunft verschwindet seine Mutter in einem Schneesturm. So bleiben ihm seine Tante Antonia, sein Großvater, der Harla und seine Großmutter, die Wawa.
    Empfangen werden sie mit schiefen Blicken, hier traut keiner dem anderen und alle haben Angst.
    Schließlich sind es Harlas tischlerische Fertigkeiten, die einen Schutzmantel um die Familie legen, und Josef hat einen Freund, den kasachischen Buben Tachawi, gefunden, der ihm hilft, in der kasachischen Steppe zu überleben.

    Viele kleine Begebenheiten sind es, die hier zu einem interessanten und doch so traurigen Kapitel der Geschichte der " Aussiedler " beitragen.

    Aus Erzählungen ihres Vaters, ihrer Tante und Leidensgenossen der Ambachers ersteht ein buntes, bedrückendes und anschauliches Bild der damaligen Zeit und ihrer Leidensgenossen, aber auch von Menschen, die es riskiert haben, helfend einzugreifen.

    Erzählt wird wechselweise aber auch die Geschichte Leila Ambachers, der Tochter Josefs, die, nachdem Adenauer es schaffte, die Familien wieder nach Deutschland zurück zu holen, damit kämpft, mit den erzählten und gelesenen Erinnerungen in der Gegenwart anzukommen.
    Dabei hilft ihr ihr Freund Arnold. Viele Verhaltensweisen der Kinder ähneln nun in Deutschland denen des Vaters damals in Kasachstan.

    Das Cover mit dem Fisch erinnert an die kasachische Steppe im Sommer.

    Ein Buch, das man öfters zur Hand nehmen sollte, wenn man selbst mit seinem Leben unzufrieden ist.
    Ein wunderbar erzählter Roman über Vorkommnisse in vergangener Zeit, von denen nicht jeder wusste.
    Absolute Leseempfehlung

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  • 5 Sterne

    AnnaMagareta, 29.01.2023

    Als Buch bewertet

    Deutsch-russische Geschichte

    „Sibir“ ist ein berührendes und mitreißendes Buch, in dem die Autorin Sabrina Janesch ein Stück eher unbekannte deutsch-russische Geschichte lebendig werden lässt.

    Die Handlung beginnt 1990 in der Gegenwart und wird aus der Perspektive von Leila erzählt. Leila ist die Tochter von Josef Ambacher, der in seiner Kindheit 1945 von der Sowjetarmee nach Kasachstan verschleppt wurde. Durch Aussiedler aus der Sowjetunion kommen seine Erinnerungen wieder hoch und Leila merkt wie nachhaltig diese sein Leben - sowie ihres und das ihrer Mutter - geprägt haben.

    Die Handlung springt zwischen den Jahren 1945 und 1990 hin und her. Josef erinnert sich an seine Zwangsumsiedelung nach Kasachstan und über seine Rückblicke erfährt der Leser eine Menge über die Menschen, die damals erst in die Fremde mussten, um sich im Anschluß in der Heimat als Fremde zu fühlen. Leila versucht zu verstehen und beginnt das Verhalten ihres Vaters klarer zu sehen.

    In diesem Roman wird ein eher unbekannter Abschnitt der deutsch-russischen Geschichte thematisiert, von dem aber hunderttausende von Menschen betroffen waren. Leider war dies nicht einmalig, sondern wiederholt sich in der Geschichte der Menschheit bis heute, wodurch auch die Erinnerungen von Josef getriggert wurden.

    Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, berührend und emotional zugleich. Die Charaktere wirken authentisch, sind interessant und gut gezeichnet. Sabrina Janesch hat mit diesem Roman ihre eigene Familiengeschichte verarbeitet. Sie ist sogar in das Dorf gereist, in dem ihr Vater seine Kindheit verbracht hat und es ist zu merken, dass sie ausgiebig recherchiert hat.

    Es ist ein mitreißender und erschreckender Roman, für den es sich lohnt ein wenig Zeit einzuplanen und der mir sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

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  • 5 Sterne

    Katharina D., 29.01.2023

    Als Buch bewertet

    Josef, der als kleiner Junge all dies erlebt hat, verbrennt eines Tages seine gesamten Aufzeichnungen, Tagebücher und Erinnerungsstücke, die er aus Sibirien mit nach Deutschland gebracht hat, er will sich nicht mehr erinnern,
    er will endgültig vergessen.
    Jetzt ist er alt und sein Gedächtnis scheint nachzulassen.
    Seine Tochter Leila versucht alles was ihr aus Erzählungen ihres Vaters geblieben ist aufzuschreiben, ehe es im Dunkel des Vergessens für immer verschwindet.
    Es ist die Geschichte der Deutschen, die aus ihren blühenden Dörfern in Russland, während der Stalinzeit nach Sibirien verschleppt wurden.
    Ein hunderttausendfaches Schicksal. Gemeinsam war ihnen allen der Wille zum Überleben in dieser fremden Welt.
    Josef wurde mit seiner Familie nach Kasachstan deportiert, in eine schier unendliche Steppe, in der sie mittellos ausgesetzt wurden, schutzlos den Naturgewalten ausgesetzt, in dem gnadenlosen System der stalinistischen Arbeitslager, in dem sie Kälte, Hunger und Feindschaft kennen lernten.
    Sie gehörten aber auch zu denen, die schon nach zehn Jahren durch politische Verhandlungen nach Deutschland ausreisen durften.
    Man nannte es "die Heimkehr der Zehntausend".
    Deutsche Geschichte, die nicht vergessen werden darf!

    Meisterhaft verknüpft die Autorin die Vergangenheit in Kasachstan mit der Gegenwart in Deutschland, von der Zeit des Neuankommens und dem Bruch mit dem alten Leben.
    Dieses Buch könnte man als Reminiszenz der Autorin an ihre Vorfahren betrachten, im Besonderen an ihren Vater.
    Ohne das überraschende Ende, wäre das Buch vielleicht so nicht möglich gewesen.

    Das Buchcover mit der Regenbogenforelle hat sich mir nicht erschlossen,
    eine Darstellung, die die Weite der zentralasiatischen Steppe zum Ausdruck
    bringt, hätte mir besser gefallen.

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  • 4 Sterne

    Martina B., 19.02.2023

    Als Buch bewertet

    Neuankömmling – Containerdorf – Krähenclan – Östlichkeit – Fremdsein – Kasachstan – Zivilgefangene - Buran – Colt-Revolver – Steppe – Kasachischkeit - Zahngold

    Was soll man schreiben über ein Buch, das das „Buch des Monats“ im NDR ist, und über dem die guten Kritiken hageln. Und diese Kritikerinnen und Kritiker haben aus ihrer eigenen Sicht recht.

    Retten wir uns erst mal in die Fakten. „Sibir“ heißt Sibirien auf russisch und ebenso das tatarische Khanat Sibir, nach dem die russische Region Sibirien benannt ist. Es ist außerdem der ehemalige Name der Hauptstadt des Khanats Sibir, heute Qaschliq.
    Die Autorin ist ein preisgekrönter Profi. Sie ist in der tiefsten niedersächsischen Provinz geboren und aufgewachsen und hat heute ihren Lebensmittelpunkt nur ein paar hundert Kilometer entfernt. Zwischendurch war sie Stipendiatin des Ledig House in New York und Stadtschreiberin von Danzig.

    Janesch erzählt diesen Roman auf zwei Zeitebenen:1945 und 1990. Sie wählt dazu zwei Schwerpunkte. Die sich wiederholende Geschichte von Flucht, Vertreibung und der Suche nach Heimat und die Rolle von Familie in solchen Situationen, präziser formuliert, sie erzählt eine Familien-Vater-Tochter Geschichte.

    1945 lernen wir Josef Ambacher kennen: der zehnjährige Junge wird mit seiner Familie und vielen anderen Menschen aus Galizien, seiner Heimat, von den Sowjets nach Kasachstan verschleppt. Nach tagelanger Reise unter menschenunwürdigen Umständen wird seine kleine Gruppe an einer Haltestelle im Nirgendwo aus dem Zug in den Schneesturm geworfen, versehen mit einer groben Richtungsangabe, wohin zu laufen sei. Nach einem Marsch durch Schnee, Sturm und Kälte kommt die Gruppe in einem Dorf an, in dem die Menschen selbst in bitterster Armut leben. Josefs Mutter Emma, geschwächt von Hunger und Entbehrungen während der Fahrt läuft ihren Halluzinationen in den Schnee hinterher und verschwindet für immer.

    Die Familien fügen sich ängstlich in die Regeln der Dorfgemeinschaft ein, Überleben ist das einzige Ziel. Josef findet bald einen Freund, mit Tachawi zusammen geht er immer wieder auf die Suche nach seiner Mutter. Erlebt die Steppe. Und die Geister der Steppe.

    Bei dem Angriff eines Rudels Schneewölfe auf das Dorf, zögert ein Bewohner, dem Deutschen eine Waffe in die Hand zu geben, um ebenfalls gegen die Tiere zu kämpfen. Ein Deutscher auf russischem Boden mit einer Waffe in der Hand?

    Nach ungefähr zehn Jahren werden diese Menschen in die Bundesrepublik Deutschland geholt. Sie sind Zivilgefangene. Ein Wort, das die wenigsten von uns kennen werden. Nach der „Heimkehr der Zehntausend“, des diplomatischen Erfolgs Konrad Adenauers Mitte der 50er Jahre zur Rückführung Tausender russischer Kriegsgefangener, kommen auch diese deutschsprachigen Verschleppungsopfer aus Russland nach Deutschland. Die meisten kommen in das Auffanglager „Friedland“, werden von dort aus weiter verteilt. Josefs Vater kennt eine Familie, die jemanden kennt, der jemanden kennt, der in Niedersachsen wohnt. Da gehen sie erst mal hin. Kommt Ihnen das bekannt vor?

    Duplizität der Ereignisse: 1990 ist Josef Ambacher selbst Vater. Die Familie lebt in einem Stadtteil, in dem es sich die Community notgedrungen „gemütlich“ gemacht hat. Die Menschen haben viele Dinge aus der Steppe und der Zeit der Vertreibung mit nach Deutschland gebracht. Jeder trägt sein Päckchen. Das eine sind die Geschichten, die Josef oft und gern seiner Tochter Leila erzählt. Das andere sind die bösen Erinnerungen, die Alpträume und Angstzustände, die die Menschen nicht verlassen. Der Vater ist Leilas Held und Vertrauter. Der Vater ist auch der Dreh- und Angelpunkt in der Gemeinschaft, die sich plötzlich einer neuen „Bedrohung“ ausgesetzt sieht. Mit dem Ende des Eisernen Vorhangs und der Sowjetunion kommen zahlreiche Russlanddeutsche, Menschen jüdischen Glaubens und andere Kontingentflüchtlinge in das frisch geborene Gesamtdeutschland. Und so, wie Josef und seine Familie 1945 in der Steppe standen, steht nun eine Gruppe „frisch Geflüchteter“ in der Siedlung.

    All dies erfahren wir durch die Brille Leilas, die zusammen mit ihrem besten Freund Arnold und bald auch mit Pascha, eigentlich Pawel, versucht, mit ihren eigentlichen kindlichen Problemen fertig zu werden und gleichzeitig die Dinge zu verstehen, die die Erwachsenen umtreibt. So hüten auch Arnold und sie an verschiedenen Stellen „Schätze“, um im Ernstfall fliehen oder sich wehren zu können. Und trotzdem prallen Erinnerung und Gegenwart immer wieder schmerzhaft aufeinander.

    Janeschs große Kunst ist die Beschreibung von Erinnerung und Atmosphäre. Ohne großes TamTam. Einzelne Worte, halbe Sätze. Und schon kann die Phantasie der Leserin oder des Lesers losfliegen.

    In einem Interview findet sich die Erklärung. Der Roman besteht teilweise aus autobiographischen Versatzstücken. Die Autorin dazu:
    „“Sibir” ist mein fünfter Roman, und das ist kein Zufall. Ich wusste schon sehr lange – eigentlich seit meinem Debütroman –, dass ich mich mit diesem Thema beschäftigen wollte. Gleichzeitig ahnte ich, dass ich für das Schreiben, für diese jahrelange Beschäftigung, einen kühlen Kopf und ein ruhiges Herz brauchen würde.“ Quelle: amazon.de

    Wie gut, dass Sabine Janesch sich ein Herz gefasst hat.

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  • 5 Sterne

    Suzann K., 16.02.2023

    Als Buch bewertet

    Das lange Ohr der Steppe
    "Sibir" von Sabrina Janesch ist ein Roman, der leise Töne anschlägt. Erzählt wird hier die Geschichte einer Familie über mehrere Generationen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Josef Ambacher.
    Josef Ambacher als kleiner Junge, der 1945 zusammen mit seiner Familie von der Sowjetarmee nach Kasachstan verbracht wird. Und Josef als gestandener Familienvater 1990 in Mühlheide, der es nicht schafft, seine Vergangenheit abzustreifen.
    Die Erzählung hier wechselt zwischen den beiden Erzählebenen hin und her, die sich aber gegenseitig ergänzen und zum Verständnis beitragen. Die neuere Erzählung wird aus der Sicht der Tochter geschildert, die sich einiges zusammenreimt, aber auch selber viel erlebt, mit diesen Menschen, die jetzt hier die Rückkehrer sind. Eine Familie, die in der weiten Steppe die Deutschen waren, der Feind, die Fremden und wieder in Deutschland sind sie die Russen und damit auch wieder die Fremden.
    Es ist auch ein Roman über Heimat, was das bedeutet und wie man sie findet. Ganz wunderbar werden hier auch Freundschaften und Familienbande thematisiert. Man kann gut mitfühlen, was es heißt, das Zuhause zu verlieren, neu anzufangen und das immer wieder, was wirklich bleibt und Wert und Bestand hat. Es ist auch ein Roman über Schuld, Mitschuld und auch, vor allem um Vergebung.
    Sehr gut gefallen mir hier die Beschreibungen der Autorin, die sachlich bleiben und darlegen, was jeweils aus Kinderaugen wahrgenommen und auch gewertet wird. Großartig auch die Beschreibungen der Steppe, des Lebens dort in der Kargheit, der Menschen und ihren verschiedenen Kulturen.
    Ein großartig recherchiertes Buch, dem ich für mich viel entnehmen konnte und mit dem ich einige sehr interessante Stunden verbracht habe.

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  • 5 Sterne

    Batyr, 25.02.2023

    Als Buch bewertet

    Geschichte und Geschichten

    Ein Kapitel deutscher Geschichte, das die meisten Leser reichlich ratlos zurücklassen dürfte, wird Gegenstand eines Romans.

    Wer ist denn schon während des Schulunterrichts, geschweige denn später mit der deutschen Besiedelung des Ostens, mit der grausamen Verfolgung dieser Minderheit durch das Sowjetregime während des 2. Weltkriegs, mit dem bundesrepublikanischen Angebot der Rückkehr ins Land der Väter in Berührung gekommen?

    Sabrina Janesch gelingt es, in einem feinen Geflecht alle Aspekte dieser Thematik zu verknüpfen. Souverän springt sie zwischen den Zeitebenen hin und her, was bei der Lektüre höchste Aufmerksamkeit erfordert.

    So bemüht sich die erwachsene Protagonistin, die verschütteten Erinnerungen des in der Demenz versinkenden Vaters wieder ans Tageslicht zu befördern, wozu sie als Teenager, in vertrautester Bindung zu ihm, die Jugendjahre in der sozialen Isolation in der norddeutschen Provinz erneut durchlebt. Die enge Beziehung zum Jugendfreund, mit ähnlichem biographischen Hintergrund wiederum weist zurück auf die vergangene Freundschaft des Vaters zum kasachischen Freund während der Deportation.

    Janesch legt eine ungeheure Sprachartistik an den Tag, die alle zeitlichen Ebenen dieses Romans ungemein plastisch hervortreten lässt. Die Kontraste der unterschiedlichen Lebenserfahrungen der einzelnen Personen ziehen den Leser in ihren Bann, historische Momentaufnahmen schaffen schroffe Gegensätze. Gekonnt, wie kleinste Mosaiksteinchen der Autorin den Anlass bieten, wieder und wieder einen rasanten Szenenwechsel zu vollziehen.

    Ein lohnendes Lektüreerlebnis für Leser, die sich von Geschichte ebenso wie von Geschichten fesseln lassen!

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  • 5 Sterne

    LindaRabbit, 24.02.2023

    Als Buch bewertet

    Sibirien – Sibir – Tosaq

    Der Vater malt diese drei Worte Sibirien – Sibir – Tosaq mit dem in den Tee getunkten Finger auf den staubigen Tisch.

    Die Tochter Leila macht sich auf die Reise der Lebensgeschichte ihres Vaters nachzugehen. Er sei an Demenz erkrankt und verliere seinen Verstand, sagt die polnisch stämmige Mutter, sagt selbst der Hausarzt und die Einweisung soll bald erfolgen. Nun geht es um die Vater - Tochter – Beziehung.

    Josef Ambacher - 1945 als Zehnjähriger von der Sowjetarmee zusammen mit seiner Familie verschleppt. In Kasachstan erlebt die Familie eine schlimme Zeit. Der kleine Josef lernt dort jedoch zurecht zu kommen. Armut, kaum Essen und eine lebensfeindliche Umwelt verlangen Höchstleistungen ab von denjenigen, die überleben wollen. Denn das Überleben steht zuvorderst.

    1990 Deutschland, Niedersachsen, Mühlheide: Die Vergangenheit taucht in Josefs Erinnerung wieder auf. Die Sowjetunion existiert nicht mehr und bringt Spätaussiedler in die Stadt. Josefs Tochter steht an seiner Seite, um die Geister der Vergangenheit zu bändigen.

    Das Buch ist Literatur. Obwohl gut zu lesen, macht der Text natürlich nachdenklich. Es geht schließlich um ein Thema, das bislang noch nicht besonders thematisiert wurde – die Verschleppung von Deutschen nach Sibirien und ihre Rückkehr.

    Titelbild – Aufsehen erregend, denn diese Zeichnung signalisiert bereits, dass das Buch ungewöhnlich ist. Eine Regenbogenforelle, die neugierig aus dem Wasser schaut, aber auch aussieht als ob sie verzweifelt nach Luft schnappt.

    Sabrina Janesch, Rowohl Verlag, Berlin, Januar 2023 (Autorin von 'Die goldene Stadt', 'Katzenberge' und mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin)

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  • 5 Sterne

    KatrinB, 06.02.2023

    Als Buch bewertet

    Die Autorin öffnet in ihrem Buch ein eher unbekanntes Kapitel der deutsch-russischen Geschichte. Es geht um die Verschleppung deutscher Zivilisten nach Kasachstan.
    Das Buch setzt ein im Jahr 1990. Erzählerin ist Leila, die Tochter von Josef Ambacher, der als kleiner Junge von der Sowjetarmee nach Kasachstan verschleppt wurde. Als zahlreiche Aussiedler nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kleinstadt Mühlheide erreichen, wird Josef wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Seine Tochter unterstützt ihn dabei, das Erlebte zu verarbeiten und bringt uns als Leser*innen die Geschichte ihres Vaters nahe.
    Der Schreibstil der Autorin ist sehr angenehm und flüssig, ihr gelingen eindrückliche Szenen und authentische, glaubhafte Charaktere aus Fleisch und Blut. Vor allem der Erzählstrang, der in Kasachstan spielt, hat mich sehr gefesselt. Die Landschaftsbeschreibungen sind fesselnd, man spürt die Weite der Landschaft, die Kargheit, die Kälte und die armseligen Lebensbedingungen, unter denen das Kind Josef zu leiden hatte. Er ist und bleibt ein Fremder, sowohl in Kasachstan als auch in Deutschland, wo er auch nicht richtig dazu gehört.
    Fazit: Eine spannende Familiengeschichte, angesiedelt in einem „exotischen“ Umfeld vor dem Hintergrund aufwühlender Zeiten – das ist der Stoff, aus dem tolle Bücher gemacht sind. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    Gisela E., 01.05.2023

    Als Buch bewertet

    Beeindruckende Geschichte

    Sibirien – wie schrecklich klingt dieses Wort, das der zehnjährige Josef Ambacher hört. Dorthin werden im Jahr 1945 Hunderttausende deutscher Zivilisten von der Sowjetarmee verschleppt. Josef ist einer davon. Eine schwierige Zeit bricht heran. Jahrzehnte später, im Jahr 1990, lebt Josef Ambacher in Mühlheide in Deutschland. Die Sowjetunion ist zusammengebrochen, Spätaussiedler überschwemmen die niedersächsische Kleinstadt. Die Vergangenheit holt ihn erneut ein. Seine Tochter Leila eilt ihm zu Hilfe.

    Es ist eine beeindruckende Geschichte, die hier erzählt wird, und es ist eine Geschichte, die von Geschehnissen erzählt, die kaum bekannt sind. Es erscheint grausam, wie viele deutschstämmige Menschen in ein hartes Schicksal verschleppt wurden und dass es Menschen jeden Alters traf, auch Alte, Mütter und ihre Kinder. Diese Verschleppung wird Josefs Leben bis hinein ins späte Alter prägen, und sie wird auch in das Leben seiner Tochter hineinwirken. Die Autorin Sabrina Janesch trifft bei der Erzählung genau den richtigen Ton, so dass man mit Josef und mit Leila mitfühlt.

    Mich hat Josefs und Leilas Geschichte bis ins Herz berührt, so dass ich das Buch sehr gerne weiter empfehle. Ich vergebe alle 5 möglichen Sterne.

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  • 4 Sterne

    Irisblatt, 03.03.2023

    Als Buch bewertet

    Kasachstan ist auch in Mühlheide
    Während des zweiten Weltkriegs wird die Familie Ambacher - wie so viele deutschstämmige Familien - von der Roten Armee aus Galizien (Ukraine) nach Sibirien verschleppt. Schon der Weg dorthin ist gefährlich, Kälte und Hunger sind groß, nicht alle überleben. Wir lernen die endlose Weite der kasachischen Steppe, das Leben der Zivilgefangenen unter sowjetischer Aufsicht aus der Sicht des 10-jährigen Josef Ambacher kennen. Es geht ums Überleben; die deutsche Sprache darf nicht gesprochen werden, Misstrauen herrscht unter den aus unterschiedlichen Teilen der Sowjetunion Verschleppten. Die Sorge, selbst bei kleineren „Vergehen“ in den nahe gelegenen Gulag abtransportiert zu werden, ist allgegenwärtig. Josef sammelt russische, kasachische und deutsche Wörter, findet einen guten Freund unter den etwas abseits lebenden Kasachen und erhält Einblicke in eine fremde Kultur.
    Janesch erzählt in ruhigem Ton, fängt durch ausdrucksstarke Szenen, die oft durch Kleinigkeiten berühren, die Atmosphäre dieses Orts im Nirgendwo ein und gewährt Einblicke in das dortige Leben.
    Etwa zehn Jahre später dürfen die Ambachers und andere Zivilgefangenen nach Deutschland ausreisen. Sie gelten als „Rückkehrer“, ein absurder Begriff angesichts der Tatsache, dass viele der Verschleppten bereits viele Generationen zuvor Deutschland verlassen haben.
    In Mühlheide am südlichen Rand der Lüneburger Heide entsteht in den 1950er Jahren eine Siedlung von „Sibiriendeutschen“, in den 1990ern kommen weitere, einst nach Sibirien verschleppte Familien nach Mühlheide, zunächst argwöhnisch beäugt von den Alteingesessenen.
    Janesch erzählt zwei Zeitebenen parallel. Im Zentrum stehen Josef mit seinen Erlebnissen als Kind in Kasachstan und seine Tochter Leila als Kind in Mühlheide etwa fünfzig Jahre später. Die Zeitwechsel sind fließend, kündigen sich durch kleine Verbindungen, Ähnlichkeiten oder Assoziationen an. Da ist z.B. die Erinnerung an ein Unwetter oder an einen Gegenstand, durch die der Text äußerst geschmeidig in die andere Zeit gleitet. Diese Übergänge haben mir ausgesprochen gut gefallen.
    Obwohl Leila ganz anders aufwächst, lassen sich Gemeinsamkeiten zur Kindheit ihres Vaters feststellen - dazu gehören Ausgrenzungserfahrungen, Fremdheitsgefühle, die Suche nach Heimat und Identität, aber auch die Themen Schuld, Mitschuld und Vergebung, die beide in unterschiedlichen Situationen beschäftigen. Eine weitere Parallele liegt in einer wunderbaren Freundschaft, die sowohl Josef als auch Leila erleben.
    Sibir hat mich inhaltlich bereichert. Mir war überhaupt nicht klar, dass es sogenannte Zivilgefangene gab, die später wieder „zurück“ nach Deutschland geholt wurden. Auch die Verknüpfungen der beiden Kindheiten hat mir gut gefallen. Lediglich Leilas Teil hätte ich mir an einigen Stellen etwas straffer gewünscht. Sehr deutlich zeigen sich im Mühlheider Teil die Traumatisierungen des erwachsenen Josef in bestimmten Situationen. Auch Leila muss mit dem manchmal merkwürdigen Verhalten ihres Vaters und diesem Erbe umgehen. Wie bei allen Verschleppten sind die kasachische Erfahrung und dadurch entstandene Ängste ein Teil der Identität, die nicht einfach abgestreift werden kann.
    Doch nun schwindet Josefs Erinnerung - er ist an Demenz erkrankt. Ein dritter Zeitsprung bildet die gelungene Rahmenhandlung des Romans. Gleich zu Beginn von „Sibir“ besucht die erwachsene Leila ihren Vater, versucht seine Geschichte, die Geschichte ihrer Familie zu erinnern und aufzuschreiben. Am Ende des Romans bleibt nur noch eine wichtige Sache zu erledigen. Der Schluss ist perfekt und hat mich stark berührt.

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  • 5 Sterne

    begine, 30.01.2023

    Als eBook bewertet

    Mitreißend

    Der Roman „Sibir“ ist sensationell.
    Die deutsch polnische Schriftstellerin
    Mit emotionale Kraft und mit mit sprachlichem Geschick hat sie diesen mitreißende Roman geschrieben.

    In diesem Roman wird 1945 die eingebürgerte Bürger in Russland nach Kasachstan verschleppt. Der 19jährige Josef und seine Familie sind dabei. Es ist Winter und sie müssen sich eine Wohnung in der Steppe suchen, dabei verschwindet seine Mutter .
    Von der Autorin wird die Kampf der Deutschen sehr detailliert erzählt. Da hat sie gut recherchiert und wahrscheinlich hat sie auch den Hintergrund von ihrem Vater erfahren.

    Als Kind kommt Josef doch ganz ordentlich durch die Zeit, trotz das er als Deutscher viel aushalten muss.
    Dann kommt die Familie nach Niedersachsen in Deutschland, da werden sie wieder nicht gleich gern gesehen.
    Josefs Tochter Leila und ihre Freunde stromern durch die Gegend und suchen sich kleine Verstecke.
    Josef wird langsam alt und hört Stimmen.
    Es ist interessant, wie Leila sich um ihren Vater kümmert.

    Dieser Roman ist der Autorin einfach brillant gelungen.
    Es ist der zweite Roman, den ich von der Autorin gelesen habe und bin wieder begeistert.

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  • 5 Sterne

    Hornita, 16.02.2023

    Als Buch bewertet

    Geschichte wird lebendig;
    Es gibt zwei Erzählzeiten im Buch, die sich immer wieder abwechseln und in ihren jeweiligen Entwicklungen gekonnt zueinander passen. Die Tochter Leila erinnert sich an ihre Familiengeschichte und Jugend und den Zuzug von deutschstämmigen Aussiedlen in den 1990er Jahren und ihr Vater Josef an seine Verschleppung und zehnjährigen Aufenthalt in der siibirischen Steppe von 1945 bis 1955. Bisher wußte ich nicht viel über deutschstämmige Aussiedler, Verschleppte, Zivilgefangene in der Sowjetunion, aber hier wird die Geschichte anhand einer Familiengeschichte lebendig und greifbar. Sehr eindrücklich wird geschildert, wie dies das Leben und die Charaktere der betroffenen Familien über Generation prägt und Schuldgefühle hinterlässt, weil das Überleben unter widrigen Umständen gelungen ist. Der Schreibstil hat mir gut gefallen, er ist abwechslungsreich und lässt sich sehr angenehm und flüssig lesen. Ein wirklich lesenswertes Buch, dass ein Stück Geschichte lebendig macht.

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  • 4 Sterne

    Elke H., 14.02.2023

    Als Buch bewertet

    Sabrina Janesch erzählt in „Sibir“ nicht nur eine Geschichte von Freundschaft, sondern beschreibt auch ein ererbtes Trauma und dessen Auswirkungen, die bis in die Gegenwart einer Familie reichen, die auf ihrer Suche nach Heimat und Beständigkeit zum Spielball der Politik wird und so im Laufe der Zeit immer wieder die vertraute Umgebung hinter sich lassen muss.

    Im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme für die Gräueltaten der Nazis räumen 1945 Rotarmisten das galizische Dorf (Südukraine), in dem der zehnjährige Josef mit seiner Familie lebt und deportieren alle Deutschstämmigen nach Sary Arka, eine Steppenlandschaft im Norden Kasachstans, in der Menschen aus aller Herren Länder Zwangsarbeit leisten müssen. Auf die Erwachsenen warten in dieser Einöde Entbehrungen und harte Fron, Josef hingegen findet dort in dem einheimischen Tachawi einen Freund, mit dem er die Gegend erkundet und unbeschwerte Tage verlebt. Eine Freundschaft, die bis Mitte der fünfziger Jahre Bestand hat, als Josef samt Familie nach Deutschland ausreist und in einer Kleinstadt in Norddeutschland landet.

    Die Siedlung am Ortsrand wird zum Wohnort, aber Heimat ist sie nicht. Die kasachische Steppe, die Erinnerungen an Menschen, an Leben und Erleben, all das wird im Tresor der Erinnerungen verschlossen und kommt er wieder an die Oberfläche, als Anfang der neunziger Jahre der Eiserne Vorhang fällt und viele Deutschstämmige die Gelegenheit beim Schopf packen, Russland verlassen und nach ihrer Ankunft mit ähnlichen Problemen wie er zu kämpfen haben. Sie gehören nicht dazu, sind Fremde im eigenen Land. Eine Erfahrung, die auch seine Tochter Leila machen musste, der er sich nach und nach öffnet, als die Erinnerungen an die Zeit in Kasachstan sein Denken fluten. Und wie bei Josef ist es auch bei Leila der Freund, dessen Gegenwart und Unterstützung das Erwachsenwerden erträglich macht.

    Janesch formuliert feinfühlig und emotional, glücklicherweise aber ohne Kitsch und Pathos. Sie überzeugt durch bildhafte Beschreibungen vor allem in den Passagen, in denen sie uns mit in das kasachische Dorf mit seinem Vielvölkergemisch nimmt. Und ja, ich fand den Ausflug in die Vergangenheit der russlanddeutschen Gemeinschaft, die Abschnitte, die Josefs Jugendjahre beschreiben, wesentlich interessanter als die Beschreibungen von Leilas Erlebnissen in der deutschen Gegenwart.

    Die Autorin lässt uns abwechselnd an diesen beiden Leben teilhaben, verschränkt sie, zeigt Gemeinsamkeiten auf. Sie erzählt von Scham und Schuld, und nicht zuletzt von der tiefen Sprachlosigkeit, dem Schweigen und dem Trauma, das sich von Generation zu Generation weitervererbt. Lesen!

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  • 5 Sterne

    Mareike H., 12.03.2023

    Als Buch bewertet

    Ein sehr emotionaler aber auch spannender Roman über die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg.

    Es ist nicht das erste Buch das ich lese über die Kriegsgefangenschaften und die Verschleppungen nach Russland aber trotzdem bin ich jedes Mal wieder erschrocken, schockiert und emotional wenn ich darüber lese.
    Auch dieses Buch lässt mich emotional zurück, ich bin aber froh es gelesen zu haben.
    Wir lesen hier in zwei Zeitebenen aus zwei Sichten. Zum einen 1945, die Zeit in der Josef Ambacher nach Russland verschleppt wird und dann 1990 aus der Sicht seiner Tochter Leila.
    Wobei natürlich alles aus Josefs Sicht sehr grausam geschildert ist.
    Und auch sehr spannend zu erfahren wie es für die deutschen Heimkehrer war.
    Viel Geschichte aber nicht öde oder dröge erzählt. Sehr warmherzig und sprachgewaltig erzählt.

    Mir hat es gut gefallen, ich kann es nur empfehlen.

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  • 4 Sterne

    R.S., 30.01.2023

    Als Buch bewertet

    Sprachlich toll erzählte Kindheit des Vaters in Sibirien

    "Sibir" von Sabrina Janesch ist eine sprachlich eindrucksvoll und von der eigenen Familiengeschichte beeinflusste erzählte Geschichte über Vertreibung, Heimat und das Fremdsein.
    Im Mittelpunkt der Erzählung steht Josef Ambacher, der als 10-jähriger gemeinsam mit seiner Familie wie auch Hunderttausend anderer Deutscher nach Sibirien in die Fremde von der Sowjetarmee verschleppt wird. Jahre später kommt er nach Deutschland und ist dort wie auch in der Steppe Kasachstan Fremder. Verwoben wird seine Geschichte mit der seiner Tochter Leila, die selbst das Fremdsein aufgrund ihrer polnischen Mutter spürt und sich daran macht, die nachlassende Erinnerungen ihres Vaters zu behalten, sodass sein Lebensgeschichte nicht in Vergessenheit gerät. Josefs Schicksal steht für das vieler Deutscher, die 1945 nach Sibirien vertrieben wurden und erinnert eindringlich daran.

    Ständig wechselnd zwischen der Vergangenheit in Sibirien und den 90er-Jahren in der Mühlheide wird die Geschichte aus Sicht von Josef und Leila erzählt, wodurch eine vielschichtige Charakterzeichnung beider entsteht.
    Atmosphärisch erwacht hierbei unter der Feder von Janesch die sibirische Landschaft zum Leben. Gerne hätte ich noch mehr aus der Kindheit Josefs gelesen und mehr aus der Zeit während und nach der Vertreibung und der Rückkehr nach Deutschland gelesen. So blieben für mich manche Handlungsstränge etwas zu sehr an der Oberfläche oder erschließen sich mir nicht ganz.
    Darüber hinaus wird auch deutlich mit welchen Herausforderungen, Problemen und Anfeindungen Josef als Kind zu kämpfen hatte und die ihn und seine Tochter auch noch in Deutschland begegnen. Es wird aber auch spürbar, welche Kraft, sie aus ihrer Gemeinschaft ziehen, aber auch welche Schatten aus der Vergangenheit noch über ihnen liegen. Als nach Zusammenbruch der Sowjetunion neue Aussiedler aus Russland kommen, treteb alte Erinnerungen hervor während Josef den neuen Ankömmlingen hilft. Die Geschichte regt dabei zum Nachdenken über Heimat an und gibt auch Einblicke in das Leben der "Russlanddeutschen".

    Trotz der leichten emotionalen Distanz mancher Textstellen ist "Sibir" ein wichtiges Buch über das Schicksal vieler Hunderttausend Deutscher in der Sowjetunion nach 1945 und ist aufgrund der Thematik Vertreibung, der Bedeutung von Heimat sowie Leben und Ankommen in der Fremde zeitlos aktuell. Mit großer sprachlicher Eleganz schafft es die Autorin ein berührendes von der Geschichte geprägtes Familienporträt zu erzählen, von dem ich gerne noch mehr erfahren hätte.

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