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  • 5 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Jonas1704, 18.06.2021

    Als Buch bewertet

    Anfang des 20. Jahrhunderts wachsen die Geschwister Viktor, Felix und Laura und ihr Ziehbruder in gut situierten Verhältnissen in Wien auf. Als Juden haben sie nach wenigen Jahren mit den Schikanen der Deutschen zu kämpfen. Jahrzehnte später versucht die junge Jüdin Geertje ihre eigene Wurzeln zu erkunden und ihrer Identität näherzukommen. So kommt sie auch ihrem Vorfahren Viktor auf der Spur, der das schwarze Schaf der Familie war als sie auf ein Archiv auf dem Dachboden der Großeltern stößt und dabei wichtige Dokumente findet.
    Ich habe diesen Roman mit großem Interesse gelesen und vieles über die deutsche Geschichte und die Geschichte der Juden erfahren, einiges dass ich schon kannte nochmals bestätigt und über vieles, dass mir unbekannt war, einen guten Einblick bekommen.
    Obwohl das Thema sehr ernst ist und einen zu Nachdenken anregt ist es doch teilweise mit etwas humor gepaart und damit wird die Geschichte ein Lesegenuss. Eine Geschichte, die lange in Erinnerung bleibt.

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  • 5 Sterne

    3 von 4 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Gertie G., 26.04.2021

    Als Buch bewertet

    „Meine Großmutter kam zur Welt, an dem Tag an dem Gustav Mahler starb. Kaum sieben Jahre nach dem Tod Dvoraks und im Frühling als Stravinsky’s Pertoeskja Premiere feierte.“

    Mit diesen Worten beginnt die Geschichte der jüdischen Familie Rosenbaum in Wien, die von Geertje van den Berg in der Ich-Form erzählt wird. Man schreibt das Jahr 1994 und Geertje schickt sich an, im niederländischen Nijmegen ihren Schulabschluss zu machen, um später Jura zu studieren.

    Geertje ist es leid, dass sich die Familie ihres Judentums schämt und es nicht lebt. Die Familienmitglieder ergehen sich in Andeutungen aus der Vergangenheit. So haben die Großeltern und Mutter eine interessante Sprachregelung bis zur Perfektion getrieben: Man vermeidet zahlreiche Worte wie Gas, Ermordung oder Transport, die an die Shoa erinnern. Für diejenigen, die in den diversen Konzentrationslagern umgebracht wurden, gibt es nur den euphemistischen Satz „Der (oder die) lebt nicht mehr.“ Dennoch sind die Personen Teil des Familienlebens und sei es, wie Viktor, der ein abschreckendes Beispiel zu geben hat. Denn Viktor Rosenbaum, der Bruder von Geertjes Großvater, gilt als schwarzes Schaf der Familie, für das man sich auch heute noch schämen muss.

    Als sie sich entschließt, aktiv in das jüdische Leben einzusteigen und ihren Namen von Geertje in Judith amtlich ändern zu lassen, muss sie dazu einen Nachweis erbringen. Damit beginnt eine Reise in die Vergangenheit der Familie Rosenbaum.

    „Was den Rest angeht, so musste ich gegen den Widerstand meiner Großeltern an arbeiten, überhaupt über Viktor zu sprechen. Gegen ihr offensichtliches Unbehagen und Besorgnis vor möglichen Familiengeheimnissen meines unbekannten Großonkels, der mir eigenartigerweise viel vertrauter war als all die anderen toten Familienmitglieder, über die ständig gesprochen wurde – vielleicht nur, weil er grüne Augen hatte, wie ich.“


    Meine Meinung:

    Das Buch basiert auf der Geschichte der Wiener Familie Fanto, die sich als Österreicher sehen und nicht als Juden. Erzählt wird sie aus der Sicht der Enkelin Geertje, die sich der verdrängten Vergangenheit stellt. Denn die vagen Andeutungen gehen ihr zunehmend auf die Nerven. Auch, dass die ganze Familie die ungenießbaren Kalbsmedaillons, die die Großmutter kocht, lobt. Das wird sich in einem Ausbruch auf S. 364 entladen.

    „Von jetzt an nenne ich alles beim richtigen Namen. Und das sieht so aus: Ich heiße Judith. David, Sascha, Hedy, Martha, Laura, Otto und all die anderen sind ermordet worden. Viktor hat uns gerettet. Und was dich angeht ...,“ ich stach mit dem Zeigefinger nach meiner Großmutter, „deine Kalbsmedaillons sin un-ge-nieß-bar.!“

    Die Mauer des Schweigens wird durchbrochen und es scheint, als würden sich die Großeltern dafür schämen, überlebt zu haben.

    Die zahlreichen Rückblenden n das Österreich ab 1914 geben die politische Lage authentisch wieder. Auch der Glaube, dass verdienten Teilnehmern am Ersten Weltkrieg unter den Juden nichts passieren würde und die späte Einsicht, dass die Nazis keine halben Sachen machen, kommt zur Sprache.
    Ein wenig vermisse ich Jahreszahlen. Für mich ist es kein Problem den Ständestaat, den Bürgerkrieg oder die Ermordung von Engelbert Dollfuss einzuordnen, da ich als Österreicherin in der Geschichte des Staates gut bewandert bin. Anderen Lesern fehlen möglicherweise diese Kenntnisse.

    Auf ihrer Reise nach den Spuren ihrer ermordeten Familienmitglieder, fährt sie nach Auschwitz und begegnet einem alten Mann:

    „Im Bus unterwegs nach Auschwitz sitze ich am Fensterplatz, als ein älterer Mann neben mir Platz nimmt. So unauffällig wie möglich versuche ich ihn von der Seite zu beobachten. Sein Gesicht ist glatt rasiert, bis auf einige Stellen in den tiefen Furchen. Weiße Haare liegen wie Fäden auf der mit Leberflecken bedeckten Kopfhaut und auf den dunklen Äuglein liegt schon ein grauer Hauch. ’Das ist mein zweites Mal’, sagt er auf einmal, während er weiterhin geradeaus vor sich hinschaut. ’Das erste Mal war vor 52 Jahre, aber nicht in einem Bus, sondern in einem Güterwaggon. Ich war zwanzig’.“

    Das Buch beschreibt als die Problematik der „zweiten und dritten Generation“. Es erzählt die Einwirkung von tradierten Familienwerten auf die Entwicklung der eigenen Identität. Auf liebevolle Art und mit einem Hauch „Wiener Schmäh“ schreibt die Autorin über die Wirkung des Namens auf jemandes Schicksal. Denn Geertje hat diesen Namen immer als für sich selbst unpassend gefunden, mit Judith kommt sie besser zurecht. Die Frage, die sich Judith mehrfach stellt: Wem gehört die Shoa? Sind nicht die Nachkommen ebenso betroffen?


    Interessant habe ich gefunden, dass auch in den Schulen der Niederlande 1995 wenig über die Judenverfolgung gelehrt wird. Geertje muss heimlich in der Bücherei darüber lesen.

    Fazit:

    Ein gelungener Roman über die Geschichte einer jüdischen Familie. Die verschiedenen Zeitebenen erzeugen Spannung und führen den Leser durch die unterschiedlichen Lebenssituationen. Gut lesbar und trotz aller Tragik auch immer humorvoll. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

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  • 5 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Kristall, 29.04.2021

    Als Buch bewertet

    !ein Lesehighlight 2021!

    Klappentext:
    „Wien, 1914. Der junge Viktor entwickelt sich zielstrebig zum schwarzen Schaf seiner wohlhabenden jüdischen Familie.
    Nimwegen, 1994. Die Studentin Geertje hat es satt, dass sich ihre Familie noch immer für ihr Judentum schämt. Auf der Suche nach ihrer eigenen Identität will sie die Mauer des Schweigens endlich durchbrechen. Denn das Schicksal ihrer Familie ist allgegenwärtig – auch das von Viktor.“

    Ich muss gestehen, ich war mir zu Beginn nicht ganz sicher, was ich von diesem Roman halten sollte, aber von Seite auf Seite nahm er mich mehr gefangen und löste ein besonderes Lesegefühl aus. Autorin Judith Fanto hat mit „Viktor“ einen sehr persönlichen Roman geschrieben und zeigt uns damit, einen tiefen Einblick in ihre Familiengeschichte. Viktor Rosenbaum war der Rebell der Familie und der Bruder von Geertjes Großvater. Über ihn sprechen? Um Himmels Willen! Aber warum wird so über ihn geschwiegen? Zart und einfühlsam erzählt uns Fanto die Geschichte von Viktor und eröffnet uns somit ihre jüdischen Familiengeschichte. Gene vererben sich in einem gewissen Rhytmus und Geertje scheint einen großen Schwung von Viktor abbekommen zu haben, denn auch sie ist eine Rebellin, die nicht versteht, warum das jüdische Familienleben so unter den Teppich gekehrt wird. Wenn sie doch Juden sind, sollen sie doch auch so leben! Doch die Zeit ist eine andere. Der Holocaust sitzt noch zu tief in den Alten und die Gefahr, sich öffentlich als Jude zu „outen“ ist immer noch eine undefinierbare. Geertje geht einen besonderen Weg und bricht aus diesem Schweigen auf besondere Art und Weise aus. Hier wird Fanto dementsprechend laut und es wird aufwühlend. Muss es aber auch, denn Geertje ist in einer neuen Zeit angekommen und die ist nunmal eben lauter und kräftiger als damals. Der größte Schrei ist ihr Namenswechsel in „Judith“. Was sie damit auslöst, ist ihr nicht ganz bewusst, aber es wird eine Reise in die Vergangenheit aber auch die Findung eines neuen „Ich‘s“. Die Zeitenwechsel sind Fanto mit ganz großem Bravour gelungen und auch die Wortwahl und der Ausdruck sind der Zeit jeweils angepasst. Es tauchen immer mehr Fragen auf und man grübelt immer mehr als Leser mit. Fragt sich, ob Judith den richtigen Weg einschlägt, was sie damit auslöst und vor allem, was es für ihre Familie wohl bedeutet. Muss man den Namen ändern um anerkannt zu werden? Versteckt sie sich denn damit nicht auch? Viele Fragen werden ganz gekonnt von Judith Fanto beantwortet, aber einige bleiben im Geheimen. Sie merken schon anhand vom Vornamen der Protagonistin und der Autorin, das es sich hier wohl um ein und die selbe Person handeln könnte...lassen Sie sich verzaubern! Das schafft ein neues Bild und das Kopfkino beginnt seine Bahnen zu ziehen.
    Ich bin wirklich begeistert von dieser Geschichte und hätte nie gedacht, das hier so eine Kraft darin steckt. Es ist ein Kampf von Generationen den Judith hier führt, aber wie gesagt, die Zeit ist eine andere und vielleicht ist sie reif, das endlich über Viktor gesprochen wird und über so viele andere Dinge, die Familie Rosenbaum gern „verdrängt“ und umschreibt. Fantos Schreibstil ist keine reine Biografie, aber der aufmerksame Leser kann erkennen was die Autorin hier loswerden will. Shoa - ein Wort das dieser Geschichte den roten Faden verleiht und eine zarte Bande zwischen den geschichtlichen Ereignissen knüpft.
    Für dieses Lesehighlight vergebe ich 5 von 5 Sterne!

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  • 4 Sterne

    Christiane F., 13.05.2022

    Als Buch bewertet

    „Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber, was es bedeutete“. (S.17)

    Viktor
    Judith Fanto

    Die junge Geertje van den Berg lebt in Nijmegen, den Niederlanden und studiert dort Jura.
    1939 flohen ihre jüdischen Eltern und Großeltern aus Wien nach Belgien, wo sie sich nach kurzer Zeit erneut vor den Nazis verstecken mussten. Nach dem Krieg emigrierten diese nach Holland.
    Schon lange ist ihre ganze Familie katholisch und sie versuchen jegliche Dinge, die sie mit dem Judentum in Verbindung bringen könnten, zu verwischen.
    Wann immer Geertje gewisse Themen wie „Religion" oder "Flucht vor den Nazis“ bei ihrer Familie anspricht, verfällt diese ins Schweigen. Nur wenn Geertje mal wieder vorlaut ist, murmelt ihr Großvater: „Das muss sie von Viktor haben!“
    Viktor, so viel hatte sie herausgefunden, war der Bruder ihres Großvaters, ein Betrüger, der ein Lotterleben mit Glücksspiel, Betrügereien, Pferdewetten und gefälschten Ausweisen führte, ein Mann, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen kümmerte.

    Die Autorin schreibt ihr Buch auf zwei Zeitebenen:
    - 1994: In diesem Erzählstrang versucht Geertje die Vergangenheit ihrer Familie zu beleuchten, gleichzeitig möchte sie sich zum Judentum bekennen.
    - 1914: Wir begleiten die Familie Rosenbaum durch den ersten und zweiten Weltkrieg, wobei Viktor die Hauptperson ist. Er ist das „schwarze Schaf“ der Familie und sein Vater lässt keine Gelegenheit aus, ihm sein Fehlverhalten vorzuhalten.

    Viktor ist ein flüssiges und sehr lesenswertes Buch. Unglaublich gut haben mir die Konversationen zwischen Viktor und seinem Vater bzw. Schwester gefallen. Und auch das Leben der Juden in Wien zur Zeit des Anschlusses an das Nazi-Deutschland, per Volksentscheid (!), war sehr aufschlussreich.
    Dank des Stammbaumes auf den ersten Seiten des Buches konnte ich mich schnell einlesen.
    Judith Fanto beschreibt hier eindrucksvoll und auf literarisch hohem Niveau ihre Familiengeschichte. Ein weiteres Schicksal der dunkelsten und traurigsten Zeit der deutschen Geschichte.
    Leseempfehlung 4 Sterne

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  • 5 Sterne

    mabuerele, 18.05.2021

    Als Buch bewertet

    „...Ich vergegenwärtigte mir, was ich wusste: Namen konnten eine jüdische Abstammung verraten. So weit klar. Eine jüdische Abstammung war nichts, worauf man sich etwas einbilden konnte. Ebenfalls klar...“

    Mit obigen Wissen wächst Geertje van Berg in den Niederlanden auf. Die Fragen nach der Vergangenheit werden in der Familie kurz und bündig abgehakt. Der Kontakt zu jüdischen Nachbarn wird weitestgehend eingeschränkt. Nur die Reaktion der Mutter zeigt ab und an, dass etwas unter der Oberfläche schlummert, das tunlichst nicht hervorgeholt werden soll.
    Als Studentin 1994 macht sich Geertje auf die Suche nach ihren Wurzeln. Und sie stößt bei ihrer Recherche auf das angeblich schwarze Schaf der Familie: Viktor
    Die Autorin hat einen bewegenden Roman geschrieben. Die Geschichte wird abwechselnd in Gegenwart und Vergangenheit erzählt. Beide Teile haben ihren ganz eigenen Reiz.
    Der Schriftstil ist ausgefeilt und angenehm zu lesen.
    Die Familie Rosenbaum gehört in Wien zur gehobenen Gesellschaftsschicht. Anton ist Anwalt, Ernst Zahnarzt. Antons Sohn Viktor aber schlägt aus der Reihe. Er hat nicht studiert und auch keine Ausbildung absolviert. Aber schon als Kind fällt er dadurch auf, dass er sich für andere einsetzt. So verteidigt er Bubi, der von anderen als Jude gehänselt und bedrängt wird. Bubi stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Die Familie Rosenbaum nimmt sich ab sofort des Jungen an.
    Nach und nach wird deutlich, wie der Antisemitismus in Wien Einzug hält. Viktor hat einen Vorteil: groß, blond, hellhäutig. Sein Aussehen nutzt er bewusst, um sich normal bewegen zu können. Er hat einen Blick für gute Gelegenheiten.
    Ab und an werden in tiefgründigen Gesprächen fast philosophische Sätze eingeflochten:

    „...Aber wenn die Natur verstummt, heißt es Obacht geben. Sie spürt Gefahren früher als der Mensch. Die Natur ist unsere einzige Wahrsagerin, sie weiß Dinge, ehe wir sie wissen...“

    An anderen Stellen dominiert ein feiner Humor:

    „..“Nichts, gar nichts“, antwortete Viktor, „und mir geht es ausgezeichnet, danke der Nachfrage. Deinem Auto allerdings ...dem ist es schon mal besser gegangen. Und das Gleiche gilt für die Fensterfront des Café Landtmann, fürchte ich.“...“

    Die Familie versucht alles, um den Repressionen zu entgegen. Doch selbst ein Wechsel zum Katholizismus ist keine Lösung. Als die Entscheidung ansteht, wer noch das Land verlassen darf, zeigt sich Viktors Großmut.
    In der Gegenwart hinterfragt Geertje das Verhalten der Menschen. Das geht so weit, dass sie von denjenigen, die ihre Familie versteckt hatten, wissen will, ob sie so gehandelt haben, weil sie Juden oder weil sie Katholiken waren. Das Verhalten ihre Familie beschreibt sie so:

    „...Für meine Familie ist der Krieg nie wirklich zu Ende gegangen; sie leben gewissermaßen noch immer untergetaucht...“

    Es sind immer wieder einzelne Sätze, die ausdrücken, was in den Köpfen der Menschen fest verankert ist. So erklärt Geertjes Mutter:

    „...Nicht solange eine lebende Seele, auch wenn es sich um einen Rabbiner handelt, per Knopfdruck im Computer sehen kann, wer als Jude registriert ist. Das letzte Mal, als die Verwaltung hierzulande in dieser Hinsicht so gut funktionierte, hat es Zehntausende das Leben gekostet...“

    Das Buch ist sehr vielschichtig. Nicht auf alle Aspekte kann ich hier eingehen. So, wie damals in Wien die Meinungen in der Familie auseinander gingen, so zeigt es sich in der Gegenwart wieder. Geertje aber fällt für sich eine Entscheidung. Sie bekennt sich zur jüdischen Religion, ändert ihren Vornamen und bringt sich aktiv in die Gemeinde ein.
    Besonders heftig fand ich Antons kursiv wiedergegebene Erinnerungen an seine Inhaftierung und die Fahrt nach Dachau. Auch Viktors Gerichtsverhandlung wird kursiv von einem Gerichtsreporter aufgezeichnet. Erstaunlich, wie gekonnt Viktor bis zuletzt seine Gegner auf die Schippe nimm.

    „...Die Wahrheit ist ein Feuer, das die Menschen verzehrt. Wir brauchen Lügen, um die Wirklichkeit ertragen zu können...“

    So charakterisiert Ernst die Zeitverhältnisse und fasst für sich ein ganz persönliche Entscheidung.
    Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich mag Viktors Humor, der aus jeder noch so schlimmen Situation das Beste herausholt. Und Geertje ist ein Beispiel dafür, wie die nachfolgenden Generationen geprägt wurden.

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  • 5 Sterne

    wortwandeln, 18.09.2021

    Als Buch bewertet

    Es gibt ein Schweigen, das so laut ist, dass es beim Leben stört. So in etwa muss Geertje es empfunden haben. Schon früh bemerkt sie, dass mit ihrer kleinen Familie etwas nicht stimmt. Über die einst so zahlreichen Verwandten und ihr Schicksal wird nur verbrämt gesprochen: "Die schöne Laura? Der musikalische Otto? Die leben nicht mehr." Wünscht der jüdische Nachbar über die Hecke frohen Schabbes, ist die Mutter einer Panikattacke nah. Der Vater wirft ihr in lauten Streitereien ihr "inneres Gericht, Selbstbestrafung und Minderwertigkeitskomplexe " vor. Wörter wie Transport, Lager oder Gas sind in jedem Kontext tabu. Dass man jüdisch ist, soll möglichst niemand wissen.
    In der Stadtbibliothek verschafft sich die 9-Jährige heimlich die ersten Antworten, bekommt eine vage Vorstellung von dem Grauen, das ihren Ahnen widerfahren ist und das die Mutter und die Großeltern in einer ewigen inneren Emigration gefangen hält. Sprechen kann sie darüber nur mit der gleichaltrigen Esther, die aus demselben Gründen zwischen den Regalen sitzt.
    Es ist 1994 in Den Haag, als die 20-jährige Geertje das alles nicht mehr aushält. Die ausbleibenden Antworten, das unscharfe Selbstbild. Wem kann man sich zugehörig fühlen, wenn man nicht weiß, wer man ist? Ein "Paprika-Jantschi, laut, lebhaft, direkt, neugierig, präsent, unruhig, unbesonnen - kurz: auffällig"? Eine Viel- und Schnellleserin, wie alle Rosenbaums, aber nicht ganz so musikalisch? Ein bisschen so wie der rätselhafte, schillernde Onkel Viktor, der ebenfalls 'nicht mehr lebende' Bruder des Großvaters, mit dem sie manchmal verglichen wird ? Na bitte schön, dann eben Rebellin. Geertje flieht nach Nimwegen, ändert ihren Namen in Judith und begibt sich auf Abstand und eine radikale Suche - nach Identität, alten Familiengeheimnissen und - Viktor.
    Angelehnt an die Historie ihrer Familie hat die 52jährige niederländische Autorin Judith Fanto einen preisgekrönten Debütroman geschrieben, den man nicht mehr aus der Hand legen kann.
    In zwei parallelen Erzählsträngen verknüpft Fanto ein ungewöhnliches Coming-of-Age mit der um die Jahrhundertwende beginnenden Geschichte der großbürgerlichen Wiener Familie Rosenbaum, in deren Mittelpunkt der unangepasste wie großherzige Lebemann Viktor steht.
    Wortgewandt, leicht und humorvoll treibt die Autorin die Handlung voran. Die detailreichen, atmosphärischen Beschreibungen, spritzige, prägnante Dialoge und ein empathischer Blick auf die versammelten Figuren, die allesamt Charakter besitzen, machen das Lesen zu einem Vergnügen, selbst als am Horizont das Unheil dräut. Und hier befinde ich mich im Zwiespalt.
    Natürlich verfasst die dritte Generation eine andere Art Literatur zur Shoah als die erste oder zweite. „Wem gehört die Shoah?“ lässt Judith Fanto ihre Protagonisten denn auch an einer Stelle des Romans fragen.
    Es gibt durchaus Passagen, bei denen man heftig schlucken muss, aber im Großen und Ganzen wird der Lesende etwas zu sehr vor der historischen Wahrheit bewahrt. Man muss nicht alles benennen, um es fühlbar werden zu lassen, aber hat die Autorin die Diskretion und Verbrämung stärker verinnerlicht als ihrer Roman-Judith lieb wäre? Und stammen die zitierten Erlebnisberichte des Urgroßvaters tatsächlich aus dem Familienarchiv der Fantos? Hierfür hätte ich mir ein Nachwort gewünscht.

    Als Viktor wegen Rassenschande vor Gericht gestellt wird, die Anklage (trotz schwerer Misshandlungen während der Haft) mit unerschrockenen bis frechen Repliken pariert und sich sein Vater und Anwalt in seinem Plädoyer endlich zu seinen Gefühlen gegenüber seinem Sohn bekennt, klingt alles etwas zu sehr nach Hollywood.
    Vielleicht schafft gerade das aber auch die wünschenswerte Zugänglichkeit zum Thema, dessen Komplexität Judith Fanto trotz allem erfasst:
    Die von Außenstehenden schwer fassbare „Überlebensschuld“ der Davongekommenen, eine grausam anmutende Hierarchie der Opfer, das Schweigen, das noch die nachfolgenden Generationen prägt, und nicht zuletzt die immer gültige Frage, was uns als Menschen ausmacht. Das Buch berührt, bildet, unterhält und klingt nach. Lesen!

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  • 5 Sterne

    SofieW, 18.05.2021

    Als Buch bewertet

    Eine jüdische Familiengeschichte, zutiefst berührend und unendlich präsent im hier und jetzt

    Dies ist die Geschichte der jüdischen Familie Rosenbaum, die auf den wahren Begebenheiten der Familie der Autorin selbst beruht. Sie erzählt von der Studentin Geertje, die sich, belastet durch das dezente Stillschweigen in ihrer eigenen jüdischen Familie, nun selbst aufmacht, um mehr zu erfahren, über das, was einst wirklich wahr. Und sie nimmt uns mit auf diese Reise, die nicht nur sie selbst zu einem anderen Menschen macht, die zu Distanz und Abgrenzung führt, aber auch zu Hochachtung, tiefem Verstehen und letztendlich zu der Akzeptanz ihrer eigenen tiefen Einbindung in eben diese Gemeinschaft.
    Beginnen tut alles im Jahre 1914, als der kleine Viktor, schon als Kind tatkräftig, pragmatisch und herzensgut, einem anderen halb verhungerten jüdischen Jungen zur Hilfe kommt und seine Familie dazu bringt, diesen Bubi ohne viel Worte in die wohlhabende österreichische Familie Rosenbaum aufzunehmen. Und fortan gehört er dann einfach dazu. In den folgenden Jahren wird Viktor zu einer Art schwarzem Schaf der Familie. Das erwartete, in der Gesellschaft hoch anzusehende Handeln bleibt beruflich und privat eher außen vor, er betätigt sich mehr kreativ in allen möglichen Unternehmungen und auch beim weiblichen Geschlecht ist er recht vielfältig unterwegs. Sein Vater, ein angesehener Anwalt, lässt kein gutes Haar an ihm, was Viktor schon sehr zu schaffen macht, denn, das wird sich noch zeigen, er ist ein guter Mensch und in späterer Zeit der Retter nicht nur in der Not, sondern von Leben und dazu gehört auch das seines Vaters selbst.
    Und so erleben wir, sehr real, die Geschichte dieser Familie mit, die Zeit des Anschlusses Österreichs an das deutsche Reich und die unglaublichen Dinge, die dann mit der jüdischen Bevölkerung geschahen.
    Der stetige Wechsel der Zeiten zwischen dem Damals und dem Agieren der inzwischen Jura studierenden Geertje im heute führt dabei zu einer immer intensiveren Anbindung der Generationen. Und der Großvater von Geertje in der Zeit der 1990er Jahre ist der Bruder von eben diesem Viktor, dem letztendlich auch dieses Buch gewidmet ist, 'zum verehrenden Gedenken'. Und am Ende, wahrlich am Ende, da erfährt man dann doch noch etwas Trost, bei all der Fassungslosigkeit über das Geschehene und trotz der Machtlosigkeit, dem einfach nur zusehen zu können, denn da wendet sich Viktors Vater an seinen Sohn und sagt ihm, dass er ein guter Sohn und er stolz auf ihn ist. Und genau das war es doch, was Viktor so gerne wollte, seinen Vater stolz auf ihn machen.
    Ein ehrendes Denkmal für einen aufrichtigen Menschen, der da war zur richtigen Zeit, wann immer man ihn brauchte, eingebettet in die Geschichte. Und dies ist auch unsere Geschichte und sie wird, unvergessen, es immer bleiben.

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  • 5 Sterne

    Luise_Dez, 17.05.2021

    Als Buch bewertet

    Die Autorin Judith Fanto, erzählt in ihrem Debütroman „Viktor“ die wahre Geschichte ihrer eigenen Familie, über die Suche ihrer eigenen verschütteten jüdischen Wurzeln und nach den Spuren von Viktor.

    Meine Meinung:
    Am Anfang des Buches befindet sich ein Stammbaum, der mich jedoch etwas irritierte. David Rosenbaum und Sascha Saphirstein, hörte sich für mich erst einmal etwas komisch an bis etliche Seiten später erklärt wird, dass Sascha die Ehefrau von David war. Auch konnte ich Geertje, einige Zeit nicht zuordnen, da sie im Stammbaum nicht aufgeführt ist.

    Die Autorin schreibt auf zwei Zeitebenen (Wien 1914 und Nimwegen 1994) ihre eigene wahre Familiengeschichte, die durch die tiefen Einblicke in die jeweiligen Geschehen, einfach nur berührt. Ich konnte das spannende Buch kaum aus der Hand legen, so hat mich diese Geschichte gefesselt.

    Judith wird als Geertje geboren und wächst in den Niederlanden auf. Als Studentin beginnt sie, sich mit ihrer Familiengeschichte zu beschäftigen und fängt an, Fragen zu stellen. Ihr wird es immer unbegreiflicher, dass alle eher das Judentum verdrängen als offen darüber zu reden. Erst als sie Bücher über den Krieg und die Judenverfolgung liest, bekommt sie langsam eine Ahnung, was ihre Familie erlebt haben könnte. Geertje, weiß nicht so recht, ob sie nun Jüdin ist oder nicht und verfolgt nun jede Spur, die sich ihr bietet. Sie lässt sogar ihren Namen Geertje auf den Namen Judith, ändern.

    Während des Zweiten Weltkrieges mussten ihre Großeltern aus ihrer Heimatstadt Wien fliehen und sind über Belgien in die Niederlande, ausgewandert. Die Beziehung zum eigenen Judentum war so kompliziert und stark durch Angst sowie Verdrängung geprägt, dass innerhalb der Familie, das Jüdischsein zum Tabu Thema wurde.

    Bei Judiths (Geertje) Recherchen fällt ihre besondere Aufmerksamkeit auf Viktor, dem Bruder ihres Großvaters und dem schwarzen Schaf der Familie.
    Aus Wien 1914, dem Beginn des ersten Weltkrieges, wird in vielen Rückblenden das Leben von und über Viktor, auf eine ganz besondere Weise erzählt, die sehr zu Herzen geht. Viktor, mag das schwarze Schaf der Familie gewesen sein aber letztendlich fühlte er sich für viele Verantwortlich, hat damit viele Leben gerettet und für sich viel riskiert.

    Das Buch ist von der Autorin, „Zum verehrenden Andenken an Viktor S.“, gewidmet. Und das aus gutem Grund.

    Fazit:
    Die Autorin hat hier ihre dramatische Familiengeschichte mit viel Spannung im Handlungsverlauf interessant dargestellt. Die Ereignisse sind eindrucksvoll geschildert und die Protagonisten sind in jeder ihrer Handlungen, gut eingebunden. Sie halten bis zum Schluss, die Spannung. Zeile um Zeile hat mich das Buch sehr gefesselt.
    Von mir eine absolute Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    petra w., 03.05.2021

    Als Buch bewertet

    Das Buch teilt sich in zwei Geschichten, einmal in der heutigen Zeit ist Geertje, Jurastudentin und die Enkelin von geflohenen Wiener Juden.
    Damals in Wien ist es Viktor, eine in den Augen seiner Eltern eine verkrachte Existenz, in den Augen der Menschen die ihn ohne Bedingungen lieben einer der 36 Gerechten die die Welt vor dem Absturz ins Böse retten.
    Beide sind auf der Suche nach ihrer Identität. Beide begehren gegen die familiären Regeln auf, da enden die Gemeinsamkeiten. Sie kann sich mit ihrer Familie streiten, Namen ändern, weglaufen. Er kann nur versuchen für seine Familie die er trotz allem liebt das Beste zu tun. Sie vor der Shoah zu schützen, ihr Leben zu retten.
    Außer den beiden Hauptpersonen gibt es eben die Familie die nicht nur neben den beiden agiert sondern jeder für sich eine kleine Hauptrolle hat. Da ist mir besonders Onkel Ernst aufgefallen, er hat genauso wie Viktor die Zeichen der Zeit erkannt aber niemand will auf die beiden hören. Oder die Oma, sie kocht und sorgt auch im hohen Alter für den Trost durch das Essen.
    Ihr Leid aus der Vergangenheit hat sie mitgenommen, genau wie ihr Mann oder ihre Tochter Geertjes Mutter. Es ist nicht zu Ende, es ist für sie mit dem Judentum verbunden. Die unbestimmte Angst ist da.
    Das ist für mich eine Kernaussagen des Buchs, warum hat sich niemand gewehrt, warum sind nicht mehr geflohen. Das könnte ich natürlich in eines von vielen wissenschaftlichen Werken nachlesen, aber hier haben die Entscheidungen, Gedanken eine Person die sie ausspricht und begründet.
    Es gibt Szenen in dem Buch, da treffen Welten aufeinander und ich wusste nicht ob ich Lachen oder Weinen sollte.
    Die Autorin führt uns Leser ganz langsam in das Buch ein, ein Stammbaum zu Beginn erleichtert die Zuordnung sehr. Die Distanz zu den Personen der Gegenwart ist wie ein erstes Kennenlernen, nach und nach weicht sie einer Vertrautheit bis hin zu tiefer Freundschaft mit den Familien in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Wechselhaft erzählt, gibt es immer einen Grund warum von Geertje zu Viktor und umgekehrt erzählt wird. Es war leicht diesen Sprüngen zu folgen.

    Das Cover irritiert, die einzige Verbindung die ich gesehen habe ist, dass es einem Bild von Gustav Klimt ähnelt, einem bekannten Wiener Maler, der Frauen der gehobenen Gesellschaft dargestellt hat.

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  • 5 Sterne

    Janina O., 11.07.2021

    Als Buch bewertet

    Absolut lesenswert!

    Ein Buch, das nachhallt. Über allem schwebt die Frage: Ist etwas falsch daran, jüdisch zu sein? Diesen Eindruck hat Geertje seit ihrer frühesten Kindheit. Das jüdische Erbe wird in ihrer Familie als Last betrachtet, nach außen hin versteckt. Die Erlebnisse während des Nationalsozialismus totgeschwiegen. Geertje fühlt sich entwurzelt, nirgendswo zugehörig – eine langjährige Spurensuche beginnt, zunächst noch heimlich, später immer fordernder und konsequenter… Bis sie Stück für Stück zusammensetzt, warum sich ihre Familie so schuldig fühlt.
    Der zweite Erzählstrang erzählt vom Schicksal ihrer Familie während des 2. Weltkriegs. Im Mittepunkt dieses Geschehens steht Viktor, das schwarze Schaf ihrer Familie. Ohne abgeschlossene Ausbildung hat er es nicht leicht, die Anerkennung seiner Familie zu bekommen. Dabei ist gerade er es, der durch sein großes Herz, seine Entschlossenheit, seinen Mut, seinen Scharfsinn und seinen Weitblick heraussticht und großes leistet. Mehr als einmal setzt er sein Leben für andere aufs Spiel…
    Beide Erzählstränge strahlen ihre ganz eigene Faszination aus, obwohl sie so eng miteinander verwoben sind. Einerseits diese greifbare Hilflosigkeit und der verzweifelte Wunsch nach Halt von Geertje – beides so laut und doch von ihrer Familie überhört. Hier wird beeindruckend geschildert, welchen Einfluss der Antisemitismus auch noch auf die Folgegenerationen hat.
    Andererseits die Geschichte von Viktor, dessen Persönlichkeit mich gleich von Beginn an beeindruckt hat. Für mich aus heutiger Sicht sicherlich niemand, der nichts zur Gesellschaft beigetragen hat - ganz im Gegenteil. Stattdessen einer der wenigen, der das Übel sieht und dagegen angeht. Und dabei steht seine Mitmenschen an erster Stelle setzt.
    Eine absolute Leseempfehlung.
    Es macht mich immer wieder fassungslos, welche schrecklichen Verbrechen im Nationalsozialismus geschehen sind. Wie konnte das geschehen? Wie konnten die Menschen ihre Taten rechtfertigen? Ich finde beim besten Willen nicht einmal den Ansatz einer Erklärung und bin wieder und wieder aufs Neue erschüttert und ratlos.

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  • 5 Sterne

    Cosmea, 30.05.2021

    Als Buch bewertet

    Die Geschichte der Familie Rosenbaum
    Der Roman „Viktor“ von Judith Fanto erzählt eine Familiengeschichte über sechs Generationen im steten Wechsel auf zwei Zeitebenen. Die junge Holländerin Geertje, die Ich-Erzählerin in diesem Roman, bereitet sich in den 90er Jahren auf Schulabschluss und Jurastudium vor und will endlich mehr über ihre jüdische Familie wissen. Da gibt es eine Menge Geheimnisse und viele Tabuwörter wie Transport, Lager, Gas usw. Sie beginnt ihre Revolte mit einer Namensänderung und wird zu Judith. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf ein Archiv auf dem Dachboden der Großeltern und findet wichtige Dokumente. Die zweite Zeitebene beginnt mit dem 1. Weltkrieg und reicht bis 1939. Es ist im Wesentlichen die Generation der Großeltern Felix und Trude, ihrer Geschwister, aber es geht auch um ihre Eltern und Großeltern. Im Mittelpunkt steht die Person von Geertjes Großonkel, dem Bruder von Felix. Viktor war eine schillernde Persönlichkeit, ein Frauenheld, der häufig dubiosen Geschäften nachging und sich öfter in Schwierigkeiten brachte. Er war aber auch ein guter Mensch, der alles opferte und zumindest einige seiner Angehörigen rettete. Ihnen gelang die Flucht nach Holland. Die junge Judith wird mit der Scham und den Schuldgefühlen der Überlebenden konfrontiert, mit der Frage, wem die Schoah gehört und vor allem, wie man generell mit der jüdischen Vergangenheit umgehen kann und sollte. Judiths Großeltern sind vor der Flucht zum Katholizismus konvertiert und es steht in dieser Familie nie zur Debatte, jüdische Traditionen offen zu leben.
    Ich habe diesen Roman mit großem Interesse gelesen und noch viel Neues dabei gelernt, vor allem über die Geschichte Österreichs vor dem Anschluss an das Reich und den vorher schon allgegenwärtigen Antisemitismus. Das Ende ist sehr traurig, und die von der Biografie der Autorin inspirierte Geschichte hat lange nachgewirkt. Sehr empfehlenswert.

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  • 5 Sterne

    bavaria123, 20.05.2021

    Als Buch bewertet

    Die Wahrheit ist ein Feuer

    Am 18. Mai 1911 starb in Wien Gustav Mahler.
    An diesem Tag wurde die Großmutter der Protagonistin geboren.
    Vor gar nicht langer Zeit habe ich ein faszinierendes Buch über Gustav Mahler gelesen und so hat mich diese Einleitung in das Werk von Judith Fanto schon sehr angesprochen.

    "Viktor" wurde in zwei Zeitebenen verfasst. Zum einen geht es mit Viktor Rosenbaum in das Wien von 1914. Da lebt dieser große blonde Rebell. Er ist der Bruder von Geertjes Großvater.
    Geertje van Berg ist die zweite Hauptperson des Buches. Die Studentin lebt 1994 im niederländischen Niemwegen und wird sich dann Judith nennen. Judith, wie die Autorin selbst. Das ist kein Zufall, denn der Roman basiert auf der wahren Geschichte der Familie Fanto.

    Mich hat außer der Nennung von Gustav Mahler auch das Cover angesprochen und ich habe gern angefangen zu lesen.

    Ausgesprochen schnell fühlte ich mich wie eingesogen in das Buch. Die Autorin schreibt sehr persönlich. Manchmal ausgesprochen zart, verletzlich, einfühlsam und dann doch wieder laut und aufwühlend. Manchmal traurig, manchmal humorvoll. Manchmal mit Wiener Schmäh und manchmal auch trocken deutsch.

    Geertje van Berg macht sich auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie. Und auf dieser vielschichtigen, nicht immer chronologischen Reise nimmt sie uns Leser*innen mit, mal in sehr kurzen, mal in längeren Abschnitten. Und auch wenn man bereits sehr oft und viel über das jüdische Leben zwischen 1915 und heute gelesen hat, ist es alles andere als blass.

    Mich hat das Buch absolut begeistert. Ich sage es selten, aber es ist brillant geschrieben, spannend, kurzweilig, gänsehautbringend, bitter, beeindruckend. Alles in allem eben wirklich lesenswert. Und deshalb bekommt es von mir auch eine dicke Empfehlung mit fünf Sternen.

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  • 5 Sterne

    leseratte1310, 14.08.2021

    Als eBook bewertet

    Wien, 1914. Viktor ist der Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie. Er ist kein angepasster Typ, aber er ist empathisch und fühlt nicht nur mit anderen, sondern setzt sich auch für sie ein. Allerdings interessiert er sich wenig dafür, etwas aus seinem Leben zu machen, wie es die Familie erwartet.
    Nimwegen, 1994. Geertje weiß nicht viel über ihre Vorfahren, doch sie möchte wissen, warum ihre Familie mit dem Judentum ihre Schwierigkeiten hat. Es ist ein Thema, über das nicht gesprochen wird. Doch Geertje will mehr über ihre Wurzeln erfahren. Je tiefer sie in die Vergangenheit eindringt, umso mehr verbindet sie mit ihren jüdischen Wurzeln und sie nennt sich fortan Judith.
    Die Autorin erzählt sehr feinfühlig und interessant, wobei sie durch ihre eigene Familiengeschichte inspiriert wurde. Auch wenn viele so leicht erzählt ist, gibt es doch auch immer wieder Abschnitte, die furchtbar sind.
    Was mit den jüdischen Menschen vor und während des zweiten Weltkrieges geschah, wissen wir alle zur Genüge. Das ist auch an Viktor und Geertjes Familie nicht vorbeigegegangen. Das Thema wird aber nicht nur totgeschwiegen, Geertjes Eltern praktizieren ihren Glauben nicht mehr. Doch Geertje kann so nicht leben, sie muss wissen, was geschehen ist, um zu sich selbst zu finden. Mehr noch aber hat mich Viktor beeindruckt, der früh erkannt hat, was auf die Juden zukommt und Widerstand geleistet hat. Da sein Aussehen so gar nicht jüdisch ist, nutzt er dies, um zu helfen. Er ist eine wirklich interessante Persönlichkeit, der mit einer unvergleichlichen Nonchalance seinen Weg geht.
    Es ist ein berührender, wundervoller Roman, der einen nicht so schnell loslässt.

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  • 5 Sterne

    Monal, 16.05.2021

    aktualisiert am 16.05.2021

    Als Buch bewertet

    Judith Fanto eine >wahre< Geschichte
    Nicht umsonst wurde der Roman >Victor< der Autorin Judith Fanto, in den Niederlanden als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet.

    Mir gefällt das Cover und auch die Ausgestaltung. Judith Fanto hat eine tolle Art zu schreiben und sich und ihre Familie ins Bild zu setzten.

    Ich muss sagen: ein tolles Buch, voller mitreißender kurzer, aber doch sehr berührender, Einblicke in die verschiedene Generation einer Familie und deren (wahre) Geschichte. Ein Buch das von Anfang bis Ende unter die Haut geht und den Leser mit Spannung an das weitere Geschehen bindet und es einem schwer macht in die Realität zurückzukehren.
    Die Geschichte der Autorin ist in zwei Erzählstränge aufgeteilt… mehr will ich dazu auch schon nicht verraten.
    Obwohl ich schon viele Romane über die Zeit vor, während und nach dem 2. Weltkrieg gelesen und viele Filme gesehen habe, so hat "Viktor" von Judith Fanto mir vieles neues und anders zum Nachdenken beschert. Vieles das einem nicht so wirklich bewusst war oder einfach schlicht nicht bekannt. Wie kommt man mit der vermeintlichen Schuld des Überlebens der Schoah zurecht?
    Aber zu dem eigentlichen Hauptprotagonisten: Viktor, … was für eine Persönlichkeit!
    Sein Rückgrat, auch seine Person, seine Selbstliebe, und vor allem seine Standfestigkeit gegenüber dem unglaublichen Verrat an einer Religionsgemeinschaft sind sehr berührend.

    Judith Fanto gelingt es auf unnachahmliche Weise, die Schrecken der Zeit zusammen mit einem gewissen Humor zu beschreiben, wirklich toll!
    Ich bin hellauf begeistert von diesem Roman, der mich sicher sehr lange gedanklich beschäftigen wird.

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  • 5 Sterne

    Barbara M., 21.06.2021

    Als Buch bewertet

    Eine berührende, wunderschön geschriebene, faszinierende jüdische Familiengeschichte

    In Geertjes Familie wird über das Vergangene nicht gesprochen, es wird geschwiegen, verschwiegen und Geertje, ein neunjähriges Mädchen, fühlt dies – laut und heftig! Sie will wissen und beschafft sich Informationen in einer nahegelegenen Bibliothek über die Gräueltaten, die ihren Verwandten wiederfahren sind. Nur mit einer Person kann sie sprechen, mit Esther, die ebenso zwischen den Bücherregalen sitzt. Hier werden Ahnungen und Gedanken zu Wörtern.
    Mit 20 Jahren hält Geertje das Unausgesprochene in der Familie nicht mehr aus. Sie flieht als Judith nach Nimwegen und begibt sich auf die Suche nach ihrer Identität, ihrer Familiengeschichte und nach dem toten Viktor, dem einst so großherzigen, lebenslustigen Bruder des Großvaters.

    Judith Fanto gelingt es in ihrem Debütroman den Leser durch ihren feinfühligen, ehrlichen, auch humorvollen und immer eindrücklichen Schreibstil in den Bann zu ziehen. Sie erzählt den Familienroman vor ihrem autobiografischen Hintergrund.
    Judith Fanto wechselt ihre Geschichte mithilfe zweier Handlungssträngen ab: das Leben von Geertje und das von Viktor.

    Fazit: Ein feinfühliger, manchmal harter, ehrlicher, aber auch humorvoller, interessanter und sehr lesenswerter Roman. Er hat mich sehr berührt und bereichert und klingt stark in mir nach. Ich empfehle das Buch sehr gerne weiter!

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  • 5 Sterne

    de.Susi, 25.05.2021

    Als Buch bewertet

    Viktor ist das schwarze Schaf der Familie Rosenbaum, weil er nicht den konservativen Vorstellungen seiner Familie entspricht. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ahnt noch niemand, welchen Nutzen die Familie daraus noch ziehen wird.
    In der Gegenwart ist die junge Gerrtje van der Berg auf der Suche nach ihrer jüdischen Identität, die innerhalb der Familie auf die verschiedensten Weisen verdrängt und negiert wird. Eben dieses Verschleiern macht ihr schwer zu Schaffen und so begibt sie sich auf eine Reise in die Familiengeschichte.
    Das es nicht immer nur schwarz und weiß gibt, sondern sich dazwischen zahlreiche Graustufen befinden, wird bei diesem Roman sehr deutlich! Und eine weitere wichtige Aussage enthält dieses Buch: Verdrängen und Schweigen erscheint auf den ersten Blick die „leichtere“ Variante, jedoch ist es für andere und vor allem für die nachfolgenden Generationen eine schwere Bürde, da Verhaltensweisen fehlinterpretiert werden. Dieses Buch ist somit nicht „nur“ ein Roman und die Aufarbeitung einer Familiengeschichte, sondern gibt auch exemplarisch einen tiefen Einblick in die Thematik „vererbte Erinnerungen“.
    Ein Buch das sowohl fesselt als auch zum Nachdenken anregt! Klare Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    Michaela K., 31.05.2021

    Als Buch bewertet

    zutiefst bewegend

    Bereits nach den ersten Seiten war ich wie "gefangen" in dieser wirklich unglaublichen aber wahren Geschichte. Bis zum Schluss blieb der Roman fesselnd. Es war für mich sehr bereichernd, diese Geschichte zu lesen und mehr über die jüdische Familie zu erfahren. In einem einzigartigen Schreibstil erhält man als LeserIn einen guten Zugang zum Text. Die Seiten verfliegen einfach.

    Das Werk behandelt wichtige Themen wie die Suche nach Identität, Anerkennung, Mut, Freundschaft, und das Aussprechen von Unsagbaren.
    Manchmal wird in dem Werk aber auch vieles Verschwiegen. Das Schweigen als wichtiger Teil der Familiengeschichte, der man sehr nahe kommt, löst sich letztlich auf. Zurück bleibt die Wahrheit.

    Die Zeitsprünge haben mir sehr gut gefallen. Man kann sich sehr gut orientieren, wann man in welcher Zeit ist.
    Mit einer nachdenklichen Note beende ich meine Rezension. Ich muss 5 Sterne vergeben, da ich das Werk brillant fand. Jüdische Gegenwartsliteratur wie diese, die sich sowohl mit vergangenem als auch mit der Gegenwart beschäftigt, zeigt den Konflikt der Generationen und die traurige Bedeutung vom Aussterben der letzten ZeitzeugInnen.
    Von diesem Buch werden noch viele sprechen.

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  • 5 Sterne

    eleisou, 31.05.2021

    Als Buch bewertet

    Dieser teils autobiografischer Roman erzählt die Geschichte von Judith, die nach und nach ihr Judentum entdeckt und ihre jüdischen Wurzeln erkundet, die ihre Familie so viele Jahrzehnte versuchte geheim zu halten und unter einem geheimnisvollen Schleier zu verbergen.
    Dabei stößt sie auch auf einen ihrer Vorfahren, Viktor, der Bruder ihres Großvaters, der ein eher unkonventionelles Leben führte und zum schwarzen Schaf der Familie genannt wurde. Abwechselnd wird die Geschichte in zwei Zeitebenen erzählt, man befindet sich auf der einen im Jahre 1994 in Nimwegen in den Niederlanden und auf der anderen in Wien in den Anfängen des 20. Jahrhunderts, wo für Viktor alle began.
    Der Erzählstil von Judith Fanto ist fesselnd und berührte mich tief. Seit einigen Jahren lese ich sehr viel über diese Zeit der Geschichte und ich muss sagen, dass das Buch sehr authentisch und realistisch war. Zudem erlaubt es uns einen Einblick in das Leben einer jüdischen Familie, die einen mit den Traditionen der Juden näher bringt. Ein berührendes Buch, das uns betonen möchte, nicht zu vergessen und zu vergeben.

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  • 5 Sterne

    skandinavischbook, 23.05.2021

    Als Buch bewertet

    Meine Meinung:
    Mein erster Gedanke an dieses Buch, wenn ich nach der Lektüre dessen zurückblicke ist, welch ein wundervoller, eindrücklicher und bemerkenswerter Roman, liegt in "Viktor" verborgen, denn dies ist er wirklich.
    Die Autorin erzählt eine Art Familiengeschichte, die sich mit der vergangenen Zeit der Historie auseinandersetzt oder dies vielleicht gerade auch nicht tut. Ein Buch, welches deutlich machte welcher Druck, welche innerlich so gefestigte Haltung sich aus Jahrhunderte langer Historie manifestieren kann und welche Probleme, welche Last dadurch entstehen kann und dies auch tut. Dabei schafft die Autorin Charaktere, die unter die Haut gehen, einen Stil, der so literarisch edel ist und dabei eine solch eindringliche Atmosphäre und zarte, nie übertriebene emotionale Tonalität schafft, dass man dieses Buch Stück für Stück genießt und dabei einen Mehrwert bekommt, den nur wenige Romane schaffen können.

    Mein Fazit:
    In meinen Augen ein großer Roman, der thematisch ebenso wichtig, wie literarisch gelungen ist! Eine große Leseempfehlung!!!

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  • 5 Sterne

    Daniela E., 18.05.2021

    Als Buch bewertet

    Judith, geboren als Geertje in den Niederlanden in eine jüdische Familie, die sich scheinbar ihres jüdisch seins schämt, möchte die Geschichte ihrer Familie aufarbeiten. Dabei kann sie sich jedoch nicht an ihre Eltern und Großeltern wenden, die das Kriegstrauma nicht thematisieren möchten. Neben der Flucht vor den Nazis, ist auch der Gedanke an Victor, den Bruder ihres Großvaters etwas, was sie aufklären möchte.
    Die Erzählung spring Kapitelweise zwischen der Gegenwart und Kriegszeit hin und her. Sie erzählt Geertjes bemühungen, die Geschichte der Familie auf zu arbeiten, und dann wieder von Victor, und wie er versucht die Familie zu retten. Die Kapitel bauen jeweils aufeinander auf. Bis kurz vor Ende des Romans versteht man nicht so ganz, weshalb Viktor ausschließlich als das schwarze Schaf der Familie dargestellt wird. Insbesondere der Blick der Gegenwart referenziert auf die Vergangenheit.
    Ein gutes, historisch biographisches Buch. Spannend zu lesen.

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